Christlicher Fundamentalismus
Die Grundlagen unseres Glaubens

Klaus Sander

© CSV, online seit: 01.01.2001, aktualisiert: 08.11.2022

Die Leser dieser Zeitschrift [Folge mir nach] werden erstaunt sein, einen Beitrag unter dieser Überschrift zu finden. Hört oder liest man von Fundamentalismus, bringt man dieses Wort vielfach mit der Einstellung religiöser Fanatiker in den Ländern des Islam in Verbindung. Unter islamischem Fundamentalismus versteht man die in den letzten Jahrzehnten in der islamischen Welt zunehmende Rückbesinnung auf die ursprünglichen islamischen Traditionen und Werte. Auch im Judentum gab und gibt es fundamentalistische Tendenzen, das heißt neues Interesse an den religiösen Quellen und Traditionen der Vergangenheit. 

Was ist nun christlicher Fundamentalismus? Der Begriff taucht nachweislich erstmalig zu Beginn dieses Jahrhunderts im protestantischen Schrifttum der USA auf (fundamentalism) und beschreibt eine bibelgläubige Richtung, die sich gegen Bibelkritik und moderne Naturwissenschaft wendet. Wesentliche christliche Lehren galten dabei als fundamental: die wörtliche und irrtumslose Inspiration der Bibel, die Gottheit Jesu Christi, die Jungfrauengeburt, die stellvertretende Erlösung Jesu Christi, seine leibliche Auferstehung und seine sichtbare Wiederkunft (fundamentals).

In vielen Gemeinden und Gruppen gibt es Vertreter dieser fundamentalistischen Auffassung. In diesem Zusammenhang mag interessant sein, dass die Begriffe „evangelikal“ und „fundamentalistisch“ nicht automatisch deckungsgleich sind. Der Unterschied scheint vor allem im Inspirationsverständnis zu liegen. Nach fundamentalistischer Auffassung ist die Bibel irrtumslos in allen ihren Aussagen, während manche Vertreter aus den Reihen der Evangelikalen die Bibel nur in Bezug auf ihre Aussagen über das Heil in Christus als unfehlbar ansehen. Auch pfingstlerisch-charismatische Bewegungen werden mit dem Etikett „Fundamentalismus“ versehen. Unter diese Begriffskategorie fallen auch christliche Gruppen, die sowohl diese Bezeichnung als auch jeden anderen Namen bewusst ablehnen, die aber wegen ihrer Einstellung zur Bibel von Außenstehenden gleichwohl als Fundamentalisten eingestuft werden.

In unserer Zeit ist christlicher Fundamentalismus im Grunde eine Gegenströmung zu einer historisch-kritisch orientierten Theologie, die viele biblische Texte und die in ihnen enthaltenen biblischen Wahrheiten einfach ablehnt. Allgemein versteht man unter Fundamentalismus heute eine Geisteshaltung, die nach den Grundlagen fragt und zu den ideologischen Ursprüngen zurückkehren und an ihnen unbeirrt festhalten will. Kompromissloses Festhalten an Grundsätzen – gleichgültig, ob religiöser oder politischer Art – wird daher als Kennzeichen des Fundamentalismus überhaupt angesehen. Diese Haltung wird in der Öffentlichkeit fast ausschließlich negativ beurteilt. Fundamentalisten gelten pauschal als intolerant, dialogunfähig und naiv – um nur einige diskriminierende Wertungen zu nennen.

Gleichwohl sind die oben genannten und als fundamental bezeichneten Lehren der Bibel für wahres Christentum unverzichtbar. Alle wirklich gläubigen Christen fühlen sich an diese Lehren gebunden. Um keinen Preis möchten sie sie aufgeben. Auch in ihrer persönlichen Lebensführung wünschen sie, die biblischen Grundsätze zu beachten und zu verwirklichen. Dass in diesem persönlichen Bereich mancher Anlass zu berechtigter Kritik durch Außenstehende vorhanden sein mag, ist sicherlich einzuräumen. Wenn Christen in der Nachfolge des Herrn der Vorwurf fundamentalistischen Verhaltens gemacht wird, weil sie an den biblischen Grundsätzen festhalten wollen, können sie sich letztlich ebenso wenig dagegen mit Erfolg wehren, wie wenn man sie, wie das bei gläubigen Christen schon immer geschehen ist, als sektiererisch, engstirnig, rückschrittlich oder in ähnlicher Weise apostrophieren würde. Gewiss werden sie versuchen, Kritiker über ihre biblische Haltung unter Beachtung von 1. Petrus 3,15b.16 aufzuklären und sie eines Besseren zu belehren.

Andererseits gibt es als fundamentalistisch beurteilte Gruppierungen (vgl. oben), denen gegenüber auch bibeltreue Gläubige Zurückhaltung oder unter Umständen sogar Zurückweisung zu üben haben. Dass die Öffentlichkeit solchen Organisationen gegenüber skeptisch und misstrauisch ist, ist völlig einsichtig, während ihre Distanziertheit und Ablehnung, mit der sie Christen begegnet, die nichts anderes wollen, als in Nüchternheit an Gottes Wort festzuhalten und es zu befolgen, im Grunde unbegreiflich bleibt. (Ob man nicht an die Worte des Herrn in Johannes 15,18-21 denken kann?) Gläubige Christen werden es sich, wenn sie bibeltreu bleiben wollen, möglicherweise gefallen lassen müssen, wegen ihres Gehorsams zum Herrn als Fundamentalisten gebrandmarkt zu werden und Nachteile in Staat und Gesellschaft in Kauf zu nehmen. Besonders wenn christliche Eltern ihre Kinder für den Herrn und bewusst nach den Grundsätzen des Wortes Gottes erziehen wollen, ist es denkbar, dass Konflikte entstehen.

Unsere Verfassung garantiert zwar die Freiheit des Glaubens, auch die ungestörte Religionsausübung ist gewährleistet (Art. 4 Grundgesetz). Das Recht auf freie Religionsausübung gilt aber nicht schrankenlos. Handlungen, die die Rechte anderer beeinträchtigen, werden nicht mehr vom Grundrecht auf Glaubensfreiheit geschützt. Gerade in diesem Zusammenhang spricht man davon, dass es nicht angehen könne, dass Erziehungskonzepte und eine entsprechende Erziehungspraxis sich einer Bewertung mit einem Hinweis auf Religionsfreiheit entziehen könne.

Anscheinend geht die Abneigung der Öffentlichkeit gegen als fundamentalistisch geltende christliche Gemeinschaften bisher nicht so weit, solche Gruppen durch staatliche Organe beobachten oder in ihren Aktivitäten einschränken zu lassen. Der Verfassungsschutz kann nur dann Organisationen beobachten, wenn es ausreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass es sich dabei um politisch bestimmte Bestrebungen handelt. Von besonderem Interesse für die Öffentlichkeit sind Jugend- und Psychosekten.

Der Deutsche Bundestag hat eine Untersuchungskommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ gebildet. In der dem Verfasser vorliegenden Bundesdrucksache 13/4132 vom 15.3.1996 ist eine größere Anzahl von Organisationen aufgeführt, die in Deutschland als Jugendsekten und Psychogruppen angesehen werden. Christliche Gruppierungen sind in dieser Liste nicht enthalten, vielmehr „als traditionelle Sondergemeinschaften und sektiererische Abspaltungen von Kirchen“ ausdrücklich ausgenommen (S. 9 der Bundestags-Drucksache).

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass wir Christen es ertragen müssen, wenn die Welt, die Christus nicht kennt, uns deswegen als Fundamentalisten bezeichnet, weil wir den Aussagen von Gottes Wort glauben und ihnen gehorchen. Diese Welt hat es immer verstanden, gläubige Christen mit Namen zu belegen, die sie gegenüber anderen irgendwie ausgrenzen oder als beschränkt und unbelehrbar abstempeln sollten. Andererseits entspricht es sicherlich auch westlichem Ordnungsdenken, das Gemeinsame in ideologischen Strömungen zu erfassen und es in knapper griffiger Form mit einer allgemeinen und angemessen erscheinenden Bezeichnung zu versehen – wie hier mit „Fundamentalismus“. Nachfolger des Herrn Jesus sollten sich jedenfalls in ihrem festen Wunsch nie beirren lassen, sein Wort zu bewahren und seinen Namen nicht zu verleugnen (Off 3,8).


Originaltitel: „Christlicher Fundamentalismus“
aus Folge mir nach, 3/1997, S. 10–12
mit freundlicher Genehmigung


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