Gottes Souveränität und Herrlichkeit bei der Erwählung und Errettung des Menschen (Anhang 6)
Die „Sünde im Fleisch“

Roy A. Huebner

© SoundWords, online: 09.08.2014, updated: 04.06.2025

Die „Sünde im Fleisch“ ist die Wurzel der Sünde im gefallenen Menschen. Wir nennen sie „die alte Natur“. Römer 6 zeigt, dass der gefallene Mensch der Sklave der innewohnenden Sünde ist. Römer 7 zeigt, dass der Mensch von der Macht der Sünde befreit werden muss. Römer 8 zeigt, was Freiheit von der Macht der innewohnenden Sünde ist. Im Folgenden einige Gedanken von J.N. Darby, die sich gegen die Vorstellung der Wesleyaner (Arminianer) bezüglich Begierde [lust] und Sünde und ihr Verhältnis zueinander richten. Sie sind in Dialogform geschrieben.

N. Aber ich sage ja gar nicht, dass Lust des Fleisches / Begierde [lust] keine Sünde sei; es ist das Verlangen [desire], das keine Sünde ist. Und wenn du behauptest, wir könnten das Gesetz nicht halten, dann scheinst du zu vergessen, was geschrieben steht: dass nämlich „die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wurde in uns, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln“ (Röm 8,4). Eigentlich gebietet Gott dem Menschen nie etwas, was er nicht vollbringen kann. Und Johannes erklärt in seinem ersten Brief insgesamt achtmal, dass derjenige, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt [z.B. 1Joh 3,9; 5,18]. Dem würdet ihr Unvollkommenheitler[1] gern entkommen.

A. Natürlich hast du gesagt, dass Begierde [lust] keine Sünde ist, und deine Definition erklärt das ausdrücklich; denn die Begierde [lust] in meiner Natur bedeutet nicht, dass ich das göttliche Gesetz willentlich übertrete, wenn ich durch Gnade einen Willen habe, der dieser Begierde geradewegs entgegensteht.

N. Wenn ich gesagt habe, dass Begierde [lust] keine Sünde ist, dann deshalb, weil Jakobus schreibt: „Wenn die Begierde [lust] empfangen hat, gebiert sie die Sünde“ (Jak 1,15). Du verwechselst Versuchungen mit Begierden [lusts].

A. In welche Unsicherheit und Widersprüche stürzt der Irrtum doch den Verstand des Menschen! Was nun das Argument betrifft, das du aus dem Jakobusbrief ableitest: Der Apostel selbst sagt, dass „jeder versucht wird, wenn er von seinen eigenen Begierden [lusts]  fortgezogen und gelockt wird“ (Jak 1,14).

N. Nein. Die richtige Übersetzung dieses Verses lautet nicht: „von seinen eigenen Begierden [lusts]“; sondern: „von seinem eigenen Verlangen [desires]“.

A. Deine Unterscheidungen sind beklagenswert subtil und gefährlich. So spielen die Menschen mit Gift. Ich suche vergeblich nach diesem Unterschied; denn das Wort, das du mit Verlangen [desire] übersetzt, ist dasselbe griechische Wort [epithymia], das Paulus in Römer 7 benutzt, um auszudrücken, dass er durch die Begierde [lust] der Sünde überführt wurde. Und beachte bitte Folgendes: Es heißt dort, dass die Sünde Begierde [lust] bewirkte (Röm 7,8). Es ist wahr: Wenn die Begierde [lust] empfangen hat, bringt sie die Sünde als eine Handlung hervor; aber es ist genauso wahr, dass die Sünde, die in unserer Natur ist, alle Arten von Begierden [lusts] hervorruft. Mit deiner Definition von Sünde, die der Schrift gänzlich zuwiderläuft, kannst du zwar über dieses Thema reden und argumentieren; aber du wirst dich stets im Widerspruch zu den Erklärungen des Wortes Gottes befinden. Versuchung kann zweifelsohne von Sünde unterschieden werden. Wenn ich das Böse verabscheue und der neue Mensch [in mir] voller Empörung das zurückweist, was Satan anbietet, oder auch eine Schmeichelei, so ist das eine Versuchung und keine Sünde. Aber die Begierde [lust] in mir ist immer Sünde. Dass sie mir nicht zugerechnet wird, liegt einzig und allein an dem Blut Christi. Aber der „neue Mensch“ verurteilt sie als Sünde. Wehe mir, wenn ich sie nicht verurteile!

N. Aber Christus selbst hatte Verlangen [desires].

A. Oh! Wie weit ist es mit dir gekommen, dass du Jesus Christus auf deine Ebene herabziehst, um dich selbst zu erhöhen! Das ist ein furchtbarer Grundsatz. Nein, nein; du wagst nicht zu sagen, dass Jesus Christus solch ein Verlangen [desires] hatte, wie es in unserer gefallenen Natur  zu finden ist; du wirst entgegnen, dass es Verlangen [desires] gibt, das nicht sündhaft ist. Ich gebe es zu. Da gibt es zum Beispiel Hunger, Durst und dergleichen. Dieses Verlangen [desires] ist das Ergebnis von Bedürfnissen, von denen unser himmlischer Vater weiß, dass  wir sie haben. Aber willst du es wagen, Verlangen [desires], das im menschlichen Herzen ist und das, wie du sagst, in den frömmsten Menschen zu Irrtümern führt, die des Blutes Christi bedürfen – willst du es wagen, so ein Verlangen mit dem Verlangen [desire] zu vergleichen, das im Herzen unseres anbetungswürdigen Heilands war? Gingen denn nicht alle Gedanken Christi vom Heiligen Geist aus, während Christus noch die Bedürfnisse und Nöte eines Menschen empfand? Waren also im Herzen Christi jene bösen Begierden [desires] vorhanden, die in uns sind? Begierden, die niedergehalten werden müssen und die, wenn sie nicht gebändigt werden, Sünde bewirken? Mein lieber Freund, je mehr ich eurer Lehre nachspüre und ihrer Neigung, Gott, Christus (der keine Sünde kannte) und uns arme niedrige Geschöpfe, die wir aus unserer ersten Stellung gefallen sind, auf ein und dieselbe Stufe zu stellen – je mehr ich dem nachspüre, desto mehr erkenne ich, dass eure Lehre keine Lehre der Heiligung ist. Vielmehr ist sie eine Lehre, die alles erniedrigt, was wert ist, erhöht zu werden, während sie zugleich  vorgibt, unseren Zustand zu erhöhen. Sie erhöht alles, was erniedrigt werden sollte, und zerstört den Unterschied zwischen Gut und Böse. Du sagst mir überdies, dass Gott nur das gebiete, was der Mensch zu vollbringen vermag. Wo liest du das in der Bibel? Das Gesetz zum Beispiel wurde den Israeliten gegeben; mit anderen Worten: dem Menschen im Fleisch. Vermag der Mensch das Gesetz zu erfüllen?

N. Nein; aber wir vermögen es durch den Geist des Lebens, der in Christus Jesus ist {Röm 8,2}.

A. In gewisser Hinsicht ist das richtig; aber das errichtet keineswegs den Grundsatz, den du so sehr betonst: dass Gott nur das gebiete, was der Mensch auch wirklich vollbringen könne. Das Gesetz wurde dem Menschen im Fleisch gegeben, und das Neue Testament lehrt sehr deutlich, dass Gott das Gesetz nicht mit der Überlegung gegeben hat, dass der Mensch es halten könne. Der fleischliche Verstand gibt vor, das tun zu können; aber die Schrift sagt, dass Gott dem Menschen das Gesetz gegeben hat, um ihn der Sünde zu überführen, und zwar indem er erkennt, dass er das Gesetz deshalb nicht gehalten hat, „damit die Sünde überaus sündig würde durch das Gebot“ (Röm 7,13). Das Gesetz kam daneben herein, sagt der Apostel, damit die Sünde zunähme [Röm 5,20]. Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass und erregte in mir Begierden aller Art. Denn ohne das Gesetz war die Sünde tot [Röm 7,8]. Nebenbei bemerkt ist hier beachtenswert, dass die Sünde Begierden hervorruft. Als das Gesetz sagte: „Du sollst nicht begehren“, da erkannte Paulus die Sünde [Röm 7,7]. „Die Kraft der Sünde ist das Gesetz“, sagt er an anderer Stelle (1Kor 15,56). Ich ersehe daraus: Als Gott dem Menschen das Gesetz gab, tat Er es mit der Absicht, ihn der Sünde, die in ihm ist, zu überführen [Röm 3,20]; nicht mit dem Gedanken, wie du sagst, dass der Mensch es halten könnte und würde.

N. Aber es steht geschrieben, dass Gott die Sünde in dem Fleisch verurteilt hat, damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist (Röm 8,3-4).

A. Das ist richtig; und doch wird auch dort erneut hervorgehoben, dass  die Ungerechtigkeit und die Verdorbenheit des Fleisches ihrem Wesen nach gleichbleibend sind. Doch wir sind frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes durch das neue Leben, das wir in Jesus Christus haben, gestärkt durch den Geist Gottes, der hier [in Römer 8,2] der Geist des Lebens in Christus Jesus genannt wird. Wenn wir also gemäß diesem neuen Leben wandeln, sind wir fähig, den Geboten Gottes gehorsam zu sein und darin nicht zu versagen, während – und gerade weil – wir das Fleisch weiterhin richten. Aber sobald wir nach dem Fleisch denken und handeln, erfüllen wir das Gesetz nicht mehr. Indem Gott uns dieses neue Leben gegeben hat, worin wir in Liebe wandeln, hat Er uns andererseits unseren Zustand erkennen lassen: dass wir nämlich weit hinter Jesus Christus zurückbleiben (das heißt hinter der Vollkommenheit des Beispiels, das Er uns gegeben hat). „Wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, [schaut nicht bloß auf das Gesetz, sondern] reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1Joh 3,2-3). Wenn Gott uns also die Kraft gibt, auf seinen Wegen zu wandeln, so gibt Er uns diese Kraft durch die Erkenntnis, die uns zugleich begreifen lässt, dass wir hier auf der Erde nicht einmal das erreichen können, was wir erkannt haben. Statt eines Ziels, das wir erreichen können, damit wir ermutigt würden, stellt Gott uns also das vor Augen, was in Zukunft gewisslich in uns vollendet werden wird, uns aber jetzt demütig hält – immer in dem Empfinden, dass wir nicht alles sind, was wir sein möchten. Aber gerade das lässt uns immer weiter auf unser großes Ziel zugehen. Euer Grundsatz, der den Anschein erweckt, dass [von uns] nur das verlangt werde, was gerecht und angemessen sei, steht daher völlig im Gegensatz zu den Gedanken Gottes; er gleicht der Selbstgerechtigkeit, die es vorzieht, zu sagen: „Ich habe das Ziel erreicht“, anstatt zu sagen: „Ich bin stark in der Gnade“, die Gott uns gegeben hat (2Tim 2,1). Gott hat uns zu Beginn unseres Glaubensweges die volle Vergebung geschenkt; und für dessen Ende stellt Er uns eine Herrlichkeit vor, deren Kraft in uns ist, weil uns das Leben Christi mitgeteilt worden ist. Aber das Wesen und die Vortrefflichkeit ebendieser Herrlichkeit machen uns deutlich, dass wir sie hier auf der Erde niemals erreichen können. Wir „rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes“ (Röm 5,2), „denn in Hoffnung sind wir errettet worden“ (Röm 8,24); und im Vertrauen auf die Gewissheit der Gnade Gottes streben wir dem Ziel zu, jagen wir hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus [Phil 3,14].

N. Aber es heißt doch, dass wir „frei gemacht“ sind von der Sünde selbst und nicht nur von dem Gesetz der Sünde [Röm 6,22].

A. Wenn du den ganzen Abschnitt gelesen hättest, dann hättest du Folgendes gesehen: Bevor der Apostel ihnen sagt, dass sie „frei gemacht“ sind, hat er ihnen zuvor gesagt, dass er „menschlich redet“ wegen der Schwachheit ihres Fleisches [Röm 6,19]. Er sagt „frei gemacht“ als Gegensatz zur Sklaverei; und um den Gegensatz zu verdeutlichen, fügt er deshalb hinzu, dass sie Gott zu Sklaven geworden waren (Röm 6,22). Es ist ein einfacher Vergleich zwischen einem Sklaven und einem Freigelassenen; Paulus führt ihn ein, um den Sachverhalt besser verständlich zu machen. Und beachte bitte, dass dies nicht nur der Zustand eines vollkommenen Christen ist, sondern ohne Ausnahme der Zustand aller Christen; daher kann dieser Abschnitt nicht angewendet werden, um eure Lehre zu untermauern.

Dasselbe gilt für die acht Abschnitte des Johannesbriefes, den all jene lieben, die Gott lieben – ungeachtet der unangebrachten Vorhaltungen derer, die ihre Brüder so verachten. Beweisen deine acht Schriftstellen, dass gewisse Christen die Vollkommenheit erlangt haben, so dass sie nicht mehr sündigen, während andere Christen dieses Ziel nicht erreicht haben? Keineswegs; es ist darin die Rede von denen, die „aus Gott geboren“ sind [1Joh 3,9; 4,7; 5,1.4.18]. „Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel …, er hat ihn [Gott] nicht erkannt“ (1Joh 3,8.6). Demnach wäre, so wie du diese Abschnitte anführst, jeder, der nicht vollkommen ist, vom Teufel. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“ (1Joh 3,9). Dies gilt demnach für jeden Christen; und ich kann nicht verstehen, wie jemand, der mit dieser Sache auch nur im entferntesten vertraut ist, solche Zitate mit einem schlichten Herzen in Einklang bringen kann – es sei denn aufgrund von Voreingenommeheit. Du wirst erwidern, dass viele Schüler in ein und derselben Klasse unterschiedliche Fortschritte gemacht haben können; aber dies wird von der gesamten Klasse gesagt und gilt nicht dem größeren oder geringeren Fortschritt der Schüler.

N. Aber heißt es nicht: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst [Lk 10,27]?

A. Ich habe deine Frage im Prinzip bereits beantwortet. Gott gebietet notwendigerweise, was sein sollte, und nicht, was der Mensch vollbringen kann; denn dieses Gebot, das der Kern des Gesetzes ist, wurde dem Menschen im Fleisch gegeben, als er „kraftlos“ war. Und wir haben bereits gesehen: Dieses Gebot ist zwar das ewige Gesetz vollkommener Wesen; doch wenn es denen auferlegt wird, die bereits unter der Sünde sind, wird es gleichwohl zu einem Dienst, der den Tod bringt und zur Verdammnis führt (2Kor 3,7.9).

N. Das gebe ich zu, aber wir, die wir unter der Gnade sind, vermögen es zu erfüllen.

A. Ich habe dir auch zu diesem Punkt bereits geantwortet. Unter der Gnade ist uns ein neues Leben gegeben worden: Dieses neue Leben ist das Leben Christi in uns, das Jesus Christus verherrlicht sieht und Ihn als verherrlicht betrachtet und das weiß, dass wir bei seinem Erscheinen sein werden wie Er, weil wir Ihn sehen werden, wie Er ist [1Joh 3,2]. Dieses Leben nun beurteilt alles in uns gemäß der Vollkommenheit unseres zukünftigen Zustandes in der Auferstehung. Es erkennt, dass wir noch nicht die Erlösung unseres Leibes erlangt haben. Es richtet den alten Menschen in uns: seine Wurzel, seinen Stamm und seine Äste. Aber die ganze Zeit über reinigt sich der Christ, wie Christus selbst rein ist. Beachte, dass es nicht nur heißt, dass er Wachstum in Christus anstrebt, sondern dass er sich reinigt, wie Christus rein ist [1Joh 3,3]. Johannes sagt nicht, dass der Christ gereinigt ist, sondern dass er sich reinigt nach dem Bild des verherrlichen Christus; und weil er weiß, dass die Zeit für die Erlösung seines Leibes noch nicht gekommen ist, träumt er nicht von Vollkommenheit hier auf der Erde.

N. Ich glaube, ich verstehe dich. Der Christ hat bereits in seiner Seele „die Kraft der Auferstehung“ [vgl. Phil 3,10]. Was nicht gemäß der Kraft der Auferstehung ist, kann ihn nicht zufriedenstellen. Er denkt nicht, dass er es erreicht hat, obwohl er solch einer Reinigung seiner selbst nachstrebt, wie er sie in Christus sieht, dessen Leben er besitzt und in dessen Bild er bereits verwandelt ist von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2Kor 3,18). Und doch scheint es mir entmutigend zu sein, zu einem Christen zu sagen: Du kannst das Ziel, das du im Blick hast, niemals erreichen.

A. Aber er ist sicher, dass er sein Ziel erreichen wird! Und es ist offensichtlich, dass Gott ihn nicht entmutigt, sondern ihn vielmehr anspornt, denn „jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1Joh 3,3). Und Paulus sagt: Ich denke von mir selbst nicht, es ergriffen zu haben; eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13-14). Diese Sichtweise mag nach deinem System, das alle Vorrechte des Christentums herabsetzt, entmutigend sein; aber das liegt daran, dass dein Christentum in hohem Maß ein Christentum des Menschen und nicht Gottes ist: ein Christentum, das wirkt, um das ewige Leben zu erlangen, und das dieses Leben nicht als Gottes Gabe empfängt. Was du wirklich nötig hast, ist nicht, dass du sagen kannst: „Ich werde es hier auf der Erde ergreifen“, sondern dass du mit dem Apostel sagen kannst: „Ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich auch von Christus Jesus ergriffen bin“ (Phil 3,12). Was du wirklich nötig hast, ist, zu glauben, dass wir durch Gnade wahrhaftig das Leben Jesu in uns haben, ewiges Leben,  weil wir eins sind mit Ihm [Röm 6,23]; dass alle Dinge unser sind [1Kor 3,21]; dass wir Miterben Christi sind [Röm 8,17]; dass wir der Liebe Gottes gewiss sind [Röm 8,39]; dass wir von Ihm geliebt werden, wie Er Christus liebt [Joh 17,23]. Deshalb drängen wir, solange wir auf der Erde sind, darauf zu, dass diese Herrlichkeit Wirklichkeit werde. Durch die Kraft des Heiligen Geistes werden wir in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit [2Kor 3,18]; durch den Glauben sind wir bereits Teilhaber an einer Vollkommenheit, die uns in ihrer ganzen Fülle gegeben wird, wenn Jesus Christus wiederkommt: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20-21).

Nein; wir sagen nicht, dass wir straucheln müssen; denn warum können wir theoretisch nicht jeden Augenblick nach dem Geist wandeln [s. Röm 8,4]? Aber aus Erfahrung wissen wir, dass wir alle oft straucheln (Jak 3,2). Doch auch wenn wir unsere Verfehlungen bekennen und wissen, dass wir ohne Entschuldigung sind [vgl. Röm 1,20], so wissen wir doch, dass Gott treu ist und nicht zulassen wird, dass wir über unser Vermögen versucht werden [1Kor 10,13]. Gott, der uns liebt und aus dem Bösen Gutes hervorbringt, obwohl Er das Böse niemals rechtfertigt – Gott, sage ich, demütigt uns entweder durch seinen Geist oder durch seine Züchtigungen und gibt uns ein tieferes Verständnis dafür, wie überragend der Reichtum seiner Gnade ist [Eph 2,7]. Und trotzdem spreche ich jetzt nicht von äußerlichem Straucheln; und es liegt mir fern, zu behaupten, Versagen sei notwendig zu unserer Belehrung und Erziehung. Dass Gottes Gnade genügt, damit seine Kraft in unserer Schwachheit vollbracht wird [2Kor 12,9], lernen wir in Wirklichkeit durch die liebevolle und treue Fürsorge unseres Gottes. Doch eure Lehre richtet das Herz auf niedrige Ansichten, und in der Überzeugung, sie verwirklicht zu haben, wird euer Christentum herabgewürdigt und stolz. Eure Wachsamkeit ist keine Frucht des Vertrauens in Gottes Liebe und der Freude an seiner Heiligkeit und an der Gemeinschaft mit lhm, sondern der Furcht; denn einer eurer vollkommenen Menschen könnte sich am Ende in der Hölle wiederfinden! In der Tat war einer eurer bedeutendsten Lehrer, der ganz sicher ein Kind Gottes war, viermal vollkommen. Er fiel aus diesem Zustand, wie er uns sagte (und der Grund dafür ist merkwürdig genug), weil er im Zustand der Vollkommenheit in seinem Verhalten untreu wurde; folglich verlor er, was ihm gegeben worden war. Und du mahnst uns zur Vorsicht gegenüber denen, die bekennen, dass wir einmal in Gnaden, immer in Gnaden und ganz ohne Zweifel in der Herrlichkeit sein werden! Ich gebe zu, dass die Gegenwart des Geistes denen, die in diesem System sind, eine fröhliche Widersprüchlichkeit gibt; und ich preise den Herrn dafür. Mr. Wesley, der ursprünglich gedacht hatte, ein vollkommener Mensch könne nicht aus diesem Zustand der Vollkommenheit herausfallen, beteuerte später, dass es ein großer Irrtum gewesen sei, so zu denken.[2]


Originaltitel: „Appendix 6: Sin in the Flesh“
in God’s Sovereignty and Glory in the Election and Salvation of Lost Men,
Jackson (Present Truth Publishers) 2003.

Übersetzung: S. Bauer

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: N. bezeichnet mit diesem Begriff diejenigen Christen, die so wie A. der Ansicht sind, dass ein Gläubiger auf der Erde nicht den Zustand der Vollkommenheit,  das heißt der Sündlosigkeit, erreichen kann.

[2] J.N. Darby, Auszug aus „The Doctrine of the Wesleyans on Perfection“ in Collected Writings, Bd. 3, S. 182–188.


Note from the editors:

The SoundWords editorial team is responsible for the publication of the above article. It does not necessarily agree with all expressed thoughts of the author (except of course articles of the editorial staff) nor would it like to refer to all thoughts and practices, which the author represents elsewhere. “But examine all things, hold fast the good” (1Thes 5:21).—See also „On our own account ...

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