Die irdische Einschaltung
Daniel 2; 7; Lukas 21

William Kelly

© SoundWords, online seit: 02.07.2005, aktualisiert: 07.10.2023

Leitverse: Daniel 2; 7; Lukas 21

Die Prophezeiungen der Heiligen Schrift können wir im Großen und Ganzen in zwei Gruppen einteilen: solche wie die von Jesaja, die an das Volk Israel adressiert waren, während sie in einer anerkannten Beziehung zu dem Herrn als sein Volk standen; und solche wie die von Daniel, die davon ausgehen, dass die Juden für eine Zeit nicht anerkannt sind, bis die Gnade sie in der Zukunft einmal wiederherstellen wird, dadurch dass sie unter die Herrschaft des Messias gebracht werden und in den Neuen Bund eingeführt werden. Von alters her hatte Gott Israel als sein Volk regiert, und der Tempel seiner Gegenwart in ihrer Mitte war davon das Zeichen. Die momentane Unterbrechung dieser Regierung ist demütigend für das Gewissen und ernst für den Glauben. Sie hat angefangen mit dem Weggang der Schechina (Hes 10) und dauert an, bis dieselbe einmal wieder zurückkommen wird, um niemals mehr die Stadt und das Heiligtum zu verlassen, auf dem die Augen des Herrn beständig ruhen. Während dieser Zeitspanne ist die Herrschaftsautorität vier aufeinanderfolgenden und wohlbekannten Weltmächten anvertraut worden, den großen Weltreichen der Nationen. Dies ist die „Einschaltung“, wie sie zu Recht genannt wird.

Der Ausdruck „Einschaltung“ ist wirklich außerordentlich passend, um klarzumachen, dass wir es hier mit etwas Besonderem zu tun haben. Es geht eben nicht mehr um die direkte Regierung Gottes auf der Erde, es läuft nicht mehr nach dem normalen, großen und allgemeinen Schema der Prophetie ab. Dieser Ausdruck ist so passend, dass es nicht weise wäre, auf den Gebrauch zu verzichten, nur weil einige den Begriff nicht verstehen können oder wollen. Die „Zeiten der Nationen“ beschreiben diese merkwürdige Zwischenzeit, die mit der Wegführung von Juda unter dem Haupt von Gold begonnen hat und abgeschlossen wird durch den zerstörerischen Schlag, den der zurückkehrende Herr, der kleine Stein ohne Hände, dem eisernen Tonfuß verpassen wird, womit das ganze Bild zu Pulver zermalmen wird, bevor der Stein selbst zu einem großen Berg wird und die ganze Erde erfüllen wird. Dann, und nicht vorher, wird das Weltreich des Herrn und seines Christus gekommen sein (Off 11,15-18; 19; 20). […]

Die Lücke also, seit Israel Lo-Ammi geworden war (Hos 1), bis es wiederhergestellt sein wird und für immer als sein Volk im Land als die zentrale Sphäre seiner irdischen Regierung sein wird, diese Lücke wird ausgefüllt durch die vier aufeinanderfolgenden Tiere (Dan 7) oder herrschenden Mächte der Nationen (Dan 2). Der normale Lauf der irdischen Haushaltungen ging davon aus, dass der Thron des Herrn in Jerusalem steht. Die Aufgabe dieses Thrones, als die Macht den Nationen übergeben wurde, ist genau eine Einschaltung in Bezug auf seine irdische Regierung. So etwas hatte es in Israels Geschichte weder vor noch nach diesen „Zeiten der Nationen“ gegeben. Israel ist die Darstellung sowohl in der Vergangenheit von dem Versagen unter dem Gesetz als auch in der Zukunft von der Macht unter dem Messias im Hinblick auf Gottes deutliche und direkte Regierung der Erde. Dagegen ist die Zwischenperiode der Nationen ihre Unterbrechung, was auch immer die wunderbaren Werke Gottes in seiner Gnade inzwischen sein mögen. Doch hat Gott seine Augen nicht verschlossen vor dieser Einschaltungszeit, ungewöhnlich wie sie ist, sondern Er hat Daniel speziell im Alten Testament inspiriert und Johannes im Neuen Testament, um davon zu schreiben, sowohl im Blick auf den Segen, der schließlich daraus hervorkommen wird für das Volk, das immer noch verworfen ist, als auch in Bezug auf die höheren und größeren Dinge, für welche diese Verwerfung eine Gelegenheit schafft.

So ist es auch unser Herr, der uns in Lukas 21 mit diesem Ausdruck „Zeiten der Nationen“ vertraut macht, was nur ein anderer Ausdruck ist, um diese Einschaltung zu beschreiben. Gleichwohl nehmen die Christen wie die Heiden das als Anlass zum Hochmut und  übersehen wahre Natur dieser Einschaltung und leugnen ihre Bedeutung. Was soll sonst der Grund dafür sein, dass sie diese Periode den „heiligen Kalender und Almanach der Prophetie“ nennen, wobei sie die Tatsache übersehen, dass die weitaus größere Zahl der Prophezeiungen sich auf die Zeit bezieht, wenn Gott die Erde direkt aus seinem Volk heraus regiert, einem Volk, das wiederhergestellt und gesegnet ist (im Tausendjährigen Reich), statt nur seine Autorität inzwischen Mächten anzuvertrauen, die Er von Anfang bis zum Ende „Tiere“ (Dan 7) nennt. Die Axt mag sich rühmen gegen den, der damit schlägt; aber solche, die einen geheiligten Verstand haben, sollten es besser wissen. […]

Die Wahrheit der {irdischen} Einschaltung der Nationen {des Gerichtes über Israel} macht das Schema der moralischen Regierung Gottes nicht zu einer fragmentarischen Geschichte. Solche, die nicht unterscheiden zwischen Gottes Berufung der Kirche zum Himmel und seiner Regierung durch das Gesetz auf der Erde, erzeugen mit einer Vielzahl an Schriftstellen große Probleme. Die Behauptung, dass es eine ununterbrochene Kette der göttlichen Regierung gibt, widerspricht völlig den klaren Fakten, die eine Unterbrechung der normalen irdischen Regierung Gottes durch ein langes Interregnum {das sind die Zeiten der Nationen} zeigen. Während dieses Interregnums herrschen die „Tiere“ (Dan 7). Es wird auch dabei übersehen, dass die Schrift ganz deutlich davon redet, dass Gott letztlich seine direkte Regierung bei der Wiederkunft unseres Herrn wieder aufnimmt. […]

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Auszug aus „Appendix A: {Prophecy: Its Classes, Purpose and Study}“ aus dem Buch Elements of prophecy, London (Morrish) 1876, mit Ergänzungen;
1873 erstmals abgedruckt in The Bible Treasury, Jg. 9, 1872–3, S. 342
Quelle: www.stempublishing.com

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