Der Brief des Paulus an die Kolosser (3)
Kapitel 3

Stanley Bruce Anstey

© SoundWords, online: 15.07.2022, updated: 09.03.2024

Die Einsmachung des Gläubigen mit Christus in seinem Tod und seiner Auferstehung (Kol 2,20–3,11) – Fortsetzung

Die praktischen Auswirkungen des Auferstandenseins mit Christus (V. 1-4)

Das Gegenstück zur Einsmachung des Gläubigen mit dem Tod Christi ist die Einsmachung des Gläubigen mit der Auferstehung Christi. Dieses Thema greift Paulus als Nächstes auf. In Kapitel 2 hat er gezeigt, was es praktisch bedeutet, mit Christus gestorben zu sein: Wir sind getrennt von der Welt des Menschen, der Weisheit des Menschen und der Religion des Menschen. Nun zeigt Paulus, wie sich unsere Einsmachung mit der Auferstehung Christi praktisch auswirkt: Wir werden mit Gottes Welt droben und mit allem, was dort ist, in Verbindung gebracht. Daher stellt Kolosser 2,20-23 die negative Seite dieser großen Wahrheit dar und Kolosser 3,1-4 die positive Seite. Der große Unterschied zwischen beiden ist, dass wir auf der positiven Seite einen Gegenstand vor uns haben: Christus.

Verse 1-3

Kol 3,1-3: 1 Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. 2 Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; 3 denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.

Weil wir mit Christus in seiner Auferstehung einsgemacht sind, sollen wir nach den Dingen streben, die in Christus droben sind. Man könnte fragen: „Was genau sind die Dinge, die ‚droben‘ sind?“ Das sind unsere himmlischen Segnungen und Vorrechte, die der Tod Christi, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt für uns gesichert haben. In dem auferstandenen Christus sind wir in eine ganz neue Sphäre eingeführt worden; sie entstand dadurch, dass Er verherrlicht worden ist und zur Rechten Gottes sitzt. Diese Dinge gab es nicht, als Christus auf der Erde war. F.B. Hole erklärt, was es bedeutet, „auf das zu sinnen, was droben ist“:

Wir richten unseren Sinn auf das, „was droben ist“, nicht dadurch, dass wir im Sessel sitzen und uns in Träume und mystische Vorstellungen über Dinge verlieren, die es vielleicht im Himmel gibt, sondern dadurch, dass wir uns auf Christus ausrichten und in allem die Interessen des Himmels zu fördern suchen. Der deutsche Botschafter in Paris fördert die deutschen Interessen, indem er sich im französischen Umfeld um deutsche Angelegenheiten kümmert, und nicht, indem er sich hinsetzt und sich ständig vorzustellen versucht, wie es in Deutschland aussieht.[1]

Der Christ, dessen Geist auf himmlische Dinge ausgerichtet ist, ist auf der Erde also damit beschäftigt, die himmlischen Interessen Christi zu verfolgen:

  • das Evangelium zu verbreiten
  • die Wahrheit kennenzulernen und zu lehren
  • das Volk Gottes zu weiden usw.

Wer sich damit beschäftigt, richtet seine Gedanken auf die himmlischen Dinge, denn die gerade erwähnten himmlischen Interessen sind in Christus droben begründet und haben ihr letztes Ziel in Christus.

Natürlich müssen wir unsere zeitlichen Bedürfnisse durch irdische Arbeit bestreiten, aber wir dürfen unsere Zuneigung nicht auf diese irdischen Pflichten richten. Die Gefahr besteht, dass wir uns in irdische Dinge verlieren. Deshalb ermahnt Paulus uns, dass wir unsere Gedanken auf das richten, „was droben ist“, und „nicht auf das, was auf Erden ist“. Er fügt hinzu: „denn ihr seid gestorben“. Damit will er nicht sagen, dass der Christ den natürlichen Dingen dieser Schöpfung gestorben ist. Der Gläubige ist der Sünde und der Welt gestorben [vgl. Röm 6,2.10], aber die natürlichen Dinge gibt Gott uns „reichlich zum Genuss“ (1Tim 6,17). Es sind also die fleischlichen und weltlichen Dinge auf der Erde, denen der Gläubige tot ist, nicht den natürlichen Dingen.

Die Kolosser sollten nicht erwarten, dass die Welt ihr Streben nach himmlischen Dingen versteht, denn das Leben des Christen ist „verborgen mit dem Christus in Gott“. Vor wem ist dieses Leben verborgen? Es ist vor den Menschen dieser Welt verborgen. Die Menschen dieser Welt verstehen die inneren Quellen und Motive der Christen nicht. Sie können nicht begreifen, warum wir so leben, wie wir leben, und warum wir für die Dinge leben, für die wir leben – sie sehen keinen Sinn darin. Der ungläubige Mensch dieser Welt richtet all seine Gedanken auf die irdischen Dinge dieser Erde; er denkt, jeder sollte so handeln wie er. Wenn er einen Christen „im Takt einer anderen Trommel marschieren“ sieht, ist ihm das alles ein Rätsel.

Ein verborgenes Leben mit Christus in dem Sinn zu führen, wie Paulus hier davon spricht, bedeutet nicht, dass wir uns buchstäblich vor der Welt verborgen halten. Uns in unsere Wohnungen einzuschließen und zurückgezogen wie ein Mönch zu leben, würde unserem christlichen Zeugnis völlig zuwiderlaufen. Im Gegenteil, Gottes Volk soll „das Licht der Welt“ und „eine Stadt auf einem Berg“ sein, die „nicht verborgen sein kann“, und so soll Gottes Volk ein helles und strahlendes Zeugnis vor der Welt sein (Mt 5,14). Das Hauptanliegen des Kolosserbriefes ist es, dass die Gläubigen auf der Erde so zusammenstehen, dass die Wahrheit des Geheimnisses (d.i. „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“; Kol 1,27) vor der Welt sichtbar wird.

Vers 4

Paulus schließt mit den Worten:

Kol 3,4: Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit.

Er führt diesen Gedanken an, um zu zeigen, dass ein Tag kommen wird, wenn Christus und die Kirche vor der ganzen Welt offenbar werden (2Thes 1,10): Dann wird vor allen offenbart, was die Gläubigen heute aus Glauben getan haben. Die Offenbarung an jenem Tag wird deutlich machen, wofür wir heute gelebt haben (Joh 17,23). Dementsprechend hatte Paulus in seinem Leben und Dienst nur zwei Tage vor Augen: „den heutigen Tag“ (Apg 20,26) und „jenen Tag“ (2Tim 1,12.18; 4,8). Er lebte sein Leben an diesem gegenwärtigen Tag der Gnade mit Blick auf den kommenden Tag der Offenbarung – und das sollten auch wir tun.

EINE WESENSÄNDERUNG (V. 5-17)

Weil wir in das Leben mit Christus droben eingeführt worden sind, müssen wir unser altes Leben, das wir in der Zeit vor der Bekehrung gelebt haben, ablegen. Der Grund dafür ist einfach: Beide, das neue Leben und das alte Leben, können im Leben eines Christen nicht nebeneinander bestehen bleiben. Daher geht es jetzt in Kapitel 3 darum, die Wesensmerkmale des alten Lebens abzulegen und die Wesensmerkmale des neuen Lebens anzuziehen, damit das göttliche Ziel erreicht wird: In den Gläubigen soll das Abbild Christi gesehen werden (Kol 1,27).

Der alte Mensch (V. 5-9)

In diesem Abschnitt wendet Paulus diese Wesensveränderung vom „alten Menschen“ (Kol 3,9) zum „neuen Menschen“ (Kol 3,10) praktisch an. Dieses Thema wird oft nicht richtig verstanden. Die beiden Begriffe beziehen sich nicht auf das Fleisch und die neue Natur, wie manchmal angenommen wird. Sie sind vielmehr abstrakte Ausdrücke, die den verdorbenen Zustand des gefallenen Adamsgeschlechts und die neue moralische Ordnung in dem neu geschaffenen Geschlecht unter Christus beschreiben. Der alte Mensch bezieht sich nicht auf Adam persönlich, sondern auf das, was das gefallene Adamsgeschlecht charakterisiert, dessen Haupt Adam ist. Der alte Mensch verkörpert all die hässlichen und sündigen Eigenschaften, die dieses Geschlecht kennzeichnen. Damit wir richtig verstehen, was mit dem alten Menschen gemeint ist, müssen wir das Menschengeschlecht unter Adam als Ganzes betrachten, denn es ist unwahrscheinlich, dass ein einziger Mensch alle Merkmale aufweist, die diesen verdorbenen Zustand kennzeichnen. Jemand kann zum Beispiel durch Zorn und Hinterlist gekennzeichnet sein, und doch ist er nicht unbedingt unmoralisch. Jemand anders ist vielleicht nicht dafür bekannt, dass er die Beherrschung verliert oder betrügerisch handelt, doch er ist äußerst unmoralisch. Betrachtet man jedoch das gesamte Menschengeschlecht, so sieht man darin alle hässlichen Eigenschaften verkörpert, die den alten Menschen charakterisieren.

Diesen verderbten Zustand hat Gott am Kreuz verurteilt (Röm 6,6; 8,3), und diesen Zustand legt der Gläubige ab, wenn er errettet wird. Er mag sich dessen nicht bewusst sein, doch indem er den christlichen Weg einschlägt und sich zum Christentum bekennt, trennt er sich von diesem verdorbenen Zustand, denn dieser Zustand ist nicht Teil dessen, was einen Christen ausmacht. Daher sind wir als Christen nicht mehr mit diesem alten verderbten Zustand verbunden.

„Ablegen“ steht im Griechischen im Aorist; das bedeutet, dass wir ein für alle Mal abgelegt haben.[2] Demnach ist der alte Mensch im Leben eines Gläubigen bereits abgelegt worden, und alle Ermahnungen an den Gläubigen, die in diesem Abschnitt folgen, bauen auf dieser Tatsache auf.

Wie bereits erwähnt, wird der „alte Mensch“ oft mit der alten Natur (dem Fleisch) verwechselt. Dies ist ein weitverbreitetes Missverständnis unter Christen. Sie sagen zum Beispiel: „Der alte Mensch in uns begehrt Dinge, die sündig sind.“ Oder: „Unser alter Mensch will dieses oder jenes Böse tun.“ Diese Aussagen verwechseln den alten Menschen mit dem Fleisch. In der Schrift wird der Begriff nicht auf diese Weise verwendet. J.N. Darby bemerkt:

Der alte Mensch wird gewöhnlich fälschlicherweise für das Fleisch verwendet.[3]

Ein Unterschied zwischen dem alten Menschen und dem Fleisch besteht darin, dass nie gesagt wird, dass der alte Mensch in uns ist, während das Fleisch ganz sicher in uns ist. F.G. Patterson sagt:

Auch finde ich nicht, dass die Schrift uns erlaubt zu sagen, dass wir den alten Menschen in uns haben. Dagegen lehrt sie ganz klar, dass wir das Fleisch in uns haben.[4]

Daher ist es nicht korrekt, zu sagen, dass der alte Mensch in uns lebt mit Begierden, Wünschen und Gefühlen so wie das Fleisch. H.C.G. B. sagt:

Ich weiß, was ein Christ meint, der die Beherrschung verliert und sagt, es sei „der alte Mensch“, aber der Ausdruck ist falsch: Wenn er gesagt hätte, es sei „das Fleisch“, wäre er korrekter gewesen.[5]

Wenn der alte Mensch das Fleisch wäre, dann würde Epheser 4,22.23 (nach der Übersetzung der KJV-Bibel) uns außerdem auffordern, das Fleisch abzulegen! Das kann kein Christ tun, solange er in der Welt lebt. Das geschieht erst dann, wenn wir sterben oder wenn der Herr [zur Entrückung] kommt.

Vers 5

Deshalb ermahnt die Heilige Schrift uns nicht dazu, den alten Menschen abzulegen. Sie ermahnt uns jedoch, die Dinge abzulegen, die den alten Menschen charakterisieren. Folglich sagt Paulus:

Kol 3,5: Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht, die Götzendienst ist, …

Diese schlimmen Erscheinungsformen des Fleisches waren in der heidnischen Welt üblich, aber im christlichen Leben haben sie keinen Platz. Die Tatsache, dass die Gläubigen dazu ermahnt werden, ihre „Glieder zu töten“, zeigt, dass bei der Bekehrung eines Menschen seine alte, sündige Natur nicht ausgerottet wird.

Die Christen sind nicht dazu aufgerufen, ihren Leib zu „töten“, sondern vielmehr „die Handlungen“ des Fleisches zu töten, die sich in ihrem Leib zeigen (Röm 8,13). Dass Paulus das Wort „tötet“ verwendet, zeigt uns, dass wir mit diesen Sünden schonungslos umgehen müssen. F.B. Hole sagt:

Töten ist ein starker und bedeutungsvoller Ausdruck. Wir neigen dazu, mit diesen Dingen zu verhandeln und manchmal sogar damit zu spielen und Vorkehrungen für sie zu treffen. Wir sind aber nur sicher davor, wenn wir kompromisslos handeln. Sozusagen mit dem Schwert in der Hand sollen wir schonungslos dagegen angehen. Wir sollen so handeln wie Samuel, der Agag vor dem HERRN in Stücke hieb.[6]

Schauen wir uns noch einmal die typologische Belehrung der Wüstenwanderung Israels nach Kanaan an: Was hier in Kolosser 3 beschrieben wird, entspricht Gilgal – dem Ort, wo Israel sein Fleisch durch Beschneidung abschnitt (Jos 5). Dies ist ein Sinnbild für die Übung des Gläubigen, die Erscheinungsformen des Fleisches durch Selbstgericht zu entfernen.

Beachten wir auch, dass Paulus nicht davon spricht, dass wir die „Glieder“ unseres Körpers im wörtlichen Sinn abtöten sollen – dass wir unsere Hände, Füße usw. abtrennen. Er benutzt das Wort im übertragenen Sinn, um die Übung zu beschreiben, das Fleisch zu richten und es im Tod zu halten, damit sich diese verdorbenen Dinge nicht in unseren Gliedern offenbaren. Wir töten unsere Glieder nicht ab, indem wir gute Vorsätze fassen, fasten, dem Körper natürliche Annehmlichkeiten vorenthalten usw. Nie werden wir aufgefordert, uns selbst zu kreuzigen oder das Fleisch zu bekämpfen, um es im Zaum zu halten – so etwas führt nur in die Niederlage. Wir sollen diese Dinge schon ganz am Anfang töten (Jak 1,15).

Eine dieser schrecklichen moralischen Missstände, die Paulus erwähnt, ist die „Habsucht {o. Gier}, die Götzendienst ist“. Wenn wir habsüchtig sind, lassen wir zu, dass das Verlangen, die Begierde nach irgendetwas einen unangemessenen Platz in unserem Herzen einnimmt. Damit aber verdrängt sie Gott; und alles, was Gott in unserer Zuneigung verdrängt, ist ein Götze.

Verse 6.7

Kol 3,6.7: … 6 um derentwillen der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt; 7 unter denen auch ihr einst gewandelt seid, als ihr in diesen Dingen lebtet.

Die Menschen denken, sie könnten diese Sünden begehen und dem Gericht Gottes entgehen. Doch Paulus sagt, dass „der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt“, die an diesen Sünden Gefallen finden. Dieses Gericht ist ein Gericht der Regierungswege Gottes (während sie in dieser Welt leben) und ein ewiges Gericht (wenn sie aus dieser Welt scheiden).

Verse 8.9

Aber außer den Dingen, die in Kolosser 3,5 erwähnt werden, gehören noch andere Dinge zum alten Menschen, die wir ebenfalls ablegen müssen. Paulus sagt:

Kol 3,8.9: 8 Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Mund. 9 Belügt einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen …

Auch hier steht „ablegen“ im Griechischen im Aorist. Einst lebten wir eingewickelt in diese Dinge wie in einem Gewand, das uns bedeckt. Wenn die Menschen uns anblickten, dann sahen sie ein „vom Fleisch beflecktes Kleid“ (Jud 23). Nachdem wir errettet worden sind, ist dieses Kleid nicht mehr zu sehen. Das alte Gewand muss also abgelegt werden, und das ist der Kern der Ermahnung des Paulus hier. Noch einmal: Die Übung besteht nicht darin, den alten Menschen abzulegen – das ist bereits geschehen –, sondern das sündige Wesen des alten Menschen abzulegen.

Der neue Mensch (V. 10-15)

Vers 10

Nachdem Paulus die negative Seite dargelegt hat, beschreibt er nun im Folgenden die positive Seite im Zusammenhang mit dem neuen Menschen:

Kol 3,10: … und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat; …

Wenn jemand Christ wird, legt er den alten Menschen ab; ebenso zieht er dann den neuen Menschen an. Auf dieser Tatsache beruhen die praktischen Ermahnungen, die in den Versen 12 bis 15 folgen.

Der „neue Mensch“ ist, ebenso wie der „alte Mensch“, ein abstrakter Ausdruck. Er drückt die moralische Vollkommenheit in dem neuen Schöpfungsgeschlecht unter Christus aus. Der alte Mensch ist dadurch gekennzeichnet, dass er „verdorben“ und „betrügerisch“ ist; der neue Mensch dagegen zeichnet sich durch „Gerechtigkeit“ und „Heiligkeit“ aus (Eph 4,22-24). Der neue Mensch wurde zuerst „in dem Jesus“ sichtbar (Eph 4,21); das heißt, die Menschen sahen diese moralische Vollkommenheit zum ersten Mal, als der Herr Jesus hier in der Welt wandelte. („Jesus“ ist sein Name als Mensch.) So wie der alte Mensch nicht Adam in Person ist, so ist der neue Mensch nicht Christus in Person. George Davison (1898–1977) sagt:

Der neue Mensch ist nicht Christus persönlich, aber er ist Christus in seinem Wesen.[7]

Wie bereits erwähnt, wird der neue Mensch oft mit dem neuen Leben und der neuen Natur im Gläubigen verwechselt. Die Leute sagen irrtümlicherweise: „Der neue Mensch in uns muss sich von Christus nähren.“ Oder: „Unser neuer Mensch braucht einen Gegenstand: Christus.“ Richtiger wäre es, zu sagen: Das neue Leben in uns muss sich von Christus nähren.

Vers 11

Kol 3,11: … wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen.

Paulus zählt in Vers 11 vier Dinge auf, die die alte Schöpfungsordnung kennzeichnen und nicht Teil der neuen Schöpfungsordnung sind:

  • „wo nicht ist Grieche und Jude“ – keine nationalen Unterschiede
  • „Beschneidung und Vorhaut“ – keine religiösen Unterschiede
  • „Barbar, Skythe“ – keine intellektuellen Unterschiede
  • „Sklave, Freier“ – keine sozialen Unterschiede

Die Unterschiede in Herkunft, Religion, Kultur und Gesellschaftsschicht sind überwunden in der neuen Stellung des Gläubigen in Christus, dem Haupt der neuen Schöpfung. Paulus fügt hinzu: „Christus alles und in allen“, und weist damit darauf hin, dass alles in der neuen Lebensordnung in Christus seinen Charakter von Ihm hat, denn Er ist das Haupt des neuen Menschengeschlechts (vgl. Off 3,14). Er ist „alles und in allen“.

Christus, gesehen im Gläubigen (V. 12-15)

Verse 12-15

Paulus wendet dieses Thema nun praktisch an:

Kol 3,12-15: 12 Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut, 13 einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat gegen den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr. 14 Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist. 15 Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen, zu dem ihr auch berufen worden seid in einem Leib; und seid dankbar.

Wir haben den neuen Menschen angezogen, und das sollte unser Leben in der Praxis zeigen. Wir sollen also sozusagen ein anderes Gewand „anziehen“, das das Wesen des neuen Menschen zum Ausdruck bringt. Diese Wesensveränderung wird typologisch an Elia und Elisa veranschaulicht. Elia ist ein Typus von Christus, der in den Himmel aufgefahren ist, und Elisa ist ein Typus für den Gläubigen. Die Söhne der Propheten sagten über Elisa: „Der Geist Elias ruht auf Elisa!“ (2Kön 2,15). Elisa hatte sein eigenes Gewand zerrissen und Elias Gewand angezogen, und da er deshalb keine Verwendung mehr für das alte Gewand hatte, warf er es weg.

„Heilige und Geliebte“ sind die Gläubigen, die vor Gott stehen. Paulus zählt dann zehn moralische Merkmale des neuen Menschen auf, die zeigen, wie die Gläubigen vor der Welt gesehen werden sollten. Diese Merkmale sind die moralischen Eigenschaften Christi. Wenn diese Eigenschaften in den Gläubigen zu sehen sind, während sie gemeinsam auf dem Glaubensweg unterwegs sind, wird die Wahrheit „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ vor der Welt gezeigt (Kol 1,27):

  • „herzliches Erbarmen“ (Mt 14,14; Mk 1,41)
  • „Güte“ (Eph 4,32)
  • „Demut“ (Mt 11,29)
  • „Sanftmut“ (Mt 11,29)
  • „Langmut“ (Heb 12,3)
  • „einander ertragend“ (Mt 26,63; Joh 19,9)
  • „sich gegenseitig vergebend“ (Lk 23,34)
  • „Liebe“ (Joh 13,1)
  • „Friede“ (Joh 14,27)
  • „dankbar“ (Mt 11,25)

Wir verstehen nun, warum dieser Abschnitt oft als „die Umkleidekabine eines Christen“ bezeichnet wird. Das hat mit der Veränderung des Wesens zu tun. Wie bereits erwähnt, ist es das Gegenbild der Beschneidung Israels in Gilgal. Auf diese Weise wälzte der Herr „die Schmach Ägyptens“ von ihnen ab (Jos 5,9). In ähnlicher Weise trägt ein Mensch, wenn er erstmals zu Christus kommt, noch die Spuren seines Lebens in der Welt, für die Ägypten ein Typus ist. Aber wenn er, so wie es in diesem Kapitel beschrieben wird, das alte Gewand ablegt und das neue anzieht, wird er nicht mehr von den Dingen seines alten Lebens gekennzeichnet. Die Schmach und die Schande seines alten Lebens sind verschwunden, weil sich seine Wesensart verändert hat.

Da der neue Mensch „nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat“, gebildet ist und Teil des neuen Schöpfungsgeschlechts ist, sind wir nun befähigt, Gott in dieser Welt darzustellen.

Die geistliche Kraft, der Wahrheit entsprechend zu handeln (V. 16.17)

Verse 16.17

Paulus hat uns ermahnt, die moralischen Eigenschaften des neuen Menschen anzuziehen, aber die Frage ist: „Wie?“ Darauf geht er nun im Folgenden ein. Einige meinen vielleicht, wir sollten christliche Tugenden ausbilden, indem wir uns bemühen, in allen Lebenssituationen wie Christus zu handeln. Paulus deutet jedoch nicht an, dass wir diese Eigenschaften anziehen könnten, indem wir uns vorsätzlich anstrengen. Er sagt vielmehr:

Kol 3,16.17: 16 Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr in aller Weisheit euch gegenseitig lehrt und ermahnt mit Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern, Gott singend in euren Herzen in Gnade. 17 Und alles, was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus, danksagend Gott, dem Vater, durch ihn.

Er spricht hier von zwei Dingen: Wir haben es erstens nötig, uns mit den Dingen Christi zu füllen durch die verschiedenen Mittel, die er nennt. Zweitens sollen wir uns in unserem Leben mit den Dingen beschäftigen, die wir zur Ehre Christi tun können. Wenn wir uns mit diesen Dingen beschäftigen, werden die moralischen Eigenschaften Christi ganz natürlich in uns durch den Geist gestaltet (2Kor 3,18). In ähnlicher Weise bringt ein Baum auf natürliche Weise Früchte hervor, wenn seine Wurzeln Wasser und Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen. Ja, wir sollen uns „zur Gottseligkeit üben“ (1Tim 4,7), doch das geschieht, indem wir den Grundsatz anwenden, den Paulus hier anspricht: nämlich von den Dingen Christi erfüllt zu sein. Die eigentliche „Frucht“ wird in uns durch den Geist hervorgebracht, wenn wir mit Christus und seinen Interessen beschäftigt sind (Gal 5,22-25).

„Das Wort des Christus“ ist die Wahrheit, die sich insbesondere auf Christus und die Kirche bezieht. Dies wird durch den Ausdruck „des Christus“ angedeutet, der die geheimnisvolle Einheit des Hauptes mit den Gliedern des Leibes bezeichnet (1Kor 12,12.13). „Weisheit“, „lehren“ und „ermahnen“ sind spezifische Anweisungen, die sich darauf beziehen, wie diese Wahrheit praktisch umgesetzt wird.

„Psalmen, Loblieder und geistliche Lieder“ sind drei Arten von christlichen Liedern, die geistliche Gedanken und Empfindungen über den Herrn ausdrücken, ebenso die Wahrheit und den Weg, auf dem wir wandeln. „Psalmen“ sind nicht, wie manche meinen, die Psalmen des Alten Testaments. Sie sind Texte, die auf der christlichen Erfahrung beruhen, die die Gläubigen auf ihrem Weg mit dem Herrn erleben. Wären es alttestamentliche Psalmen, hätte der Geist Gottes den Artikel „den“ hinzugefügt so wie in Lukas 24,44 und Apostelgeschichte 13,33. Die alttestamentlichen Psalmen sind jüdische Lieder, die jüdische Empfindungen und Erfahrungen ausdrücken; sie haben keinen christlichen Hintergrund und vermitteln weder christliches Gedankengut noch christliche Empfindungen. Der Name des Vaters zum Beispiel, der für das Christentum charakteristisch ist, ist in den Psalmen nicht bekannt. Daher haben die Psalmen auch nicht das ewige Leben zum Inhalt (Joh 17,3). Auch kennen die Schreiber der Psalmen das vollbrachte Werk Christi nicht, ebenso wenig dass der Gläubige in Christus vor Gott angenommen ist durch den Geist, der in ihm wohnt. Die alttestamentlichen Psalmen schildern nicht die Empfindungen eines Menschen, der ein gereinigtes Gewissen und Frieden mit Gott hat. Folglich schrieben die Psalmdichter sie mit einem Gefühl der Furcht vor dem Gericht Gottes, auch wenn sie Glauben hatten. Außerdem ist die Hoffnung in den Psalmen nicht der Himmel, sondern das Leben auf der Erde im Königreich des Messias (Ps 25,13; 37,9.11.29.34). Auch die Anbetung in den Psalmen ist jüdisch und findet in einem irdischen Tempel statt; der Ort der christlichen Anbetung innerhalb des Vorhangs ist völlig unbekannt. Außerdem rufen viele Gebete in den Psalmen nach Rache an den Feinden. Das entspricht jedoch nicht der Haltung eines Christen; er soll vielmehr die segnen, die ihn verfluchen, und für die beten, die ihn beleidigen. Christen können die Psalmen lesen und die Umstände des jüdischen Überrestes in der kommenden Trübsal verstehen. Auch können sie aus den Psalmen Erkenntnisse über Gottes moralische Grundsätze gewinnen, die für die Gläubigen aller Zeiten gelten. Auf diese Weise ziehen sie daraus Trost und Hoffnung für ihre eigenen Lebensumstände.

„Loblieder“ sind Lieder, die Anbetung zum Ausdruck bringen und sich direkt an Gott, den Vater, und den Herrn Jesus Christus richten. Sie können die Form von Gebeten haben. „Geistliche Lieder“ sind Lieder, die geistliche Wahrheiten enthalten, die mit der christlichen Offenbarung übereinstimmen. Solche Lieder belehren und ermahnen uns auf unserem Glaubensweg. Sie können uns durchaus einen Aspekt der neutestamentlichen Wahrheit „lehren“ oder uns „ermahnen“ im Hinblick auf einen bestimmten Punkt in unserer Glaubenspraxis.

Wenn wir uns in diese geistlichen Dinge vertiefen, die mit Christus zu tun haben, wird die Kraft des Geistes in unserem Leben offenbar und Christus wird in uns sichtbar.

Irdische Beziehungen, in denen Christus offenbart werden soll (Kol 3,18–4,6)

In diesem Abschnitt zeigt Paulus, dass die Wesenseigenschaften Christi in jedem Bereich unseres Lebens zum Ausdruck kommen sollen: in der Familie, im Geschäftsleben und im Umgang mit den Verlorenen in der Welt. In jeder Beziehung und in jedem Bereich wird der, der untergeordnet ist, zuerst angesprochen. Die Ehefrau wird zuerst ermahnt, danach der Ehemann; die Kinder werden vor den Eltern und die Knechte vor den Herren ermahnt.

CHRISTUS IN DER FAMILIE (V. 18-21)

Paulus spricht zuerst den Bereich der Familie an. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau und zwischen Eltern und Kindern sind nicht erst mit der Einführung des Christentums entstanden – diese Beziehungen gehen auf die Anfänge der Menschheit zurück. Aber was das Christentum in das Familienleben eingeführt hat, das ist die Herrschaft Christi, die ein neuer Beweggrund ist, damit wir uns in diesen Beziehungen gut und angemessen verhalten. Das wird im nächsten Abschnitt deutlich, wo der Name „Herr“ häufig verwendet wird. Er hebt die ganze Angelegenheit auf eine höhere Stufe als die, die in alttestamentlichen Zeiten bekannt war.

Es ist nicht von ungefähr, dass Paulus zuerst die Familie anspricht, denn sie ist ein bevorzugtes Ziel für den Feind. Der Zerfall der Familie gehört zu den Dingen, die im christlichen Zeugnis „die letzten Tage“ kennzeichnen (2Tim 3,1.2). Doch das muss nicht so sein. Wenn wir die Grundsätze befolgen, die Paulus in diesen Versen behandelt – Liebe, Unterordnung und die Herrschaft Christi –, werden wir fähig sein, jedem Plan des Feindes gegen die Familie zu begegnen und ihn zu überwinden. Im häuslichen Bereich gibt es bestimmte Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, und wenn diese Dinge befolgt werden, wird das christliche Heim nach Gottes Ordnung funktionieren und seinen Segen und Schutz vor den Angriffen des Feindes genießen.

Ehefrauen (V. 18)

Vers 18

Kol 3,18: Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich geziemt im Herrn.

Die christliche Ehefrau soll sich ihrem Mann „unterordnen“, nicht weil ihr Mann darauf besteht, sondern weil „es sich geziemt im Herrn“. Ihre Unterordnung drückt die Stellung aus, in die die Kirche in Beziehung zu Christus gestellt ist (Eph 5,22-24). Ein Motiv für die Unterordnung der Ehefrau ist vielleicht ihre Liebe zu ihrem Mann – und das ist natürlich gut. Aber als christliche Frau, die unter der Herrschaft Christi lebt, hat sie ein höheres Motiv für ihre Unterordnung: Sie ordnet sich ihrem Mann unter, weil es das ist, was der Herr von ihr will. Da jede christliche Frau im Normalzustand dem Herrn gefallen will, sollte sie sich gern unterordnen, denn das ist der Wille Gottes.

Anmerkung: Paulus sagt nicht, dass die Frau ihrem Mann gehorchen soll, so wie es die Kinder und die Diener [die Arbeitnehmer] tun sollen. Dies ist darin begründet, weil die Frau nicht dieselbe Beziehung zum Hausherrn hat wie diese. Wenn von der Ehefrau Gehorsam verlangt würde, dann würde dies die Beziehung in einer christlichen Ehe zu einer rechtlichen Angelegenheit machen. Unterordnung ist etwas anderes als Gehorsam. Unterordnung kommt von Herzen, wogegen beim Gehorsam das Herz weit entfernt sein kann, während man im Gehorsam handelt. Wenn es in der Ehe zu Problemen kommt, kann Unterordnung außerdem viele auftretende Schwierigkeiten heilen. J.N. Darby sagt: „Unterordnung ist das heilende Prinzip der Menschheit.“

Unterordnung in der Ehe bedeutet, dass die Frau nicht die Führungsrolle übernimmt oder die Autorität ihres Mannes im Haus an sich reißt.

Ehemänner (V. 19)

Vers 19

Kol 3,19: Ihr Männer, liebt eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie.

Der christliche Ehemann soll seine Frau „lieben“. Er soll die Liebe in der Beziehung nicht nur entfachen, sondern sie auch aufrechterhalten. Wenn eine christliche Frau weiß, dass sie von ihrem Mann geliebt wird, wird ihr das sehr dabei helfen, sich ihm unterzuordnen. Wenn ein Ehemann „bitter“ gegen seine Frau ist, wovor Paulus hier warnt, wird dies in der Ehe zu noch mehr Schwierigkeiten führen.

Kinder (V. 20)

Vers 20

Kol 3,20: Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig im Herrn.

Die Kinder sollen verstehen, dass sie, wenn sie ihren Eltern „gehorchen“, etwas tun, was „wohlgefällig im Herrn“ ist. Gehorsam „in allem“ schließt die Dinge ein, die sie vielleicht nicht gern tun. Auch hier gilt: Wenn die Kinder wissen, dass sie von ihren Eltern geliebt werden, wird das ihre Bereitschaft zum Gehorsam sehr fördern. Wir sollten gut beachten, dass das Wort „Eltern“ im Plural steht. Das tritt der Tendenz entgegen, dass Kinder dem einen Elternteil gehorchen und dem anderen nicht – vielleicht dem Vater, aber nicht so sehr der Mutter. Der Plural „Eltern“ deutet auch darauf hin, dass beide in ihren Wünschen für die Kinder eins sind und an einem Strang ziehen.

Väter (V. 21)

Vers 21

Kol 3,21: Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht, damit sie nicht mutlos werden.

Die Väter sollen keine unzumutbaren Forderungen an ihre Kinder stellen; dadurch würden sie sie „reizen“ und die Kinder würden „mutlos werden“. Dies wird den Vätern gesagt, aber nicht den Müttern, denn die Väter haben eine stärkere Neigung, genau das zu tun.

CHRISTUS AM ARBEITSPLATZ (Kol 3,22–4,1)

Der nächste Verantwortungsbereich, den Paulus anspricht, ist die Arbeitswelt, wo Knechte  [Arbeitnehmer] und Herren [Arbeitgeber] ihre unterschiedlichen Aufgaben haben.

Knechte [Arbeitnehmer] (V. 22-25)

Verse 22-25

Kol 3,22-25: 22 Ihr Knechte, gehorcht in allem euren Herren nach dem Fleisch, nicht in Augendienerei, als Menschengefällige, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend. 23 Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, 24 da ihr wisst, dass ihr vom Herrn die Vergeltung des Erbes empfangen werdet; ihr dient dem Herrn Christus. 25 Denn wer unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat; und da ist kein Ansehen der Person.

Diese Gläubigen waren Sklaven. Sklaverei hatte Gott für den Menschen nie vorgesehen; sie wurde von verderbten Menschen aus niederen Beweggründen eingeführt. Es ist interessant und lehrreich, zu sehen, dass Paulus in allen Briefen, in denen er dieses Thema anspricht, die gläubigen Sklaven nicht ermutigt, sich aus ihrer Situation zu befreien. Vielmehr sagt er ihnen, wie sie sich in ihrer Situation verhalten sollten, damit das Zeugnis der Gnade Gottes im Evangelium gefördert wird. Denn das Christentum ist keine Instanz, die soziale Ungerechtigkeit in der Welt beseitigt; das ist nicht das Ziel des Evangeliums. Bei seinem ersten Kommen versuchte der Herr nicht, die Welt zu verbessern, indem Er ihre sozialen und politischen Missstände beseitigte. All das wird Er an einem kommenden Tag tun, wenn Er bei seiner Erscheinung [in Herrlichkeit] zum Gericht eingreift. Dann wird das, was in dieser Welt „krumm“ ist, in Ordnung gebracht werden (vgl. Jes 40,3-5; Lk 3,5).

Daher sind die Christen nicht dazu berufen, die Welt in Ordnung zu bringen, sondern auf den kommenden Tag zu warten. Wir sollen die Welt so lassen, wie sie ist, und das Evangelium verkünden, durch das die Menschen aus der Welt in den Himmel gerufen werden. Christen werden daher in den Briefen nicht aufgefordert, das Unrecht der Sklaverei oder irgendeine andere soziale Ungerechtigkeit in der Welt zu beseitigen. Das liegt daran, dass wir „in“ der Welt sind, aber nicht „von“ der Welt (Joh 17,14). Wenn sein Reich „von dieser Welt“ wäre, würden seine Diener für diese Belange gekämpft haben, sagte der Herr einmal (Joh 18,36). Da dies aber nicht der Fall ist, können wir alles getrost dem Herrn überlassen.

Paulus wusste, wie wichtig es war, dass Christen vor der Welt ein gutes Zeugnis ablegen. Sein großes Anliegen war, dass die christlichen Sklaven sich redlich und rechtschaffen verhielten, „damit nicht der Name Gottes und die Lehre verlästert werde“ (1Tim 6,1). Diese gläubigen Sklaven sollten nicht weglaufen (wie Onesimus es tat, bevor er errettet wurde; Phlm 15), sondern in ihrem Stand bleiben und Gott vor ihren Herren verherrlichen, indem sie sie mit aufrichtigem Respekt behandelten und „nicht in Augendienerei als Menschengefällige“. Wenn sie „in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend“ dienten, wäre das ein kraftvolles Zeugnis, dass ihr Glaube an Christus echt war. Deshalb sollten sie für ihre Herren „von Herzen arbeiten als dem Herrn“, denn in Wirklichkeit dienten sie „dem Herrn Christus“. Unabhängig davon, welche soziale Stellung ein Gläubiger in der Gesellschaft einnimmt – er hat immer die Möglichkeit, für Christus Zeugnis abzulegen. Wir können nicht alle Missionare sein, aber wir können alle das Evangelium mit denen teilen, mit denen wir in unserem täglichen Leben zu tun haben, und auf diese Weise dem Herrn dienen.

Um die Sklaven zu ermutigen, erinnert Paulus sie daran, dass der Herr alles zur Kenntnis nahm, was sie taten, und dass an einem kommenden Tag „die Vergeltung des Erbes“ auf sie wartete. Was für eine Wendung stand diesen gläubigen Sklaven bevor! Sie hatten in dieser Welt nur sehr wenige Besitztümer – sie konnten kein Eigentum besitzen usw. –, aber sie waren dazu bestimmt, mit Christus Miterben über das Erbe aller geschaffenen Dinge im Universum zu sein!

Herren [Arbeitgeber] (Kol 4,1)

Vers 1

Kol 4,1: Ihr Herren, gewährt euren Knechten das, was recht und billig ist, da ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt.

Schließlich wendet sich Paulus auch an die christlichen Herren. Auch hier lesen wir nicht, dass er sie auffordert, nun nicht länger Sklaven zu halten. Stattdessen weist er sie an, sich als Herren so zu verhalten, dass sie Gott ehrten. Sie sollten ihre Knechte für ihre Dienste mit dem entlohnen, „was recht und billig“ war. Die Herren sollten sich bewusst sein, dass sie einen „Herrn im Himmel“ hatten, dem sie verantwortlich waren.

Weil wir in der westlichen Welt leben, wo die Sklaverei schon lange abgeschafft ist, sind wir vielleicht geneigt zu denken, dieser Abschnitt hätte für uns heute keine Bedeutung mehr. Als Arbeitnehmer befinden wir uns jedoch im Prinzip in der gleichen Lage wie diese christlichen Knechte. Während unserer täglichen Arbeitszeit erbringen wir unsere Arbeitsleistung gegen Bezahlung. Daher können wir die Anweisungen, die den Knechten in Kolosser 3,22-25 gegeben werden, in der Praxis auf uns anwenden, wenn wir an unserem Arbeitsplatz beschäftigt sind. Ebenso sind Arbeitgeber, die als Unternehmer Angestellte haben, im Prinzip in der Position der Herren, und sie sollen ihr Unternehmen in einer Weise führen, die den Herrn ehrt.

Aus der Kirchengeschichte wissen wir, dass christliche Sklaven in der Regel diese Anweisungen befolgten – so sehr, dass es in der Welt der Sklaverei bekannt war, dass ein christlicher Sklave auf einer Auktion einen höheren Preis erzielte. Das ehrt den christlichen Glauben. So sollte es auch heute sein; und jeder Arbeitgeber, der einen christlichen Angestellten bekommen kann, sollte dankbar sein, denn der Christ kümmert sich um das Anliegen seines Arbeitgebers mit der entsprechenden Sorgfalt und behandelt es so, als wäre es sein eigenes (Eph 6,5-8; 1Pet 2,18).


Übersetzt aus The Epistle of Paul to the Colossians. The Mystery – „Christ in You The Hope of Glory“
Hamer Bay, Kanada (Christian Truth Publishing) 2018
E-Book, Juli 2018 (Version 3.2)

Übersetzung: Stephan Isenberg

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Anmerkungen

[1] F.B. Hole, Grundzüge des Neuen Testaments, Bd. 4: Galaterbrief – Philemonbrief, Hückeswagen (CSV) 1998, „Kolosser 3“, S. 170–171.

[2] Die englische King-James-Übersetzung gibt Epheser 4,22 fälschlicherweise als Ermahnung wieder und macht das Ablegen des alten Menschen zu etwas, was wir in unserem täglichen Leben tun sollten. Der Text sollte aber lauten: „dass ihr, was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt habt den alten Menschen“ [s. CSV-ELB].

[3] J.N. Darby, „Comments on ‚the old Man‘, ,the new Man“ in Food for the Flock, Jg. 2, 1875, S. 286.

[4] F.G. Patterson, „Why did God permit the Entrance of Evil?“ in A Chosen Vessel, S. 51.

[5] H.C.G. B., „Comments on the ‚old Man‘, etc.“ in Food for the Flock, Jg. 2, 1875, S. 287.

[6] F.B. Hole, Grundzüge des Neues Testaments, Bd. 4: Galaterbrief – Philemonbrief, Hückeswagen (CSV) 1998, „Kolosser 3“, S. 171.

[7] G. Davison, Precious Things, Jg. 3, 1958, S. 260.


Note from the editors:

The SoundWords editorial team is responsible for the publication of the above article. It does not necessarily agree with all expressed thoughts of the author (except of course articles of the editorial staff) nor would it like to refer to all thoughts and practices, which the author represents elsewhere. “But examine all things, hold fast the good” (1Thes 5:21).—See also „On our own account ...

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