Ewiges Leben (2)
Der Begriff „Leben“ in den Schriften der Apostel Johannes und Paulus im Vergleich

William Joseph Lowe

© SoundWords, online seit: 10.06.2012, aktualisiert: 16.02.2022

Wir kommen nun dazu, die Lehre des Paulus zu betrachten. Und hier zitiere ich den Einführungsabschnitt aus Grants Abhandlung:

Meine erste Behauptung ist, dass wir kraft des Lebens in Ihm „in Christus sind“. In Römer 6,11[1] wird das deutlich: „So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebend in Christus Jesus“, und wiederum spricht Römer 6,23 davon: „Die Gnadengabe Gottes aber ist ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“

Das ist die Lehre des Paulus; die des Johannes ist parallel und doch unterschiedlich: „Gott hat uns ewiges Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn“, und wiederum: „Wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1Joh 5,11.20).

Es ist wohl nicht möglich, die Parallelität dieser Ausdrücke in Zweifel zu ziehen. In demselben Sinn, in dem Paulus versichert, dass wir Leben in Christus besitzen, versichert Johannes, dass wir es im Sohn besitzen. Es handelt sich natürlich um ein und dieselbe Person; der Unterschied besteht darin: Während der Sohn Gottes dies schon immer war, ist „Christus“ als solcher erst geworden; und Er wurde dies nicht einfach als Mensch, der in diese Welt hineingeboren wurde, sondern vielmehr als nach seinem vollendetem Werk auferstandener und zum Himmel aufgefahrener [Christus][2], wie Petrus es zu Pfingsten verkündigte: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind“ [Apg 2,32], und: „Gott hat ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“ (Apg 2,36). Daraufhin wurde der Heilige Geist als Bestätigung ausgegossen.

Deshalb: In demselben Augenblick, in dem jemand Leben in dem Sohn besitzt, hat er auch Leben in dem Christus, denn der Sohn ist Christus.

In Bezug auf das oben Gesagte möchte ich die Aufmerksamkeit beispielhaft auf die charakteristische Argumentationsweise lenken, wobei zu bedenken ist, dass der erste Absatz nach genauer Überprüfung verlangt, wohingegen der zweite Absatz irreführend ist, wie der Leser augenblicklich erkennen wird; der dritte Absatz, der auf der Parallelität [der Aussagen] beharrt, ist ganz einfach falsch; und der vierte Absatz beruht auf einer rationalen Schlussfolgerung.

Grant behauptet, dass in demselben Sinn, in dem Paulus versichert, dass wir Leben in dem Christus besitzen, Johannes versichert, dass wir es in dem Sohn besitzen. Ist der Sinn [wirklich] derselbe? Fühlt nicht jeder Christ beim Lesen der zitierten Abschnitte, dass „Christus“ und „der Sohn“ keineswegs austauschbare Begriffe sind? Der Apostel sagt in Galater 2,20: „Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich im Glauben, durch den an den Sohn Gottes.“ Aber sagt er, dass „der Sohn Gottes in ihm lebt“? Oder wird etwa in Galater 4,19 gesagt, dass der Sohn Gottes in uns „Gestalt gewinnt“? Jeder Christ würde einen solchen Gedanken zurückweisen. In Kolosser 3,4 finden wir die Aussage, dass „Christus unser Leben“ ist, aber wo wird gesagt, dass „der Sohn unser Leben“ sei? Und wo wiederum wird dies in Bezug auf das ewige Leben als charakteristisch behauptet? … Sondern: „Dieses Leben ist in dem Christus.“ Diese Idee der Parallelität verrät das ganze System, indem sie die kostbaren Absichten des geschriebenen Wortes [Gottes] zerstört.

In Christus – im Sohn

Dies wird noch deutlicher, wenn wir uns die „Lehre des Paulus“ näher anschauen. Schon bei dem ersten ins Auge fallenden Unterschied zwischen Paulus und Johannes fällt uns sofort auf: Johannes zeigt den Charakter des Lebens an sich, wohingegen sich Paulus mit der Stellung des Gläubigen beschäftigt, mit dem Bereich, in dem das Leben offenbar wird. „In Christus“ beschreibt die Stellung, in die Gott mich versetzt hat, und als solches besitzt [dieser Ausdruck] in jedem Abschnitt seinen besonderen Wert; und er steht darüber hinaus im Gegensatz zu „in Adam“ als verantwortlichem Menschen; und damit führt er uns in ein Verhältnis zu Gott und in eine Segensordnung, in der Adam niemals stand. „Im Sohn“ spricht davon, was das Leben in sich selbst ist, spricht über seine Natur und sein Wesen, das wir nur in Ihm, dem Sohn, besitzen können.

Eben jener aus Römer 6,23 zitierte Vers lässt uns den Unterschied erkennen: „Die Gnadengabe Gottes ist ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“ – „Jesus, unser Herr“ (angefügt an „Christus“) vermeidet geradezu eine beschreibende Aussage darüber, was Leben ist; aber es bringt in gesegneter Weise die Beziehung zu Christus zum Ausdruck, in die wir durch Gottes Gnade gebracht sind, die uns „ewiges Leben“ geschenkt hat. Überdies: Bei der besonderen Sichtweise auf den Begriff „ewiges Leben“, die wir hier (Röm 2,7) und im ganzen Römerbrief finden, geht es um den Zustand des Lebens, in das wir folgerichtig in naher Zukunft versetzt werden; und „Gott … lebend“ [Röm 6,11] sowie „ewiges Leben“ andererseits sind keine synonymen Begriffe. Dieser Vers zeigt uns auch, was der Glaube uns zurechnet, indem auf uns angewandt wird, was in Bezug auf die Stellung Christi absolut wahr ist, nämlich dass [„unser Leben verborgen ist mit dem Christus in Gott“ und dass „es mit ihm offenbart werden wird in Herrlichkeit“; Kol 3,3.4]. Wir kennen Ihn als den Christus, als Jesus, als Herrn. Demgegenüber spricht „im Sohn“ von der Beziehung zu Gott, dem Vater, und beschreibt das Leben, dessen Vermittler und Spender der Sohn ist. Wie kann man behaupten, dass die beiden Begriffe parallel zu gebrauchen sind und denselben Sinn haben?

Der Brief an die Galater

Wir wollen uns kurz mit dem Brief an die Galater beschäftigen, der der einzige Brief des Paulus ist, in dem seine Art zu lehren vielleicht am meisten der des Johannes nahekommt. Es war das Christentum selbst, das dort durch den Einfluss judaisierender Lehrer in Frage gestellt wurde, und der Apostel musste dessen eigentliche Grundlage erneut legen. Das erste Kapitel, in dem Paulus von seiner Bekehrung berichtet, stellt eine gute Gelegenheit dar, daran zu erinnern, wie Gott in besonderer Weise sein auserwähltes Gefäß vorbereitete, um die Wahrheit zu verkünden. Johannes hatte den Herrn persönlich auf dieser Erde gekannt; er ruhte in seinem Schoß und erfreute sich seiner Liebe. Paulus, „gleichsam eine unzeitige Geburt“ [1Kor 15,8], wurde in seinem Lauf der religiösen Verblendung gegen Christus dadurch aufgehalten, dass er Christus im Himmel sah und indem er selbst umhüllt wurde von „Licht, das den Glanz der Sonne übertraf“ [Apg 26,13]; und hörte seine Stimme zarter Gnade – Worte, die das Einssein der Glieder auf der Erde mit dem Haupt im Himmel verkündeten. Johannes hatte die Aufgabe, zu entfalten, was der Herr als Person, als Sohn des Vaters, als das Fleisch gewordene Wort, das „ewige Leben“ war. Paulus wurde das Evangelium Gottes anvertraut, um es unter den Nationen zu predigen, sowie die Offenbarung des Geheimnisses vom Leib und der Braut Christi [zu verkündigen] ebenso wie das Wiederkommen des Herrn als Hoffnung der Gemeinde. Ebenso war es ihm anvertraut, die Wahrheiten – ganz allgemein – [zu verkündigen], die in der himmlischen Berufung der Gläubigen enthalten sind, sowohl als gegenwärtiges Teil (Epheserbrief) als auch als zukünftige Hoffnung (Hebräerbrief).[3] Der gegenwärtige Platz Christi in Herrlichkeit nach vollbrachter Erlösung, als Sohn des Menschen und als Sohn Gottes, sowie das folgerichtige Kommen des Heiligen Geistes sind die Grundlage aller Teilhabe an den Segnungen, sowohl bei Johannes als auch bei Paulus. Aber Ersterer beschäftigt sich besonders mit den Wahrheiten in Bezug auf die Person, während Letzterer sich mit dessen Platz sowie der Stellung der Christen beschäftigt. Von den Lehrbriefen des Paulus ist der an die Galater derjenige, der am wenigsten über die Stellung spricht: nichts über das gegenwärtige Teil und nur ein einziges Mal anspielend auf die Hoffnung des Gläubigen (Gal 5,5). Die Person Christi und sein Kreuz werden uns vorgestellt, denn darauf beruht alles, was die Grundlage des Christentums ist.

In den Eröffnungsversen wird in ungewohnter Weise das Verhältnis zu Gott, das die augenblickliche Haushaltung kennzeichnet, betont. In den ersten vier Versen wird dreimal der „Vater“ erwähnt, in keinem anderen Brief des Paulus finden wir dasselbe. In Galater 1,16 beschreibt der Apostel seine Bekehrung so, als habe Gott großes Wohlgefallen daran gefunden, [gerade] durch ihn „seinen SOHN zu offenbaren; und in Galater 2,20 sagt er: „Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich im Glauben, durch den[4] an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Das kennzeichnete seinen Dienst, wie wir auch aus Apostelgeschichte 9,20 erfahren: „Und sogleich predigte er in den Synagogen Jesus, dass dieser der Sohn Gottes sei.“ In den ganzen ersten zwei Kapiteln [des Galaterbriefes] bestätigt er dies, indem er gegen den Judaismus argumentiert, der in Jerusalem am Wirken war und dem sogar Petrus erlag, als in Antiochien „einige von Jakobus“ [Gal 2,12] ankamen. Das heißt, [Paulus] bezeugte, dass das Christentum alles davor Gewesene ersetzte.

Wenn er in den folgenden vier Kapiteln auf die Gegenwart des [Heiligen] Geistes in dem Gläubigen zu sprechen kommt, dann besteht er auf das Klarste und in positiver Weise auf der umfänglichen Veränderung, die das KREUZ bewirkt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte ein Zustand der Knechtschaft unter die Elemente der Welt, und das Gesetz war der Zuchtmeister: Die Sohnschaft war [noch] nicht geoffenbart, war unbekannt. Erst nach erfolgter Versöhnung wurde die Annahme in diesem Sinn [als Söhne Gottes] möglich[5]; und weiter heißt es: „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater! Also bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn; wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott“ (Gal 4,6.7).

Hier nun finden wir die volle Bestätigung der Wahrheit, die uns Johannes in Bezug auf das ewige Leben in seinem Evangelium vorstellt. Das Kreuz ist die Grundlage und der Anfang dessen, was uns – Juden wie Heiden – anbetrifft: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“ [Joh 12,24]. „Adoption“ – das heißt Sohnschaft (die Beziehung des Sohnes zum Vater) – ist die Erklärung, die unser gelobter Herr in Bezug auf das ewige Leben gibt: „Leben im SOHN“. Und dass dies am Kreuz begann, ist die Lehre des Galaterbriefs. Im Rückblick das Gegenteil zu behaupten, würde bedeuten, die ganze Lehre des Galaterbriefs zu leugnen und dem Wirken der judaisierenden Lehrer Raum zu geben, gegen die der Apostel so hart stritt. „Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, so erweise ich mich selbst als Übertreter. Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit dem Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,18-20). Und Gott schenkt den Geist – „den Geist seines SOHNES“ [Gal 4,6] – allen, die Söhne sind, damit sie in bewusster Freude über diese Sohnschaft ausrufen mögen: „Abba, Vater!“

Das Kreuz war der Tod des religiösen Saulus, des eifersüchtigen Verfolgers der Gläubigen; es war der Fallstrick der Juden, eine Beleidigung für die judaisierenden Lehrer; doch obwohl Paulus dafür Verfolgung erlitt, war es seine Herrlichkeit – denn genau da fand er seine Erfüllung; dort war „sein Fleisch gekreuzigt“ worden, genau da war er von der Welt abgesondert worden (Gal 2,20; 3,1; 5,11; 5,24; 6,12; 6,14).[6]

Nicht so sehr der Tod Christi, gefolgt von seiner Auferstehung – wie er im Brief an die Römer vorgestellt wird –, steht hier [im Galaterbrief] im Vordergrund (denn dies wird mit Ausnahme der Eingangsverse nicht einmal erwähnt), sondern das Kreuz steht im Mittelpunkt der Wege Gottes mit den Menschen, indem es alles Vorherige zu Ende bringt und den Glauben an Christus[7]einführt, durch den Gerechtigkeit kommt (Gal 2,16.21); und darauf beruht die Hoffnung (Gal 5,5) – eine Hoffnung, die wir durch den Geist besitzen –, denn „der Glaube wirkt durch die Liebe“ [Gal 5,6].

Das Gesetz ist absolut unkompatibel mit dem neuen Zustand der Dinge. Der Fluch des Gesetzes manifestierte sich am Kreuz, denn „er ist ein Fluch geworden für uns“ [Gal 3,13]; und dadurch öffnet sich die Segenstür sowohl für die Nationen als auch für die Juden (Gal 3,14), wie tatsächlich bereits angedeutet durch eben jene Verheißung, die der Apostel aus 1. Mose 12,3 zitiert: Die Segnung kann jetzt nicht mehr allein einen jüdischen Charakter haben. „Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Söhne“ [Gal 3,7]. „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war“, kam Christus, geboren unter Gesetz, „damit er die, die unter Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Sohnschaft“ in Gerechtigkeit empfingen (Gal 4,1-5), denn wir alle waren „unter die Sünde eingeschlossen“ (Gal 3,22). Im Kreuz kommt auch die Macht des Gesetzes als Zuchtmeister an ihr Ende, die Knechtschaft wird beendet; wir stehen nicht länger „unter Gesetz“[8], denn „ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus“ (Gal 3,26); und jetzt drückt sich Christsein darin aus, dass wir „Christus angezogen haben“. Der Eintritt geschieht durch die Wasser des Todes, bildlich dargestellt in der Taufe (Gal 3,23-27), die die ganz persönliche, individuelle Anwendung des Kreuzes Christi darstellt: Der Glaube nimmt das so an. Das Leben, das mit mit dem Kreuz beginnt, ist gekennzeichnet durch den „Glauben an den Sohn Gottes“ und durch das Kreuzigen des Fleisches und der Welt, das sinngemäß [in der Taufe] geschieht. Der „Glaube wirkt durch die Liebe“ [Gal 5,6], und die Liebe, deren Gegenstand wir sind und die ihren Ausdruck im Kreuz findet, ist die moralische Kraft für unseren Wandel. Das kennzeichnet die „neue Schöpfung“ [2Kor 5,17] (vgl. Gal 5,5.6 und Gal 6,15). Der Heilige Geist gießt [all das] aus in unsere Herzen und schenkt den Seelen all derer, die nach dem Geist geboren sind, Freude an der Freiheit der Sohnschaft. „Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln“ (Gal 5,25).

„In Christus Jesus“[9] definiert die neue Stellung vor Gott, wo jeglicher Unterschied zwischen Juden und Nationen verschwindet (Gal 3,28).

Wir stellen dann fest, dass Paulus, obgleich er diese in diesem Brief nicht entfaltet, die Wahrheit bezüglich des Lebens in vielerlei Hinsicht in ähnlicher Weise entwickelt wie Johannes, nicht jedoch bezüglich der Auswirkungen auf diejenigen, die [das Leben] besitzen; statt dessen stellt er uns Christus als den Einen vor, in dem Gott uns eine völlig neue Stellung vor sich selbst geschenkt hat. Christus, der Gegenstand aller Verheißungen, ist der Eine, in dem wir jetzt Segen empfangen, Segen, der durch das Kreuz unser wird; denn dort wurde die Erlösung vollbracht, durch die wir des Christus wurden (Gal 3,29).

Der Brief an die Römer

Es darf jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass „in Christus“ immer dasselbe bedeutet, wenngleich es auch immer seinen besonderen Wert besitzt, soweit es die Person Christi und unsere Stellung vor Gott in Ihm betrifft. Aber das [ganze] Ausmaß dieses Ausdrucks hängt davon ab, in welcher Weise Christus an der jeweiligen Stelle vorgestellt wird. Und so finden wir im Römerbrief seinen Tod und seine Auferstehung; sein Platz in der Herrlichkeit wird nur in Form einer Einschaltung in Römer 8 erwähnt, und das in Bezug auf uns als Hoffnung. Dagegen ist im Epheserbrief sein Platz in den „Himmlischen“ die Grundlage der Wahrheit, die uns in Verbindung mit den Ratschlüssen Gottes vorgestellt wird.

Im Römerbrief wird der Mensch in seiner ganzen Sünde gesehen, ein verdorbenes, schuldbeladenes Geschöpf, Gegenstand des Zornes Gottes. Das Blut Christi begegnet seinem Zustand in richterlicher Weise, so dass Gott, der das ganze Ausmaß des Bösen und Verdorbenen festgestellt hat, seine Sünden vergeben kann, indem Er dem, der an Jesus glaubt, dessen Gerechtigkeit zurechnet (Röm 1–5,12). Der Tod Christi begegnet seiner völligen Unfähigkeit zu Gutem, so dass der Gläubige akzeptieren muss, dass er mit sich selbst am Ende ist, um sodann die Rechtfertigung von Sünde (nicht bloß von Sünden) zu finden; ein neues Leben öffnet sich ihm in der Auferstehung Christi, eines Lebens aus der Kraft des Heiligen Geistes (Röm 5,12–8).

Sünde und Tod waren in die Welt gekommen; und das Gesetz kam, damit die Übertretung überströmend würde (Röm 5,12.20). Aber der Tod hat keine Gewalt mehr über den auferstandenen Christus, und als in Ihm lebendig Gemachte hat die Sünde ihre Macht [auch] über uns verloren, und auch das Gesetz hat seine Macht verloren, denn wir „sind dem Gesetz gestorben“ (Röm 6,9-14; 7,1-6). „In Christus Jesus“ beschreibt seine neue Stellung, wo es keine Verdammnis mehr für uns gibt und keine Trennung von der Liebe Gottes [Röm 8,39]. Und durch den Geist, der in dieser neuen Sphäre wirksam ist, wird die Kraft des Lebens „in Christus Jesus“ in vollkommener Weise in Ihm manifestiert – wir sind „frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“ [Röm 8,2].

Der Epheserbrief betrachtet die Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel: Der Mensch wird als tot in Sünden gesehen, und Gott schafft in Übereinstimmung mit seinem eigenen Ratschluss vor Grundlegung der Welt in Christus eine neue Schöpfung. Der „neue Mensch“ wird nach Gottes [Plan] in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffen (Eph 4,24). In diesem Brief beinhaltet [der Ausdruck] „in Christus“ einen gegenwärtigen himmlischen Platz, ein himmlisches Teil in der Gegenwart des Gottes und Vaters unseres Herrn Jesus Christus für den Gläubigen. Folglich geht es hier wie auch im Kolosserbrief überhaupt nicht um Rechtfertigung; wobei der Kolosserbrief eine Art Zwischenstellung zwischen dem Römer- und dem Epheserbrief einnimmt, indem er allerdings mehr den Charakter des Epheserbriefes hat, weil er uns Christus sowohl als unser Leben als auch als unser Haupt vorstellt und uns darüber hinaus die Hoffnung der Herrlichkeit vorstellt.

All dies ist ausgiebig von anderen entwickelt worden, und ich will nicht erneut darüber sprechen, außer dass ich zwei Punkte anmerken möchte, die wir bereits kurz gestreift haben: erstens die unterschiedliche Weise, in der wir als mit dem Christus verbunden in den drei Briefen beschrieben werden, und zweitens die Art und Weise, in der Gottes Leben schenkendes Wirken im Epheser- wie im Kolosserbrief vorgestellt wird.

Der Brief an die Römer beginnt mit der Darlegung des Gegenstands des „Evangeliums Gottes“ [Röm 1,1], vor Zeiten in den heiligen Schriften [des Alten Testaments] verheißen durch die Propheten, und zwar „über seinen Sohn (der aus dem Geschlecht Davids gekommen ist dem Fleisch nach und erwiesen ist als Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung), Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 1,3.4). Dies prägt die Wahrheit, wie sie in dem ganzen Brief weiter erläutert wird. In der Auferstehung wird Er beschrieben als Sohn Gottes in Macht: „Christus ist aus den Toten auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters“ (Röm 6,4). Und folglich werden wir in eine Beziehung zu Gott, der Ihn auferweckt hat, gebracht – das Ergebnis seines Todes für uns. Und nun sollen wir in Neuheit des Lebens wandeln und in Neuheit des Geistes dienen.

Der Brief entwickelt jedoch nicht [dieses Thema] der Beziehung in Verbindung mit dem Namen des Vaters, sondern entfaltet vor uns die Wahrheit der Gerechtigkeit Gottes, die jetzt zum ersten Mal im Evangelium offenbart wird als „Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: ,Der Gerechte aber wird aus Glauben leben‘“ (Röm 1,16.17). Der Glaube ist in Ihm, „der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat“, und in dessen Blut, denn Er ist „unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm 4,24.25).

Betrachten wir, wie weit diese Rechtfertigung geht. Ihre Anwendbarkeit „gegen alle [Menschen]“ finden wir in Römer 5,18, ihre Wirksamkeit für „die vielen“ in Römer 5,19: „Also nun, wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens. Denn so wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden“ (Röm 5,18.19). Es ist nicht bloß die Befreiung von der auf uns liegenden Last der Sünde, sondern setzt sich fort in dem Leben, das in der Auferstehung des Herrn offenbar wird, das sich der Glaube nun aneignet, so dass wir uns „als Lebende aus den Toten“ (Röm 6,13) Gott übergeben. Es ist ein Leben, das wir in seinem ganzen Ausmaß bei Ihm in Herrlichkeit erkennen werden, wenn Er als der Erstgeborene vieler Brüder offenbart sein wird. Nichts weniger als das kann die Tatsache herausstellen, dass der Herr Sohn Gottes in der Kraft seiner Auferstehung nach dem Geist der Heiligkeit ist. Deshalb warten wir auf unsere „Aufnahme“, die Erlösung unseres Leibes, denn – wie beiläufig in Römer 8 erwähnt wird – wir sind in Verbindung mit dem Wirken des Geistes zuvorerkannt von Gott und „zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“ [Röm 8,29], so dass die Berufung, die Rechtfertigung und die Verherrlichung untrennbar miteinander verbunden sind.

In Römer 5 wird auf ganz wunderbare Weise die Wirkung der überwältigenden Gnade Gottes im Gegensatz zur durch einen Menschen in die Welt gekommenen Sünde und dem dadurch herrschenden Tod dargestellt: [„So ist viel mehr die Gnade Gottes und] die Gabe in Gnade, [die durch den einen Menschen, Jesus Christus, ist,] zu den vielen überströmend geworden“ (Röm 5,15). „Die Gnadengabe aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit“ bedeutet hier einen Zustand bleibender Gerechtigkeit (Röm 5,16); und das bedeutet, dass solche, die die überströmende Gnade und das kostenlose Geschenk der Gerechtigkeit empfangen haben, „im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus“ (Röm 5,17). In Vers 21 werden diese drei Dinge erneut erwähnt: Gnade, Gerechtigkeit, ewiges Leben: „Das Gesetz aber kam daneben ein, damit die Übertretung überströmend würde. Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden, damit, wie die Sünde geherrscht hat im Tod, so auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,20.21).

Im Römerbrief finden wir als Gegenstand die Gerechtigkeit Gottes, die offenbart wurde, nachdem alle gesündigt haben „und nicht die Herrlichkeit Gottes erreichen“ (Röm 3,23) – Gottes Gerechtigkeit für alle durch den Glauben an Jesus Christus, seien es Juden oder Heiden. Der einzige Weg, mit dem Menschen zu handeln, ist der des Todes, sowohl was dessen persönliche Schuld als auch was seinen Zustand der Verderbnis und Kraftlosigkeit angeht. Aber Gott ist ihm in Gnade im Tod seines eigenen Sohnes begegnet, Er hat uns seine Liebe erwiesen, indem Er Ihn nicht geschont hat, und durch sein vergossenes Blut wurde Christus zu einem „Gnadenstuhl“ [Röm 3,25]. Er wurde von Gott zum Mittler zwischen Ihm und dem sündigen Menschen bestimmt [vgl. 1Tim 2,5; Heb 8,6]. Durch den Tod seines Sohnes sind wir mit Gott versöhnt (Röm 3–5,12). Dasselbe Prinzip des Todes – auf andere Weise auf die Seele angewandt – schafft Befreiung von allem, was hindern kann, wahre Frucht für Gott zu bringen. Denn in [unserem] Fleisch wohnt nichts Gutes. Wenn auch das Fleisch erzogen und „poliert“ werden mag, so bleibt es doch Fleisch, und in all seinen Regungen zeigt sich Feindschaft gegen Gott. Allein der Tod befreit von seiner Wirksamkeit und von den Taten, die allesamt böse sind. Das Kreuz ist das Ende des alten Menschen, „juristisch“ und praktisch (Röm 6,6). Christus starb für die Sünde ebenso wie für unsere Sünden; und wenn unser Glaube dies annimmt und praktisch anwendet, finden wir Befreiung von uns selbst; dann treten wir in der Folge praktisch ein in die „Neuheit des Lebens“ – „wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters“ (Röm 6,4). Und so gilt für uns die Ermahnung, uns selbst Gott zu übergeben als Lebende aus den Toten und unsere Glieder für Ihn als Werkzeuge der Gerechtigkeit bereit zu machen als „Sklaven der Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Röm 6,18.22).

Der Tod Christi ist das, was uns hier zugerechnet wird, dargestellt in der Taufe; und unser Tod ist ein Der-Sünde-Gestorbensein. Als Folge wird uns das Leben mit dem Christus vorgestellt, die Hoffnung auf Erlösung des Leibes, auf die wir geduldig warten (Röm 8,23-25): „Denn wenn wir mit ihm einsgemacht worden sind in der Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in seiner Auferstehung sein“ (Röm 6,5). „Wenn wir aber mit dem Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden“ (Röm 6,8). Und noch einmal in Römer 8,11: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes.“

Der Brief an die Kolosser

Im Kolosserbrief, wo „Christus, unser Leben“ der Gegenstand ist und nicht das Innewohnen des Geistes wie im Epheserbrief, werden wir gesehen als solche, die „fähig gemacht sind zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“ (Kol 1,12), nachdem wir von der „Gewalt der Finsternis errettet und versetzt worden sind in das Reich des Sohnes seiner Liebe“ (Kol 1,13). Nun ist „Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27). Und zweitens sind wir „vollendet in ihm, der das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist“ [Kol 2,10]. Hier werden uns sowohl die Auferstehung als auch der Tod Christi zugerechnet. Christus, in dem „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ [Kol 2,9], ist hier unser Gegenstand, unser Leben, unser Teil, unser Haupt ebenso, wie er Ausdruck unserer Hoffnung ist. Wir sind mit Ihm gestorben und auferstanden „durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Kol 2,12). Wir sind der Welt gestorben (Kol 2,20), nicht nur der Sünde, wie es im Römerbrief dargestellt wird. Und auferweckt mit dem Christus werden wir ermahnt, auf das zu sinnen, „was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes“ [Kol 3,2], „und nicht auf das, was auf der Erde ist, denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). „Wenn Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Christus als Gegenstand unserer Herzen ist „alles und in allen“ (Kol 3,11).

Der Brief an die Epheser

Im Epheserbrief sind wir in der Gegenwart der göttlichen Ratschlüsse, in seinem „Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat für sich selbst“ [Eph 1,9] und das seinen Ausdruck und seine Mitte findet in Christus: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten, in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut“ (Eph 1,3-7). In diesem Brief sind wir nicht bloß auferstanden, sondern darüber hinaus – als mit dem Heiligen Geist der Verheißung Versiegelte – fähig gemacht, Juden wie Heiden, in CHRISTUS JESUS in den himmlischen Örtern zu sitzen (Eph 2,6). „In Christus“ und durch sein Blut haben wir nicht nur die Vergebung der Sünden empfangen, sondern wir, die wir einst fern waren, sind in die Nähe Gottes gebracht (Eph 2,13), wo wir Ihn als den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus kennenlernen dürfen.

Im ersten Kapitel und im ersten Teil des zweiten Kapitels bis Vers 10 wird uns das Wirken Gottes vorgestellt, von Kapitel 2,11 an ist es das Wirken Christi.

Das bringt uns zu dem zweiten bereits oben erwähnten Punkt, nämlich der Art und Weise, in der in diesen beiden Briefen darüber gesprochen wird, dass wir „mit dem Christus lebendig gemacht“ werden – die einzigen beiden Stellen, in denen wir diesen Ausdruck finden. Es ist Gottes Werk, der Ausfluss seiner Liebe; und Christus wird als „im Tod“ gesehen sowie als auferstanden aus dem Tod. In Epheser 2,4-7 lesen wir: „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, hat auch uns, als wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr errettet –, und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus.“ In Kolosser 2,11-14 lesen wir: „In dem seid ihr auch beschnitten worden mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in dem ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat. Und euch, die ihr tot wart in den Vergehungen und der Vorhaut eures Fleisches, hat er mitlebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat; als er ausgetilgt hat die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen, die gegen uns war.“

Der Epheserbrief stellt uns die Wahrheit weit mehr im Detail vor, denn der von uns zitierte Abschnitt ist das Ende eines langen Absatzes, der in Epheser 1,15 beginnt, indem er uns zeigt, was Gott in Christus gewirkt hat, indem Er Ihn aus den Toten auferweckt und zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern gesetzt hat. Diese zusätzliche Wahrheit ist es, die den Brief kennzeichnet und den Unterschied darstellt zum Kolosserbrief in Bezug auf die Art und Weise, in der wir „in Christus“ und als mit Ihm verbunden gesehen werden. Wir finden bis zum dritten Kapitel des Kolosserbriefes nichts über den Platz des Christus in Herrlichkeit; und dann wird unsere Beziehung dazu völlig anders dargestellt als im Epheserbrief. Wir werden nicht als solche bezeichnet, die „in Christus Jesus“ versetzt sind [in die himmlischen Örter], sondern wir werden als solche gesehen, die sich auf der Erde befinden und deren Herzen und Gedanken auf die Dinge nach oben gerichtet sind, wo der Christus ist, [„sitzend zur Rechten Gottes“; Kol 3,1]. Sein Tod ist unser Leben, und in uns [besitzen wir] die Hoffnung der Herrlichkeit; sein Tod ist unser Teil: „Wir sind gestorben“[10] [Kol 3,3], und unser Leben ist verborgen mit Ihm in Gott, während wir auf den Augenblick warten, wenn Er offenbart werden wird, damit auch wir mit Ihm in Herrlichkeit offenbart werden.

Wenn uns [die geschilderten] Unterschiede so recht ins Bewusstsein kommen, erkennen wir sofort die Fehlerhaftigkeit der vom System bestimmten Ausdrücke in Grants Traktat. Die Abschnitte sind keineswegs „genau parallel“, wie er auf Seite 18 behauptet. Und auch seine Behauptung auf Seite 6 ist nichts anderes als eine falsche Interpretation der Schrift: Er sagt, „Leben sei erst jetzt in Christus“, denn nur als Auferstandener und Aufgefahrener sei Er zum Herrn und Christus geworden. Hier seine Himmelfahrt einzuführen – wenn über Leben gesprochen wird –, steht im Widerspruch zu beiden Abschnitten, denn obgleich ein oberflächlicher Blick auf den Abschnitt im Epheserbrief diesen Gedanken stützen könnte, so genügt ein wenig Aufmerksamkeit, um zu zeigen, dass dies nicht so ist, und im Kolosserbrief wird das bewusst ausgelassen. Es ist die Beschreibung der gewaltigen Macht Gottes in der Auferweckung Christi aus den Toten, die uns hier nahegebracht wird und an der unser Glaube festhält. Wir sind „lebendig gemacht zusammen mit Ihm“, mit Ihm vereint im Leben, heraus aus dem Zustand, „tot zu sein in Sünden“. Nur durch die Auferstehung kann der Ausdruck in Bezug auf Christus auf diese Weise benutzt werden. „Er hat uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben“ [Eph 5,25], indem Er in den Tod, in dem wir waren, hinabstieg – ohne eine Regung des Herzens gegen Gott oder gar einer gefühlten Notwendigkeit – „tot in Sünden“ –, und Gott hat Christus aus den Toten auferweckt und uns mit Ihm, so dass das Leben, das wir mit Christi Auferstehung bekamen, das des Glaubens an Ihn und des Glaubens an Gottes Wirken ist. Es ist [ein Leben] nach dem Tod und nach der Macht Satans, wie Kolosser 2,15 zeigt; und das Gesetz, die Handschrift in Satzungen, die gegen uns war, wurde an das Kreuz genagelt“ [Kol 2,14]. So ist seine Liebe zu uns!

Die Schlussfolgerung seines Traktats, die auf einer aus dem Zusammenhang gerissenen Stelle in Apostelgeschichte 2,36 beruht und sich historisch gibt, bringt jegliche geistliche Lehre über diese Abschnitte so durcheinander, dass sie dem Gläubigen den unmittelbaren Segen der Wahrheit in ihrer Einfachheit raubt. Es war nötig, [darüber zu reden], um das Flickwerk dieses Systems zu zeigen. Wie bereits gezeigt, war das Weglassen charakteristischer christlicher Wahrheit im ersten Essay des Autors zu grob; wenn das zur Anwendung kommt, dient es einzig dazu, die Schwachheit und Fehlerhaftigkeit der ganzen Argumentation zu beweisen. Wie Grant es einbringt, vermittelt es einen Wert vom „Leben in Christus“, der im Gegensatz zu den Aussagen der Schrift steht, wobei die Verbindung zu dem Begriff „Leben im Sohn“ da weggelassen wird, wo der Geist Gottes sie ausdrücklich einführt. In beiderlei Hinsicht verfälscht dieses System grundlegende Wahrheit – und die ganze Theorie beruht [ausschließlich] auf Einbildung.

Aber all diese Seiten (S. 13–18) des Traktats, besonders was die Art und Weise betrifft, in der der Autor über „Einheit“ schreibt, sind derart konfus, dass ich mir selbst und dem Leser die Mühe einer Fortsetzung ersparen möchte.

Die Schwierigkeiten entstehen, wenn man unterschiedliche Abschnitte der Schrift miteinander vermischt oder auf andere Weise entstellt, wie Grant es tut, so dass sich in unserem Bewusstsein praktisch ein System etablieren kann. Nun, Gott, der weiser ist als wir und am besten weiß, wie Er unserem Zustand und unseren Bedürfnissen entsprechend seine Wahrheit vermitteln kann, hat entschieden, uns diese Wahrheit in vielen verschiedenen Briefen mitzuteilen, gar nicht zu reden von den vier verschiedenen Evangelien. Durcheinanderzubringen, was über „lebendig gemacht“ und „vom Tod zum Leben hinübergehen“ im Johannesevangelium und weiter in diesen beiden Briefen gesagt wird, nimmt [dem Gläubigen] jegliche Sicherheit. Und das wird uns auf zweierlei Weise bewusst, denn beide Male hängen die Aussagen davon ab, wie Christus in verschiedenen Schriften gesehen wird. Gegenstand im Johannesevangelium ist das Leben, wie es in der Person des Sohnes offenbart wird, und damit konsequenterweise die Offenbarung des Vaters, während es in den Briefen darum geht, zu zeigen, in welche Stellung Gott uns vor sich selbst gebracht hat, sowie um Christus als den Gegenstand des Herzens, indem der [Heilige] Geist unsere Gedanken und Gefühle dadurch prägt, dass Er uns mit Ihm nährt, und das in Verbindung mit dem Platz, an dem [Christus] jetzt ist. Zweitens wird Er im Johannesevangelium als der Handelnde gesehen, sowohl in seiner göttlichen Natur als auch indem Er sich selbst dahingibt, wohingegen im Epheser- und Kolosserbrief Er als tot beschrieben wird und als derjenige, in dem Gottes Kraft gesehen wird in seiner Auferstehung.

Die Armut der Theologie

Hier wird die ganze Armseligkeit theologischer Erklärungsversuche sichtbar. Denn „lebendig gemacht“ im Einzelnen wird uns im Johannesevangelium auf mehr als nur eine Weise vorgestellt, überhaupt nicht so wie in den Briefen an die Epheser und Kolosser. In Johannes 5,21 geht es um den Sohn in seiner eigenen göttlichen Natur und doch in [enger] Verbindung mit der Liebe des Vaters, der dem Sohn zeigt, was Er selbst tut, denn der Sohn hat gerade zum Ausdruck gebracht: „Der Sohn kann nichts von sich selbst aus tun, außer was er den Vater tun sieht; denn was irgend er tut, das tut auch in gleicher Weise der Sohn“ (Joh 5,19). In Vers 25 hören solche, die geistlich tot sind, die Stimme des Sohnes Gottes und leben. Und dann führt uns unser geliebter Herr in ein neues Geheimnis in Verbindung mit dem Leben ein: „Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst“ (Joh 5,26). Und wiederum lesen wir von Jesus in Johannes 6,32.33 als dem Leben spendenden Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, vom Vater. Und das offenbart den doppelten Aspekt des ewigen Lebens, wie wir es in Jesus, dem Sohn Gottes und Sohn des Menschen kennen; es ist in seinem Ursprung und seinem Charakter himmlisch, und es bringt das Wissen von „seinem Vater“ mit sich. In Vers 27 ist es der Sohn, der Speise darreicht, „die ins ewige Leben bleibt“, denn „diesen hat der Vater, Gott, versiegelt“. Und weiter sagt Er in Johannes 6,44.45: „Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. Es steht in den Propheten geschrieben: ,Und sie werden alle von Gott gelehrt sein.‘ Jeder, der von dem Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir.“

Weiter unten finden wir das Leben darin, dass wir uns von Ihm als Gestorbenem nähren. „Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag“ (Joh 6,53.54). Immer geschieht dies im Glauben: Wer glaubt, hat [das Leben]. Wer Jesus „aufnimmt“ (Joh 1,12), ist aus Gott geboren. Und so heißt es auch in Jakobus 1,18: „Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, damit wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien.“ Um sich jedoch all dieser Einzelheiten der Wahrheit in Gemeinschaft mit Gott erfreuen zu können, muss der Schrift ihre gesegnete Einfachheit gelassen werden.

Befreiung

In der Geschichte jeder einzelnen Seele ist der Moment des Glaubens, bewirkt durch das Handeln des Geistes Gottes im Wort, der Moment, wo Leben entsteht. Und die Seele wird in die Gegenwart Gottes gebracht, bekommt eine Beziehung zu Ihm, aber sie muss jetzt lernen, was das Leben in seinen verschiedenen Auswirkungen, wie sie in der Schrift vorgestellt werden, bedeutet. Sie muss die Befreiung von der Sünde und die vollkommene Liebe, die die Furcht austreibt, [persönlich] erfahren. Unter der Führung Gottes kann das eine Frage der Zeit sein, denn wir kommen niemals wirklich mit uns selbst ans Ende „des alten Menschen“ und damit wirklich zur Auferstehung Christi aus den Toten, dem Beginn der „neuen Schöpfung“ Gottes. Dann beginnt das Töten unserer Glieder auf der Erde und ein heiliger Wandel in Absonderung von der Welt, wobei unsere Herzen schwach und nachlässig sind, sobald wir unseren Blick von Christus abwenden.

In Ihm

Wie tief ist [doch] die Wahrheit, die uns in diesen Briefen nahegebracht wird! Es ist eine [traurige] Sache, zu erkennen, dass wir unfähig sind, Gutes zu tun, aber es ist zumindest die Voraussetzung, Leben und gute Absichten zu bekommen; aber wenn mein Zustand – in dem die rettende Gnade mich fand – beschrieben wird als TOT IN Sünden, dann dringt die Prüfung des Geistes tiefer ein in mein Herz. Ich erfahre, dass Gott mich in einem Zustand des Chaos und der Dunkelheit sah, wo Welt und Sünde und Satan ihr eigenes Spiel mit mir trieben, und dass – wie jemand einmal sagte – „nicht ein einziges Ding in meinem Herzen vorhanden war, mit dem Gott sich in Verbindung setzen konnte, und dass es nichts im Himmel gab, was meiner Natur entsprochen hätte“. In der Auferstehung Christi werde ich von diesem Zustand befreit und finde Eingang in die neue Schöpfung, wo „alles aus Gott“ ist; und ich finde außerdem, dass Er mir eine Natur geschenkt hat, die fähig ist, mich daran zu erfreuen, und mehr noch, die fähig ist, Ihn zu kennen und Ihn zu lieben. Ich lerne seine Liebe „in dem Geliebten“ kennen, der für mich auf diese Erde kam, um die Absichten Gottes, des Vaters, mit mir zur Wirkung zu bringen, und nicht allein für mich, sondern für all seine Erlösten; und ich erfahre, dass seine Gnade uns IN IHN versetzt hat, dass wir „angenommen“ sind. Und mehr noch erfahre ich seine Fürsorge, dass ich etwas von seinen Gedanken erkennen möchte über das leuchtendste Kleinod der Erlösung, seine Kirche, die Er geliebt und für die Er sich hingegeben hat [Eph 5,25] – die Ergänzung des Sohnes als Mensch in Herrlichkeit, in der Gegenwart des Vaters – die Kirche, „die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ [Eph 1,23].

Dem Leser wird die sorgfältige Lektüre des Artikels „The New Birth“ in The Collected Writings of J.N. Darby, Bd. 10, empfohlen.

W.J. Lowe


Aus Life and Propitiation: An Examination of “Certain New Doctrines” , 1885,
zit. in: R.A. Huebner, From New Birth to New Creation, 1997; 22010, S. 73–78
www.presenttruthpublishers.com/pdf/From_New_Birth_to_New_Creation.pdf

Übersetzung: Hans-Robert Klenke

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Übers.: Bibelzitate nach der revidierten Elberfelder Übersetzung (Edition 2009).

[2] Anm. d. Übers.: In [eckige] Klammern gesetzte Worte und Stellenangaben wurden vom Übersetzer eingefügt.

[3] Anm. d. Übers.: Die Autorschaft des Paulus für den Hebräerbrief ist nicht sicher.

[4] Anm. d. Red.: In der englischen Bibel heißt es: „Faith of the Son of God“. Dazu bemerkt Lowe: Ein sehr starker Ausdruck. Der christliche Glaube wird damit charakterisiert. Gegenstand des Glaubens ist der SOHN GOTTES (vgl. Gal 2,16).

[5] Wir reden hier nicht von der „Adoption“ [oder Annahme] Israels [als Volk] (Röm 9,4), die eine ganz andere Sache ist, wie Galater 3,28 beweist: „Da ist nicht Jude noch Grieche.“ Die Erfüllung der Prophezeiungen ist im Galaterbrief überhaupt nicht das Thema, sondern [Thema ist] der Charakter des Evangeliums. Israel befindet sich „in Knechtschaft“ (Gal 4,25), und nicht nur das, sondern die Schrift sagt: „Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien“ [Gal 4,30].

[6] Hier ist keineswegs eine Verbindung zu dem „stellvertretenden Opfer“ zu sehen, wie Grant auf Seite 19 [seiner Schrift] anzudeuten scheint.

[7] Der Unterschied zwischen dem dritten Kapitel und dem vierten Kapitel des Römerbriefes sollte hier gut beachtet werden … er ist von höchstem Interesse. Die Betonung im Galaterbrief liegt auf dem GLAUBEN; und das Beispiel von Abraham ist wiederum abgeleitet von 1. Mose 15,6. Zweitens finden wir wie in Römer 4, wenn auch weitergehend entwickelt, die absolute Sicherheit, in Abhängigkeit von dem Einen, der sie uns verspricht, in Anlehnung an den vollendeten Gehorsam Abrahams, weshalb er folglich nicht [seinen Segen] durch das Versagen der schwachen Gesellschaft gegenüber dem Bündnis verlor, was unter dem Gesetzt der Fall war. Drittens ist es keine Frage der Art der Machtbezeugung Gottes, die letztlich die Grundlage des Glaubens ist, eingeführt durch das Prinzip der Auferstehung – wie in Römer 4 –, sondern die Tatsache, dass alle Verheißungen in der Person CHRISTI zentriert und uns in IHM geschenkt sind, so dass wir auch den [Heiligen] Geist empfangen können. Die Abschnitte, die aus der Geschichte Abrahams zitiert werden, stammen aus 1. Mose 12,3und zeigen das ganze Ausmaß des Segens (der alle Nationen betrifft) und aus 1. Mose 22,18, wo darauf hingewiesen wird, dass in dem Christus alles gut würde. Die beiden Abschnitte berichten von der ersten und letzten Unterhaltung Gottes mit Abraham.

Galater 4, wo uns der Sohn, geboren nach der Verheißung, vorgestellt wird, illustriert die Stellung und die Beziehung des Christen [zu Gott] in der Freiheit, zu der Christus uns freigemacht hat.

[8] Das widerspricht im Prinzip der Theorie Grants in Bezug auf die Anwendbarkeit von Römer 7; aber [diese Theorie] wurde bereits von anderen zurückgewiesen, und somit will ich nicht weiter darüber reden. Das ganze System muss als der Phantasie entsprungen gelten und fällt angesichts des Galaterbriefs zu Boden. Die Schrift weist den Gedanken ab, dass die Gläubigen des Alten Testaments Leben „im Sohn“ hätten, da es bis dahin auch kein „Sein in Christus“ geben konnte, denn vor dem Kreuz gab es keine „Sohnschaft“. Dies zu einer Erkenntnisfrage zu machen, ist fragwürdig: Der Begriff existierte in Bezug auf den Menschen ganz einfach nicht. Sicher gab es ein Leben des Glaubens, aber dieses Leben im Glauben konnte nicht [im Sohn] sein, da die Offenbarung, auf der es gegründet ist, noch gar nicht geschehen war. Christus war noch nicht gekommen. Das LEBEN, das der Apostel lebte, war – wie er sagt – „durch den Glauben an den SOHN GOTTES, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ [Gal 2,20]. Das wird in den Schriften des Johannes entwickelt, wie wir gesehen haben. Grants System vermischt Judaismus und Christentum, indem er auf etwas andere Weise genau das tut, was die Galater taten. Und das ist eine ernste Sache, vor der wir uns hüten sollten.

[9] Auf Seite 14 schreibt Grant: „Im Sohn bedeutet ,Leben im Sohn‘, und entsprechend bedeutet ,in Christus‘ ,Leben in Christus‘.“ Jemand muss wirklich sehr von seinem System überzeugt sein, die Schrift auf diese Weise zu verdrehen und damit einfache und positive Aussagen zunichtezumachen.

[10] Das wird hier auf eine sehr bestimmte Weise verkündet; das nimmt der Glaube in Römer 6,11 an; die praktische Verwirklichung davon, nämlich dass Gott dem Gläubigen zu Hilfe kommt in den Umständen, durch die Er ihn gehen lässt, finden wir in 2. Korinther 4,1-12.

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