Zweierlei Kohlenfeuer – zweierlei Fragen
Johannes 18,16-18.25-27; 21,1-14

Ernst Eugen Hücking

© E. E. Hücking, online seit: 27.10.2005, aktualisiert: 10.12.2020

Leitverse: Johannes 18,16-18.25-27; 21,1-14

Joh 18,16-18.25-27: Petrus aber stand an der Tür draußen. Da ging der andere Jünger, der dem Hohepriester bekannt war, hinaus und sprach mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da spricht die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagt: Ich bin’s nicht. Es standen aber die Knechte und die Diener, die ein Kohlenfeuer gemacht hatten, weil es kalt war, und wärmten sich; Petrus aber stand auch bei ihnen und wärmte sich. … Simon Petrus aber stand und wärmte sich. Da sprachen sie zu ihm: Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern? Er leugnete und sprach: Ich bin’s nicht. Es spricht einer von den Knechten des Hohenpriesters, der ein Verwandter dessen war, welchem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sah ich dich nicht in dem Garten bei ihm? Da leugnete Petrus wiederum; und alsbald krähte der Hahn.

Joh 21,1-14: Nach diesem offenbarte Jesus sich wiederum den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber also: Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, und Nathanael, der von Kana in Galiläa war, und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus spricht zu ihnen: Ich gehe hin fischen. Sie sprechen zu ihm: Auch wir gehen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Schiff; und in jener Nacht fingen sie nichts. Als aber schon der frühe Morgen anbrach, stand Jesus am Ufer; doch wussten die Jünger nicht, dass es Jesus sei. Jesus spricht nun zu ihnen: Kindlein, habt ihr wohl etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werfet das Netz auf der rechten Seite des Schiffes aus, und ihr werdet finden. Da warfen sie es aus und vermochten es vor der Menge der Fische nicht mehr zu ziehen. Da sagt jener Jünger, welchen Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Simon Petrus nun, als er hörte, dass es der Herr sei, gürtete das Oberkleid um (denn er war nackt) und warf sich in den See. Die anderen Jünger aber kamen in dem Schifflein, (denn sie waren nicht weit vom Lande, sondern bei zweihundert Ellen) und zogen das Netz mit den Fischen nach. Als sie nun ans Land ausstiegen, sehen sie ein Kohlenfeuer liegen und Fisch darauf liegen und Brot. Jesus spricht zu ihnen: Bringet her von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt. Da ging Simon Petrus hinauf und zog das Netz voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig, auf das Land; und wiewohl ihrer so viele waren, zerriss das Netz nicht. Jesus spricht zu ihnen: Kommt her, frühstücket. Keiner aber von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du?, da sie wussten, dass es der Herr sei. Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und gleicherweise den Fisch. Dies ist schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, nachdem er aus den Toten auferweckt war.

Die beiden Begebenheiten am Kohlenfeuer – einmal im Hof des hohepriesterlichen Palastes und zum anderen am See von Tiberias – haben von jeher den Bibelleser zum Vergleichen angeregt, und tatsächlich wird auf diese Weise vieles besonders deutlich.

Das ist übrigens nicht nur hier so. Andere Beispiele sind die beiden Fischzüge (Lk 5; Joh 21), die Gleichnisse von den Talenten und den Pfunden (Mt 25; Lk 19), die Gleichnisse vom Schatz im Acker und der Perle (Mt 13) oder auch manche Stellen in den Sprüchen. Die eigentliche Kraft der Belehrung liegt hier vielfach in den Gegensätzen oder auch in den oft nur feinen Unterschieden.

Bei den beiden Kohlenfeuern überwiegen allerdings die Gegensätze. Ob wir uns fragen, wer sie angezündet hat, ob wir sehen, in welcher Gesellschaft Petrus sich befand und wie sein Herzenszustand war, oder ob wir das Ergebnis betrachten: nichts als Gegensätze. Und ebenso gegensätzlich ist auch der Charakter der Fragen, die an den beiden Feuern gestellt werden.

Petrus befand sich im „Hof des Hohenpriesters“ am falschen Platz. Er, der seinem impulsiven Gefühl nach bereit gewesen war, mit dem Herrn „auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lk 22,33), war mit den anderen Jüngern geflohen, als der Herr sich von seinen Feinden binden ließ. Später folgte er dem Herrn „von ferne …, um das Ende zu sehen“ (Mt 26,58). Schließlich vermittelte ihm der „andere Jünger“ kraft seiner Beziehungen zu dem Hohepriester Zugang zu dem Hof, der dann der Ort des tiefen Falles für ihn wurde.

Mit Recht stellen wir fest, dass „der andere Jünger“ ja auch im Hof des Hohenpriesters war, aber den Herrn nicht verleugnet hat. Das lässt das Verhalten von Petrus noch ernster erscheinen und zeigt uns seine Unvorsichtigkeit, denn offenbar hat sich „der andere Jünger“ nicht am Kohlenfeuer niedergelassen, trotz der kalten Nacht. Oder war es vielleicht nur seine Bekanntschaft mit dem Hohepriester, die ihn an diesem Ort nicht so auffallen ließ wie Petrus? Wir wissen es nicht, denn das Wort Gottes schweigt darüber. Nur das wissen wir, dass „der andere Jünger“ bewahrt geblieben ist und Petrus nicht.

Lasst uns dieses bedenken: Es kann sein, dass ich mich frei fühle, an einen bestimmten Ort zu gehen oder etwas Bestimmtes zu tun, und dass es mir auch nicht zum Schaden ist. Aber wenn ich einem anderen dazu verhelfe, das Gleiche zu tun, kann es ihm zum Fallstrick werden. Wie sorgfältig sollten wir deshalb darauf bedacht sein, andere Gläubige, vor allem junge, nie in Situationen zu bringen, denen ihr Glaube nicht gewachsen sein könnte!

Wir können nicht umhin, in „dem anderen Jünger“ den Apostel Johannes zu erkennen, wenn er uns auch hier kein Vorbild ist wie sonst. Umso mehr erfreut es uns, zu sehen, dass dieser Vorfall keinen Schatten auf das Verhältnis der beiden Jünger zueinander geworfen hat. Am Auferstehungsmorgen treffen wir beide an der Gruft; in der letzten Szene des Johannesevangeliums finden wir sie gemeinsam in der Nähe des Herrn, und in der Apostelgeschichte sehen wir sie wiederholt einmütig und in der vollen Kraft des Geistes für ihren Herrn zeugen und wirken. – Wie nachahmenswert für uns, die wir so gern von der Mitschuld anderer sprechen, wenn es um unser eigenes Versagen geht!

Ja, Petrus war am falschen Platz. Das Kohlenfeuer der Welt verspricht Wärme, aber es entlässt den, der sie sucht, am Ende weinend in die Kälte. Wer sich wie Petrus daran niederlässt, muss sich Fragen gefallen lassen, Fragen, die eigentlich Gelegenheit zu einem klaren Zeugnis für den Herrn sein könnten, aber in dieser Umgebung nur zersetzend wirken, weil der Gläubige am falschen Platz keine Kraft zu einem Zeugnis hat. So geht es mit Petrus Schritt für Schritt abwärts. Drei Anläufe unternimmt der Feind, dann ist Petrus so weit, dass er „anfing, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Menschen nicht, von welchem ihr redet“ (Mk 14,71).

Wir leben in einer Zeit, in der es zum täglichen Leben gehört, alles Bestehende zu „hinterfragen“. Die schnellen Veränderungen auf allen Gebieten des heutigen Lebens bringen es mit sich, dass man Regeln und Anschauungen, die gestern als bewährt und richtig galten, heute in Frage stellt. Das mag im allgemeinen Leben durchaus seine Berechtigung haben, denn die Voraussetzungen, die zu dem Früheren geführt haben, bestehen vielfach nicht mehr.

Die Gefahr für uns als Gläubige besteht aber darin, dass dieser Geist des „Hinterfragens“ auch auf das Gebiet des Glaubens übergreift. Gott und sein Wort verändern sich nicht, und was gestern wahr war, ist es auch heute und bleibt es morgen. Wer sich aber am „Kohlenfeuer“ der Welt niederlässt, indem er nicht den nötigen Abstand wahrt zu ihren geistigen und sittlichen Einflüssen, der wird es erfahren, dass die Welt so lange mit ihren Fragen auf ihn eindringt, bis er jeden Boden unter den Füßen verloren und, „was den Glauben betrifft, Schiffbruch gelitten“ hat (1Tim 1,19). Es fehlt heute nicht an Stimmen, die sagen, es sei an der Zeit, auch in Bezug auf den Weg des Glaubens einmal alles in Frage zu stellen. Aber was mit dem Wort Gottes übereinstimmt – und allein darauf kommt es an –, braucht nicht in Frage gestellt zu werden; es ist und bleibt gut, auch wenn es bereits „Tradition“ geworden ist.

Wie ganz anders war es doch mit Daniel! Wohl kaum jemand hat in jungen Jahren in so engem Kontakt mit der Welt und ihrer Weisheit leben müssen und noch dazu so abhängig von ihr wie er und seine Freunde. Und doch fand Daniel den Mut, gleich zu Anfang dem höchsten Hofbeamten gegenüber klar für seinen Glauben einzutreten (Dan 1,8.9). Worin bestand der Unterschied? Allein darin, dass Daniel an dem Platz war, an den Gott ihn gestellt hatte. Das mag allen von uns zum Trost und zur Ermunterung sein, die sich in der Wahl ihres Berufs und ihrer Ausbildung von diesem Problem bedrängt sehen. Wo das aufrichtige Bedürfnis besteht, in Abhängigkeit vom Herrn und in seiner Gemeinschaft zu leben, da braucht man sich nicht zu fürchten. Hüten wir uns aber davor, der menschlichen Natur zu folgen, die am Kohlenfeuer der Welt etwas zu ihrer Befriedigung und für ihren Ehrgeiz zu finden sucht, und meiden wir die Gefahr, wo irgend wir können!

Der Herr Jesus ließ Petrus in seiner trostlosen Lage nicht fallen. Er wandte sich um und blickte ihn an. Dieser Blick traf sein Gewissen und wurde der Anknüpfungspunkt für das Werk der Wiederherstellung, das der Herr sogleich nach seiner Auferstehung fortsetzte (1Kor 15,5; Lk 24,34) und dann am See Tiberias besiegelte (Joh 21,15-19). – Wenn ein Gläubiger sich so weit in die Welt verstrickt hat, dass er die Stimme des Herrn nicht mehr hört, dann bleibt doch sein Blick auf ihn gerichtet. Aber man muss hinsehen, den Blick des Herrn wahrnehmen, sein Gewissen öffnen, auch wenn es Tränen kostet. Anders kann es keine Heilung geben.

Wenden wir uns nun der Szene am See von Tiberias zu, dann sehen wir den Herrn nicht länger im Hintergrund, sondern als Mittelpunkt des Geschehens. Noch während sich die Jünger in vergeblichem, eigenem Wirken abmühen, steht Er bereit. Dasselbe Herz, das in jener Nacht der Verleugnung für Petrus schlug und ihn nicht aufgab, schlug auch in dieser Nacht des eigenen Bemühens für seine geliebten Jünger. Doch nun dringt seine Frage an ihr Ohr: „Kindlein, habt ihr wohl etwas zu essen?“ Segensreiche Frage, die dem Herzen bewusst werden lässt, dass wir in uns selbst nichts haben und aus uns selbst nichts schaffen können; liebevolle Frage, die den Weg bahnt für den reichen Segen, den Er bereithält – welch ein Gegensatz zu den zersetzenden, alles zerstörenden Fragen der Welt!

Was mögen sie wohl empfunden haben, als sie dem merkwürdigen „Fremden“ ihr „Nein“ bekennen mussten? Es war ja keine Glaubenstat gewesen, dieser Fischzug, den Petrus unternommen hatte mit den Worten „Ich gehe hin fischen“. War da nicht schon wieder dieser Hang zur Unabhängigkeit, so kurz nach all dem Erlebten? – Ja, so sind wir, und wie manches Mal müssen auch wir enttäuscht über uns selbst erkennen, dass wir immer noch nicht dazugelernt haben. Aber der Herr überlässt uns nicht unserer Enttäuschung. Zu seiner Zeit greift Er ein.

Hier ließ Er das Boot mit sieben Mann, meist erfahrene Fischer, die ganze Nacht hindurch nicht einen Fisch fangen. Dann aber führt Er sie Schritt für Schritt zu dem von Ihm geplanten Segen. Auch für unser Leben kennt Er den richtigen Augenblick zum Eingreifen.

Wie gesegnet ist aber auch die Antwort der Jünger, dieses einfache, aufrichtige „Nein“! Da gibt es kein Suchen nach Begründung für den Fehlschlag, keine Entschuldigungen und Ausreden, und deshalb hindert auch nichts den Herrn daran, sofort zu segnen. – Auch wir müssen gewiss manches Mal dem Herrn unsere innere Leere und Armut bekennen. Lasst es uns aufrichtig und ohne Beschönigung tun und dann auf sein Wort hören. Er wird auch uns den Weg zu neuem, vermehrtem Segen öffnen. Nie sollten wir den Fragen, die der Herr durch sein Wort an unser Herz richtet, ausweichen, auch wenn wir etwas Beschämendes zu bekennen haben und uns das schwerfallen will. Er will segnen, will uns an sein „Kohlenfeuer“ führen, wo Wärme, Geborgenheit und Nahrung ist!

Der Herr schenkt jetzt den Jüngern Gelingen auf einem neuen Fischzug, entgegen allen Regeln der Fischerei. Johannes erkennt Ihn. Darauf wirft sich Petrus in den See, um zu Ihm zu schwimmen. Dieser Mann kann nicht abwarten, bis das Boot die zweihundert Ellen ans Land gefahren ist! Nichts hält ihn zurück, denn sein Gewissen ist befreit seit jener früheren Begegnung mit dem Herrn. Ja, nur ein beschwertes Gewissen kann uns von Ihm zurückhalten (Joh 20,4), nicht aber ein Misserfolg. – Und dann kommt das Schönste: Das Kohlenfeuer des Herrn Jesus brennt schon, und sein Segen liegt bereit.

Ihre Nahrung ist das, was Er bereitet hat, noch bevor sie ihren Fang eingebracht haben. Die wohlige Wärme seines Kohlenfeuers durchströmt sie, und seine Hand reicht ihnen das Brot und den Fisch. Ist es bei uns nicht ebenso? So groß und wertvoll es auch ist, wenn der Herr Gelingen gibt zu unserem Tun, unsere Nahrung kann doch nur das sein, was Er uns aus seiner Hand gibt. „Kommet her, frühstücket“, sagt der Herr auch zu uns. Tun wir es? Welch ein Vorrecht, aus der durchgrabenen Hand die Nahrung zu empfangen, und welch eine liebliche Gemeinschaft mit Ihm!

Vom Kohlenfeuer der Welt zum Kohlenfeuer des Herrn Jesus, das ist der Weg, den Petrus nahm. Mit Trauer müssen wir aber auch an so viele denken, die den umgekehrten Weg gegangen sind! Jahrelang haben sie mit anderen den Platz am „Kohlenfeuer“ des Herrn geteilt, vielleicht als Kinder gläubiger Eltern, und sind Teilhaber des Segens gewesen, den Er gab. Aber eines Tages wollten sie seine herzerforschenden Fragen nicht mehr ertragen. Sie zogen sich aus seinem Licht zurück und gingen auf die Welt zu, zunächst nur ein wenig. Hier glaubten sie diese unbequemen Fragen los zu sein. Aber dann kam die Welt auf sie zu und „hinterfragte“ alles, bis ihnen auch nichts mehr blieb. Die meisten fanden nie den Weg zurück.

Es ist kaum damit zu rechnen, dass solche diese Zeilen lesen. Und doch – wenn es nur einer wäre, der umkehrt, wie würde es das Herz des Herrn erfreuen!


Originaltitel: „Zweierlei Kohlenfeuer – zweierlei Fragen“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 43, 1989, S. 35–42

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