Der Wert des Todes Christi (7)
Kann der Tod Christi allein uns ein Anrecht auf den Himmel geben?

Dirk Schürmann

© SoundWords, online seit: 01.12.2003, aktualisiert: 15.12.2020

Einleitung

In bestimmten reformatorischen und neopuritanischen Kreisen wird der Gedanke vertreten, der Tod Christi allein reiche nicht aus, um uns ein Anrecht auf den Himmel zu geben. Sein aktiver Gehorsam in der Erfüllung des Gesetzes sei notwendig dafür. So sagt zum Beispiel der anglikanische Pfarrer Capel Molyneux (1804–1877):

In einfachen Worten: Weißt du, dass über der Tür des Himmels geschrieben steht: „Tue dies und du wirst leben“? Weißt du, dass, wenn ein Mensch gereinigt ist von seiner Sünde in dem Blut Christi und geheiligt ist durch den Geist Gottes, er dann nicht zum Himmel gehen kann? Er braucht noch etwas Weiteres: Er muss einen vollkommenen Gehorsam haben. Der Himmel hängt ab von einem vollkommenen Gehorsam, nicht von einem negativen. Gott sprach zu Adam: „Tue dies und lebe.“ Er versagte. Du musst einen vollkommenen Gehorsam anbieten, wenn du zu Gott kommst. Hast du ihn bekommen? Es ist der aktive Gehorsam Christi. Es sind nicht seine Leiden; diese haben die Sünde ausgetilgt. Es ist nicht sein Geist; dieser heiligt das Herz. Sondern es ist seine vollkommene Gerechtigkeit. Höre: „Durch seinen Gehorsam[1] wird mein gerechter Knecht die Vielen rechtfertigen.“[2]

Wir wollen im Folgenden diese These anhand von verschiedenen Bibelstellen überprüfen.

1. Petrus 3,18

1Pet 3,18: Es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass er uns zu Gott führe, getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.

Es ist dieses „Einmal-Leiden“ für die Sünden, das der Gerechte für die Ungerechten erduldete, nicht in seinem Leben, sondern am Kreuz, „getötet nach dem Fleisch“. Dort hat Er alles erduldet, was unsere Sünden notwendig gemacht hatten. Durch dieses Leiden hat Er uns zu Gott geführt. Er nahm unseren Platz vor Gott ein und erduldete das, was uns und unserer Sünden würdig war, damit wir den Platz vor Gott einnehmen könnten, der Seiner würdig war, statt ewiger Pein, die wir eigentlich für unsere Sünden gerechterweise zu erdulden hätten.

Hebräer 12,22-24

Heb 12,22-24: Ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, der betastet werden konnte, … sondern ihr seid gekommen zum Berg Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem; und zu Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung; und zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind; und zu Gott, dem Richter aller; und zu den Geistern der vollendeten Gerechten; und zu Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes; und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abel.

Hier baut der Apostel einen Kontrast zwischen dem Gesetz und dem Evangelium auf und zeigt, dass wir – ohne darauf warten zu müssen, bis wir tatsächlich verherrlicht sind – schon jetzt im Besitz all der hier genannten Segnungen sind. Unser Anrecht darauf steht schon jetzt absolut fest. Im Glauben können wir das jetzt schon ergreifen. Eingeschlossen hierin ist: Wir sind gekommen zu „Gott, dem Richter aller“. Als solcher, als Richter, hat Er uns jetzt schon angenommen und in seiner Gegenwart willkommen geheißen, und das für immer. Das konnte Er tun, nicht weil wir zu Jesus, dem vollkommenen Erfüller des Gesetzes, gekommen sind, sondern weil wir zu Jesus, dem Mittler des Neuen Bundes, gekommen sind und zu seinem vergossenen Blut, das besser spricht als das Blut Abels.

Epheser 2,13.18

Eph 2,13.18: Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden … Denn durch ihn haben wir beide den Zugang durch einen Geist zu dem Vater.

Nachdem der Apostel Paulus von der Entfernung zu Gott gesprochen hat, in der alle Menschen moralisch weit von Gott entfernt waren, kommt er auch noch auf die zusätzliche Entfernung der Nationen von Ihm zu sprechen, um dann aufzuzeigen, dass wir jetzt in die Nähe Gottes gebracht worden sind. Und wodurch? Durch das Blut des Christus, nicht durch Christi vollkommenes Erfüllen des Gesetzes! Wie dieses Nahe-geworden-Sein aussieht, zeigt Vers 18: Wir haben „Zugang durch einen Geist zu dem Vater“!

Hebräer 10,18-22

Heb 10,18-22: Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Weg, den er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen, und den Leib gewaschen mit reinem Wasser.

Was für eine Freude ist es, zu wissen, dass Gott uns nahe bei sich selbst haben wollte, dass Er dafür selbst den Weg bereitet hat, indem Er im Tod Christi den Trennungsvorhang zerrissen hat, damit wir zu Ihm kommen können. Ja, Er ermuntert uns sogar, zu kommen: „Lasst uns hinzutreten.“ Er kann das in Übereinstimmung mit seiner Herrlichkeit tun. Warum? Weil Christus das Gesetz erfüllt hat? Nein! Es ist „durch sein Blut“! Wir haben also jetzt schon dieselbe Nähe, dieselbe Annahme, dieselbe Freiheit des Zugangs zu Gott heute, wie wir sie bald im Himmel haben. Natürlich ist das Maß dessen, wie wir dies heute verwirklichen, unvergleichlich schwächer verglichen mit dem, was wir dann erfahren werden.

Wie dieser Weg für uns geöffnet wurde, zeigt uns ganz ausführlich Kapitel 9. Dort wird uns zuerst gezeigt, dass zur Zeit des Gesetzes „der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart ist, solange die vordere Hütte noch Bestand hat“ (Heb 9,8). Dann lesen wir von der Veränderung, die Christus hier zustande gebracht hat: „Christus aber, gekommen als Hohepriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der größeren und vollkommneren Hütte, die nicht mit Händen gemacht (das heißt nicht von dieser Schöpfung ist), … mit seinem eigenen Blut, ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte“ (Heb 9,11.12). Und dann zeigt uns Vers 24, dass dies Heiligtum der Himmel ist: „Der Christus ist nicht eingegangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen“ (Heb 10,24). Das ist der Weg, auf den Gott uns in Hebräer 10 einlädt, Christus in das Heiligtum zu folgen, ein Weg, der direkt „vor dem Angesicht Gottes“ endet. Diesen Weg hat Christus, wie uns das Vorbild der Hohenpriester im Alten Bund zeigt, durch Blut geöffnet. Bei Christus handelte es sich allerdings um „sein eigenes Blut“ (Heb 9,12).

Wie hat der Thron Gottes das Blut Christi so geehrt! Wie hat er uns seinen Wert verkündigt! Ja, Gott selbst lädt uns ein, zu Ihm zu kommen, weil dieses Blut auf dem Thron Gottes ist, wie der Hohepriester damals das Blut des Bockes in 3. Mose 16 auf den Versöhnungsdeckel sprengte, der damals den Thron Gottes bildete. Wie deutlich wird, dass es uns ein Anrecht gibt, durch den Glauben in den Himmel einzutreten, um dort im Geist anbeten zu können! Es ist daher klar, dass die Leugnung, dass dieses Blut die Kraft hat, uns überhaupt ein Anrecht auf den Himmel zu geben, eine schlimme Unterschätzung des herrlichen Vorrechtes ist, das dieses Blutes für uns erworben hat. Aber nicht nur das: Es unterschätzt auch, wie Gott selbst dadurch verherrlicht worden ist.

Kolosser 1,19-22

Kol 1,19-22: Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, … durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln. Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er aber nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, um euch heilig und tadellos und unsträflich vor sich hinzustellen.

In diesem Vers geht es um die endgültige Aufnahme in die Herrlichkeit, wenn wir mit verherrlichten Leibern dort erscheinen werden. Und wir sehen, dass es dieselbe Grundlage ist wie für die Stellung, die wir im Glauben jetzt schon dafür haben, die uns dazu die Voraussetzung schafft – „durch das Blut seines Kreuzes“, „in dem Leib seines Fleisches durch den Tod“, keinesfalls jedoch das Erfüllen des Gesetzes durch sein Leben auf der Erde.

Offenbarung 7,9-14

Off 7,9-14: Nach diesem sah ich: Und siehe, eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen, und sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Gewändern, und Palmen waren in ihren Händen. Und sie rufen mit lauter Stimme und sagen: Das Heil unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm! Und alle Engel standen um den Thron her und um die Ältesten und die vier lebendigen Wesen, und sie fielen vor dem Thron auf ihre Angesichter und beteten Gott an und sagten: Amen! Die Segnung und die Herrlichkeit und die Weisheit und die Danksagung und die Ehre und die Macht und die Stärke unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Und einer von den Ältesten hob an und sprach zu mir: Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind, wer sind sie, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Dies sind die, die aus der großen Drangsal kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und haben sie weiß gemacht in dem Blut des Lammes.

In diesem Abschnitt werden wir direkt vor den Thron Gottes versetzt, wo wir erlöste Heilige stehen sehen. Sie preisen Gott und das Lamm – das ist Christus, der für sie gestorben ist – für die Herrlichkeit der Errettung, die sie empfangen haben. Die Antwort eines Ältesten auf die Frage „Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind, wer sind sie, und woher sind sie gekommen?“ macht deutlich, woher sie das Anrecht, vor Gott in der Herrlichkeit zu stehen, haben: „Sie haben ihre Gewänder gewaschen und haben sie weiß gemacht in dem Blut des Lammes.“ Einzig das Blut Christi gibt ihnen dies Anrecht.

Offenbarung 5

Off 5: Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig, mit sieben Siegeln versiegelt. Und ich sah einen starken Engel, der mit lauter Stimme ausrief: Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen? … Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet, das sieben Hörner hatte und sieben Augen, die die sieben Geister Gottes sind, die gesandt sind über die ganze Erde. Und es kam und nahm das Buch aus der Rechten dessen, der auf dem Thron saß. Und als es das Buch nahm, fielen die vier lebendigen Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm … Und sie singen ein neues Lied: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation, und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen! Und ich sah: Und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron her und um die lebendigen Wesen und die Ältesten; und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende, die mit lauter Stimme sprachen: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung … Und jedes Geschöpf, das in dem Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meere ist, und alles, was in ihnen ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!

In diesem Kapitel sehen wir das Lamm wie geschlachtet inmitten des Thrones stehen. Und es ist wie ein Signal für alle Bewohner des Himmels, und letztlich stimmt die ganze Schöpfung mit ein: Als das Lamm das Buch nimmt, rühmen alle sein Recht auf den Titel, das Buch zu öffnen, und preisen seine Würde als das Lamm wie geschlachtet, das heißt als derjenige, der gelitten hat und gestorben ist für die Herrlichkeit Gottes. Durch diese Darstellung als „Lamm wie geschlachtet“ wird der  Platz in dem Thron, den Christus hier einnimmt, und sein Recht auf alles im Himmel und auf der Erde dem Wert seines Opfertodes zugeschrieben. Das gilt aber auch für das Teil der verherrlichten Heiligen, die erlöst sind für Gott durch sein Blut. Hören wir, was die Ältesten, die Engelscharen und schließlich die ganze Schöpfung ausdrücken: Die Ältesten singen: „Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut.“ Sein Würde wird hier begründet mit seinem Opfertod, und dass es jetzt für Gott Erkaufte gibt, wozu auch die Ältesten gehören, wird auf sein vergossenes Blut zurückgeführt. Die gewaltige Engelschar ruft: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen …“, und die ganze Schöpfung beschließt mit ihrem Lobpreis das Anrecht des Lammes auf diesen Titel, durch den es die Segnung und Ehre und Herrlichkeit bekommen wird. Hier wird also die Würdigkeit und das Anrecht auf den höchsten Platz und Titel im Himmel dem Wert des Opfertodes des Lammes Gottes zugeschrieben. Und dieser auf dem Wert des Opfertodes gegründete Platz und Titel im Himmel dient dazu,

  1. alle Dinge im Himmel und auf der Erde mit Gott zu versöhnen (Kol 1,29);
  2. die Befleckung der Sünde aus der Schöpfung abzuschaffen (Heb 9,23.24);
  3. alles für Gott wiederherzustellen und alles in den Segen einzuführen.

Dieses Zeugnis gibt Gott – indem Er dem Lamm das Buch reicht. Dieses Zeugnis geben die Erlösten (im Bild der Ältesten). Dies Zeugnis gibt die Engelschar und die ganze Schöpfung. Und dies alles geschieht vor dem Thron Gottes.


Diese Gedanken gehen zurück auf die Schrift Justification and Acceptance with God or, An Inquiry into the Relative Value of the Life, Death, and Resurrection of Christ and of the Law. By a Student of Scripture; Morrish, London 1865. (Diese Schrift wird Alexander Craven Ord [1824–1907] zugeschrieben.)

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Anmerkungen

[1] Molyneux bezieht sich hier auf Jesaja 53,11. Er übersetzt das hebräische Wort dagath fälschlicherweise mit „Gehorsam“, doch es kann nicht anders als mit „Erkenntnis“ übersetzt werden, so wie es auch alle anderen Bibelübersetzungen haben: „Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen.“

[2] Aus einer Predigt gehalten in London in Exeter Hall am 18. Juli 1858.

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