Wer ist dein Star?

Jochen Klein

© J. Klein, online: 10.05.2005, updated: 23.10.2022

Er war längst berühmt für seinen Gesang; er war berüchtigt für die Sauf-Exzesse, die er seiner Leber und seinen Lieben zumutete ohne Rücksicht auf Verluste – und er hatte eine legendäre, den Großstadtverkehr lahm legende Teenager-Hysterie verursacht, bei der 30.000 kreischende junge Menschen ein Kino belagerten, in dem er ein Konzert gab.[1]

So leitete Wolfgang Höbel einen Artikel über Robbie Williams ein und ließ dann folgen:

Nein, hier ist noch nicht die Rede von Robbie Williams, sondern von seinem großen Vorbild Frank Sinatra.

Der Weg zum Star begann für Williams vor der Jukebox in der Kneipe seiner Mutter. Er bemerkte früh, dass sein Tanzen den Leuten gefiel, und sagt:

Damals habe ich gelernt, mit Charme eine Art von Aufmerksamkeit zu erzeugen, die süchtig machen kann. Wenn du singst, bewundern sie dich. Wenn du einen Witz erzählst, lachen sie. Also egal, was du tust, wenn du es nur richtig anstellst, findest du ein Publikum.

Dass dieses Publikum aber auch seine Schattenseiten hat, zeigt zum Beispiel sein Kampf gegen die Verleumdungen der Klatschpresse. Es gibt viele Beispiele dafür, dass sich Stars ab einem gewissen Zeitpunkt von den Fans bedrängt oder sogar verfolgt fühlen. So schreibt Matthias Matussek in seinem Artikel „Preis des Erfolges“, ebenfalls in Spiegel Kultur 1/2004:

Stars sind offensichtlich dazu da, gleichzeitig angebetet und missbraucht zu werden. Wir zerren an ihnen, weil sie ständig an uns herumzerren, an unseren Gefühlen, unseren Träumen, weil sie es sind, die zunächst mal diese falsche Nähe herstellen im Dunkel des Kinosaals. Sie sind Freunde, Geliebte, Wunschsöhne, Wunschväter, Wunschpartner.

Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.

Dies ist die zentrale These des Buches Ökonomie der Aufmerksamkeit, verfasst von dem Wiener Architekten und Philosophen Georg Franck. Um zu maximaler Aufmerksamkeit zu gelangen, formulierte Williams als Hauptziel für sich selbst: „Sieh zu, dass du wirklich jeden amüsierst.“ Dass er aber dadurch nicht zur Zufriedenheit gelangen konnte, wird in seiner Biographie deutlich. Auch viele seiner Songs vermitteln diesen Eindruck: In „Come Undone“ besingt er sein Leben als Lüge („If I stop lying I’d just disappoint you“) oder in „Singing for the Lonely“ berichtet er von seiner Paranoia, er könnte die Menschen eines Tages nur noch langweilen („… scared of you always thinking that I’m boring“). Selbst erwähnt er, dass er fast alle verfügbaren Drogen ausprobiert habe, und nennt Heroin, Ecstasy, Marihuana, Alkohol, Amylnitrat und Speed. In einem Interview sagte er:

Von null auf hundert bekannt zu werden ist die irrste Bewusstseinsexplosion, die man sich nur vorstellen kann. Aber was kommt dann? Eine Welt, in der du belächelt, beschimpft und wie Dreck behandelt wirst.

Höbel schreibt schließlich:

In der gerade erschienenen ersten autorisierten Williams-Biografie Feel, für die ihn der britische Journalist Chris Heath zwei Jahre lang fast ständig begleiten durfte, begegnet uns ein von bösen Geistern gepeinigter Mann.

Und noch einmal Matussek:

Stars vertreiben die Einsamkeit … Was Groschenpresse, Fernsehen und Internet bewerkstelligt haben, ist eine ständig wachsende Durchlaufgeschwindigkeit an Berühmtheiten. Ständig ist Götzendämmerung, und immer nervöser suchen wir nach neuen Vorbildern. Götzen werden gebraucht in säkularen Zeiten. Je verwechselbarer der Einzelne wird, desto mehr sehnt er sich nach dem Unverwechselbaren. Die Tröstung durch Religion in früheren Zeiten bestand ja darin, dass sie dem Einzelnen das Gefühl der Einzigartigkeit vor Gott gab. Nun ist die Religion aus dem Alltag verschwunden und mit ihr das Gefühl des Angesprochenseins. Das Göttliche fehlt. Doch es hat einen Mangel zurückgelassen, eine atavistische [primitive] Andachtssehnsucht und gestaltlos gewordene Frömmigkeit, die nach Befriedigung suchen. Die Kirchen sind leer, aber in unzähligen Haushalten gibt es Altäre für Robbie Williams und Schreine für Britney Spears. Letztere, selbst Kunstprodukt, hat eine ganze geklonte Armee kreiert, in der Starlets und Gefolgschaft nicht mehr auseinanderzuhalten sind … Unser Verhältnis zum Ruhm also ist zynisch geworden. Es ist das Zeitalter einer ewigen Götzendämmerung, in der wir unglücklich aufgeklärt zu den bunt bemalten Lampions hinaufschauen, die wir selbst aufgehängt haben, und uns für eine Weile einbilden, sie seien die Sonne und vertrieben uns die Angst vor Einsamkeit und Nacht. Das ist das, was wir heute Ruhm nennen – eine schnell erlöschende Angelegenheit.

Dass Ruhm eine schnell vorübergehende Angelegenheit ist, können wir auch anhand einer Begebenheit vor beinahe zweitausend Jahren sehen. Zwei Männer wurden von einer Menschenmenge als Götter verehrt. Man wollte ihnen opfern. Sie waren davon aber nicht begeistert, sondern riefen entsetzt: „Männer, warum tut ihr dies?“ Paulus und Barnabas versuchten, der Menge bewusstzumachen, dass sie ebenfalls nur Menschen aus Fleisch und Blut seien. Ihre Botschaft war einzig und allein, dass sich diese Leute von ihren Idolen abwenden sollten. Sie sollten umkehren zu dem lebendigen Gott und nicht auch noch sie zu ihren Idolen machen. Das hielt die Menge aber kaum davon ab, ihnen zu opfern (vgl. Apg 14,11-18). Sofort danach heißt es dann aber: „Es kamen aber aus Antiochia und Ikonium Juden an, und nachdem sie die Volksmenge überredet und Paulus gesteinigt hatten, schleiften sie ihn zur Stadt hinaus, da sie meinten, er sei gestorben“ (Apg 14,19).

Paulus hatte aber nicht immer diese Einstellung. Vor seiner Bekehrung verfolgte er die Jünger Jesu und fand ihre Tötung legitim. Kurz nach seiner Bekehrung sagt der Herr: „Dieser ist mir ein auserwähltes Werkzeug, meinen Namen zu tragen sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels. Denn ich werde ihm zeigen, wie vieles er für meinen Namen leiden muss“ (Apg 9,15-17). Da ihm das Leben nach göttlichen Maßstäben mehr wert war als alles andere, wählte Paulus bewusst diesen Weg und lehnte es folgerichtig später ab, als Idol verehrt zu werden. In seinem Brief an die Römer schreibt er, dass die Menschen sich lieber für vergängliche Idole begeistern, als den ewigen Gott zu ehren. Die Folgen seien ethischer und moralischer Verfall: Lüge, Gewalt, Untreue und Perversion (vgl. Röm 1,18-32).

Für den Kunsthistoriker Jakob Burckhardt war der Wille zum Ruhm Kennzeichen des „modernen Bewusstseins“. Sicher befürchten viele Menschen – meistens wahrscheinlich unbewusst –,  ziemlich uninteressant zu sein, und so streben sie nach Ruhm. Aber dieser hat ein Doppelgesicht, da so alt wie der Wunsch nach Ruhm auch der Neid ist, den er auslöst. Und es gibt kaum einen Berühmten, der nicht davon träumt, noch berühmter zu werden. Ein weiterer Gedanke, der in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ist der Wunsch, dass der Ruhm nach dem Tod erhalten bleibt und somit eine gewisse Unsterblichkeit garantiert. Eine andere Form des Ruhms heutzutage ist die schiere Bekanntheit. Um dazu zu gelangen, scheuen einige vor kaum etwas zurück. Und eine riesige Industrie beschäftigt sich damit, aus Menschen Idole zu machen. Der Soziologe Sieghart Neckel schreibt:

Die Medien … sind allein ein besonders auffälliges Beispiel dafür, dass immer mehr Lebensbereiche ausschließlich durch Angebot und Nachfrage gesteuert werden. Das Diktat der Quote zwingt dazu, bedingungslos um Aufmerksamkeit zu kämpfen; also werden tatsächlich alle Mittel durchprobiert. Für den Einzelnen heißt das: Ich muss weniger etwas können, als mich gut zu vermarkten. Eine Form solch neuartiger Bewährungsprobe ist es, darauf zu setzen, dass man als Medientyp öffentlich ankommt.

Stars währen aber nicht ewig. Aufmerksamkeit bekommen sie nur so lange, wie zahlende Zuschauer sie anschauen wollen, nur so lange, wie sie etwas repräsentieren, das diese anspricht, anrührt oder aufwühlt. Die Zuschauer machen – nach der Vorauswahl Hollywoods – Stars aus denen, die ihnen etwas bedeuten. Darum sind Stars Kreaturen ihrer Zeit, und sie vergehen mit ihrer Zeit.

Wenn Johannes vor den „Götzen“ (1Joh 5,21) warnt, dann deshalb, weil er wusste, welche Folgen es für die Persönlichkeit bzw. für das Glaubensleben haben kann, wenn man solche hat. Ein Beispiel für unangemessene Verehrung liefert Herodes. Er hielt eine öffentliche Rede an die Tyrer und Sidonier. „Das Volk aber rief ihm zu: Eines Gottes Stimme und nicht eines Menschen! Sogleich schlug ihn ein Engel des Herrn, dafür, dass er nicht Gott die Ehre gab; und von Würmern zerfressen, verschied er“ (Apg 12,22.23). Bei vielen Stars ist Aufmerksamkeit massenhaft garantiert. Dass dies aber letzten Endes nichts nützt und weder dieser Lebensstil noch Verehren oder Verehrt-Werden zu einem sinnerfüllten Leben führt, zeigen viele Beispiele. Im Anschluss an seine Einleitung (s.o.) schreibt Höbel über Sinatra:

Und trotzdem war der Held offensichtlich ein verschreckter, gebrochener Mann.

Auch die Berichte über Williams lassen erkennen, dass er von einem erfüllten Leben weit entfernt ist. Was etwas nützt, ist Aufmerksamkeit im Himmel. Man merkt dort aber nicht nur auf, sondern man freut sich, wenn ein Sünder umkehrt (Lk 15,7). Und die Aufmerksamkeit dort sieht zum Beispiel so aus: „Die Augen des HERRN durchlaufen die ganze Erde, um denen treu beizustehen, deren Herz ungeteilt auf ihn gerichtet ist“ (2Chr 16,9).

Wessen Aufmerksamkeit ist dir am meisten wert, und wem schenkst du deine?


Quelle: www.jochenklein.de > Jugend

Anmerkungen

[1] Wofgang Höbel, 5.11.2004, „Der Pop-Märtyrer“, online auf https://www.spiegel.de/kultur/musik/psychologie-der-pop-maertyrer-a-326541.html. Spiegel Kultur 1/2004, „Wie aus Menschen Idole werden“, S. 59.


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