Luther entdeckt „Gottes Gerechtigkeit“
„Der Gerechte wird aus Glauben leben“

Shawn Abigail

© SoundWords, online seit: 28.10.2019, aktualisiert: 31.10.2023

Hammerschläge hallen rund um die gewaltige Schlosskirche in Wittenberg wider: Ein junger Mönch namens Martin Luther nagelt ein Dokument an die Kirchentür, das er mit „95 Thesen“ überschrieben hat. Diese Thesen möchte er gern öffentlich diskutieren. Es sind Fragen der kirchlichen Lehre und Praxis, die Luther für unbiblisch hält und auf die er aufmerksam machen will.

Die Geschichte zeigt, dass diese Hammerschläge nicht nur den Frieden des Kirchengebäudes an jenem Tag störten; sie störten auch den Frieden der damaligen Christenheit und deuteten an, dass die Wahrheit endlich an die Tür des Irrtums hämmerte. Es war das Jahr 1517.

Was trieb den jungen Mönch an jenem schicksalhaften Tag mit Hammer und Nägeln hinaus? Kurz vor diesem Ereignis war ein anderer Mönch unweit von Wittenberg aufgetaucht und hatte etwas Besonderes verkauft. Tetzel, so sein Name, hatte mit dem Verkauf von Ablassbriefen ein Vermögen gemacht. Diese Briefe waren Papiere, die dem Käufer eine verkürzte Strafe im Fegefeuer garantierten. Nach der damaligen Kirchenlehre kämen die Seelen der Gläubigen nach dem Tod nicht sofort in den Himmel, sondern gingen an einen Ort namens Fegefeuer. Dort würde man von Sünden gereinigt, die man nicht bekannt und bereut hatte. Die Aufenthaltsdauer wäre für jeden Menschen anders, doch alle würden im Fegefeuer schwer leiden müssen.

Der Verkauf solcher Ablassbriefe war zu Luthers Zeit weit verbreitet. Tetzel hatte ihnen jedoch noch ein besonders Merkmal hinzugefügt: Seine Ablassbriefe, so behauptete er, wären besonders, denn wenn man einen dieser Ablassbriefe kaufte, könnte man nicht nur seine eigene zukünftige Strafe im Fegefeuer verkürzen, sondern auch die gegenwärtigen Strafen für diejenigen, die bereits tot und in Qualen waren. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt!“, rief er. Wer wollte die Gelegenheit versäumen, seine tote Mutter, seinen Vater, seine Großeltern, seine Freunde usw. aus der Pein zu entlassen? Tetzel hatte Erfolg, und das Geld floss in Strömen.

Luther war entsetzt. Als er Mönch wurde, hatte er seine Seele gequält und seinen Körper gemartert in dem nutzlosen Unterfangen, für seine Sünden zu büßen. Da war er eines Tages beim Bibelstudium auf einen Vers im Galaterbrief gestoßen: „Der Gerechte wird aus Glauben leben“ (Gal 3,11). Plötzlich dämmerte es Martin Luther: All die schwachen Versuche, die Menschen unternehmen, um sich zu rechtfertigen und für ihre Sünden zu büßen, sind nutzlos und zwecklos. Männer, Frauen und Kinder werden vor der Strafe für ihre Sünden nicht gerettet durch das, was sie tun (oder bezahlen), sondern durch das, was sie glauben. Der Glaube an das Sühnewerk Christi allein genügt, um errettet zu werden. Luther war gelehrt worden, „Gottes Gerechtigkeit“ in Römer 1,17 „Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.““ wäre die Gerechtigkeit, mit der Gott den Sünder gerecht bestrafen würde. Nun verstand er, dass diese Formulierung nichts dergleichen bedeutete. Stattdessen schreibt Luther:

Da fing ich an zu verstehen, dass die „Gerechtigkeit Gottes“ die Gerechtigkeit ist, mit der Gott uns, durch Gnade und Barmherzigkeit, mittels des Glaubens rechtfertigt. Da habe ich empfunden, dass ich ganz wiedergeboren sei und durch die offenen Türen in das Paradies selbst eingegangen.

Luther war voller Freude über Gottes Gnade. Wie konnte dieser Tetzel es wagen, im Namen der Kirche zu behaupten, die Seelen würden vom Gericht befreit durch bloße Zahlung von Geld! Was für falsche Hoffnungen dieser Tetzel in den Köpfen des einfachen Volkes weckte! Die Kirche sollte von diesem Betrug wissen und ihm verbieten, auf diese falsche Weise Geld zu sammeln.

Es ist unwahrscheinlich, dass Martin Luther mit seinen 95 Thesen jemals das beabsichtigte, wozu sie schließlich führten. Sie waren ursprünglich auf Latein geschrieben, doch andere übersetzten sie ins Deutsche, damit die einfachen Leute sie lesen konnten. Der Aufruhr, der sich daraufhin entwickelte, führte schließlich dazu, dass Martin Luther 1521 vor den Reichstag zu Worms gerufen wurde. Das Ziel: Man wollte ihn dazu bringen, seine Lehren zu widerrufen. Den Vorsitz über den Reichstag führte Karl V., der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Einige der höchsten kirchlichen Würdenträger der damaligen Zeit waren anwesend. Luthers Leben stand auf dem Spiel.

Als er den Raum betrat, lagen seine Schriften auf einem Tisch vor ihm, und er wurde gebeten, zu bestätigen, dass es seine waren. Als er das tat, wurde er aufgefordert, zu „widerrufen“ – zuzugeben, dass sie falsch und irrig wären. Luther bat darum, eine Nacht darüber nachdenken zu dürfen. Er wusste sehr wohl: Wenn er sich weigerte zu sagen, dass er sich geirrt hätte, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod verurteilt und, als Ketzer an einen Pfahl gebunden, lebendig verbrannt werden. Am nächsten Tag stand Martin Luther in einem überfüllten Raum allein den Heeren des Reiches und der Macht einer weltweiten römisch-katholischen Kirche gegenüber, der noch nie widersprochen worden war. Er beantwortete die Frage laut und deutlich:

Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde – denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!

So wie seit Jahrhunderten die Hammerschläge auf jene Kirchentür nachhallen, so auch die mutigen Worte eines tapferen Mannes. Luther wurde von Freunden gerettet, bevor er wegen Ketzerei verhaftet werden konnte: Er wurde in einer Burg versteckt gehalten und von mächtigen politischen Kräften beschützt. Dort übersetzte er die Bibel aus dem Lateinischen, die nur von Kirchenführern gelesen wurde, ins Deutsche. Es war das erste Mal, dass die Bibel in einer Volkssprache allgemein erhältlich war. Luthers Mut führte schließlich dazu, dass die Bibel ins Englische übersetzt wurde. Seine Schriften und Lehren über die Rechtfertigung allein durch Glauben verbreiteten sich über die ganze Welt.

Zweifellos hatte Luther seine Fehler. Keiner von uns ist vollkommen. Vielen ging er in seiner Ablehnung der römisch-katholischen Lehre nicht weit genug. Andere Reformatoren traten in seine Fußstapfen und entdeckten weitere Wahrheiten aus der Bibel. […] Luther war ein Mann seiner Zeit mit einem Temperament, das nicht jedem gefiel. Doch Gott benutzte ihn, damit die Lehre von der Rechtfertigung wiederhergestellt wurde – Rechtfertigung allein durch Glauben, ohne den kein Mensch gerettet werden kann. […]


Engl. Originaltitel: „Heroes of the Faith – Martin Luther“
in Precious Seed, Jg. 61, 2006, Nr. 4 
www.preciousseed.org

Übersetzung: Gabriele Naujoks

Weitere Artikel zum Stichwort Glaubensmänner (33)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen