Gottes Souveränität bei der Erlösung des Menschen (Anhang 4)
Gottes Souveränität und die „Heiden“

Roy A. Huebner

© SoundWords, online: 09.08.2014, updated: 24.03.2020

J.N. Darby wurde eine Frage gestellt in Bezug auf die „Heiden“ und Gottes Wirken an ihnen abseits vom Evangelium. Die Frage lautet:

Es wird gesagt: „Gott ist Liebe: Er lässt die armen Heiden nicht ohne göttliche Hilfe in ihrer Dunkelheit. Wenngleich der Heilige Geist nicht als ein innewohnender Geist in ihnen sein mag, so handelt Er doch von außerhalb an dem Gewissen jedes menschlichen Wesens; im Falle eines Heiden hilft Er ihm zu richtigen Überzeugungen und gutem Verhalten und hilft ihm, so zu leben, dass er gerettet werden kann, und dies, obwohl er niemals den Namen Christi gehört haben mag und den wahren Gott nicht in Christus kennt. Solche Texte wie Apostelgeschichte 17,27; 10,36; Römer 2,7 oder 1. Mose 6,3 untermauern diese Ansicht.“ Wie begegnet die Schrift dieser ernsten Frage?[1]

Darby antwortete:

Die Doktrin, auf die Sie sich beziehen, ist weit genug verbreitet. Zwingli vertrat sie, alle Wesleyaner vertreten sie und ebenso die meisten derjenigen, die sich hierzulande als Christen bekennen. Aber sie ist auf einem Mangel an Tiefe und Wahrheit in ihrem Fundament gegründet und leugnet, dass wir alle verloren sind. Die beste Antwort sind die sehr klaren Aussagen im Römerbrief, obwohl diese auch von vielen anderen bestätigt werden. Aber es liegt immer ein Mangel an Sündenbewusstsein bei diesen Fragestellern vor: Der Mensch sei nicht verloren, nicht tot in Übertretungen und Sünden, und das bedeutet: Ich bin es nicht; denn wenn ich die Verdammung verdient habe, ist es nicht schwer zu glauben, dass wir alle sie verdient haben. Daher verlieren Gnade, Sünde und der Tod des Herrn alle ihre Bedeutung und ihren Wert, und der wirkliche Weg, sie [die Sünde] moralisch zu begleichen, ist, sich mit dem Gewissen des Einzelnen zu befassen. „So zu leben, dass er gerettet werden kann“ zeigt sofort eine Unwissenheit in Bezug auf Gottes Gnadenwege – tatsächlich sogar in Bezug auf das Evangelium, was nämlich Christi Werk betrifft. „Richtige Überzeugungen und gutes Verhalten“ sind nicht das Evangelium. Ist er wiedergeboren? Apostelgeschichte 17,27 sagt kein Wort davon, dass der Geist handelt, und Apostelgeschichte 10,35 sagt einfach, dass jemand, der so und so ist, angenommen ist; es geht bloß darum, dass Segnungen nicht auf die Juden beschränkt sind, was deutlich wird, wenn der ganze Abschnitt gelesen wird. Der Abschnitt um Römer 2,7, welcher der stärkste ist, setzt die Wahrheit der Herrlichkeit und der Auferstehung als bekannt voraus. Falls ich einen Heiden fände, der so wandelte, wäre er genauso gerettet wie ein Jude. Aber es wird festgestellt, dass allen der Mund gestopft wird und alle Welt vor Gott schuldig ist [Röm 3,19]; „da ist kein Gerechter, auch nicht einer“ [Röm 3,10]. Die Verurteilung der Heiden (Röm 1,18–3,19) wird auf eine Grundlage gestellt, die die Vorstellung solch eines universellen Handelns des Geistes negiert. Sie sind, so sagt der Apostel, ohne Entschuldigung, und zwar auf der doppelten Grundlage, die Verehrung Gottes aufgegeben zu haben, als sie Ihn kannten, und das Zeugnis der Schöpfung aufgegeben zu haben, und er fügt das Gewissen hinzu – eine vollkommen vergebliche und sinnlose Argumentation, wenn es doch den anderen Verdammungsgrund gab, nämlich dass sie dem Heiligen Geist widerstanden haben. „So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen“ [Röm 2,12]. „Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott“ [Röm 8,7], in mir, wie auch in jedem anderen aus den Nationen. Die Leute verwechseln die Grundlage der Verantwortung mit der souveränen Gnade bei der Erlösung. 1. Mose 6,3 („Mein Geist soll nicht ewig mit dem Menschen rechten, da er ja Fleisch ist; und seine Tage seien 120 Jahre“) bezieht sich lediglich auf die Geduld Gottes in Noahs Zeit.

Die Menschen werden nicht durch die Gnade erlöst, wenn sie so sind, wie es in dieser Argumentation behauptet wird; denn weil der Geist gleichermaßen an ihnen allen wirkt (oder das Argument ist nichts wert), hängt die gesamte Erlösung daran, dass der Mensch sie annimmt und auf sie hin handelt. Wie ich anfangs gesagt habe, wird unser gesamter Zustand, wie die Schrift ihn darstellt, geleugnet. (Siehe 2. Korinther 5,14, wo der Apostel die Schlussfolgerung aus der Gnade zieht. Vergleiche Epheser 2,5.) Ich glaube nicht, dass die Nichtjuden verlorener sind, als ich es selbst war. Aber es „ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der den Menschen gegeben ist, in dem wir errettet werden müssen“ [Apg 4,12], als der Name Jesu Christi. Römer 10,13-15 spricht deutlich in Bezug auf die Mittel und Möglichkeiten. Gericht und Verdammung geschehen gemäß der Mittel und Möglichkeiten, die wir haben. Was durch souveräne Güte den Verlorenen die Erlösung bringt, steht auf einem anderen Blatt. Aber, wie ich sagte, hält er sich für verloren? Das ist die eigentliche Frage. Der Ursprung tausender Meinungen ist der Mangel daran: an Gewissen, das vor Gott ist; wo es das nicht ist, kann der Verstand tausend Gedanken haben, alle gleichermaßen vergeblich. Aber ich muss zum Ende kommen. [1879][2]

Dies mag aus den Schriften von JND noch hinzugefügt werden:

Des Weiteren würde es im Detail ein gerechtes Urteil über den Diener geben: für den, der den Willen seines Herrn kannte und nicht tat, viele Schläge, und für den, der den Willen seines Herrn nicht kannte und ihn nicht tat, wenige Schläge. Alle waren verdorben, alle schuldig; Sünde und Nachlässigkeit hatten Unwissenheit hervorgebracht. Aber die gerechte Unterscheidung würde es geben. Man beachte, dass sie in der Verantwortung der Stellung, die sie innehatten, behandelt werden würden, auch wenn sie vielleicht nicht gedient oder geistliches Recht gehabt hätten. Und so würde von jedem, dem viel gegeben war, viel verlangt werden, und wenn jemand viel anvertraut wurde, würde umso mehr von ihm gefordert werden [vgl. Lk 12,47.48]. So entfaltet der Herr den Platz und die Grundsätze des Dienstes, so wie Er zuvor die Grundsätze der Stellung entfaltet hat, durch seine Verwerfung und ihre Folgen. Ferner müssen wir hier eine eindeutige Unterscheidung feststellen zwischen der berufenen Gemeinde/Kirche – berufen, auf ihren Herrn zu warten – und der Unwissenheit des Heidentums und Ähnlichem, und das weit schrecklichere Schicksal der Gemeinde/Kirche beachten. Jener Diener – und das bezieht sich insbesondere auf den, von dem Er gerade geredet hatte –, der den Willen seines Herrn kannte und sich nicht vorbereitete, das heißt, der sich auf seinen kommenden Herrn nicht vorbereitete und nicht nach seinem Willen tat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden; aber derjenige, der – und jetzt heißt es nicht: „sich nicht vorbereitete, weil er keineswegs in der Lage dazu war“, sondern: „getan hat, was der Schläge wert ist“ – also nach seinem natürlichen Herzen böse gehandelt hat, wie es ein Heide tun könnte, der wird mit wenigen Schlägen geschlagen werden. Die Unterscheidung ist klar und das Urteil des Herrn ist gerecht; also ist es ernst, äußerst ernst für die sich als solche bekennende Gemeinde.[3]

Und auch dies kann noch ergänzt werden:

Es gibt eine Neigung, sie [die Heiden] für einfach glücklos und kaum verantwortlich zu halten. Es wird sogar gelehrt, dass viele von ihnen die wahre Erkenntnis Gottes hätten durch das Licht der Natur oder durch irgendein gnädiges Werk Gottes in ihrer Seele abseits der Offenbarung. Das Wort Gottes sagt nichts davon und überlässt uns den schrecklichen Konsequenzen, die in diesen Bemerkungen festgestellt sind.

Aber welche Auswirkungen sollte dies auf diejenigen haben, die durch das kostbare Blut Christi gerettet sind? Wird es ihnen eine selbstzufriedene Gewissheit geben, dass sie die Wahrheit besitzen und vertreten, oder wird es ihre Seelen erneut zu dem glühenden Wunsch wachrufen, die gute Nachricht zu den verlorengehenden Millionen zu tragen, die nie das Evangelium gehört haben? Gewiss hat jede errettete Seele eine Verantwortung diesbezüglich. Dürfen wir nicht beten, dass wir erwecktes Interesse sehen, das Evangelium in fremde Länder zu schicken, und dürfen wir nicht auch bitten, dass der Herr mehr Arbeiter erwecken und aussenden möge, mehr Herolde des Evangeliums an die finsteren Orte der Erde?[4]


„Appendix 4: God’s Sovereignty and the ,Heathen‘“
aus God’s Sovereignty and Glory in the Election and Salvation of Lost Men
Present Truth Publishers, Jackson, 2003

Übersetzung: S. Bauer

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Anmerkungen

[1] Die Frage stellte J.P. B. in The Bible Treasury, Jg. 12, S. 288.

[2] J.N. Darby, Letters, Bd. 2, S. 503–504.

[3] J.N. Darby, Notes and Comments, Bd. 6, S. 232.

[4] Aus „The True Condition of the Heathen“ in Help and Food, Jg. 18, S. 294.


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