Die Einheit des Geistes
Eine Antwort auf eine Anfrage

John Thomas Mawson

© SoundWords, online seit: 14.01.2013, aktualisiert: 03.08.2022

Briefe

W.H. D. schreibt in seinem Brief:

Ich kann Ihnen versichern, dass ich die Veröffentlichung der vierteljährlichen Beilage [zur Zeitschrift Scripture Truth] mit großer Freude begrüßt habe. Ich habe sie mit viel Interesse gelesen, muss aber gestehen, dass ich etwas enttäuscht bin. Ich verstehe nicht ganz die Absicht der vier Verfasser der Artikel, was sie eigentlich bei ihren Lesern bewirken wollen. Sie behandeln eingehend und absolut richtig die außerordentlichen, wunderbaren Segnungen und die Bestimmung, die Gott in seiner Gnade für diejenigen aus den Nationen vorgesehen hat, die seinem Zeugnis glauben – für diese ungeheure Menschenmenge, seine Gemeinde. Im Verlauf der vergangenen zweitausend Jahre hat Er seine Gemeinde herausgerufen, nicht zu einer irdischen, sondern zu einer himmlischen Berufung. Die Schreiber behaupten mit Recht, dass das himmlische Ziel der Gemeinde deren Belange vollkommen vom Lauf dieser Welt trennt. Es scheint sich jedoch eine Tendenz abzuzeichnen, die Gesinnung so sehr auf den himmlischen Aspekt auszurichten, dass sie zu dem Gefühl führt, wenn nicht sogar zu der Denkweise, die irdische Seite sei nicht ganz so wichtig. J.T. Mawson schreibt Epheser 4,1-3 am Ende seines Artikels in Großbuchstaben. Er scheint jedoch keineswegs den springenden Punkt der Ermahnung zu betonen: nämlich die vom Geist gewirkte Einheit in dem einenden Band des Friedens zu bewahren. Diese Aufforderung betrifft mit Sicherheit nur die Erde – im Himmel ist sie nämlich unnötig.

Wir hatten gehofft, dass die absichtlich in Großbuchstaben geschriebene Ermahnung von Epheser 4,1-3 am Ende der besagten Abhandlung zeigen würde, dass wir gerade darauf besonderes Gewicht legen; das war jedenfalls der Grund, warum wir den Vers so formatiert haben.

Wir freuen uns über die Kritik aus der Feder eines geschätzten Briefpartners, dessen Briefe uns immer [wertvolle] Gedankenanstöße geben, besonders deshalb, weil meistens einer ausspricht, was viele denken. Das Ziel, das wir uns durch diese Veröffentlichung gesteckt haben, ist folgendes: Wir wollen unseren Brüdern in Christus wieder neu die Wahrheit der Gemeinde, die Christus so viel bedeutet und die einen einzigartigen Platz in Gottes Plan einnimmt, ins Gedächtnis rufen. Zu Hesekiel wurde gesagt: „Menschensohn, sieh mit deinen Augen und höre mit deinen Ohren und richte dein Herz auf alles, was ich dir zeigen werde; denn damit es dir gezeigt werde, bist du hierher gebracht worden. Berichte dem Haus Israel alles, was du siehst“ (Hes 40,4). Dann wurde ihm das Haus, das Gottes Wohnung werden sollte, in allen Einzelheiten gezeigt. Die erhoffte Wirkung geht klar aus Hesekiel 43,10 hervor: „Du Menschensohn, berichte dem Haus Israel über dieses Haus, damit sie sich ihrer Ungerechtigkeiten schämen und den Bau messen [oder: sich mit dem Bauplan beschäftigen].“

Das ist die Reaktion, die wir bei unseren Lesern und uns selbst anstreben. Während wir uns an die Wahrheit über Christus und die Gemeinde erinnern, wollen wir mit den Lesern nachempfinden, wie widersprüchlich das Handeln der großen Mehrheit derjenigen ist, die durch unendliche Gnade zu der einen Gemeinde gehören, deren Muster uns im Wort gezeigt wird. Wir wollen ihnen die Wahrheit bezeugen, damit sie den göttlichen Bauplan verstehen können und durch Übungen der Seele die Ermahnung beherzigen, die unser Briefpartner betont haben möchte. Wir kennen kein anderes Mittel, um die Gläubigen von falschen Meinungen, falschen Wegen und falschen Lehren zu befreien, als nur durch die Wahrheit. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“, sagt der Herr. Wir helfen anderen, wenn wir die Wahrheit verkünden und auch dadurch, dass wir selbst die Wahrheit in die Tat umsetzen. Allerdings müssen wir zu unserer Schande bekennen, dass wir darin häufig versagt haben. Wenige können ihre Lebensweise mit ihrer Lehre vereinbaren, so wie der Apostel Paulus es tat. Jedoch wie unvollkommen wir auch immer die Wahrheit lehren, wie weit wir auch noch dem, was wir erkannt haben, hinterherhinken – es ist doch unser Wunsch, die Wahrheit besser zu verstehen; sie klarer und in der Kraft des Heiligen Geistes zu predigen; darin zu wandeln und uns mit allen Heiligen stärker von ihr beeinflussen zu lassen.

Der erste Teil der Ermahnung, den wir nach Ansicht unseres Briefpartners nicht hervorheben, ist die erste und infolgedessen wichtigste Ermahnung im Epheserbrief. Der Apostel, als Gefangener des Herrn, liegt in Ketten um des Namens des Herrn willen und wegen der besonderen göttlichen Offenbarung, deren besonderer Verwalter er war. Paulus bittet uns inständig, würdig zu wandeln der Berufung, die in den vorhergehenden Kapiteln beschrieben wird. Wir können nicht wissen, worum es geht, wenn wir diese Kapitel nicht lesen. Um die Ermahnung von Epheser 4 zu verstehen, müssen wir die Lehre kennen, die in Epheser 1 bis 3 enthalten ist. Nur dann erfassen wir das Muster davon. Epheser 4 fordert uns auf, das Gelernte in die Praxis umsetzen.

In den erwähnten Kapiteln erfahren wir, in welche Stellung Gott uns gebracht hat: überströmend uns gegenüber in aller Weisheit und Einsicht und nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, die Jesus aus den Toten auferweckte und Ihn als Haupt setzte über das ganze Universum, hat Er uns lebendig gemacht – als wir in den Vergehungen und Sünden tot waren –, um seine große Liebe zufriedenzustellen. Wir sind gerettet durch seine Gnade, sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvorbereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen. Wir waren damals ohne Christus, dem Bürgerrecht Israels entfremdet, Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung, keine Hoffnung habend und ohne Gott in der Welt.

  1. Jedoch aus diesem hoffnungslosen, [von Gott] weit entfernten Zustand sind wir durch das Blut des Christus nahe geworden. Das ist die neue Stellung.

  2. Juden und Nichtjuden sind zusammengebracht worden, und Christus hat in sich selbst aus diesen beiden einen neuen Menschen geschaffen. Das ist der neue Mensch in der neuen Stellung.

  3. Er hat uns mit Gott versöhnt in einem Leib durch das Kreuz. Das ist die neue Einheit, nicht durch Satzungen, sondern durch Leben.

  4. Beide haben durch Christus Zugang zu dem Vater, durch den Geist. Das ist die neue Gunst, denn welche Gunst könnte größer sein als die, Zugang zu dem Vater zu haben, der die Quelle aller Herrlichkeit und Gnade ist?

  5. Wir sind jetzt Mitbürger der Heiligen. Das ist die neue Würde. Wir haben nicht nur unseren Platz in einer Stadt, wo alles nur nach Gottes Gesetzen und Anordnungen abläuft, sondern wir gehören zum Haushalt Gottes, in dem die Geheimnisse, die seiner Verwaltung zugrunde liegen, bekannt sind und wo Gottes Charakter Genüge getan werden muss. Damit ist natürlich eine neue Verantwortung verbunden.

  6. Im Herrn sind sie zusammengefügt zu einem Tempel Gottes durch den Geist.

Diese Dinge sind alle in unserer gegenwärtigen Berufung mit inbegriffen. Wir werden ermahnt, unserer Berufung würdig zu wandeln. Das kann nur erreicht werden, wenn Stolz, das Hauptmerkmal des Fleisches, abwesend ist und wir in Demut und Sanftmut leben, einander geduldig ertragend in Liebe. So wird das Leben Christi praktisch offenbart; nur im Leben Christi sind wir fähig, würdig unserer Berufung in Ihm zu wandeln.

Der Geist hat auch seinen Anteil daran: „… euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,3). Fleiß ist angesagt, aber welcher Art? Es genügt nicht, zu sagen: „Wir sind alle Christen, lasst uns über die Unterschiede hinwegsehen, gehen wir Hand in Hand!“ Das wäre verhältnismäßig einfach; dafür brauchten wir uns nur von allen Vorurteilen, die die Heiligen trennen, zu befreien oder entsprechende Kompromisse einzugehen. Die Einheit des Geistes bedeutet [aber] mehr als das. In ihr ist der Mensch, dessen fleischlichem Willen alle Vorurteile entspringen, durch das Kreuz ausgeschaltet; er hat keinen Platz in dieser vom Geist gewirkten Einheit. Wir meinen hiermit den Mensch nach dem Fleisch, den alten Adam, der im Juden [in Römer 2,17-29] als stolzer und intoleranter Fanatiker gezeigt wird und der sich immer noch in derselben Weise zeigt in vielen, die bekennen, sich auf einem hohen geistlichen Niveau zu befinden. Die andere Seite des alten Menschen finden wir in dem Heiden [in Römer 1,18-32] dargestellt, wo uns seine Gesetzlosigkeit, sein unkontrollierter Wille und seine Zügellosigkeit beschrieben werden. Dieser Mensch ist von Gott durch das Kreuz verurteilt worden und hat keinen Platz in der Einheit des Geistes. Gott hat ihn abgelöst – da er völlig unbrauchbar für Gottes Zwecke ist – und hat an seiner statt den neuen Menschen geschaffen.

Unsere Zitate aus Epheser 2 beweisen das Gesagte: „In Christus Jesus seid ihr … durch das Blut des Christus nahe geworden“ (Eph 2,13). Er hat die Feindschaft in seinem Fleisch, nämlich durch seinen toten Leib am Kreuz, hinweggetan. Es steht nicht geschrieben, dass wir untereinander versöhnt sind. Doch der Vers zeigt deutlich etwas noch Größeres und Erhabeneres: Jude und Nichtjude – zwischen denen die allergrößte Feindschaft bestand – sind mit Gott in einem Leib versöhnt durch das Kreuz.

Die Einheit des Geistes schließt alle ein, die in Christus sind, und schließt alles aus, was nicht von Ihm ist. In dem Bemühen, diese Einheit zu bewahren, sollen wir sowohl „inklusiv“ als auch „exklusiv“ sein. Wir müssen vor allem exklusiv sein gegenüber dem, der Zwietracht und Spaltungen verursacht. So einen Menschen, der sehr gern seinen eigenen Willen durchsetzen will, finden wir in uns selbst. Je mehr wir selbst in der Wahrheit des Kreuzes Christi leben, desto fähiger werden wir, den Seinen gegenüber in der Gnade Christi zu begegnen. Lasst uns „den Bau messen“ – uns mit den Gedanken Gottes über seine Gemeinde beschäftigen – und die Wahrheit lernen: Wir sind „in Christus Jesus“, „in Ihm selbst“, mit Gott versöhnt zu „einem Leib“ und bilden einen „heiligen Tempel im Herrn“.

Wenn wir uns bemühen, die Einheit des Geistes zu bewahren, schaffen wir nicht eine neue Einheit oder gründen eine neue Gemeinde, sondern wir leben in der Wahrheit der Einheit des Geistes, die schon existiert, obwohl so wenig sichtbar. „Alle Heiligen“ müssen in unsere Liebe eingeschlossen sein, denn sie sind alle ein Teil der Einheit des Geistes. Christus ist der Kern, alle Heiligen umgeben Ihn und der Geist ist die verbindende Kraft. „Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung.“ Hier ist die lebenswichtige Einheit aufgezeigt, die nie aufgelöst werden wird und nicht scheitern kann. Wir sehnen uns von ganzem Herzen danach, mehr davon zu erkennen und die Wahrheit davon auf praktische Art und Weise auszuüben, nicht im Streit miteinander [zu leben], sondern im Band des Friedens, des Friedens der die Gemeinde Gottes auszeichnet.

Unser Briefpartner fährt fort:

Das Aufzeigen der Herrlichkeit und der Gnade des Herrn Jesus nimmt viel Raum ein und das ist keineswegs übertrieben; niemand kann weit genug oder sogar zu weit in diese Richtung gehen. Doch vergessen wir nicht, dass Er Lob und Ehre nicht nur in Worten, sondern in Taten erwartet. Er sagt: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten.“ Seine Worte von damals gelten immer noch: „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder.“

Mir fiel auf, dass der Ausdruck „Brautliebe“ ein- oder zweimal erscheint. Der Herr verlangt jedoch so etwas nie, denn Er sucht eine andere Art von Liebe vonseiten seiner Erlösten. In anderen Kreisen hört man viel davon und es überrascht uns nicht. Nicht der, der die lauteste und beste Lobrede hält, „ist es, der mich liebt“, sagt der Herr, sondern „wer meine Gebote hat und sie hält“.

Was diese abschließenden Aussagen angeht, weisen wir darauf hin, dass der Herr den Heiligen in Ephesus vorwarf, die „erste Liebe“ verlassen zu haben; wir verstehen darunter die Liebe der Braut. Und wenn die Braut zusammen mit dem Geist ruft: „Komm, Herr Jesus!“, so ist das ein wunderbares Zeugnis von der Brautliebe, die Er von seiner Gemeinde erwartet. Unser Briefpartner unterstreicht mit Recht, dass echte Liebe zum Herrn deutlich wird durch den Gehorsam seinem Wort gegenüber. Das ist der ausschließliche Beweis. Möchten wir uns alle doch Gedanken machen, inwieweit unser Leben beweist, dass wir den Herrn lieben. Sein Wort zu halten und seinen Namen nicht zu verleugnen, wird uns etwas kosten; aber die Belohnung ist groß. Sein Gebot ist es, dass wir einander lieben; das steht an erster Stelle. Die Gemeinde, die in Offenbarung 2 und 3 das größte Lob vom Herrn empfängt, ist Philadelphia. Das ist bezeichnend, denn Philadelphia bedeutet Bruderliebe. Möchten wir in dieser Hinsicht alle Philadelphier sein!


Aus Christ and the Assembly: Being Papers Issued as a Supplement to Scripture Truth, London (Central Bible Truth Depot) 1943
Quelle: www.stempublishing.com

Übersetzung: Christel Schmidt


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen