Lebe ich mir selbst oder lebe ich Christus?
2. Korinther 5,14.15

William Kelly

© EPV, online seit: 16.02.2018, aktualisiert: 08.04.2021

Leitverse: 2. Korinther 5,14.15 (14) Denn die Liebe des Christus drängt uns, indem wir so geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. (15) Und er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist.“

2Kor 5,14.15: Denn die Liebe des Christus drängt uns, indem wir so geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist.

Beim Lesen dieser Verse bewegte mich ein Gedanke, der so einfach und doch von höchster Bedeutung ist: Wofür leben wir? Geliebte Geschwister, ich brauche kaum zu betonen, wie wichtig diese Frage ist und wie viel für unsere Seelen davon abhängt, dass wir ihr nicht ausweichen, sondern sie beantworten, und zwar in der Furcht Gottes. Vers 15 stand mir besonders vor Augen: „Er ist für alle gestorben, damit die, die leben …“ –  das sind die Gläubigen. Alle waren tot, Gläubige wie Ungläubige gleicherweise, alle waren vor Gott ruinierte Menschen; der Tod Christi ist der Beweis für diesen Zustand, in dem sich jede Seele geistlicherweise befand. Das heißt, alle waren verloren, tot gegenüber Gott. Dass sogar der Sohn Gottes, der das ewige Leben ist, leiden musste, dass Er in dieser Welt kein Teil als nur den Tod fand, beweist, dass in dieser Weit kein Leben ist. Alles lag so unwiederbringlich im Tod, dass die einzige Tür zu einer Befreiung nur darin gegeben war, dass Er starb. Und „er ist für alle gestorben“. Es wird nicht gesagt, dass alle leben würden, obschon ganz ohne Zweifel in Ihm das für alle ausreichende Leben war, nämlich ewiges Leben in dem Christus. Aber tatsächlich nahm Ihn niemand auf, niemand wollte Ihn, auch nicht einer. Deshalb wirkte die Gnade und schenkte es einigen, nicht allen, Ihn aufzunehmen. Deshalb wird hinzugefügt: „Er ist für alle gestorben, damit die, die leben“ – das sind die, die an Ihn glauben und dadurch Leben haben –, „nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist.“

Nun taucht in unserem tagtäglichen Leben wohl nicht eine einzige Frage auf, die nicht eines der beiden Dinge ans Licht bringt, nämlich ob wir uns selbst leben oder Dem, der für uns gestorben und auferstanden ist. Und muss ich nicht die traurige Wahrheit eingestehen, dass wir unsere Herzen beständig zu tadeln haben? Wie oft, um nicht zu sagen fast immer, ist der erste Impuls, dass wir alles danach betrachten, ob es uns gefällt, uns zufriedenstellt, unser Ansehen hebt. Was ist das aber anders als uns selbst leben? Wenn ein Entschluss zu fassen ist – sei es, einem Übel aus dem Weg zu gehen, einen Verlust zu vermeiden oder irgendetwas zu gewinnen, was auch immer eine Stellungnahme von uns verlangen mag –, sind wir nicht geneigt, darauf zu sehen, wie es sich für uns auswirkt und dass wir die Dinge auf die eine oder andere Weise zu unserem Nutzen und Vorteil wenden? Ich meine das nicht in jedem Fall ganz persönlich: Es mag zugunsten unserer Familie oder unserer Kinder sein, ob unter den gegenwärtigen Umständen oder im Blick auf die Zukunft. Doch wir tun nicht recht, wenn wir so handeln. Sicher möchte Gott nicht, dass wir das wahre Wohl derer, die uns nahestehen und die unserer Fürsorge anvertraut sind, vernachlässigen; doch es ist die Frage, ob wir uns selbst oder Christus vertrauen. Können wir wohl beurteilen, was das Beste für unsere Kinder ist? Sind wir wirklich weise genug, über das Gute zu entscheiden, das nicht nur zeitlichen Gewinn bringt, sondern die ewigen Güter sichert? Hier tritt ein sehr einfacher Sachverhalt zutage: Wir haben zwei Naturen: eine, die immer gierig nach dem greift, was ihr zusagt und ihr Ansehen erhöht, und eine andere, die durch Gottes Gnade willig ist, für die Dinge des Herrn besorgt zu sein und, wenn nötig, auch für Ihn zu leiden. Aber, wie der Apostel an anderer Stelle sagt, nicht das Geistliche war zuerst da, sondern das Natürliche, danach das Geistliche. Genau das ist unsere tägliche Erfahrung. Der Gedanke, der sich unverzüglich einstellt, wenn Prüfungen und Schwierigkeiten aufkommen, ist der einfach natürliche: Wie komme ich da heraus?, nicht etwa: Wie kann ich darin Gott verherrlichen und den Ruhm Christi vermehren? Und wiederum, wenn irgend Aussicht besteht, meine Umstände zu bessern, so ist auch dies unser erster Gedanke das, was natürlich ist. Wenn es nun so steht, sollten wir da nicht wachsam und auf der Hut sein? Könnten wir es nur für einen Augenblick vergessen: Da liegt meine Gefahr!?

Wir mögen nicht alle auf die gleiche Weise erprobt werden. Was dem einen Befriedigung gewährt, mag einem anderen zuwider sein. Doch die demütigende Tatsache besteht, und darin stimmen wir alle überein: Wir haben eine Natur, die sich selbst liebt und die für sich das Angenehme sucht, und deshalb sind wir immer bereit, dieser Natur und damit dem ersten Gedanken unserer Herzen nachzugeben. Aber lasst uns Christus vor unsere Seelen stellen! Ob Leid oder Freude unser Teil ist, lasst uns auf Ihn blicken! Und was dann? Das, was natürlich ist, wird dahinschwinden; wir richten es. Wir sagen: Das ist eine Sache, durch die Christus nicht verherrlicht wird, und wozu sind wir hier? Mögen wir uns doch erinnern, dass Gott alles getan hat, um uns für seine Gegenwart passend zu machen. Er hat uns „fähig gemacht zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“ (Kol 1,12). Diese Segnung wird nicht berührt; darüber gibt es keinen Zweifel. Doch die praktische Frage für unsere Seelen ist, ob unsere Herzen, die um die vollkommene Güte unseres Gottes und Vaters uns gegenüber wissen, sich diesem erhabenen Gedanken öffnen, dass Er jetzt Christus als den Gestorbenen und Auferstandenen vor uns stellt, damit sich in der Gegenwart der Engel wie auch der Menschen, ja, in seiner eigenen Gegenwart das wunderbare Schauspiel darbietet, dass da menschliche Wesen sind, die einst nur sich selbst lebten, jetzt aber durch das Bild Christi vor ihren Seelen über dieses Selbst ganz und gar erhoben sind.

Möchten wir dies doch auf alle unsere Umstände wirken lassen, durch die wir Tag für Tag gehen! Das ist das Wichtigste für den Wandel eines jeden Gläubigen. Es gibt andere große Dinge für die Versammlung, aber sie sind umso viel größer, je mehr sie auf Christus gegründet sind, den Gegenstand der einzelnen Gläubigen, die zusammen die Versammlung bilden. Mögen wir uns nicht selbst betrügen! Keine Stellung, die wir einnehmen, kann da etwas wiedergutmachen, wo wir gegenüber den natürlichen Regungen unserer Herzen versagen. Mögen wir prüfen und zusehen, ob wir uns selbst leben oder dem, der für uns gestorben und auferstanden ist!


Originaltitel: „Lebe ich mir selbst oder lebe Christus?“
aus Hilfe und Nahrung, 1984, S. 46–50
Engl. Originaltitel: „Living to Self or to Christ?“
aus The Bible Treasury, Jg. 4, 1870, S. 72–73

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