Ein jeder prüfe sich selbst
Unwürdiglich essen und trinken

Christian Briem

© CSV, online seit: 15.12.2005, aktualisiert: 29.10.2022

Leitverse: 1. Korinther 11,27-32

Der Vers in 1. Korinther 11,27 ist oft missverstanden worden, so, als sei das Brotbrechen nur für besonders Würdige gedacht. Doch hören wir, was der Vers wirklich aussagt:

1Kor 11,27: Wer also irgend das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt unwürdiglich, wird des Leibes und Blutes des Herrn schuldig sein.

Würdig, am Brotbrechen teilzunehmen, ist grundsätzlich jedes wahre Kind Gottes. Das Blut Christi hat es würdig gemacht. Von Natur aus waren wir alles andere als würdig, in die Gegenwart Gottes zu kommen. „Aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes“ (1Kor 6,11).

Doch die Gefahr besteht, es auf eine unwürdige Art und Weise zu tun. Darauf weist das Umstandswort „unwürdiglich“ hin. Das Beispiel der Korinther macht uns das ganz deutlich. So tief waren sie allerdings noch nicht gesunken, dass sie Ungläubige und Feinde zum Tisch des Herrn zuließen. Das wird heute leider in weiten Teilen der Christenheit getan, doch das ist in jeder Hinsicht gegen die Gedanken Gottes. Aber sie hatten das Mahl des Herrn auf eine ganz und gar des Herrn unwürdige Weise eingenommen, hatten es zu einem Gelage gemacht, so dass der Apostel ihnen sagen musste, dass das überhaupt nicht mehr des Herrn Abendmahl essen sei.

Selbst wenn wir auf schriftgemäßem Boden zusammenkommen, können wir trotzdem unwürdiglich essen und trinken, dann nämlich, wenn wir dem Ich irgendeinen Raum einräumen, wenn wir dem Eigenwillen gestatten, sich in die heiligen Dinge Gottes einzumischen und die Führung zu übernehmen. Wenn ich zum Beispiel sagen würde: „Wenn dieser Bruder ein Lied vorschlägt, dann singe ich nicht mit“, oder: „Wenn jener Bruder ein Gebet spricht, sage ich nicht Amen dazu“, würde ich mit solch einer Gesinnung nicht unwürdiglich essen und trinken? Wenn jemand eigenmächtig auf den Verlauf der Stunde Einfluss nähme, ohne auf die Weisung des Herrn zu warten, wenn er etwas Eigenes vorbrächte, was aus seinem Fleisch hervorkommt, hieße es nicht „fremdes Feuer“ vor Ihn bringen?

Es gibt viele Formen des unwürdigen Essens und Trinkens. Wenn wir allein ohne innere Übungen der Seele daran teilnähmen, wenn wir bei allem gleichgültig blieben oder mit anderen Dingen beschäftigt wären, wenn wir das Mahl des Herrn wie ein gewöhnliches Mahl äßen – würde dann nicht von uns gesagt werden müssen, dass wir „des Leibes und Blutes des Herrn schuldig“ seien? Warum schuldig des Leibes und Blutes des Herrn? Weil die Zeichen gerade davon reden! Und wenn wir in Leichtfertigkeit davon essen und trinken, tun wir nicht nur dem Brot und dem Kelch Unehre an, sondern dem Leib und dem Blut Christi, wovon jene Ausdruck geben. Wie ernst ist es, auf diese Weise den Leib nicht zu unterscheiden! Wir würden uns selbst Gericht essen und trinken (1Kor 11,29).

Selbstgericht, um zu essen

Was sollen wir nun tun, wenn die Dinge derart ernst sind? Am besten fernbleiben, wie einst David wegen des Bruchs des HERRN an Ussa die Lade des HERRN nicht in sein Haus kommen ließ? Das ist ein naheliegender Gedanke, aber es ist ein menschlicher Gedanke, ein nicht von der Gnade Gottes diktierter Gedanke. Heute herrscht die Gnade, sie herrscht in Gerechtigkeit, aber sie herrscht, herrscht zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn (Röm 5,21). Daher ist der Weg, die Weise Gottes, dies:

1Kor 11,28: Ein jeder aber prüfe sich selbst, und also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelch.

Gott möchte, dass wir unsere Wege, unsere Beweggründe, unsere Herzenszustände in seinem Licht überprüfen und besehen, und Er möchte, dass wir dies beständig tun. Der Imperativ „prüfe!“ steht im Griechischen im Präsens, und das bedeutet: Prüfe dich beständig, fahre fort damit, das zu tun! Es ist also nicht an ein einmaliges, flüchtiges Überfliegen der Ereignisse der vergangenen Woche am Samstagabend gedacht, sondern Gott spricht von einem beständigen Sich-Beurteilen in seiner Gegenwart.

Ich sagte schon: Sich selbst prüfen bedeutet nicht nur ein Beurteilen unserer Wege, dessen also, was wir gesagt und getan haben, sondern auch unserer inneren Beweggründe für unser Tun und Lassen und der Neigung und Gesinnungen unseres Herzens. Wie viel Grund werden wir finden, uns vor Ihm zu schämen und zu beugen, wenn wir das Licht seines Wortes auf uns fallen lassen! Aber lasst es uns tun, Geliebte! Die Gnade Gottes, die uns in Christus Jesus alle Sünden vergeben hat, gestattet und ermutigt uns, vollkommen offen vor Ihm zu sein und Ihm alles zu sagen und zu bekennen, was wir an nicht Gutem bei uns feststellen. Dieses beständige Selbstgericht ist die Grundlage wahrer Freude. Denn beachten wir: Praktische Heiligkeit kommt immer ein ganzes Stück vor Freude.

Wenn wir andererseits im Selbstgericht nachlässig sind, ist das die sicherste Voraussetzung für ein glückloses Leben als Christ und für manches Abgleiten in Sünde, ja für das nachfolgende Eingreifen Gottes in Zucht. Ich bin überzeugt: Der niedrige geistliche Zustand des Volkes Gottes heute hat eine seiner tiefsten Ursachen darin, dass wir uns nicht wirklich und beständig selbst prüfen und – wenn notwendig – verurteilen. Heilung und Zurechtbringung werden uns nur auf dem Wege des Selbstgerichts geschenkt.

Sagt, geliebte Geschwister, haben wir schon einmal unseren Herrn und Heiland gefragt, ob Er mit unserer Kleidung, mit unserer Freizeitgestaltung, mit unseren Hobbys, mit unseren Anschaffungen, mit unseren Urlaubsreisen, mit der Art unseres Familienlebens und unserer geistlichen Beschäftigung einverstanden ist? Oder sind diese und ähnliche Bereiche aus unserem Christsein ausgeklammert? Haben wir Ihn schon einmal gefragt, ob Ihm das Reden unseres Mundes und das Sinnen unseres Herzens wohlgefällig ist (Ps 19,14)? Haben wir uns im Licht des Herrn schon einmal geprüft, ob Hochmut, Dünkel, Selbstvertrauen, anmaßendes Wesen, Liebe zur Welt, Undankbarkeit, Herrschsucht oder gar Habsucht uns erfüllen und regieren? Und wie steht es mit unseren geistlichen Betätigungen? Lesen wir noch mit Herzensverlangen im Wort Gottes? Hat das persönliche Gebet noch einen wichtigen Platz in unserem täglichen Leben? Besuchen wir noch gern die Zusammenkünfte der Gläubigen? Sind wir besorgt um die Errettung verlorener Sünder? Haben wir uns das noch nie gefragt? Lasst uns schonungslos den Maßstab Gottes an uns anlegen, aber lasst es uns in dem Bewusstsein der Gnade Gottes tun, in der wir stehen!

Denn auch das ist aus dem, was folgt, sicher: Manche Züchtigungen Gottes hätten wir uns ersparen können, wenn wir uns in sein Licht begeben und Ihm unser Versagen, unsere Sünde bekannt hätten. Warum gehen wir nicht diesen Weg? „Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat; mit Zaum und Zügel, ihrem Schmucke, musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht. Viele Schmerzen hat der Gesetzlose; wer aber auf den HERRN vertraut, den wird Güte umgeben“ (Ps 32,9.10). Ja wahrlich, auch in unserem Fall ist es die Güte Gottes, die uns zur Buße leitet!

Und weil wir in Gnaden stehen, weil es die Güte Gottes ist, die mit uns handelt, prüfen wir uns nicht, um festzustellen, ob wir wohl zum Brotbrechen gehen können oder ob wir besser fernbleiben sollen. Nein, wir prüfen uns, um dann zu essen und zu trinken, wie es in unserem Vers heißt: „Und also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelche.“ Das ist in der Tat Gnade, Güte Gottes! Natürlich wird vorausgesetzt, dass man nicht im Bösen verharrt. Völlig unvereinbar jedoch mit dieser Gnade ist, wenn ein Gläubiger bei den mancherlei Vorkommnissen des Lebens immer wieder neu verängstigt fragt, ob er heute zum Abendmahl gehen könne oder nicht, obwohl er doch dem Herrn alles, soweit es ihm bewusst war, bekannt hatte. Nun, noch einmal sei es gesagt: So etwas kennt Gottes Wort nicht, dass ich heute „Freimütigkeit“ zum Brechen des Brotes habe und morgen nicht. Ich soll mich selbst prüfen und also von dem Brot essen und von dem Kelch trinken (1Kor 11,28).

So ist dieser Vers eine überaus gesegnete Ermutigung des Herrn für uns, die seinen, den Platz an seinem Tisch einzunehmen, wie schmählich wir oft auch versagt haben. Er zeigt auch, wie sehr Ihm daran liegt, dass sein ganzes Volk komme, um zu essen und zu trinken, es sei denn, dass jemand durch die Zucht seitens der Versammlung davon ausgeschlossen ist.

Verschiedene Arten von Gericht

In den Versen 1. Korinther 11,28-32 werden vier verschiedene Ausdrücke für „richten“ genannt. Um sie kenntlich zu machen, seien die Verse im Zusammenhang und mit Versangabe zitiert:

1Kor 11,28-32: Ein jeder aber prüfe [dokimazo] sich selbst, und also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelche. 29 Denn wer unwürdiglich isst und trinkt, isst und trinkt sich selbst Gericht, indem er den Leib nicht unterscheidet [diakrino]. 30 Deshalb sind viele unter euch schwach und krank und ein gut Teil entschlafen. 31 Aber wenn wir uns selbst beurteilten [diakrino], so würden wir nicht gerichtet [krino]. 32 Wenn wir aber gerichtet werden [krino], so werden wir vom Herrn gezüchtigt [paideuo], auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden [katakrino].

  1. Der erste Ausdruck ist dokimazo = „prüfen, erproben“; er kommt in 1. Korinther 11,28 vor. Darüber haben wir in Verbindung mit dem Selbstgericht schon gesprochen.

  2. Der zweite Ausdruck in 1. Korinther 11,31, diakrino = „unterscheiden, einen Unterschied machen, beurteilen“, steht mit dem in Vers 28 genannten ersten Ausdruck in engem Zusammenhang, ja er erklärt geradezu auf plastische Weise, wie unsere Selbstprüfung vor sich gehen soll: Wir müssen lernen zu unterscheiden, was in unserem Leben vom Geist Gottes oder vom Fleisch, vom Vater oder von der Welt, vom Herrn Jesus oder vom Teufel herrührt. Wie außergewöhnlich wichtig für unseren geistlichen Zustand ist das Unterscheiden unserer Beweggründe! Dass wir uns doch mehr darüber klarwürden, was von oben und was von unten kommt.

    Dasselbe Wort wird auch in 1. Korinther 11,29 gebraucht, wo es um das Unterscheiden des Leibes des Herrn und damit um die Unterscheidung zwischen dem Mahl des Herrn und einer gewöhnlichen Mahlzeit geht. Auch das hat uns schon beschäftigt.

  3. Der dritte Ausdruck krino = „richten, beurteilen“ kommt in 1. Korinther 11,31.32 vor. Wir lernen hier die ernste Wahrheit, dass Gott uns nicht richten muss, wenn wir das selbst besorgen. Wenn wir es aber versäumen, uns selbst zu beurteilen, dann muss Er uns richten und in seiner Weisheit und Liebe Erziehungswege mit uns gehen, die uns schmerzen. Es handelt sich hier also um ein irdisches Gericht vonseiten des Herrn, um Züchtigung, nicht etwa um das ewige Gericht. Diesem ist der Christ ja für immer entflohen. „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet“ (Joh 3,18). „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen“ (Joh 5,24).

  4. Der vierte Ausdruck in 1. Korinther 11,32, katakrino = „verurteilen, verdammen“, unterstreicht das Gesagte. Die Welt geht dem sicheren Gericht, der ewigen Verdammnis, entgegen. Der Gläubige dagegen wird nicht mit der Welt verurteilt, stattdessen wird er hier, wenn es nötig ist, gezüchtigt. Das Wort hierfür heißt paideuo, unser Wort Pädagoge leitet sich davon ab. Wie ernst die Züchtigung auch ist, welch ein unermesslicher Unterschied besteht dennoch zwischen einer Züchtigung der Kinder Gottes und der Verdammnis der Welt!

Sünde zum Tode

Wir haben gelernt, dass wir auf zweierlei Art unwürdiglich am Brotbrechen teilnehmen können: indem wir davon essen, ohne zwischen dem Mahl des Herrn und einem gewöhnlichen Mahl zu unterscheiden; und indem wir davon essen, ohne uns vorher geprüft zu haben. Wir haben weiter gelernt, dass Gott es nicht hingehen lässt, wenn wir ungerichtet essen und trinken. In diesem Fall essen und trinken wir uns selbst Gericht, das heißt, unser Essen und Trinken beim Mahl des Herrn führt nur dazu, dass Gott uns in Züchtigung bringt, damit wir unseren Zustand erkennen und nicht mit der Welt verurteilt werden. Der Apostel fügt den warnenden Hinweis hinzu: „Deshalb sind viele unter euch schwach und krank, und ein gut Teil sind entschlafen.“

Vielleicht hatten sich die Korinther noch gar keine Gedanken darüber gemacht, warum unter ihnen so viele Geschwister krank und schwach und zum Teil entschlafen waren. Jetzt sagt ihnen der Apostel den wahren Grund dafür: ihr unwürdiges Essen und Trinken beim Mahl des Herrn. Sollte das heute anders sein? Nur sollten wir unbedingt auf der Hut vor dem Gedanken sein, jedes Kranksein, jede Schwachheit, jeder Heimgang von Gläubigen sei die Folge von ungerichteter Sünde. Bei Weitem nicht! Vielfach verfolgt Gott in solchen Wegen mit den Seinen ganz andere Zwecke, zum Beispiel die Erprobung ihres Glaubens, die Verherrlichung seiner selbst, die Verhütung von Bösem und dergleichen mehr. Zuweilen nimmt uns Gott gerade jene weg, die nicht gesündigt haben, die die Besten unter uns waren – vielleicht, weil wir nicht mehr auf sie gehört haben. Aber davon redet unser jetziges Schriftwort nicht. Hier geht es tatsächlich um das Kranksein, um das Entschlafen jener, die gesündigt hatten.

Ich zweifle nicht, dass es sich im Fall jener, die entschlafen waren, um solche handelte, die eine Sünde zum Tode begangen hatten (1Joh 5,16). So ernst und böse war ihr Verhalten beim Mahl des Herrn in den Augen Gottes gewesen, dass Er als Folge davon den leiblichen Tod auf sie kommen ließ. Für solche sollte man nicht bitten, sagt uns Gott durch den Apostel Johannes. Ein weiteres Beispiel für Sünde zum Tode finden wir in Ananias und Sapphira in Apostelgeschichte 5.

„Sünde zum Tode“ hat nur mit dem leiblichen Tod, nicht mit der ewigen Trennung der Seele von Gott zu tun. Die Frage der ewigen Erlösung wird dadurch überhaupt nicht berührt, es ist vielmehr ganz eine Sache der Erziehungswege Gottes mit seinen Kindern, „auf dass wir“ – der Apostel schließt sich jetzt mit ein – „nicht mit der Welt verurteilt werden“. Doch sollten uns diese Dinge nicht eine ernste Warnung davor sein, mit dem Mahl des Herrn, überhaupt mit den Dingen Gottes in leichtfertiger Weise umzugehen?


Originaltitel: „Ein jeder prüfe sich selbst“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 43, 1989, S. 247–256

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