Die Einheit des Geistes (3)
Unterscheidung kirchlicher Irrtum und Leugnung der Lehre des Christus

William Kelly

© Heijkoop-Verlag, online seit: 26.11.2006, aktualisiert: 16.11.2022

Schriftgemäße Gründe für einen Ausschluss

Gibt es denn keine Ausnahmen? Kann es nicht stichhaltige Gründe dafür geben, selbst einem anerkannten Glied des Leibes Christi die Aufnahme zu verweigern? Gewiss gibt es, wie die Schrift zeigt, solche Gründe. Der Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit darf nicht geduldet werden (1Kor 5); der Sauerteig grundlegender Irrlehre ist noch schlimmer (Gal 5). In solchen Fällen heißt es: „Feget den alten Sauerteig aus, auf dass ihr eine neue Masse sein möget.“ Hier errichtet das Wort Gottes unzweideutige Grenzen, wie es dem Herrn Jesus gebührt. Wenn jemand, der Bruder genannt wird, in seinen Taten oder Worten, in seinem Wandel oder in seiner offen zutage tretenden Gesinnung unrein ist, dann wird uns geboten, mit einem solchen selbst nicht zu essen. Und es wäre eine noch weit schwerwiegendere Sünde, wenn jemand nicht die Lehre des Christus brächte oder sogar das ewige Gericht der Verlorenen leugnete. Mit Sicherheit wird Gott niemals dulden, dass das Bekenntnis des Namens Christi gleichsam zur Eintrittskarte für den wird, der Christus verunehrt. Hier, und hier am meisten, ist der Heilige Geist eifersüchtig, wenn in der Tat das Wort Gottes unsere Richtschnur sein soll.

Zweifellos ist jede Wahrheit an ihrer Stelle und zu ihrer Zeit wichtig; aber es ist schlimmer als bloße Unkenntnis, wenn man den Leib auf dieselbe Ebene stellt wie das Haupt. Ein kirchlicher Irrtum, selbst wenn er ein wirklicher und schwerwiegender Irrtum ist, kommt niemals der Leugnung der Lehre des Christus gleich. Bedenken wir nur, wie ernst uns der Apostel der Liebe, der Älteste, ermahnt, in einem solchen Fall auf der Hut zu sein! Selbst nicht im privaten Bereich – und noch viel weniger öffentlich – sind wir frei, die aufzunehmen, die nicht die Lehre des Christus bringen. Wir sind unzweideutig verpflichtet, nicht nur Irrlehre im Allgemeinen nicht zu dulden, sondern im Besonderen alles abzuweisen, was eine Lüge gegen Christus ist, und auch diejenigen, die solche Irrlehrer aufnehmen, als Teilhaber an deren bösen Werken zu behandeln. Aber wir sind nicht berechtigt, die Kirche und Christus gleichzusetzen, wie es die Katholiken tun, oder einen kirchlichen Irrtum der Sünde gegen die Person Christi zur Seite zu stellen. Das wäre nicht Glaube, sondern Fanatismus. Was sollen wir von solchen denken, die diesen Unsinn als Wahrheit betrachten und verbreiten?

Indem wir die Einheit des Geistes bewahren, müssen wir gleichwohl die schriftgemäße Verantwortung akzeptieren, Sauerteig hinauszufegen. Weil diese Verpflichtung, wenn die Person Christi zur Frage steht, unmittelbar und zwingend ist, schreibt der Geist Gottes, wie wir gesehen haben, direkt an eine auserwählte Frau und deren Kinder. Als wir vor Jahren mit solch einem Fall zu tun hatten, kam uns dieser Brief des Johannes sehr zustatten. Eine Gläubige entschuldigte sich damit, dass sie doch bloß eine Schwester und nicht verantwortlich sei, dieses oder jenes zu tun. Aber sofort wurde sie daran erinnert, dass der Heilige Geist nicht an eine Versammlung, selbst nicht an Timotheus oder Titus schrieb, sondern an eine Frau und ihre Kinder, indem Er so auf ihrer persönlichen und unausweichlichen Verantwortung bestand. Wir können sicher sein, dass der Geist Gottes nicht ohne dringendste Notwendigkeit auf diese Weise einen Brief an eine Frau und ihre Kinder inspiriert hätte. Es ging darum, gerade solchen Ausflüchten zu begegnen, mit denen man sich zu jeder Zeit um seine Verpflichtungen gegenüber Christus herumdrücken möchte.

Alle wissen, dass Frauen in Gefahr stehen, sich hinsichtlich ihrer Zuneigung zu irren, da sie naturgemäß dazu veranlagt sind, mehr gefühlsmäßig als nach ruhiger Beurteilung zu handeln. Das Wort Gottes trägt dem Rechnung, indem es sie zur Unterwürfigkeit ermahnt (1Tim 2) und ihnen die spezielle Warnung des 2. Johannesbriefes gibt. Es mag sein, dass die Wahrheit nicht immer erfreulich ist, aber sie ist immer heilsam und gut. Was man daher den Seelen eindringlich vorstellen sollte, ist nur die Wahrheit, und das sollten wir willkommen heißen. Wir sind verpflichtet, darauf zu achten, dass die Kirche Gottes nicht zum Deckmantel irgendeines bekannten Bösen wird; und vor allem dürfen wir nichts wissentlich dulden oder bemänteln, was die Herrlichkeit Christi befleckt.

Lasst uns verschiedene Dinge auch unterscheiden. Trotz vieler und schwerwiegender Schattenseiten hatte die Anglikanische Kirche zu Beginn doch ein heiliges Ziel, da sie einem abscheulichen und immer stärker werdenden Betrug den Rücken zukehrte. Obwohl sie besonders durch den König bei ihrer Reinigung von manchem fest eingewurzelten Aberglauben stark behindert wurde, wandte sie sich aufrichtig gegen alles, was als böse bekannt war. Aber nachher kam es zu Rückschritten, bis schließlich ihre zu Prüfsteinen gemachten rituellen Vorschriften viele fromme Freikirchler hinaustrieben. Letztere hatten also einen moralisch anerkennenswerten und gottesfürchtigen Ursprung; denn es bedeutete in jenen Tagen keinen geringen Kampf, ein gutes Gewissen zu bewahren und sich denen zu widersetzen, die sie in einen bloßen Formalismus herabziehen wollten. Von der Bewegung um Wesley und Whitefield brauche ich hier nicht eigens zu reden, da diese hauptsächlich einen missionarischen und nicht kirchlichen Charakter trug. Wir wissen ferner, wie mächtig Gott später wirkte, als Er vor fünfzig Jahren bei seinen Kindern ein Empfinden dafür weckte, wie sehr sie von dem ursprünglichen Boden, nämlich die Einheit des Geistes zu bewahren, abgewichen waren. In jenen Tagen war es keine geringe Sache zu erkennen, dass die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde und folglich der Leib Christi Realitäten sind. Wenn wir Glieder dieses Leibes sind, ist es daher unsere unausweichliche Pflicht, jene Einheit in ihrem wahren Charakter zu bewahren, wobei wir uns den Bedingungen zu unterwerfen haben, die der Herr in seinem Wort niedergelegt hat – und keinen anderen. Der Geist hat diese Einheit geschaffen, eine Einheit, die alle Glieder des Leibes Christi umfasst; in der Praxis sollten nur diejenigen davon ausgenommen sein, die aufgrund einer schriftgemäßen Zucht abgewiesen werden müssen.

Es mag von allgemeinem Interesse sein zu erfahren, dass das keineswegs unwichtigste Zeugnis, das je zu diesem bedeutenden Thema gegeben worden ist, im Jahre 1828 geschrieben wurde (Considerations on the Nature and Unity of the Church of Christ). Der springende Punkt in dieser Schrift war zu zeigen, wie unmöglich es für Gläubige ist, die den Herrn ehren möchten, mit der Welt zusammenzugehen, anstatt in jener Einheit zu wandeln (und seien es nur zwei oder drei), die von Gott ist. Es wurde ferner gezeigt, dass das Band, das die Benennungen zusammenhält, nicht in ihrer Einheit, sondern tatsächlich in ihren Unterschieden besteht, dass dies also auf keinen Fall die Gemeinschaft der Kirche Gottes ist, die – wie es jede wahre Versammlung tut und tun muss – alle Kinder Gottes im Blick hat. Diejenigen, die das Laxheit nennen, kennen nichts vom göttlichen Boden des Zusammenkommens und sind unversehens zu einer Sekte abgeglitten.

Gnade und Freiheit

Tatsache ist, dass wir geneigt sind, unsere eigenen Anfänge und die gnädige Handlungsweise des Herrn mir uns zu vergessen, als wir unsererseits zuerst das Brot brachen und dabei vielleicht so wenig wie nur irgendjemand verstanden. Wie viele Brüder, die jetzt unter denen, die in Gemeinschaft sind, zu den gefestigten und einsichtsvollsten zählen, sahen damals, als sie im Namen des Herrn sofortigen Zugang zu seinem Mahl fanden, nur sehr unklar – und zwar nicht lediglich im Blick auf die Kirche, sondern sogar hinsichtlich des Evangeliums des Heils und der offenbarten Wahrheit im Allgemeinen! Sie hatten noch überhaupt keine Klarheit über ihren zukünftigen Weg. Trotzdem fühlten sie sich von der Gnade, die sie als Brüder begrüßte, angezogen und hatten Freude an dem einfachen Glauben, der sich vor dem Wort des Herrn in einer Weise und einem Maße beugte, die ihre bisherigen Erfahrungen übertrafen. Wie unweise und ungeziemend ist es dann, wenn diese Männer nun von ihren Brüdern eine Erkenntnis verlangen, die weit über das Maß ihrer eigenen Anfangszeit hinausgeht! Sie verhindern so, dass Seelen in der Versammlung an einen Bergungsort gebracht und auf den Weg des Gehorsams gestellt werden, auf dem der Geist in die ganze Wahrheit leitet. Wenn jemand auf diese Weise heranwächst und weitergeführt wird, dann wird er den Katholizismus oder die Benennungen anhand des Wortes richten und sie als unbefriedigend und abstoßend empfinden, da sie offensichtlich von Menschen und nicht von Gott sind. Was verleiht diese neuen und festen Überzeugungen? Weder Einfluss noch Vorurteil, weder Argumente noch Fantasie, sondern die Wahrheit, wenn sie in der Kraft des Geistes Gottes recht gewürdigt wird.

Sollen wir denn mit der Wahrheit Gottes leichtfertig umgehen? Nein, aber es handelt sich um den Weg des Herrn mit denen, die sein sind und noch zu lernen haben. Soll das in Freiheit oder in Knechtschaft geschehen? Zweifellos sollte jeder Christ die Einheit des Geistes bewahren, sich zum Namen des Herrn hin und zu keinem anderen Namen versammeln. Ein Gläubiger kann nicht rechtmäßig zwei Gemeinschaften angehören. Ist nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi grundsätzlich exklusiv? Folge mit deinem ganzen Herzen dem Herrn Jesus nach, erkenne den einen Leib und den einen Geist an und nimm jedes gottesfürchtige Glied Christi in seinem Namen auf. Das ist weder Laxheit noch Sektiererei. Wie das Wort Gottes klar bezeugt, ist die Gegenwart des Geistes etwas Bleibendes. Und wie Er bleibt, so bleibt auch die durch Ihn geschaffene Einheit. Diejenigen, die den Heiligen Geist empfangen haben, sind verpflichtet, in dieser Einheit – und in keiner anderen – zu wandeln. Sie sind durch den Herrn zusammengefügt, Glieder der Versammlung, die Gott für sich selbst in dieser Welt gebildet hat; und ich bestreite, dass irgendjemand das Recht hat, eine damit rivalisierende Einheit aufzurichten oder sie durch eine andere zu ersetzen. Wenn ihr den Geist Christi habt, gehört ihr bereits zu seinem Leib und seid damit berufen, diese Einheit unter Ausschließung jeder anderen zu verwirklichen.

Wir haben es also nicht mit einer willkürlichen Vereinigung zu tun. Es geht weder darum, etwas Besseres als eine Landeskirche oder Freikirche aufzubauen, noch um die Bildung einer Allianz, die die bestehenden Einrichtungen des orthodoxen Protestantismus nur scheinbar rechtfertigt, in Wirklichkeit aber verurteilt. Die Wahrheit ist vielmehr, dass Gott all solchen Versuchen zuvor selbst seine Kirche auf der Erde gebildet hat. Solche, die seinen Geist haben, sind dadurch zu Gliedern dieser Kirche geworden und deshalb verantwortlich, demgemäß zu handeln. In der Kirche Gottes können böse Lehre oder Praxis nicht geduldet werden, falls wir uns unter die Schrift beugen. Jeder Christ ist verpflichtet, Unwahrheit und Unheiligkeit zurückzuweisen, und das sowohl gemeinschaftlich als auch persönlich. Der Verfall der Kirche schränkt uns nämlich nicht auf einen rein persönlichen Bereich ein. Wenn wir auch nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe und Frieden streben, dann darf und muss das mit denen geschehen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen. Nach Isolation zu trachten, ist eine Sünde, da man damit die Gemeinschaft leugnet. Die Kirche Gottes ist die Versammlung derer, die sein sind. Wenn wir auch noch so viele sind – wir sind ein Brot, ein Leib. Da das Mahl des Herrn der äußerliche Ausdruck dieser Einheit ist, ist es eines Gläubigen unwürdig, sich darüber zu beklagen, man mache zu viel aus dem Mahl und dem Tisch des Herrn. Es ist doch schließlich Gott selbst, der beides so nennt, und nicht wir, die wir uns lediglich an sein Wort halten und seinem Willen vertrauen. Zweifellos ist es nötig, dass wir Christus vor unseren Augen behalten; andernfalls stehen wir in Gefahr, uns sein Mahl nach unserem Willen oder unserem Gutdünken zurechtzumachen. Wenn wir jedoch durch Gottes Gnade den Herrn Jesus vor uns haben, werden unsere Herzen all den seinen, die auf eine gottesfürchtige Weise wandeln, entgegenschlagen.

Schon seit langer Zeit hat sich Satan bemüht, das Zeugnis Christi unter denen, die ihrem Bekenntnis nach zu seinem Namen hin versammelt sind, zu verfälschen. Eine seiner Listen bestand darin, unter dem Vorwand von Licht und Gerechtigkeit Gnade und Wahrheit bei der freien Anerkennung der Glieder des Leibes Christi zu untergraben. Weil man die Ablehnung des neutralen Standpunktes völlig falsch versteht, möchte man keinen Christen am Tisch des Herrn willkommen heißen, der nicht zuvor aufgrund eines mehr oder weniger großen Verständnisses des einen Leibes und einen Geistes seine alte kirchliche Stellung richtet, das heißt ausdrücklich gelobt, nie mehr in seine frühere sog. Kirche zurückzugehen. Das ist meines Erachtens nicht bloß Unglaube, sondern ein schlechter und niedriger Grundsatz. Unter der Hand gründet man so eine Sekte derer, die wissen, was die Kirche ist. In Wirklichkeit beweisen die Betreffenden dadurch aber, einen wie geringen Wert sie selbst dem Leib beimessen; andernfalls könnten sie nicht, wie sie es tun, Erkenntnis höher einstufen als die Verbindung mit Christus. Nach dem Worte Gottes lernt man richtig oder wahrhaft nur innerhalb der Kirche, was diese ist; also muss man dort Raum lassen für ein Wachstum in der Wahrheit durch den Glauben und Gottes Gnade.

Es besteht also die Gefahr, praktisch die Mitgliedschaft am Leibe Christi zu verleugnen, indem man zuvor Einsicht über diesen Leib verlangt. Das zu erwarten, ist ebenso unschriftgemäß wie unweise und umso verkehrter, als eine solche Erkenntnis auch bei vielen, die schon jahrelang in Gemeinschaft sind, nur in schwachem Maße vorhanden ist. Doch darüber hinaus kann es dort, wo man auf die Aufrechterhaltung des Anspruchs von Wahrheit und Gerechtigkeit ohne Gnade drängt, zu ebenso großen Schwierigkeiten und Gefahren auch unter denen kommen, die bereits zugelassen sind. Und gerade diejenigen, die am meisten irren, sind geneigt, am lautesten über das zu reden, was sie in Wirklichkeit gefährden oder ohne ihr Wissen zunichtemachen.

Vorheriger Teil


Aus Christliche Einheit und Gemeinschaft, Heijkoop-Verlag, 1982, S. 34–41

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