Was bei Gott Vorrang hat
Matthäus 26,6-9

Christian Briem

© CSV, online seit: 27.12.2005, aktualisiert: 08.06.2022

Leitverse: Matthäus 26,6-9

Mt 26,6-9: Als aber Jesus in Bethanien war, im Hause Simons, des Aussätzigen, kam eine Frau zu ihm, die ein Alabasterfläschchen mit sehr kostbarer Salbe hatte, und goss es aus auf sein Haupt, als er zu Tische lag. Als aber die Jünger es sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu diese Verschwendung? Denn dieses hätte um vieles verkauft und den Armen gegeben werden können.

Barsche, ungehaltene Worte aus dem Munde der Jünger! Sie hatten – wie uns Johannes 12,4 zeigt – Judas Iskariot zum Inspirator: „Wozu diese Verschwendung?“ – Was war denn geschehen, das derart den Unwillen der Jünger hatte erregen können? Ach, eine Frau war im Hause Simons herzugetreten, hatte Haupt und Füße des Heilandes mit echter, sehr kostbarer Narde gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren getrocknet. Liebliches Bild, Maria zu den Füßen des Herrn Jesus zu sehen! Lange hatte sie gewartet, hatte die Salbe „aufbewahrt“. Nun war der Augenblick gekommen, in dem sie Ihm, der nicht mehr lange bei ihnen sein würde, die ganze Zuneigung ihres Herzens zu Füßen legen konnte. „Während der König an seiner Tafel war, gab meine Narde ihren Duft.“ Wenn wahre Anbetung aus einem Herzen hervorströmt, wundert es uns, dass dann „das Haus von dem Geruch der Salbe erfüllt“ wird?

Richtige Prioritäten

Doch jetzt wird die heilige Andacht dieser Szene unterbrochen. Die Jünger treten tadelnd dazwischen: „Wozu diese Verschwendung? Denn dieses hätte um vieles verkauft und den Armen gegeben werden können.“ Hier tritt unvermittelt die Absicht Satans zutage, das Beschäftigtsein mit Christus als „Verschwendung“ zu brandmarken und es durch irgendeine christliche Tätigkeit zu ersetzen. Wie schade, dass die Jünger des Herrn dem Gift in den Worten Judas’ Iskariots erlagen, von dem wir zudem hören, dass sein Besorgtsein für die Armen nur vorgetäuscht war (Joh 12,6)! Wie traurig auch, wenn Satan in unseren Tagen Gelingen hat, unsere Herzen von der Beschäftigung mit unserem Herrn abzulenken, die Anbetung seiner herrlichen Person als zweitrangig und untergeordnet hinzustellen, um uns statt dessen in das „Tal der Werkleute“ (Neh 11,35) zu führen! Er versteht es auch, selbst eigenwillige Tätigkeit mit dem Mantel christlicher Nächstenliebe zu umgeben und den Worten des Unglaubens den Schein der Berechtigung zu geben. Denn wie viele „Arme“, wie viel Elend gibt es in der Welt! Doch wir haben es nötig, in unseren Tagen reger christlicher Tätigkeit, einer Tätigkeit fast um jeden Preis, an die Grundsätze Gottes erinnert zu werden, an Prioritäten, die Er ein für alle Mal in seinem Wort niedergelegt hat und die man nicht ungestraft umkehren kann.

Beschäftigung mit dem Wort – Verschwendung?

Nun ist es ohne Frage eine große Gnade, wenn Gott uns das Vorrecht verleiht, in Wahrheit dem Herrn Jesus dienen zu dürfen. Da wir aber von göttlichen Prioritäten reden, wollen wir uns zunächst die Frage vorlegen: Worauf erhebt der Herr Jesus, der uns so teuer erkauft hat, in erster Linie Anspruch? Ist es auf unsere Zeit oder auf unsere Kraft, auf unsere Fähigkeit, auf unseren Dienst für Ihn? Oder ist es auf unser – Herz? „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!“ (Spr 23,26) ist die Sprache des Herrn. Empfindet ein Herz, das ganz dem Herrn Jesus gehört, die Beschäftigung mit Ihm und seinem wunderbaren Wort als „Verschwendung“, als Vergeudung von Zeit und Kraft? Wenn wir in Kolosser 3 ermahnt werden, auf das zu sinnen, „was droben ist, wo der Christus ist“, kann dann dieses Beschäftigtsein in Gottes Augen „Verlust“ (Mk 14,4), verlorene Mühe sein? In Psalm 1 wird der Mann glückselig gepriesen, der seine Lust am Gesetz des HERRN hat „und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht“. David sagt in Psalm 27,4: „Eines habe ich von dem HERRN erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause des HERRN alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit des HERRN und nach ihm zu forschen in seinem Tempel.“

Das war auch das herzliche Verlangen der Maria. Schon bei einer früheren Gelegenheit sehen wir sie zu den Füßen des Herrn sitzen, um seinem Wort zuzuhören (Lk 10,39). In den Augen der Martha mag das angesichts all der Arbeit wie „Verschwendung“ aussehen: „Sage ihr nun, dass sie mir helfe.“ Wie aber sah es der Herr? „Martha, Martha! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge: Eines aber ist not“ (Lk 10,41.42). Doch selbst wenn wir die Gefahr, durch „vieles Dienen abgezogen“ zu werden, einmal beiseitelassen, was war wohl dem Herzen des Herrn Jesus köstlicher – und das ist doch der entscheidende Punkt! –, dass Martha Ihm ihr Haus oder dass Maria Ihm ihr Herz öffnete? Martha gab Ihm mit ihrem Dienen den Platz des Nehmenden, Maria zu seinen Füßen gab Ihm den Platz des Gebenden. Und „Geben ist seliger als Nehmen“.

Was der Herr lobt

Der Herr Jesus lässt alles, was aus Liebe zu Ihm geschieht, an seinem Platz stehen, auch das Dienen der Martha (vgl. auch Joh 12,2), aber Er zögert auch nicht, das Teil der Maria das „gute Teil“ zu nennen, „welches nicht von ihr genommen werden wird“ (Lk 10,42).

Und als die Jünger sie brüsk der Verschwendung zeihen, nimmt Er sie in rührender Weise in Schutz: „Was machet ihr ihr Mühe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ So ist „das gute Teil“: seinem Wort zuzuhören, und das „gute Werk“: Ihm Anbetung darzubringen, das glückselige Vorrecht der Maria.

Der Wert der Anbetung

In der Christenheit nimmt im Allgemeinen der Gedanke der Anbetung – wenn überhaupt – einen nur untergeordneten Platz ein; in den Gedanken Gottes aber steht die Anbetung seiner Person an erster Stelle: „Der Vater sucht solche als seine Anbeter“ (Joh 4,23). Ehe Abraham oder Gideon den Altar des Zeugnisses und des Dienstes bauten, hatten sie den Altar der Anbetung gebaut (1Mo 12,7; Ri 6,24). Gewiss, der Unglaube wird es „Verschwendung“ nennen, so wie Pharao das Volk Israel, das der HERR in der Wüste opfern wollte, der „Trägheit“ beschuldigte: „Ihr seid träge, träge seid ihr!“ (2Mo 5,17). Wir werden, wenn wir Christus und seinen Anrechten den Vorrang einräumen, ebenso wie Maria falsch verstanden werden. Aber was macht das, wenn wir nur die Billigung des Herrn und Meisters haben!

Heiliges Priestertum – königliches Priestertum

Und hier noch ein weiteres Beispiel göttlicher Rang- oder Reihenfolge: In 1. Petrus 2 wird uns zuerst gezeigt, dass die Gläubigen ein „heiliges Priestertum“ sind, „um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlannehmlich durch Jesus Christus“, ehe wir in Vers 9 erfahren, dass sie auch ein „königliches Priestertum“ sind, um nun der Welt „seine Tugenden“ zu verkündigen (1Pet 2,5.9). Wir dürfen also zuerst als heilige Priester herzunahen, um vor Gott Opfer des Lobes und Dankes darzubringen, um das vor Ihn zu bringen, was von der Person seines geliebten Sohnes, unseres Herrn, redet und was der Heilige Geist unseren Herzen von der Person und dem Werk Jesu hat kostbar machen können. Dann dürfen wir aber auch als königliche Priester – den Dienst des wahren Melchisedek gleichsam vorwegnehmend – aus dem Heiligtum heraustreten, um – nun zur Welt gewandt – die Herrlichkeiten und Vortrefflichkeiten Gottes in praktischer und wohltätiger Weise vor sie zu bringen, das, was wir im Heiligtum gesehen und gelernt haben. Das ist in der Tat wahrer Dienst! Diese „Verkündigung“ ist indessen, wie eben schon angedeutet, weniger eine Predigt durch Worte als durch unser ganzes Leben und Betragen.

Der treue und kluge Knecht

Wenden wir uns schließlich noch als letztem Beispiel dem zu, was der Herr Jesus über den „treuen und klugen Knecht“ in Matthäus 24,45-51 sagt. Der Herr hatte ihn mit der bestimmten Absicht über sein Gesinde gesetzt, „ihnen die Speise zu geben zur rechten Zeit“. Es lag Ihm daran, dass die, die seinem Herzen so nahe sind, während der Zeit seiner Abwesenheit mit jeder geistlichen Speise reichlich versorgt würden. Und würde Er ihn bei seinem Kommen „also tuend“ finden, „glückselig“, sagt der Herr Jesus, „jener Knecht“.

Es ist ein schmerzlicher Beweis des niedrigen Zustandes der Gemeinde in unseren Tagen, dass selbst Kinder Gottes den Dienst an solchen, die drinnen sind, als „Verschwendung“ ansehen: Warum predigt ihr nicht lieber solchen, die draußen sind, und führt sie zur Erkenntnis Christi? Das ist zweifellos auch sehr wichtig, aber es ist nicht das Erste, worauf der Herr Jesus den Nachdruck legt. Der treue und kluge Knecht sollte mit denen drinnen beschäftigt sein und ihnen die Speise geben zur rechten Zeit. Das war der Wille des Herrn für ihn.

Erst ab Matthäus 25,14 kommt der Herr im Gleichnis von den Talenten auf den Dienst nach außen zu sprechen, auf die Aktivität der Gnade, die ausgeht, sowohl um Sünder zu suchen als auch um die Wahrheit Gottes auszubreiten. Was für eine gesegnete Tätigkeit ist auch dies!

So hat also bei dem Herrn alles seinen Platz und seine Zeit. Er jedenfalls setzt den Gehorsam vor Schlachtopfer und das Aufmerken vor das Fett der Widder (1Sam 15,22). Wenn unsere Herzen auf Ihn gerichtet und wir mit seinen Gedanken in Übereinstimmung sind, dann wird uns statt Unrast sein Friede erfüllen. Dann brauchen wir uns nicht nach dieser Tätigkeit oder jenem Dienste auszustrecken oder gar zu drängen. Wenn seine Zeit gekommen ist, wird Er vielleicht mehr Arbeit und Aufgaben vor uns hinlegen, als wir im Augenblick erfüllen können.

Zusammenfassung

Fassen wir einmal kurz zusammen: In den Gedanken Gottes gibt es Vorrangigkeiten, ohne dass dadurch die nachgeordneten Dinge beiseitegesetzt werden oder an Wert verlieren. Wir können aber das Zweite nicht vor dem Ersten tun.

Wahrer Dienst für Christus hat seine Vorgeschichte im Heiligtum. Er findet in der Liebe zu Ihm seine Quelle, in dem Gehorsam gegen sein Wort seine Richtschnur und in der Verherrlichung Christi sein Ziel. Fehlen einer Tätigkeit diese Merkmale, so mag sie „christlich“ genannt werden, sie ist es aber nicht, denn sie setzt den Menschen an die Stelle Christi. Sollte jemand zu uns kommen und das Teil und Werk, das der Herr Jesus selbst „gut“ nennt, als „Verschwendung“ abtun, so lasst uns auf der Hut sein: Es ist nicht die Stimme unseres Meisters!


Originaltitel: „Was bei Gott Vorrang hat“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 47, 1993, S. 136–142


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