Gesetz oder Gnade – was bestimmt unser Handeln?
Hebräer 12,18-24

Alexander Hume Rule

© SoundWords, online: 20.08.2018, updated: 02.05.2022

Leitverse: Hebräer 12,18-24

Heb 12,18-24: Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, der betastet werden konnte, und zu dem entzündeten Feuer und dem Dunkel und der Finsternis und dem Sturm und dem Posaunenschall und der Stimme der Worte, deren Hörer baten, dass das Wort nicht mehr an sie gerichtet würde (denn sie konnten nicht ertragen, was angeordnet wurde: „Und wenn ein Tier den Berg berührt, soll es gesteinigt werden.“ Und so furchtbar war die Erscheinung, dass Mose sagte: „Ich bin voll Furcht und Zittern.“), sondern ihr seid gekommen zum Berg Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem; und zu Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung; und zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind; und zu Gott, dem Richter aller; und zu den Geistern der vollendeten Gerechten; und zu Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes; und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abel.

In Hebräer 12 ist von zwei Bergen die Rede: Der eine Berg spricht vom Gesetz, der andere Berg von Gnade. Und es ist wichtig, dass wir wissen, zu welchem Berg wir gebracht sind – denn in Verbindung mit dem einen Berg haben wir mit Gott zu tun, der Forderungen an uns stellt, während wir in Verbindung mit dem anderen Berg mit Gott zu tun haben, wie Er in Gnade handelt.

Gott hatte dem Volk Israel am Berg Sinai das Gesetz gegeben, und ihre Verantwortung war es, die gerechten Forderungen dieses Gesetzes zu erfüllen. Das schafften sie nicht; sie versagten völlig. In den Tagen Elis raubten die Philister die Bundeslade – das einzige verbliebene Band zwischen dem HERRN und seinem Volk. Am Ende dieser Laufbahn des Versagens kam Gott in seiner Gnade und wählte David, den König, der mit seinem Sohn Salomo den Tempel auf dem Berg Zion errichtete. Dies war der Ausdruck der Gnade Gottes einem versagenden Volk gegenüber, als auf der Grundlage der Verantwortlichkeit unter dem Gesetz alles aus war.

In dieser Gnade war Gott zu den hebräischen Gläubigen gekommen, die den Messias annahmen. Es ist dieselbe Gnade, die uns ergriffen hat und die Tag für Tag mit uns geht. Und nur auf diesem Grundsatz können wir mit Gott Umgang haben. Gott handelt mit uns in Gnade. Diese gewaltige Wahrheit müssen wir verstehen, denn nur dann können wir sowohl das Wesen unserer Beziehung zu Gott und zueinander als Gläubige verstehen als auch die Grundsätze, die uns in unserem Umgang miteinander leiten sollen. Unsere Sünden sind durch das Blut Christi ausgelöscht. Das ist reine Gnade.

Aber ist denn nicht Heiligkeit notwendig? „Ohne Heiligkeit wird niemand den Herrn schauen“, sagt Hebräer 12,14. Ist dies ebenfalls Gnade? Dass Heiligkeit notwendig ist, ist sicher keine Gnade; aber wenn Gottes Wesen und Natur solcherart sind, dass ohne Heiligkeit niemand in seiner Nähe sein kann, dann stattet Er uns in seiner Gnade mit Heiligkeit aus! Wir haben sie nicht aus oder in uns selbst; aber Er macht uns „seiner Heiligkeit teilhaftig“ (Heb 12,10), und sei es, dass Er uns züchtigen muss, um unseren Eigenwillen zu brechen und uns in diesen Zustand zu bringen, in dem wir alles von Ihm empfangen können. Jede Segnung fließt von Ihm herab in vollkommener Gnade, und unser Platz vor Ihm ist es, dass wir uns unterordnen und alles von Ihm empfangen.

Wenn Gott aber nun mit uns nach dem Grundsatz der Gnade handelt, dann sollen wir als seine Kinder seine Nachahmer sein [vgl. Eph 5,1]. Der Grundsatz, nach dem wir einander begegnen sollen, ist Gnade. Haben wir das gut genug verstanden, damit wir in unserem praktischen Leben auch nach göttlichen Grundsätzen handeln? In Hebräer 12,1 lesen wir, dass wir einen Wettkampf laufen und dass wir Bürden ablegen müssen sowie die Sünde, die unsere Füße umschlingt; und dann kommt Gott hinein und hilft uns, indem Er uns züchtigt und uns seiner Heiligkeit teilhaftig macht.

Wir sind auf diesem Weg nicht allein: Da ist eine Gesellschaft, Gottes Volk, gemeinsam unterwegs zu Ihm – zu Ihm, der den Lauf des Glaubens vollendet und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat (Heb 12,2), der sich aber bald erheben wird, um die Seinen zu empfangen. Mit dieser Gesellschaft haben wir zu tun. Es ist kein selbstsüchtiges Rennen, wo nur einer den Preis erringt. Wir sind alle gemeinsam miteinander unterwegs, und wie bei einer Schafherde gibt es Schwache und Lahme, die wir nicht zurücklassen, sondern denen wir vorwärtshelfen sollen. Da sind „erschlaffte Hände“ und „gelähmte Knie“ (Heb 12,12). Wie sollen wir ihnen gegenüber handeln? Das Wort ist deutlich: „Darum ,richtet auf die erschlafften Hände und die gelähmten Knie‘, und ,macht gerade Bahn für eure Füße‘, damit nicht das Lahme vom Weg abkomme, sondern vielmehr geheilt werde“ (Heb 12,12.13). Das ist nicht der schreckliche Berg, der mit Feuer brannte; das ist die reine Gnade Gottes.

Auf der einen Seite führt Gnade uns dahin, dass wir uns um die Schwachen kümmern und ihnen helfen. Auf der anderen Seite führt Gnade uns dahin, dass wir wachsam sind und auf unsere eigenen Wege achtgeben, „damit nicht das Lahme vom Weg abkomme“. Da gibt es Lahme in der Herde, und sie kommen nicht gut zurecht; aber die Peitsche wäre für sie keine Hilfe. Wir dürfen mit ihnen nicht so handeln wie die Zuchtmeister des Pharaos mit den Kindern Israel. So handelt Gott nicht mit uns. Er handelt mit uns in Gnade und hilft uns in unseren Schwachheiten; oder falls Er uns züchtigen muss, dann deshalb, „damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“. Was sollen wir von einem Hirten halten, der für ein armes, schwaches, lahmes Schaf eine Peitsche nimmt? Und doch: Wie oft handelt man auf so eine Weise in der Herde Christi! Peitsche anstatt Gnade! Der Berg Sinai anstelle des Berges Zion! Gottes Wort sagt: „Das Lahme soll vielmehr geheilt werden“ (Heb 12,13). Das bedeutet nicht, dass wir jetzt ohne Heiligkeit auskämen, und deshalb heißt es: „Jagt dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn schauen wird“ (Heb 12,14).

Doch wir wollen uns daran erinnern, dass die Peitsche und der brennende Berg weder heilen noch Heiligkeit hervorbringen werden. Nur Gnade kann das bewirken, und so heißt es weiter:Und achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide“ (Heb 12,15).

Wenn ich das Empfinden für diese Gnade verliere, in der Gott stets mit mir gehandelt hat, werde ich darin versagen, meinen Geschwistern gegenüber Gnade zu erweisen. Und wer kann ermessen, welchen Verlust und Schaden das für die Gläubigen bedeutet? Eine Wurzel der Bitterkeit sprießt auf (Heb 12,15) und Schwierigkeiten entstehen, wodurch viele verunreinigt werden. Welche Not kommt manchmal in der Versammlung Gottes auf, nur weil jemand – vielleicht ein führender Bruder – in der Gnade Gottes versagt und im Geist des Gesetzes gehandelt hat und eben nicht im Geist Christi! Oder jemand, der dem Gewinn nachstrebt, hat hart verhandelt oder seinen Bruder hintergangen! Oder jemand hat unbedacht ein Wort gesagt und ein böser Samen ist in ein Herz gesät worden, der als eine Wurzel der Bitterkeit aufsprosst; und schließlich verursacht diese Bitterkeit Schwierigkeiten, die von einem zum andern gehen und dadurch viele verunreinigen. So ein Verhalten ist wahrlich sehr schlimm und dem Geist Christi ganz entgegen; und wenn jene, die so handeln, es nicht unerbittlich richten, dann wird das die züchtigende Hand Gottes nach sich ziehen.

Dass wir doch erkennen möchten: Wir sind durch Gnade errettet, wir stehen in der Gnade, und Gnade begleitet uns bei jedem Schritt auf dem Weg bis zuletzt! Möchten wir begreifen, dass wir dazu berufen sind, in der Kraft derselben Gnade zu leben und miteinander zu handeln, in der Gott mit uns gehandelt hat und stets handeln wird.[1]


Originaltitel: „Practical Grace“
übersetzt aus Selected Ministry of A.H. Rule, Bd. 1, S. 220–223

Übersetzung: Gabriele Naujoks

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Der Autor will mit diesem Artikel in keiner Weise notwendige Gemeindezucht unterbinden. Das wird aus anderen Schriften sehr deutlich.

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