Das Zeitalter des „Show Business“
Ist auch die Gemeinde von diesem Zeitalter betroffen?

John Fullerton MacArthur

© CLV, online seit: 23.11.2001, aktualisiert: 10.12.2020

Tatsache ist, dass viele gern Kirche und Theater, Spielkarten und Gebet, Tanz und Sakrament verbinden möchten. Wenn wir zu schwach sind, uns diesem Sturzbach entgegenzustellen, können wir doch wenigstens vor ihm warnen und bitten, sich davor in Acht zu nehmen. Wenn der alte Glaube dahin und die Begeisterung für das Evangelium erloschen ist, so nimmt es nicht wunder, dass die Leute sich etwas anderes suchen, an dem sie Gefallen haben. Es fehlt an Brot, darum essen sie Asche; sie verwerfen die Wege des Herrn, darum rennen sie ungestüm auf den Pfad des Irrtums. (Charles Haddon Spurgeon)

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts neigte sich „das Zeitalter der Ausstellungen“ dem Ende zu, und die ersten Anzeichen für das, was folgen sollte, konnten ausgemacht werden. Das Zeitalter des „Show Business“ zog herauf.

Während Charles Spurgeon seinen Kampf in der „Down-Grade-Kontroverse“ ausfocht, begann ein weltweiter Trend sichtbar zu werden, der mehr als alles andere den Gang der Menschheitsgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert bestimmen sollte. Es war der Aufstieg der Unterhaltung zum eigentlichen Mittelpunkt von Familie und kulturellem Leben. Dieser Trend führte zum Verschwinden des von Neil Postman sogenannten „Zeitalters der Ausstellungen“ – gekennzeichnet durch ernsthaften Gedankenaustausch in Büchern und durch Gespräche (Predigten, Debatten, Vorlesungen). Stattdessen kam „das Zeitalter des Show Business“ – in dem Vergnügen und Unterhaltung die wichtigsten und zeitraubendsten Aspekte des menschlichen Miteinanders bilden. Theater, Film und in weit höherem Maße das Fernsehen haben das „Show Business“ ins Zentrum unseres Lebens gerückt. Der Fernseher bildet letztendlich den Mittelpunkt unseres Hauses.

Im Show-Business kommt es nicht auf Wahrheit an; was zählt, ist einzig der Unterhaltungswert. Der Inhalt bedeutet wenig, alles aber, wie er gebracht wird. In den Worten Marshall McLuhans ist das Medium die Botschaft. Leider beherrscht diese Art zu denken die Kirche genauso wie die Welt.

A.W. Tozer schrieb schon 1955:

Jahrhundertelang bewahrte sich die Kirche standfest vor weltlichen Vergnügungen, indem sie diese für das hielt, was sie sind – eine Erfindung, Zeit zu verschwenden; eine Zuflucht vor der störenden Stimme des Gewissens; eine Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit von der moralischen Verantwortlichkeit abzulenken. Dafür wurde die Kirche von den Kindern dieser Welt auch allezeit scheel angesehen. In der letzten Zeit aber ist sie der Ablehnung müde geworden und mag nicht mehr kämpfen. Sie scheint entschieden zu haben, dass, wenn sie den großen Gott „Unterhaltung“ schon nicht überwinden kann, sie mit ihm zusammenstecken sollte, um aus seinen Möglichkeiten das Beste zu machen. So entfaltet sich heute vor uns ein erstaunliches Szenario: Millionen von Dollar werden zu dem unheiligen Zweck ausgegeben, irdische Vergnügungen für die sogenannten „Söhne des Himmels“ zu produzieren. Religiöse Unterhaltung verdrängt an vielen Orten die ernsthafte Beschäftigung mit Gott. Viele Gemeinden heutzutage sind kaum mehr als armselige Theater, in denen drittklassige „Produzenten“ ihren Ramsch feilbieten, und das mit der vollen Billigung evangelikaler Leiter, die wohl kaum einen heiligen Text zur Rechtfertigung ihrer Pflichtvergessenheit beibringen können. Und kaum jemand wagt, die Stimme dagegen zu erheben.

Nach heutigen Maßstäben scheinen die Gründe für Tozers Erregung Bagatellen zu sein. Zum Beispiel zeigten damals manche Gemeinden bei den Abendgottesdiensten christliche Filme, um Menschen anzulocken, oder in Jugendversammlungen wurde flotte Musik gespielt, oder es traten Redner auf, deren Spezialität der Humor war. Sport und Spiel begannen in der kirchlichen Jugendarbeit eine Schlüsselrolle zu spielen. Im Rückblick mag tatsächlich Tozers Kummer unverständlich erscheinen. Denn heutzutage regt sich kaum noch jemand über diese Methoden auf, die in den Fünfzigern aber für radikale Neuerungen galten. Heute werden die meisten von ihnen allgemein für konventionell angesehen.

Tozer aber verdammte nicht Spiele, Musikstile oder den Film an sich. Ihm ging es um die Philosophie, die diesen Aktivitäten zugrunde liegt. Er schlug Alarm wegen der tödlichen Änderung der Blickrichtung. Er sah, wie Evangelikale die Unterhaltung als Mittel zum Gemeindewachstum anwendeten, und glaubte, dass dadurch die kirchlichen Prioritäten durcheinandergerieten. Er fürchtete, dass frivole Zerstreuungen und fleischliche Vergnügungen in der Gemeinde eventuell den Appetit der Menschen auf wahren Gottesdienst und auf die Predigt des Wortes Gottes zerstören könnten.

Er hatte recht damit. Ja, Tozers Zurechtweisung der Kirche wird umso aktueller, je mehr wir uns dem Ende des Jahrhunderts nähern. Er – wie zuvor Spurgeon – erkannte einen Trend, der erst in unserer Generation zur vollen Ausreifung gelangte. Womit die Kirche in Spurgeons Tagen flirtete, dadurch wurde sie zu Tozers Zeiten verblendet, und heute ist sie davon besessen. Schlimmer noch – die Formen der in der Kirche praktizierten Unterhaltung sind total weltlich, bar alles Christlichen.

Ein Artikel in The Wallstreet Journal glossiert die Anzeige einer bekannten Gemeinde, „sich beim Sonntag-Abend-Gottesdienst aufmöbeln zu lassen“. Die Gemeinde veranstaltete einen Schau-Ringkampf, ausgeführt durch die kirchlichen Mitarbeiter. Um für dieses Ereignis fit zu sein, hatten zehn von ihnen Trainingsstunden bei Tugboat Taylor, einem ehemaligen Berufsringer, genommen, der ihnen beibrachte, wie man an den Haaren reißt, gegen das Schienbein tritt und die Körper herumschmeißt, ohne wirklich Schaden anzurichten. Den Mitarbeitern mag kein Schaden zugefügt worden sein; aber welche Auswirkung hat eine solche Darbietung auf die kirchliche Botschaft? Wird nicht das Evangelium verdunkelt und böse karikiert durch solche Albernheiten? Man kann sich denken, was Spurgeon und Tozer dazu gesagt hätten.

Dieses Ringermatch ist kein obskures Beispiel aus einer exzentrischen Gemeinde ganz weit weg. Es fand an einem Abendgottesdienst einer der fünf größten Gemeinden Amerikas statt. Ähnliches könnte von vielen führenden Kirchen berichtet werden, die alle für echt evangelikal gelten.

Einige mögen behaupten, das Medium sei gleichgültig, wenn nur die biblische Botschaft gebracht wird. Das ist Unsinn. Wenn das Unterhaltungsmedium der Schlüssel ist, um große Massen anzulocken, warum dann nicht in die Vollen gehen? Warum nicht einen richtigen Karneval? Ein tätowierter Akrobat könnte auf dem Hochseil mit Kettensägen jonglieren und dabei Bibelverse schreien, während ein abgerichteter Hund auf seinem Kopf balanciert. Das zöge die Massen an. Und der Inhalt seiner Botschaft wäre rein biblisch. Das ist eine bizarre Szene; aber sie macht deutlich, wie das Medium die Botschaft verwässern oder gar zerstören kann.

Und traurigerweise unterscheidet sich dieses Bild kaum von dem, was in einigen Gemeinden tatsächlich stattfindet. Es gib nahezu keine Grenze für das, was moderne kirchliche Leiter zu tun bereit sind, um Menschen anzulocken, die an Gottesdienst und Predigt nicht interessiert sind. Zu viele haben die Ansicht übernommen, die Kirche müsse Menschen gewinnen, indem sie Alternativen zur Predigt anbietet.

Wie weit wird wohl die Kirche noch gehen in ihrem Wettstreit mit Hollywood? Eine große Gemeinde im Südwesten der USA hat für eine halbe Million Dollar ein „Special-effects-System“ gekauft, das im Zuschauerraum Rauch, Feuer, Funkenregen und Laserlicht erzeugen kann. Dazu schickte die Kirche einige Mitarbeiter in Ballys Casino nach Las Vegas, um dort die nötigen Erfahrungen zu sammeln. Der Prediger beendete einen Gottesdienst, indem er in den „“Himmel“ auffuhr. Unsichtbare Drähte zogen ihn aus dem Gesichtsfeld, während Chor und Orchester die Rauch-, Feuer- und Lichtshow untermalten. Das war für diesen Prediger nichts Ungewöhnliches. „Durch solche Effekte ist seine Kirche immer rappelvoll … Er wirft eine Motorsäge an und fällt einen Baum, um etwas zu verdeutlichen … Zum vierten Juli veranstaltete er das größte Feuerwerk in der Stadt … Zur Weihnachtsfeier kam er mit einem geliehenen Elefanten, einem Känguru und einem Zebra. Zur Weihnachtsfeier gehörten 100 Clowns, um die Gemeindekinder zu bescheren.“

Solche Torheiten hätten den Stoff zu Spurgeons schrecklichsten Alpträumen abgegeben. Und nicht einmal Tozer hätte voraussehen können, zu welchen Extremen sich Evangelikale würden hinreißen lassen, um sich vor dem großen Gott „Unterhaltung“ zu verneigen.


Aus dem Buch Wenn Salz kraftlos wird, Bielefeld (CLV) 1996, S. 69–72
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