Auserwählung – wozu?
2. Thessalonicher 2; 1 Petrus 1; Epheser 1

Dirk Schürmann

© SoundWords, online: 21.01.2021, updated: 14.09.2022

Einleitung

Das Thema, das wir in diesem Artikel betrachten wollen, ist für das Herz des Gläubigen sehr bedeutsam. Vielleicht sind wir mit der Wahrheit von der Auserwählung von frühester Jugend an vertraut und empfinden gar nicht mehr, was sie eigentlich für uns bedeutet.

Ist es nicht gewaltig und nahezu unbegreiflich, dass Gott an mich ganz persönlich gedacht hat? Bin ich doch nur ein kleines, nichtiges Wesen aus Staub und dazu noch in Sünde und Feindschaft gegen Gott gekommen (vgl. Röm 8,5-10). Gott hat sogar schon vor Grundlegung der Welt, also in der vergangenen Ewigkeit, an mich gedacht; Er hat Segnungen für mich vorgesehen, die nicht größer sein könnten, und hat für mich eine Stellung in seiner Nähe geplant, die auch nicht höher und näher sein könnte (vgl. Eph 1)!

Du kannst dich da nicht hineindenken? Nicht nur bevor wir geboren waren, sondern lange bevor ein einziger Mensch geschaffen war, ja sogar bevor die Welt erschaffen war, da hatte Gott sich schon einen ganz besonderen Plan für uns ausgedacht, um uns das Höchste zu geben, was Er geben konnte. Das ist wirklich gewaltig! In gewisser Weise machen die Dinge, die wir in diesem Artikel betrachten wollen, die speziellen Segnungen des Christentums aus und gehen weit über die Segnungen anderer Gläubiger aus anderen Zeitaltern hinaus.

Manche stellen sich Auserwählung so vor, als seien alle Menschen auf dem Weg in die Hölle, Gott habe jedoch einige auserwählt, damit sie nicht in die Hölle kommen, sondern stattdessen Vergebung ihrer Sünden empfangen. – Doch die Auserwählung hat nicht unmittelbar etwas damit zu tun, dass die Auserwählten errettet werden und vor der Hölle bewahrt bleiben. Gott hat uns nicht deshalb von Ewigkeit auserwählt, nur damit wir von unseren Sünden erlöst werden sollten – dies ist nicht der eigentliche Zweck der Auserwählung –, sondern um uns mit himmlischen Segnungen zu segnen.

Damit Menschen Sündenvergebung erlangen können, müssen sie nicht „vor Grundlegung der Welt auserwählt“ sein (Eph 1,4). Vielen alttestamentlichen Gläubigen wurden die Sünden vergeben, obwohl sie nicht vor Grundlegung der Welt auserwählt sind so wie Christen in der heutigen Zeit. Und auch nach der Entrückung der Christen wird es wieder Gläubige geben, die nicht an der Auserwählung vor Grundlegung der Welt teilhaben, wohl aber an der Sündenvergebung.

Wir Christen sind also auserwählt, um die himmlischen Segnungen zu besitzen. Doch bevor wir an diesen Segnungen teilhaben und in die Nähe Gottes kommen können, muss zuerst das Problem unserer Sünden geregelt sein, denn alle Menschen sind aufgrund des Sündenfalls Sünder geworden. Die Sündenvergebung ist allerdings nicht das eigentliche Ziel der Auserwählung, obgleich alle vor Grundlegung der Welt auserwählten Christen die Vergebung ihrer Sünden haben. Gott ist natürlich durch den Sündenfall nicht überrascht worden und hat ihn in seinen Plänen mitberücksichtigt, auch wenn er nicht Teil seines Planes ausmachte.

Im Folgenden wollen wir einige Stellen betrachten, bei denen wir immer mehr davon entdecken werden, wozu wir auserwählt sind.

Wozu sind wir erwählt nach 2. Thessalonicher 2?

2Thes 2,8-14: 8 Dann wird der Gesetzlose offenbart werden, den der Herr Jesus … vernichten wird durch die Erscheinung seiner Ankunft, 9 ihn, dessen Ankunft … 10 in allem Betrug der Ungerechtigkeit ist denen, die verloren gehen … 11 Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben, 12 damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit. 13 Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang erwählt hat zur Errettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit, 14 wozu er euch berufen hat durch unser Evangelium, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus.

Nach der Entrückung der Versammlung wird der Antichrist offenbar werden. Er wird das Böse in der Welt auf die Spitze treiben. Dann werden alle leblosen Bekenner, die diesem Betrüger nachlaufen, von Gott gerichtet werden. Gott wird ihnen eine „wirksame Kraft des Irrwahns senden, dass sie der Lüge glauben“. Wir sehen dieses Phänomen schon heute vorgeschattet bei einigen Staatsoberhäuptern, deren teilweise sogar ganz offensichtliche Lügen Millionen Menschen glauben. Und wir fragen uns, wie so etwas möglich ist. Aus obiger Schriftstelle können wir ersehen, wie sich das noch weitaus schlimmer entwickeln wird. Es ist die Vorbereitung für das Gericht über die Erde. Beachten wir: Das Gericht über die Menschen, die hier erwähnt werden, kommt nicht deshalb über sie, weil sie nicht auserwählt wären, sondern weil sie „der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“.

Doch es gibt auch die „vom Herrn geliebten Brüder“. An diese wendet sich Paulus jetzt und schreibt ihnen, was ihre Zukunft ist: keine böse Verführung, kein Irrwahn, kein Unglaube, keine Ungerechtigkeit, kein Gericht! Sie würden „nicht zum Zorn gesetzt sein“ (1Thes 5,9). Stattdessen würde für sie die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus bereitstehen. Und dann zeigt er den Thessalonichern, was Gott getan hatte, damit sie dieses Ziel erreichen würden: Er hatte sie „von Anfang[1] erwählt“. Auch wenn das Wort „auserwählt“ hier nicht steht, so beinhaltet eine Auserwählung zweifellos eine Erwählung. Aus Epheser 1,4 lernen wir, dass dieser „Anfang“ der Erwählung schon sehr weit zurückliegt: Er war, schon bevor die Welt ins Dasein kam. Da hat Gott bereits an diese Briefempfänger aus Thessalonich und auch an dich und mich gedacht und wollte, dass wir sowohl von dem Bösen wie auch vor dem Gericht gerettet werden würden. Und Er hat sich damals schon die Mittel dazu überlegt: Wir sollten die „Heiligung des Geistes“ erfahren. Das ist nicht unsere persönliche Heiligung im täglichen Bestreben, dem sündigen Fleisch keinen Raum zu geben, sondern die neue heilige[2] Stellung, in die uns der Geist Gottes gebracht hat, indem Er uns neues Leben geschenkt hat, ein Leben, das nicht sündigen kann. Er hat uns zum „Glauben an die Wahrheit“ gebracht (vgl. Eph 2,8). Er hat uns das Evangelium hören lassen. Er hat uns durch diese gute Botschaft zu einem wunderbaren Ziel berufen: zur „Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus“.

Können wir uns vorstellen, dass Gott bei dieser Herrlichkeit etwas ausgelassen hat? Und diese Herrlichkeit sollen auch wir erlangen: „Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Höhere Herrlichkeit kann es nicht geben! Zum selben Zeitpunkt wenn diejenigen, die die Wahrheit nicht geliebt haben, bei Anbruch des Tages des Herrn ihr schreckliches Gericht finden, werden wir in dieser Herrlichkeit erscheinen!

Wozu sind wir erwählt nach 1. Petrus 1?

1Pet 1,1-4: 1 Petrus, Apostel Jesu Christi, den Fremdlingen von der Zerstreuung von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, auserwählt 2 nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi: Gnade und Friede sei euch vermehrt! 3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, 4 zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt ist für euch.

Petrus ermuntert in seinem ersten Brief zunächst die Judenchristen, die nicht in Kanaan, dem Land ihrer irdischen Verheißung, als Juden leben konnten. Sie hatten in der Fremde kein Bürgerrecht und wurden obendrein von ihren jüdischen Verwandten gemieden und zum Teil gehasst, weil sie Christen geworden waren. Diese gläubigen Juden sollten Gottes Gedanken über sie kennenlernen, wenn sie auch manche irdischen Segnungen entbehren und sogar viel Leid erfahren mussten.

Zunächst sagt Petrus ihnen, dass Gott sie auserwählt hat vor ihren Volksgenossen. Sie waren also „Gewinner“ statt „Verlierer“, wie sie sich vielleicht fühlten. Gott hatte sie vorhererkannt, das heißt vorhergesehen als solche, die in seine himmlischen Segnungen eingeführt werden sollten. Sie sollten „ein Erbteil in den Himmeln“ bekommen. Hierzu hatte Er vorgesehen, dass der Heilige Geist sie durch die Gabe des neuen Lebens für sich absondern, heiligen sollte. Weiter sollten sie in der Lage sein, Ihm in demselben Gehorsam zu dienen wie der Herr Jesus, und unter dem Schutz des Blutes des Herrn Jesus stehen, das Er für sie gegeben hatte. Dadurch würde ihnen nicht nur ihr Ungehorsam in ihrem alten Leben, sondern auch jedes Versagen im Leben des Gehorsams nicht zugerechnet werden. Das neue Leben, das sie durch den Geist bekommen hatten, sollte ihnen eine lebendige Hoffnung auf ein Erbe im Himmel geben.

Wir sehen: Die Auserwählung Gottes als letztes Ziel für sie geht so weit, dass sie Gottes Erben sein sollten; sie sollten also das, was Er hat, ebenfalls besitzen. Das Leben des Vaterhauses – das heißt das ewige Leben im Vollmaß – sollten sie einmal in Besitz nehmen können. Wir sind zwar insbesondere durch Johannes belehrt, dass wir das ewige Leben schon jetzt haben, aber der Genuss ist doch noch ziemlich begrenzt – sicher bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Doch wenn wir im Himmel angekommen sind, werden wir das ewige Leben in Vollkommenheit genießen; wir werden die Kraft, die Freude, den Frieden, die Liebe, die Ausrichtung und Gemeinschaft dieses Lebens völlig erleben. Und dieses Erbe wird dort sicher für uns verwahrt und nie an Wert verlieren. Das hat Gott sich für uns vorgenommen und das hat Er bereits in seiner Vorkenntnis[3] gesehen, als Er uns auserwählt hat.

Wozu sind wir auserwählt nach Epheser 1?

Eph 1,3-14: 3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, 4 wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe; 5 und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, 6 zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten, 7 in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade, 8 die er uns gegenüber hat überströmen lassen in aller Weisheit und Einsicht, 9 indem er uns kundgetan hat das Geheimnis seines Willens, nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat in sich selbst 10 für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist, in ihm, 11 in dem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir zuvorbestimmt nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Rat seines Willens, 12 damit wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien, die wir zuvor auf den Christus gehofft haben; 13 in dem auch ihr, nachdem ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils – in dem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung, 14 der das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit.

1. „Heilig und tadellos vor ihm in Liebe“

In Epheser 1,4 finden wir das erste Ziel der Auserwählung: Wir sollten „vor Gott sein“; wir sollten in unmittelbarer Nähe Gottes sein, da, wo Er selbst zu Hause ist. Im Alten Testament wollte Gott herabkommen und unter seinem Volk seinen Namen wohnen lassen (z.B. 5Mo 12,11). Und die Gegenwart Gottes in der Wolke über dem Heiligtum zeugte davon. Aber in die Nähe Gottes zu kommen, das war nur einmal im Jahr dem Hohenpriester erlaubt, und das nicht ohne Blut – ein freudiger Aufenthalt in der Nähe Gottes, in der er sich wohl fühlte, war das nicht. Das Volk fürchtete diesen Eingang in das Allerheiligste für den Hohenpriester sogar so sehr, dass man (nach der Überlieferung) ein Seil an seinem Fuß befestigte, um ihn, falls er dort sterben würde, herausziehen zu können, ohne selbst unerlaubterweise das Allerheiligste zu betreten. Gottes Absicht mit uns war aber, dass wir uns in seiner Gegenwart wohl fühlen können und uns nicht unrein oder unpassend fühlen und Angst haben. Deswegen hat Er uns auserwählt, „heilig und tadellos“ vor Ihm zu stehen, und das in einer Liebesbeziehung.

Wir sollten also in derselben Natur vor Gott stehen wie der Herr Jesus selbst. Daher wird dieser Abschnitt mit den Worten eingeleitet: „Gepriesen sei der Gott … unseres Herrn Jesus Christus.“ Das bedeutet: Der Herr Jesus ist Mensch und kann als solcher von „seinem Gott“ sprechen. Aber nachdem Er das Erlösungswerk vollbracht hat, kann Er in einem Atemzug auch von unserem Gott sprechen: „Ich fahre auf … zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17).

Und so sehen wir in Epheser 1,4, wie wir jetzt in derselben Natur, die von Heiligkeit im Wesen, Tadellosigkeit im Wandel und Liebe geprägt ist, vor Gott stehen können. Das ist das, was uns als Kinder Gottes kennzeichnet und wodurch wir allein in der Lage sind, uns in Gottes Gegenwart wohl zu fühlen. Als Heilige sind wir jetzt in einer weitaus besseren Position als Adam: Er hatte vor dem Sündenfall noch keine Entscheidung hinsichtlich des Bösen getroffen und konnte daher trotz seiner Unschuld noch in das Böse geraten. Wir dagegen haben eine (neue) Natur, die bewusst abgesondert ist von dem Bösen.[4]

Das alles gilt schon heute von uns. Wir sind schon jetzt Kinder Gottes und unsere neue Natur hat diese Merkmale. Wir haben zwar noch das Fleisch in uns, und wenn wir es wirken lassen, kommt unheiliges, tadelnswertes und liebloses Verhalten hervor. Aber die neue Natur kennt das nicht, und daher besteht schon jetzt kein Grund mehr, dass wir nicht heilig und tadellos sind. „Gott ist Licht und gar keine Finsternis ist in ihm“ (1Joh 1,5) und als Kinder Gottes haben wir die Natur Gottes und sind „Kinder des Lichts“ (Eph 5,8).

Doch sicher freuen wir uns alle noch mehr darüber, dass Gott nicht nur Licht, sondern auch Liebe ist (1Joh 4,8). Und damit wir auch diesem Aspekt der Natur Gottes entsprechen, hat Er uns vor sich gestellt „in Liebe“ (Eph 1,4). Das bedeutet sicher als Erstes, dass Er uns liebt und wir vor Ihm stehen in dem Bewusstsein, dass wir geliebt sind. Aber es geht noch weiter: Seine Liebe ist in unsere Herzen ausgegossen (Röm 5,5), und daher sind wir nicht nur in der Lage, die Liebe Gottes zu empfinden, sondern auch eine Antwort auf seine Liebe zu geben, Ihn zurückzulieben (vgl. Röm 8,28; 1Kor 8,3; 1Joh 5,2). Stellen wir uns einmal vor, wir wären in der Nähe des allmächtigen, heiligen Gottes – vor Ihm! – ohne diese Umgebung der Liebe: Welche Angst würden wir empfinden!

Aber auch für Gott ist es wichtig, dass wir seine Natur haben und diese Kennzeichen der Heiligkeit, Tadellosigkeit und Liebe tragen. Warum? Damit Er in alle Ewigkeit nach der Zeit Freude an uns haben kann. Dafür hat Er uns in der Ewigkeit vor der Zeit auserwählt, damit wir diese Natur widerspiegeln und mit Ihm eine vollkommene, wechselseitige Gemeinschaft der Liebe genießen. Das können wir schon jetzt. Aber wenn wir bei Ihm im Vaterhaus sind, werden wir das in alle Ewigkeit in Vollkommenheit tun. Wie viel mehr haben wir als die Engel! Wie viel mehr als Adam vor dem Sündenfall, wie viel mehr auch als Abraham, Mose, David und wie die Glaubenshelden aus alttestamentlichen Zeiten heißen mögen! Wenn wir das überdenken, dann können wir verstehen, warum der Apostel Paulus im Epheserbrief Wörter benutzt wie „Reichtum“, „überragend“, „unergründlich“, „übersteigen“:

  • „der Reichtum seiner Gnade, die er gegen uns hat überströmen lassen“ (Eph 1,7.8)
  • „der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes“ (Eph 1,18)
  • „die überragende Größe seiner Kraft“ (Eph 1,19)
  • „der überragende Reichtum seiner Gnade“ (Eph 2,7)
  • „der unergründliche Reichtum des Christus“ (Eph 3,8)
  • „der Reichtum seiner Herrlichkeit“ (Eph 3,16)
  • „die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ (Eph 3,19)

2. „Zuvorbestimmt zur Sohnschaft“

In Epheser 1,3 lesen wir über den Vater: „Gepriesen sei der … Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Diese Beziehung erwähnt der Herr Jesus bereits in Johannes 20,17: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater.“ Natürlich besteht hier ein Unterschied zwischen Ihm und uns, was die Sohnesbeziehung angeht: Der Herr Jesus ist nicht nur als Mensch, sondern auch von Ewigkeit her der Sohn des Vaters. Aber es heißt in Vers 5, dass Er „uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft“. Dieser Gedanke liegt auf einer ganz anderen Ebene als die Kindschaft in Vers 4. Was ist denn der Unterschied zwischen Kindschaft und Sohnschaft?

Kinder Gottes werden wir durch die neue Geburt. Weil wir aus Gott geboren sind, haben wir seine Natur. Außerdem dürfen wir wissen – was die alttestamentlichen Gläubigen nicht wussten[5] −, dass wir seine Kinder sind, und uns darüber freuen. Es ist etwas Gewaltiges, zu wissen, dass wir aus Gott geboren sind und damit die Natur Gottes haben, so wie ein Kind die Natur seines Vaters hat, und in der Gegenwart Gottes weilen zu können. Sohnschaft hat dagegen nichts mit der neuen Geburt zu tun – auch wenn sie sie natürlich voraussetzt –, sondern mit unserer Stellung vor dem Vater und mit der Würde, vom Vater in seine Geheimnisse eingeweiht zu werden und seine Gedanken verstehen zu können. In dieser Weise geht dann die Sohnschaft tatsächlich über Kindschaft hinaus, weil man ein Kind sein kann, ohne in die Geheimnisse Gottes eingeweiht zu sein.

Es ist hier vielleicht nötig, ein wenig auf die Unterschiede zwischen uns und dem Herrn Jesus einzugehen. Er wird selbst nie Kind Gottes genannt und Gott nennt uns persönlich nie in der Einzahlform „Sohn Gottes“. Wenn es um unsere Sohnschaft geht, redet die Schrift immer von Söhnen im Plural. Der Herr Jesus ist der Sohn Gottes. Und Er ist nicht Sohn Gottes geworden so wie wir; Er ist der Sohn Gottes von Ewigkeit her, wir dagegen sind in die Stellung der Sohnschaft gebracht worden.

Ich kenne keine Stelle, wo Johannes in seinen Schriften den Titel „Sohn Gottes“ anders gebraucht als im Sinne des ewigen Sohnes, wenn er über Ihn als Sohn schreibt bzw. wenn er den Herrn Jesus selbst zitiert.[6] Das ist auch der Grund, warum wir im Johannesevangelium keine „Weihnachtsgeschichte“ finden. Johannes führt den Herrn Jesus als denjenigen ein, der von Ewigkeit „als der eingeborene Sohn im Schoß des Vaters ist“ (Joh 1,18). Wenn er von uns redet, dann spricht er nicht von Söhnen,[7] sondern nur von Kindern. Denn sein Ziel ist es, die Größe des einen Sohnes vorzustellen, zu dem es keine Parallele gibt.

Auch Paulus schreibt von unserer Sohnschaft. Nachdem er gesagt hat: „Welche er zuvorerkannt hat, die hat er auch zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“, fügt er sofort hinzu: „damit er [Christus] der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm 8,29). Dem eingeborenen Sohn gebührt immer eine Sonderstellung. Genauso ist Paulus sehr sorgfältig in seiner Wortwahl: Auch wenn wir sonst alles in den elf Versen von Epheser 1,3-14in Christus“ oder „in dem Geliebten“ haben, so heißt es doch in Bezug auf die Sohnschaft nicht, dass wir diese in Jesus Christus haben, sondern „durch Jesus Christus“. Wir konnten zwar nur durch Ihn und durch sein Werk Söhne werden, aber wir teilen nicht seine Sohnschaft. Wir sind nicht Söhne in demselben Sinn wie Er. Dennoch – und das lernen wir besonders aus Galater 3,23-26 – sind wir nicht in einem Zustand der Unmündigkeit, sondern nehmen geistlicherweise jetzt unseren Platz als Söhne im Haus unseres Vaters ein.[8] Bei einem unmündigen Kind interessiert sich der Vater für die Belange des Kindes; ein mündiger Sohn dagegen interessiert sich für die Belange des Vaters.

Dass wir, wie wir in Vers 4 gesehen haben, vor Gott – in seiner Gemeinschaft – sein dürfen, ist bereits ein wunderbares Vorrecht. Hätten wir jedoch nicht mehr empfangen als nur das, dann wären wir einfach als unmündige Kinder im Himmel und wir hätten Gott als Gott geliebt und seine Liebe verspürt, wären aber nicht in der Lage gewesen, mit Gott Gemeinschaft zu haben. Das war dem Vater jedoch sehr wichtig; deshalb steht in Vers 5 nicht einfach, dass wir zur Sohnschaft „auserwählt“ sind, sondern dass Er uns, die wir auserwählt sind, noch zusätzlich „zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft“. Warum Gott das so wollte, dafür werden uns drei Gründe genannt. Es war

  1. „für sich selbst“           
    Hier geht es gar nicht in erster Linie um uns selbst, sondern Gott wollte, mit Ehrfurcht gesagt, Menschen haben als Geschöpfe, mit denen Er außerhalb der Gottheit Gemeinschaft haben könnte.

  2. „nach dem Wohlgefallen seines Willens“ 
    Hiermit wird uns erneut ausdrücklich gesagt, warum Er uns für sich selbst zu Söhnen gemacht hat: Er wollte es, weil es zu seiner Freude war. Geht das nicht über jede Vorstellung hinaus, dass wir zur Freude Gottes bestimmt worden sind?

  3. „zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade“ 
    Dass wir zur Sohnschaft zuvorbestimmt sein sollten, ist Gnade, ist völlig unverdient, ist ein Geschenk. Aber nicht irgendein Geschenk, es ist ein sehr großes Geschenk. Es zeigt uns, wie reich Gottes Gnade uns gegenüber war. Dennoch lesen wir hier nicht den Ausdruck „nach dem Reichtum seiner Gnade“ so wie in Vers 7, wo es darum geht, dass alle unsere Sünden vergeben sind und wir erlöst sind durch das Blut Jesu. Hier in Vers 6 heißt es: „zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade“; das geht also noch über den Reichtum seiner Gnade hinaus. Da es sich bei der „Zuvorbestimmung“ um ein Geschenk handelt, das nicht größer sein konnte, steht hier: „Herrlichkeit seiner Gnade“. Die Zuvorbestimmung ist nicht nur sehr groß; eine höhere Stellung konnte Gott nicht erdenken. Daher wird durch dieses Geschenk seine Gnade so herrlich dargestellt, wie es durch nichts mehr übertroffen werden könnte.

Ist das alles noch zu steigern? Ja! Wir sind begnadigt oder, wie man auch übersetzen könnte, „angenehm gemacht in dem Geliebten“! In dem Geliebten haben wir „die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“. Das war unbedingte Voraussetzung, damit wir für den Vater zum „Wohlgefallen seines Willens“ (V. 5) sind, aber auch, damit wir uns überhaupt in Gottes Gegenwart aufhalten können. Der „Geliebte“ ist der ewige Sohn: Von Ewigkeit her ist Er der besondere Gegenstand der Liebe des Vaters (vgl. Joh 17,24), und jetzt ist Er es noch einmal besonders, weil Er das Werk von Golgatha vollbracht hat (vgl. Joh 10,17). Er ist der „Sohn seiner Liebe“ (Kol 1,13). Und in dieser Person sind wir angenehm vor Gott. Gott sieht auf uns mit derselben Freude, mit der Er auf diese einzigartige Person sieht, die Er so sehr liebt. Das geht so weit, dass der Herr Jesus uns in Johannes 17,23 sagt, dass der Vater uns geliebt hat, wie Er den Sohn geliebt hat. Wer hätte je an so etwas denken können, wenn Gott es uns nicht selbst gesagt hätte?

3. „Ein Erbteil erlangt“

Wir haben bereits gesehen, dass wir dazu auserwählt sind, Kinder in der Nähe Gottes und Söhne zur Freude des Vaters zu sein. Einen dritten Aspekt unserer Auserwählung finden wir in Epheser 1,11: Wir haben ein „Erbteil erlangt“ oder sind, wie die Fußnote der Elberfelder Übersetzung (CSV) schreibt, zu Erben gemacht worden. Im Römerbrief (Röm 8,17) beschreibt Paulus die Christen als „Erben Gottes“ und „Miterben Christi“.

Gott hat uns überströmende Weisheit und Einsicht geschenkt, damit wir wissen, was Gott mit der Schöpfung noch vorhat (vgl. Eph 1,8.9). Auch wenn es „das Geheimnis seines Willens“ ist, so teilt Er es uns doch mit, was Er vorhat, denn wir sind Söhne mit Privilegien, nicht nur Kinder. Dieses Geheimnis betrifft zum einen, was für eine Position Christus in Zukunft haben wird, und zum anderen, was für eine Position wir in Zukunft haben werden und wie die Verbindung zwischen beiden beschaffen ist. Diese Dinge werden im Tausendjährigen Reich sichtbar werden, in der zukünftigen Zeitperiode, der „Fülle der Zeiten“. Die „Fülle der Zeiten“ ist die Zeitperiode, in der alle „Zeiten“ vergangener Zeitperioden ihre Erfüllung finden werden. Zu diesen Zeitperioden gehören: die Zeit, die durch Verheißung geprägt war, ebenso wie die, die durch Gesetz geprägt war; die Zeit, die durch das Priesteramt geprägt war, ebenso wie die, die durch das Königtum geprägt war. Und das gilt auch für alle weiteren Zeiten. Christus wird die Verwaltung all dieser Zeiten dann aufnehmen und zeigen, wie Gott sich diese Zeiten ursprünglich vorgestellt hatte. In dieser „Fülle der Zeiten“ wird die Erde, der „zukünftige Erdkreis“, Christus unterworfen sein (Heb 2,5). Und nicht nur der Erdkreis, sondern auch der Himmel wird Ihm unterstellt sein. Das ist der erste Teil des Geheimnisses für die Zukunft.

Der dritte Punkt unserer Auserwählung betrifft den zweiten Teil dieses Geheimnisses: Gott hat uns auserwählt, diese Stellung mit Christus zu teilen. Gott hat beschlossen, dass wir in Christus Erben der ganzen Schöpfung werden sollten – nicht nur der Erde, sondern auch sogar des Himmels. Es wäre schon etwas ganz Besonderes gewesen, wenn wir nur Kinder in der unmittelbaren Nähe Gottes wären. Dass wir sogar Söhne für den Vater sein sollen, geht noch unendlich darüber hinaus, aber das ist noch nicht alles. Es gilt jetzt für uns: „Wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott“ (Gal 4,7). „Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm 8,17). Wir sind nicht nur zur Sohnschaft zuvorbestimmt, sondern auch zur Erbschaft: „In ihm haben wir auch ein Erbteil erlangt, die wir zuvorbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Rat seines Willens“ (Eph 1,11).

Jeder Einzelne von uns wird ganz persönlich daran teilhaben, wenn Christus alles unterworfen sein wird: Wenn Er die Verwaltung all dessen beginnen wird, worin Menschen in den vergangenen Zeitperioden versagt haben, und Gott in all diesen unterschiedlichen Aspekten verherrlichen wird, dann werden wir unseren Anteil daran haben. Wahrscheinlich werden wir dann auch manches, was wir heute in falscher Weise versucht haben, in und mit Ihm in vollkommener Weise tun. Auch unsere Zeit der Versammlung wird dann Gott gemäß verwaltet werden. Das sehen wir bildlich in Offenbarung 21,9–22,5 vorgestellt.

Stell dir nur einmal vor: Gott hat vor ewigen Zeiten an dich persönlich gedacht – wenn du ein Kind Gottes bist – und dich auserwählt, über alle, die verlorengehen, hinaus, über alle Gläubigen des Alten Testaments und über alle Gläubigen nach der Aufnahme der Gemeinde hinaus, über alle Engel hinaus. Zu welchem Zweck?

  • Er möchte dich persönlich in seine Gegenwart holen, dich an göttlicher Natur teilhaben lassen, damit du dich dort wohl fühlen kannst.
  • Er möchte dich nach dem Vorbild des ewigen Sohnes in die Stellung eines Sohnes bringen, damit du Ihn als Vater genießen kannst – in ähnlicher Weise wie der eingeborene Sohn selbst.
  • Er möchte dich zum Miterben und Mitverwalter des großen Erben und Verwalters, des Sohnes Gottes, machen.

Kann es etwas Größeres geben?

Du bist dir nicht sicher, dass dies alles wahr ist? Gott hat uns ein „Unterpfand“ gegeben, nämlich „den Heiligen Geist der Verheißung“ (Eph 1,13). Der Heilige Geist, den wir empfangen haben, ist das Siegel unserer Erlösung, die wir in unserer Vergangenheit erfahren haben, und „das Unterpfand unseres Erbes“, das für uns noch in der Zukunft liegt und durch das Kommen Christi und seine Gerichte erlöst werden muss (vgl. Eph 1,14).

Du kannst dir nicht denken, warum Gott das tut? Wir sollen „zum Preise seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,12.14) sein – nicht nur „zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade“ (Eph 1,6), sondern zum Preise der vollen Herrlichkeit seines Wesens!

 

Eph 1,4.5

Namen

Eph 1,3

Das Wesen Gottes

heilig und

Charakter/Wesen

Kinder

der Gott

Gott ist Licht
(1Joh 1,5)

tadellos

Verhalten

vor Ihm

in der Gegenwart Gottes

 

in Liebe

 

Gott ist Liebe
(1Joh 4,8)

zur Sohnschaft

 

Söhne

und Vater unseres Herrn Jesus Christus

 

in dem wir ein Erbteil erlangt haben, zuvorbestimmt

 

Erben

   

zum Preise seiner Herrlichkeit

 

 

Gepriesen sei

 

Ist der Christ persönlich vor Grundlegung der Welt auserwählt?

Wir haben gesehen, dass gerade diese persönliche Segnung das Wunderbare an der Auserwählung vor Grundlegung der Welt ist. Manche halten die persönliche Auserwählung jedoch für eine schlimme Irrlehre. Deshalb wollen wir einmal die Argumente untersuchen, die gegen eine persönliche Auserwählung des Christen vor Grundlegung der Welt vorgebracht werden.

1. Was vor Grundlegung der Welt geschah, war nur eine Beschlussfassung – stimmt das?

Manche meinen, die Auserwählung sei ein Prozess, der mit einer unpersönlichen Beschlussfassung vor Grundlegung der Welt begonnen habe: Alle, die sich einmal bekehren würden, sollten zur Heiligkeit auserwählt werden; diese Auserwählung werde aber erst nach der Bekehrung „richtig“ wirksam.[9]

Wenn das richtig wäre, dann würde die Auserwählung in zwei Zeitpunkte auseinandergerissen: Ein Anfang wird gemacht in einer Zeit vor Grundlegung der Welt, und dann wird die Auserwählung wieder aufgenommen zu einem zweiten Zeitpunkt, der für jeden unterschiedlich ist, nämlich dann, wenn er sich bekehrt. Nach dieser Vorstellung wären wir eigentlich erst seit unserer Wiedergeburt vollständig auserwählt und müsste Epheser 1,4 folgendermaßen umgeschrieben werden: „Er hat vor Grundlegung der Welt beschlossen, dass wir einmal auserwählt sein sollten, in ihm heilig und tadellos zu sein.“

Doch die Sprache, die der Heilige Geist an dieser Stelle gebraucht, ist eindeutig: Unsere Auserwählung ist vor Grundlegung der Welt abgeschlossen. Dazu wird im Griechischen eine spezielle Zeitform gebraucht: Der sogenannte Aorist wird einzig für punktuelle, abgeschlossene Ereignisse verwendet. Damit ist die Auserwählung an sich und nicht nur deren Anfang vor Grundlegung der Welt abgeschlossen.

2. Auserwählt ist nicht der Einzelne persönlich, sondern die Gemeinde – stimmt das?

Manche meinen, „uns“ in Epheser 1,4 beziehe sich auf die Gemeinde; Gott habe also die Gemeinde auserwählt.[10] Dabei werden mehrere Tatsachen beiseitegelassen:

  • Der Brief an die Epheser ist nicht an die Gemeinde (Kirche, Versammlung) gerichtet so wie die Korinther- und die Thessalonicherbriefe, sondern an „die Heiligen und Treuen … in Ephesus“, also mit Absicht an Einzelpersonen.
  • Der Gedanke „unserer“ Auserwählung in Epheser 1,4 ist unmittelbar verbunden mit unserer Zuvorbestimmung zur Sohnschaft in Epheser 1,5, und „Sohnschaft“ kann sich nur auf Einzelpersonen beziehen, nicht aber auf die Gemeinde als Ganzes.
  • Die Auserwählung aller Gläubigen, die zur Gemeinde gehören, bedeutet nicht, dass sie korporativ auch als Gemeinde auserwählt sind. Wer davon ausgeht, hat das Wesen der Gemeinde nicht richtig verstanden. Die Gemeinde ist ja weitaus mehr als die Summe aller Gläubigen, die dazugehören. Der Leib zum Beispiel ist mehr als die Summe aller Glieder, so wie das Haus mehr ist als ein Haufen Steine. So ist es auch mit dem Leib Christi und dem Haus Gottes. Die Schrift sagt nirgendwo, dass die Gemeinde als solche auserwählt ist.
  • Erst in Epheser 1,22 kommt der Apostel auf den korporativen Aspekt der Gemeinde zu sprechen; alles Vorherige ist rein individuell. Und dass die Gemeinde „heilig und untadelig“ ist, lesen wir erst in Epheser 5,27.

Wäre die Gemeinde korporativ auserwählt, so müsste Epheser 1,4 lauten: „wie er die Gemeinde auserwählt hat in Christus vor Grundlegung der Welt, dass sie einmal heilig und tadellos sei vor ihm“.

3. Auserwählt ist man, wenn man „in Christus“ ist – stimmt das?

Paulus schreibt in Epheser 1,4, dass wir in Christus auserwählt sind. Deshalb meinen einige, wir seien erst dann auserwählt, wenn wir „in Christus“ sind.[11] In diesem Fall lesen sie Epheser 1,4 eigentlich folgendermaßen: „wie er auserwählt hat, dass er heilig und tadellos sei, wenn er irgendwann einmal in Christus ist“.

Doch auch darum geht es hier nicht, sondern darum, dass die Auserwählung vor Grundlegung der Welt „in Christus“ geschah. Schon damals hatte Gott im Blick, uns „in Christus“ vor sich hinzustellen. Wenn es den Sündenfall nicht gegeben hätte, wären wir als Geschöpfe zwar unschuldig – so wie Adam es war –, jedoch keinesfalls heilig. Nur „in Christus“ können wir heilig, das heißt der göttlichen Natur teilhaftig, vor Gott stehen. Das ist nur dadurch möglich, dass wir Christus als „unser Leben“ (Kol 3,4) bekommen. Dass wir Menschen Sünder geworden waren (vgl. 1Mo 3), machte das natürlich erst recht nötig, aber auch ohne dass wir Sünder gewesen wären, wäre solch eine Stellung der Heiligkeit nur „in Christus“ möglich gewesen; deshalb hat Gott uns „in Christus“ auserwählt vor Grundlegung der Welt. Wer sagt: „Wir sind alle unter den Nichtauserwählten, bis wir in Christus sind“, leugnet damit eine Auserwählung vor Grundlegung der Welt. Das „In-Christus“-Sein hätte für jemand dann, wenn es hochkommt, vor vielleicht 70 Jahren begonnen; demnach wäre er erst seit 70 Jahren auserwählt und nicht seit „vor Grundlegung der Welt“.

4. Auserwählt ist man als Gläubiger, vorher nicht – stimmt das?

In ähnlicher Weise meinen andere, wir seien erst als Gläubige erwählt.[12] Danach bedeute Auserwählung ausschließlich, dass Gott für Gläubige bestimmte Segnungen ausgewählt habe, die für sie erst dann gültig würden, nachdem sie gläubig geworden seien.

Nein, es geht bei der Auserwählung nicht ausschließlich darum, dass bestimmte Segnungen ausgewählt sind, die für die Gläubigen erst nach ihrer Bekehrung eintreffen. Im Gegenteil: Epheser 1,4 sagt deutlich, dass sie als Personen bereits vor Grundlegung der Welt auserwählt waren. Gott wählte nicht aus, was die Gläubigen sein sollten, sondern Er wählte Menschen aus anderen Menschen aus, damit sie einmal heilig und tadellos vor Ihm sein sollten. Dass sie „heilig“ vor Ihm stehen sollten, schließt ein, dass ein Auserwählter von seinen Sünden auch gereinigt sein musste; erst dann konnte er „tadellos“ vor Gott sein. Denn: Bevor ein Mensch von neuem geboren und von Gott durch den Heiligen Geist geheiligt wird, ist er nicht nur nicht heilig so wie Adam vor dem Sündenfall,[13] sondern auch sündig. „Heiligung“ durch Gott bedeutet also gleichzeitig auch eine Reinigung von der Sünde. Gläubige sind bereits Heilige – sie wären sonst keine wahren Gläubigen; sie zur Heiligkeit zu bestimmen, wäre völlig unsinnig.

5. Auserwählung bedeutet Bestimmung – stimmt das?

Wieder andere sehen bei der Auserwählung nur noch das Ziel der Auserwählung; von einer „Selektion“ unter anderen wollen sie nichts wissen.[14]

Es ist zwar wahr, wie wir gesehen haben, dass Auserwählung für ein bestimmtes Ziel ist. Aber wenn man nur das Ziel sieht, übersieht man die Handlung, die dieses Ziel im Blick hatte. Und diese Handlung war nun mal eine Auswahl. Das griechische Wort für „auserwählen“ (eklegomai) bedeutet, dass bestimmte Menschen aus einer Menge anderer ausgewählt werden. Das hat nichts damit zu tun, dass diejenigen, die Gott aus der Menge anderer Menschen auserwählt hat, mehr Wert hätten als die anderen, die Er nicht auserwählt hat. Gott ist souverän und kann für bestimmte Segnungen auswählen, wen Er will. Ein Vater liebt alle seine Kinder gleich und trotzdem kann Er bestimmten Kindern ein besonderes Vorrecht schenken.

6. Auserwählung bedeutet Vorkenntnis – stimmt das?

George Gillanders Findlay schreibt:

Die göttliche Vorkenntnis … sowie auch Gottes absolute Gerechtigkeit verbieten den verführerischen Gedanken von irgendetwas Willkürlichem oder Unfairem, das seiner Vorherbestimmung anhängt – irgendetwas, was unseren freien Willen überstimmen und unsere Verantwortlichkeit zu einer Illusion machen würde … Gott sieht alles vorher und erlaubt alles.[15]

Auserwählung hat mit Im-Voraus-Wissen nichts zu tun. Dann wäre es eher unsere Wahl als eine Wahl Gottes. Wenn Gott sich danach richtete, ob wir Menschen „wählten“, Ihm zu gehorchen, dann wäre Auserwählung keine Wahl Gottes mehr. Auserwählung ist buchstäblich eine positive und selektive Wahl, wie wir oben gesehen haben. Und sie ist nicht einfach eine passive Vorkenntnis, sondern eine aktive Zuvorbestimmung.

Über Vorkenntnis (gr.: prognosis) Gottes schreibt Petrus in seinem ersten Brief an seine Leser, dass sie „auserwählt sind nach Vorkenntnis Gottes durch Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesus Christi“ (1Pet 1,1.2). Roger Liebi schreibt über prognosis:

Das Wort prognosis kennen wir im Deutschen im Zusammenhang mit der Wetterprognose. Die Meteorologen erkennen das Wetter im Voraus. Durch ihre Prognose wird das Wetter aber nicht beeinflusst. – So ist es auch bei Gott: Durch seine Prognosis übergeht er nicht den Willen und die Verantwortung des einzelnen Menschen![16]

Demnach bedeute „Vorkenntnis Gottes“ nicht mehr als seine Allwissenheit. Gott habe in die Zukunft geschaut und gesehen, wie wir uns entscheiden würden; und als Er gesehen habe, dass wir uns für Ihn entscheiden würden, habe Er uns auserwählt.

Sicher ist in der Vorkenntnis auch das passive Vorherwissen eines allwissenden Gottes enthalten. Aber die Frage ist dann doch: Was bleibt von der eigentlichen Auserwählung übrig, wenn Auserwählung nicht mehr ist als nur Vorherwissen? Wenn wir andere Stellen heranziehen, wo das Wort „Vorkenntnis“ im Neuen Testament vorkommt, dann sehen wir, dass Auserwählung mehr ist als Allwissenheit: Es geht darum, dass Gott Personen für eine bestimmte Position/Aufgabe vorgesehen hat. Eine ähnliche Ausdrucksweise gebraucht heute vielleicht ein Manager, wenn er zu seinem Mitarbeiter sagt: „In zwei Jahren sehe ich Sie in der Rolle des Lead Engineers.“ Dann wird er alles daransetzen, damit sein Mitarbeiter diese Position bekommt.

Was bedeutet „Vorkenntnis“?

Ist „Vorkenntnis“ nur das Wissen, was einmal in der Zukunft geschehen würde, oder bedeutet es mehr? In Apostelgeschichte 2,23 lesen wir: „Jesus, … hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht.“ Bedeutet die „Vorkenntnis“ in diesem Vers nur, dass Gott in die Zukunft geblickt und gesehen hat, was einmal mit seinem Sohn geschehen würde? Es wird wohl schwer sein, zu behaupten, „Vorkenntnis“ hätte hier nur etwas mit einem solchen Im-Voraus-Wissen zu tun. Denn es heißt: Jesus wurde „hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss“. Diese Vorkenntnis hängt also mit einem Ratschluss zusammen. Auch in 1. Petrus 1,20 („Christus ist zwar zuvorerkannt vor Grundlegung der Welt, aber offenbart worden am Ende der Zeiten“) müssen wir davon ausgehen, dass Christus von Gott aktiv zu der Aufgabe zuvorerkannt worden ist, das Lamm zu werden.

Wenn es sich bei der Vorkenntnis nur um passive Allwissenheit handeln würde, dann bezöge sich dieses Erkennen auch auf ein bestimmtes Verhalten. Vorerkannt wird aber in all diesen Stellen nicht ein Verhalten, sondern Personen.

In 1. Petrus 1,1.2 („auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“) hat die Auserwählung das Ziel, bei den Gläubigen den „Gehorsam Jesu Christi“ zu bewirken und diesen Menschen die „Blutbesprengung Jesu Christi“ zu bringen. Wenn die Vorkenntnis Gottes sich auf das Verhalten dieser Menschen bezöge, dann müsste es heißen: „auserwählt wegen des Gehorsams“, und nicht: „auserwählt zum Gehorsam“. So aber hatte Gott jeden von ihnen persönlich auserwählt, gekannt und für jeden persönlich etwas festgesetzt: Er sollte einmal, durch den Geist für Ihn abgesondert, aus Liebe denselben Gehorsam zeigen, den Jesus Christus gezeigt hatte, und durch die Wirksamkeit seines Blutes geschützt sein.

Gegen dieses Argument wird eingewendet, dann sei Vorkenntnis ja eine Vorherbestimmung, doch davon werde sie in Römer 8 bewusst unterschieden:

Röm 8,29: Welche er zuvorerkannt hat, die hat er auch zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

Zu der Bedeutung von „zuvorerkannt“ in diesem Vers schreibt Henk P. Medema:

Gott hat uns zuvorerkannt. Das bedeutet nicht nur einfach, dass Gott zuvor wusste, dass wir geboren werden oder dass wir zum Glauben kommen würden, sondern es bedeutet viel mehr. Es ist ein liebevolles persönliches Kennen, was nur von „uns“, den Auserwählten, gesagt werden kann. „Zuvor“ bedeutet: lange bevor wir geboren waren, ja, sogar vor Grundlegung der Welt, wie Epheser 1,4 sagt.[17]

In einer Fußnote erklärt er weiter:

„Zuvorerkannt“: Siehe 1. Petrus 1,2 (im Hinblick auf uns); Apostelgeschichte 2,23 (Gottes Ratschluss); Römer 1,12 (im Hinblick auf Israel) und vor allem 1. Petrus 1,20 (Christus, das Lamm, wird zuvorerkannt). Es geht hier um viel mehr als nur um die Allwissenheit Gottes, der zuvor wusste, wer errettet werden würde. „Kennen“ deutet im hebräischen Alten Testament sehr oft auf eine persönliche Beziehung der Liebe hin. In 2. Mose 2,25 wird das hebräische Wort in der Elberfelder (Fußnote) übersetzt mit „sich kümmern um“. Dieser Gedanke liegt auch Psalm 144,3 zugrunde; in 1. Mose 4,1 bedeutet das Wort „Gemeinschaft haben“. Siehe ferner 1. Mose 18,19; Psalm 1,6; Jeremia 1,5; Hosea 13,5; Amos 3,2; Matthäus 7,23; Johannes 10,14; 1. Korinther 8,3; Galater 4,9; 2. Timotheus 2,19.[18]

John Boyd Nicholson kommt in seinem Kommentar zum ersten Petrusbrief zum selben Ergebnis:

Das Wort „Vorkenntnis“ (prognôsis) in der Form eines Hauptwortes kommt im NT nur zweimal vor, und es ist gerade Petrus, der es in beiden Fällen gebraucht (1Pet 1,2; Apg 2,23). Es wird nicht berichtet, was diese Vorkenntnis alles in Erwägung zieht, aber es ist mehr als ein Wissen im Voraus, ein Wissen um zukünftige Ereignisse. In seiner verbalen Form tritt es in Römer 8,29 auf: „... welche er zuvorerkannt hat ...“. Während Gott alle Menschen kennt, so kennt Er sie doch nicht in Seinem Ziel der Auserwählung. Der Herr Jesus wird den falschen Bekennern beim Gericht sagen: „Ich habe euch niemals gekannt“ (Mt 7,23). Was Seine Allwissenheit angeht, so gilt, „weil er alle kannte“ (Joh 2,24); was Seine göttliche Auserwählung angeht, so sagte Er: „Ich weiß, welche ich auserwählt habe“ (Joh 13,18). Paulus schrieb an die Korinther: „Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt“ (1Kor 8,3). Die Vorkenntnis Gottes scheint demnach eine Wahl der Liebe miteinzuschließen.[19]

Vorkenntnis Gottes bedeutet also: Gott hat in Liebe an uns gedacht und uns in der Position gesehen, in der Er uns haben wollte. Dann hat Er den festen Beschluss gefasst und uns auch genau dafür zuvorbestimmt.

Schlussfolgerung

Wir haben gesehen: Das Wort Gottes spricht unmissverständlich darüber, dass wir persönlich vor Grundlegung der Welt aus anderen Menschen auserwählt sind. Doch um den freien Willen des Menschen zu retten – dass er sein Heil selbst ergreifen könne –, wird auf alle mögliche Art und Weise versucht, die deutliche Aussage des Wortes Gottes wegzuerklären. Damit nimmt man dieser wunderbaren Segnung der Auserwählung die folgenden grandiosen Gedanken:

  • Gott hat vor Grundlegung der Welt – das heißt, bevor irgendetwas Geschaffenes da war, also in der Ewigkeit vor der Zeit – an mich persönlich gedacht.
  • Er hatte mit mir als kleinem Geschöpf von Staub solch einen Plan.
  • Er hat mich damals schon mit Christus verbunden gesehen.
  • Er hat mich aus einer unergründlichen Liebe heraus vor anderen erwählt.

Wenn wir also nicht an einer aktiven Auserwählung festhalten, können wir unmöglich gleichzeitig an die völlige Verdorbenheit des Menschen glauben und daran, dass der Mensch hoffnungslos verloren und nicht wiederherstellbar ist. Vielmehr wird dann letztendlich gesagt:

  • Der natürliche Wille des nicht von neuem geborenen Menschen sei doch noch fähig, Buße zu tun (bei einigen wird er dazu durch den Geist Gottes fähig gemacht bzw. zu dieser Buße von Gott geleitet, aber das ändert nichts am Ergebnis).
  • Der Mensch sei doch noch fähig, Gott anzunehmen (wenn auch nur in der von Gott festgelegten Zeit).
  • Er sei letztlich doch bereit, Gottes Willen zu tun.

Doch es handelt sich hierbei nicht nur um ein falsches Menschbild, sondern schlimmer noch: Gott wird seiner Souveränität beraubt, vor anderen Wesen einige auszuwählen, die ganz speziell zum Preis der Herrlichkeit seines Wesens sein sollen.

Bedeutet Auserwählung, dass andere Menschen beim Heil „übergangen“ werden?

Auserwählung bedeutet ausdrücklich, dass Gott in der Ewigkeit vor der Zeit bestimmte Menschen ausgewählt hat, ganz besondere Segnungen zu empfangen, und andere Menschen nicht. Wenn diese anderen Menschen nicht die besonderen Segnungen empfangen, heißt das nicht, dass sie stattdessen für die ewigen Qualen (in der Hölle) bestimmt seien. Die Hölle ist „bereitet dem Teufel und seinen Engeln“ (Mt 25,41), nicht aber für Menschen. Ohne den Sündenfall würde kein Mensch jemals in die Hölle kommen. Manche meinen, bestimmte Menschen seien von Gott für die Hölle auserwählt worden. Doch dafür hat man noch keine Schriftstelle zeigen können, die das wirklich lehrt. Zu diesem Gedankengebäude sind sie nur durch falsche Ableitungen und irrige Auslegungen gekommen. In die Hölle kommen Menschen wegen ihrer eigenen Sünden und weil sie das Heil nicht annehmen wollten und nicht, weil Gott sie beim Heil „übergangen“ hätte. Gott bietet allen Menschen das Heil an und das Werk Christi reicht aus für alle:

  • Gott „will, dass alle Menschen errettet werden“ (1Tim 2,4).
  • Christus ist die „Sühnung … für die ganze Welt“ (1Joh 2,2)
  • Er hat das Lösegeld gegeben zugunsten von allen (siehe 1Tim 2,6).
  • Er ist zugunsten von allen gestorben (siehe 2Kor 5,15).

Der Mensch war ursprünglich für die Erde bestimmt (vgl. 1Mo 1–2) und nicht für den Himmel − erst recht nicht für die Hölle. Ohne den Sündenfall hätten alle Menschen, die nicht vor Grundlegung der Welt zu speziellen himmlischen Segnungen auserwählt waren, ewig auf der Erde gelebt. Und viele dieser Menschen werden auch tatsächlich einmal auf der Erde wohnen in alle Ewigkeit (vgl. Off 21,1-8)! Diese Menschen sind auch alle durch das Blut des Lammes Gottes erlöst, aber nicht alle haben himmlische Segnungen empfangen und werden im Himmel ewig bei Gott wohnen. Eine dritte Gruppe von Menschen, die Gott keine Ehre geben wollten, werden aus diesem Grund die Ewigkeit in der Hölle zubringen, an dem Ort, der nicht für sie bestimmt war, sondern für den Teufel und die Dämonen.

Wir haben in diesem Abschnitt überlegt, ob Auserwählung bedeutet, dass andere Menschen beim Heil „übergangen“ werden. Manches bleibt für uns bei dieser Frage sicher schwierig. Bruce Anstey hat das einmal folgendermaßen formuliert:

Menschen versuchen, Gottes souveräne auserwählende Gnade in der Errettung mit der Verantwortung des Menschen, an das Evangelium zu glauben, in Einklang zu bringen, aber dabei werden sie oft einseitig in ihren Auslegungen. Die Wahrheit ist: Beide Wahrheitslinien verlaufen in der Schrift parallel, ohne ineinander überzugehen. Wie die beiden Schienen eines Eisenbahngleises: In unseren Augen scheinen sie sich in der Ferne zu verbinden, aber natürlich tun sie das nicht. Da Gottes Wege „unergründlich“ sind (Röm 11,33), sollten wir nicht versuchen, diese Dinge in unserem Verstand miteinander in Einklang zu bringen, sondern sie so lassen, wie sie in der Schrift stehen. Gott möchte, dass wir sie kennen, und deshalb stehen sie in der Schrift, aber Er hat uns nicht aufgefordert, sie in Einklang zu bringen. Er wusste sehr wohl, dass Sünder, die sich selbst überlassen sind, sich nicht für Christus entscheiden würden; also ging Er voran und bestimmte uns für den Segen, indem Er uns erwählte. Irgendwann in unserer Geschichte haben wir an das Evangelium geglaubt und den Segen der Errettung empfangen. Wie diese Dinge zusammenwirken, übersteigt unseren menschlichen Verstand.

Die Lehre von der Auserwählung ist die demütigendste Wahrheit in der Bibel, weil sie den Menschen als völlig hilflos und unfähig zeigt, etwas für sich selbst zu tun. Sie ist auch eine der Gott am meisten verherrlichenden Wahrheiten in der Heiligen Schrift. Da Er alles für uns in unserer Errettung getan hat, bekommt Er zu Recht die ganze Anerkennung und den ganzen Ruhm! Auch wenn wir diese Dinge nicht vollständig verstehen, sollte die Wahrheit der göttlichen Auserwählung in unseren Herzen Lobpreis hervorrufen.[20]


Anmerkungen

[1] Manche Lesarten haben hier „als Erstlinge“ statt „von Anfang“. W. Kelly schreibt zu dieser Lesart:

Es ist lehrreich, die Alternative „als Erstlinge“ statt „von Anfang“ abzuwägen; diese Alternative wird von den Bearbeitern unter Berufung auf „viele Geschichtsexperten“ angegeben. In der Tat hat ein Herausgeber (niemand Geringerer als [Karl] Lachmann) diese Lesart sowohl in seiner frühen als auch in seiner späteren Ausgabe als den wahren Text angenommen. Der Text unterscheidet sich von dem allgemein akzeptierten Text nur durch einen einzigen Buchstaben. Viele Handschriften unterstützen diese Lesart: der berühmte Codex Vaticanus Graecus (B) 1209; der Codex Augiensis (in Cambridge) (F); der Codex Boernerianus (G), der sich jetzt in Dresden befindet (unabhängige Kopien wahrscheinlich von einem älteren Archetyp); das porphyrische Palimpsest; sieben Minuskeln; die Vulgata und die spätere oder philoxenische Übersetzung ins Syrische mit mehreren griechischen und lateinischen kirchlichen Schreibern gegenüber den Codices D E K L (Alford lässt E weg und fügt A hinzu, das nicht lesbar ist); der überwiegende Teil der Minuskeln; die syrische Peschitta; die memphische Übersetzung ins Ägyptische; die armenische und die äthiopische Übersetzung mit griechischen und lateinischen Frühzitaten. Und Tischendorf ließ sich dazu hinreißen, in seiner ersten Ausgabe (Lipsiae, 1841) aparche [„Erstling, Erstlingsfrucht“] anzugeben wie auch im griechischen und lateinischen Neuen Testament und in dem Guizot gewidmeten kleineren griechischen Text (beide Paris, 1842); er korrigierte jedoch den Fehler in seiner zweiten Ausgabe von Leipzig (1849) und seither. Ich sage „Irrtum“, denn der Ausdruck steht im Widerspruch zu den sichersten Tatsachen. Wovon könnten die thessalonischen Gläubigen Erstlinge sein? Nicht einmal von Mazedonien, denn die Philipper waren schon zuvor Erstlinge gewesen. Daher ist die Aussage umso unhaltbarer, als der Ausdruck noch nicht einmal hierdurch qualifiziert ist und keine Übereinstimmung der antiken Zeugen ihn hätte rechtfertigen können, denn er ist der Wahrheit entgegen. Aber wir lernen dadurch, die Tatsachen gerechter einzuschätzen: (1) dass Dokumente von höchstem Wert ungeheuer falsch sein können, wahrscheinlich durch einen Flüchtigkeitsfehler; und (2) dass Herausgeber von höchstem Ansehen dazu neigen, irregeführt zu werden, teils durch übermäßiges Vertrauen in Lieblingszeugen (wie der Vatikan mit der Vulgata), teils durch angeborene Liebe zu Neuigkeiten oder Ablehnung des gemeinhin Akzeptierten. (W. Kelly, 2 Thessalonians. The Epistles of Paul to the Thessalonians)

[2] Das Wort „heilig“ bedeutet so viel wie „beiseitegestellt, abgesondert“.

[3] Später werde ich noch auf andere Auffassungen zu „Vorkenntnis“ eingehen.

[4] Bei dieser Absonderung von dem Bösen geht es nicht um unser stetiges Streben, in persönlicher Heiligung zu wachsen. Vielmehr bedeutet diese Absonderung, dass wir durch den Geist Gottes ein für alle Mal geheiligt worden sind, als Er uns das neue Leben geschenkt und für Gott abgesondert hat (vgl. 1Pet 1,2). Das neue Leben ist heilig und kann nicht sündigen, wie uns der erste Johannesbrief belehrt (z.B. 1Joh 3,6a.9).

[6] Nathanael und auch die Juden verstanden den Ausdruck „Sohn Gottes“ sicher anders (vgl. Joh 1,45-49).

[7] In Offenbarung 21,7 geht es nicht um unsere Stellung als Söhne, sondern um unser Verhältnis zu Gott wie ein Sohn. Deshalb heißt es im Zusammenhang: „Ich werde ihm Gott sein.“ Auch das hat nichts mit einer Stellung eines Sohnes zu seinem Vater zu tun, da Gott ja für jeden – auch für die Ungläubigen – jederzeit Gott ist.

[8] Mit dem Begriff „Haus des Vaters“ meinen wir nicht das Vaterhaus, das einmal im Himmel unser Zuhause sein wird, sondern vielmehr die Stellung, die die Söhne, das heißt die Christen, vor Gott haben. Gott als Vater bringt seinen erwachsenen Söhnen Vertrauen entgegen, weil sie aus der Unmündigkeit entlassen sind. Früher wurde dieser Stellungswechsel des Kindes zum Sohn in vielen Kulturen mit großer Freude gefeiert; damit wurde ganz klar, dass der Sohn nun in alle Geschäfte des Vaters eingeführt ist, dass alle Diener ihm mit Achtung begegnen und dass er das volle Vertrauen des Vaters besitzt.

[9] So zum Beispiel Edward Drew in einer Radiobotschaft vom 1. März 1942 über Römer 8,29-32.

[10] So zum Beispiel George Gillanders Findlay in The Expositor’s Bible, Epistle to the Ephesians, S. 33, oder George Campbell Morgan in Living Messages of the Books of The Bible, Matthew To Colossians, S. 172.

[11] So zum Beispiel Robert William Dale in The Expositor’s Library, Epistle to the Ephesians, S. 29–32, 41.

[12] So zum Beispiel Dr. A.J. Wall in The Truth about Election: an exposure of the pre-fixation theory, S. 13.

[13] Adam war vor dem Sündenfall zwar unschuldig, aber nicht heilig!

[14] So zum Beispiel Thomas Kingsmill Abbott in International Critical Commentary on “Ephesians”, 1909, S. 6.

[15] George Gillanders Findlay, The Expositor’s Bible, Epistle to the Ephesians, S. 28.

[17] Henk P. Medema, Der Brief an die Römer, Bielefeld (CLV) 1992, S. 138–139.

[18] Henk P. Medema, Der Brief an die Römer, Bielefeld (CLV) 1992, S. 140–141.

[19] John Boyd Nicholson, „Der erste Brief des Petrus“, in CV-Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 3, Dillenburg (CV) 2009, S. 423.

[20] S.B. Anstey, The First and Second Epistles of Peter; Christian Truth Publishing 2018, S. 21–22.

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