Das Markusevangelium (6)
Kapitel 6

William Kelly

© J. Das, online seit: 22.12.2002, aktualisiert: 26.01.2018

Leitverse: Markus 6

Der Prophet im eigenen Land (Mk 6,1-6)

Danach finden wir wieder unseren Herrn; aber jetzt wird Er völlig verworfen. Er ist hier „der Zimmermann“. Das war wahr; aber war das alles? War es „die Wahrheit“? So schätzte der Mensch den Herrn der Herrlichkeit ein. Er war nicht nur der Zimmermannssohn, sondern hier, und nur hier allein, war Er selbst der Zimmermann, „der Sohn der Maria, und ein Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon; und sind nicht seine Schwestern hier bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm.“ Man wird auch bemerken, wie schön unser Herr hier handelte. Er wollte nicht ihren Unglauben durch glänzende Machttaten beiseiteräumen; denn Ergebnisse, die auf diese Weise erhalten werden, sind ohne moralischen Wert. Er hatte dem Unglauben schon reichlich Zeichen gegeben. Aber die Menschen hatten keinen Nutzen daraus gezogen noch war das Wort, welches Er sprach, in den Hörenden mit Glauben vermischt worden (Heb 4,2). Die Folge war: „Er konnte daselbst kein Wunderwerk tun.“ Das wird nur hier berichtet. Ja, der Mann, für den weder die Macht Satans noch die Krankheiten der Menschen, nichts in der Höhe, auf der Erde oder unter der Erde die geringste Schwierigkeit machte, konnte daselbst kein Wunderwerk tun. Aber die Herrlichkeit Gottes, Sein Wille, regierte alles. Und die vollkommene Macht wurde in vollkommener Demut des Gehorsams entfaltet. Deshalb konnte dieser gesegnete Mensch dort kein Wunderwerk tun. Es ist unnötig, darauf hinzuweisen, dass es nicht an einem Fehlen der Kraft in Ihm lag. In keinster Weise war Sein rettender Arm verkürzt worden. Auch hatte Er nicht die wirksame Kraft verloren, sondern in Ihm war die moralische Verherrlichung Gottes aufs lieblichste mit dem verschmolzen, was Er für den Menschen tat. Mit anderen Worten, wir finden in diesem Evangelium nicht einfach eine Darlegung der Macht Jesu, sondern Seinen Dienst. Es ist deshalb ein wichtiges Merkmal in diesem Dienst, dass Er wegen des Unglaubens dort kein Wunderwerk tun konnte. Er diente wirklich Gott. Aber wenn ausschließlich der Mensch gesehen wurde und nicht Gott, dann ist es nicht unverständlich, dass Er dort kein Wunderwerk tun konnte. So wird wieder das, was auf dem ersten Blick seltsam erscheint, zu einer eindrucksvollen, klaren und lehrreichen Wahrheit. Man muss sie nur in Verbindung mit der Absicht Gottes in dem, was Er zeigen will, bringen.

Die Aussendung der Zwölfe (Mk 6,7-13)

Und nun fuhr Er fort, sich mit der Berufung der zwölf Jünger, die Er, wie wir sahen, in Kapitel 3 bestellt hatte, zu beschäftigen. „Er ruft die Zwölfe herzu; und er fing an, sie … auszusenden.“ Angesichts der völligen Missachtung, die sich gerade gezeigt hatte, gab Er ihnen ihren Auftrag. Nachdem Ihn die äußerste Verachtung getroffen hatte, so dass Er kein Wunderwerk tun konnte, sandte Er sie aus. Er beantwortete sozusagen den Unglauben auf gnädigste und überzeugendste Weise. Es lag nicht an fehlender Kraft in Ihm; denn jetzt sandte Er sie zu zwei und zwei auf ihren neuen und gewaltigen Botengang. Wenn Er damals einer Anzahl Männern, den Zwölfen, Kraft mitteilen konnte, um hinauszuziehen und jedes Wunderwerk zu tun, dann fehlte es Ihm bestimmt nicht an innerer Kraft (oder Gott an Macht, die in Anspruch genommen werden konnte). Jesus stattete sie sozusagen mit Seiner eigenen Kraft aus und schickte sie in alle Himmelsrichtungen als Zeugen, und zwar als Zeugen von Seinem Dienst. Sie waren Knechte, die Er nach Seiner Weise berufen hatte. Und so befahl Er ihnen, dass sie nichts mit auf ihre Reise nehmen sollten als nur einen Stab. Sie sollten im Vertrauen auf Seine Hilfsquellen vorangehen. Folglich würde jedes menschliche Hilfsmittel dieser Absicht widersprechen.

Kurz gesagt, wir müssen uns daran erinnern, dass dies eine besondere Art des Dienstes war, die zu jenem Zeitpunkt passte. Tatsächlich wurden diese Anweisungen später von unserem Herrn in sehr wichtigen Einzelheiten aufgehoben. Im Lukasevangelium werden uns, als die Stunde des Herrn gekommen war, sorgfältig die Abänderungen gezeigt (Lk 22,35-38). Es war nicht nur für den Herrn die wichtigste Stunde gekommen, sondern auch den Jüngern stand ein Wendepunkt bevor. Sie mussten danach einem großen Wechsel ins Auge sehen, weil der Herr in den Zustand völliger Verwerfung und auch der Leiden eintrat. Er verwies sie deshalb auf die gewöhnlichen Hilfsquellen des Glaubens, indem sie die Dinge benutzen sollten, die sie besaßen. Aber bis jetzt war es noch nicht so. Im Gegenteil, die Zeugen Jesu an Israel zogen nun hinaus. Es geschah angesichts des Unglaubens gegen Ihn; aber der Unglaube wurde durch einen neuen Ausfluss der Gnade Seinerseits beantwortet, indem Er Boten mit außergewöhnlicher Kraft, die von Ihm stammte, über das ganze Land sandte. Und so sagte Er ihnen, wohin sie gehen sollten. „Wo irgend ihr in ein Haus eintretet, daselbst bleibet, bis ihr von dannen weggehet. Und welcher Ort irgend euch nicht aufnehmen, und wo man euch nicht hören wird, von dannen gehet hinaus und schüttelt den Staub ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zum Zeugnis. Und sie gingen aus und predigten, dass sie Buße tun sollten.“ Es wird hier ein sehr wichtiger Wesenszug angefügt. Johannes predigte Buße; Jesus predigte Buße und ebenso die Apostel. Und seid versichert, liebe Freunde, Buße ist eine ewige Wahrheit Gottes für diese Zeit wie auch für jede andere. Es gibt keinen größeren Irrtum als die Annahme, dass der Wechsel der Haushaltung die Pflicht, Buße zu predigen, abschwächt. Damit meine ich nicht bloß den Stellenwert der Buße für jede Seele, die zu Gott gebracht wird, sondern auch die Verpflichtung, diese zu predigen. Wir sollen uns nicht in oberflächlicher Weise mit der Annahme zufriedengeben, dass, wenn eine Seele glaubt, sie sicherlich Buße tut. Wir müssen Buße predigen und auch nach Zeichen der Buße bei jenen ausschauen, die bekennen, das Evangelium angenommen zu haben. Auf jeden Fall ist klar, dass der Herr Buße predigte und dass die Jünger Buße predigen sollten und es auch taten. „Sie predigten, dass sie Buße tun sollten, und sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Schwache mit Öl und heilten sie.“

Herodes und die Macht Satans (Mk 6,14-29)

Dann erscheint Herodes auf dem Schauplatz. Herodes verkörperte in Israel, wie ich annehme, die Macht der Welt – wenn man will, die widerrechtlich angeeignete Macht. Wie dem auch sein mag – er war tatsächlich der Inhaber der weltlichen Macht im Land und immer, wenn auch nicht ohne Gewissensbisse und Kämpfe am Ende, ein eingeschworener Gegner des Zeugnisses Gottes. Er war diesem Zeugnis wirklich feindlich gesinnt – und zwar vom Grund seiner Seele – bei seinem ersten Erscheinen und seiner ursprünglichsten Darstellung bis zu seiner vollsten Ausprägung. Er liebte die Wahrheit nicht. Er mochte zwar den Mann, der sie recht gut predigte, und hörte ihm anfangs gerne zu. Er hatte vielleicht große Angst wegen seiner Seele vor Gott und wusste sehr gut, dass er in seinem Alltagsleben falsch handelte. Und doch handhabte der Teufel die Spielregeln so gut, dass trotz persönlicher Zuneigung oder wenigstens Respekt vor dem Diener Gottes das unglückliche Ende nicht aufzuhalten war. So geschieht es immer, wenn es zu einer richtigen Erprobung in dieser Welt kommt. Kein Respekt, keine freundlichen Gefühle gegen eine Person oder eine Sache, die mit Gott in Beziehung stehen, können standhalten, wenn Satan wirken und seine tödlichen Pläne, um das Zeugnis Gottes zu zerstören oder zu durchkreuzen, ausführen darf. Jene, die im Dienst Christi arbeiten, müssen ständig mit solchen Versuchen rechnen; und dann ist Widerstehen gefordert. Wenn das, wie ich annehme, der Gegenstand dieses Abschnittes ist, dann ist völlig klar, warum er hier angeführt wird. Der Herr hatte gerade diese auserwählten Gefäße ausgesandt. Angesichts dieser neuen Handlungsweise Seinerseits in Seinem Werk erfahren wir, wie die Welt dieselbe empfindet. Wir erfahren nicht nur die Gefühle der ungebildeten Welt oder der religiösen Parteien mit ihren Häuptern, sondern insbesondere auch die der hochkultivierten profanen Welt. Und in dieser Weise behandeln sie das göttliche Zeugnis. Sie besitzen die äußere Macht, die Satan sie benutzen lässt. Sie töten den Zeugen Gottes. Es mochte nur eine böse Frau sein; und doch konnte sie den Machthaber zur Tat aufreizen. Aber dass wir uns nicht täuschen! Es ging nicht bloß um Herodias. Sie war nur das Werkzeug, durch welches der Teufel alles zur Ausführung brachte. Er hat seine eigenen Methoden. Und in diesem Fall werden uns nicht allein die überaus ernsten Umstände geschildert, sondern auch die Quelle von allem, nämlich Satans Widerstand gegen Gottes Zeugnis. Wir finden hier die Lehre davon: Wenn gottlose Menschen die Macht haben zu töten, dann zwingt sie derjenige, dessen Eigentum sie irgendwie sind, dazu, bei passender Gelegenheit, wenn auch widerstrebend, ihre Macht zu gebrauchen. Menschenfurcht und Ehrvorstellungen sind starke Kräfte, wo man sich nicht um Gott kümmert. Aber was folgt erst dann, wenn nicht einmal mehr ein Gewissen da ist? Die alte Schlange kann selbst den Klügsten fangen; und so geht Herodes in die Falle. Aufgrund seines Wortes an eine gottlose Frau, das er in Gegenwart seiner Obersten aussprach, wurde der Kopf Johannes des Täufers abgeschlagen und in einer Schüssel vorgezeigt.

Die Gefahr der Prahlsucht (Mk 6,30-44)

Die Apostel kamen nach Erfüllung ihres Auftrags zu unserem Herrn zurück und erzählten Ihm von den Ergebnissen ihres Dienstes oder, wie es hier ausgedrückt ist, „sie berichteten ihm alles, was sie getan und was sie gelehrt hatten“. Das war keine sichere Grundlage; es wäre besser gewesen, davon zu reden, was Er gelehrt und was Er getan hatte. Da der Herr jedoch alles gnädig richtigstellen wollte, nahm Er sie beiseite an einen öden Ort; und wir sehen Ihn unermüdlich in Seiner Liebe. Dort befand sich nämlich eine hungrige Volksmenge. Diese Jünger waren doch kurze Zeit vorher so voll von dem, was sie gelehrt und was sie getan hatten – war das nicht ein dringender Notfall, der ihrer Arbeit würdig war? Konnten sie in diesem Elend nicht helfen? Sie schienen nicht einmal daran gedacht zu haben. Auf jeden Fall stand unser Herr Jesus in dieser Szene ganz allein, als Er in eindrücklichster Weise ihr völliges Versagen herausstellte. Beachten wir diese Lehre gut! Vorher zeigte sich bei ihnen so etwas wie Prahlsucht, indem sie mit ihren eigenen Taten und ihrem Lehren beschäftigt waren. Danach finden wir sie ganz besonders kraftlos. Sie waren mit ihrer Weisheit am Ende. Sie wussten nicht, was sie tun sollten. Es ist seltsam; aber sie dachten nicht im Geringsten an den Herrn. Aber der Herr dachte an die arme Volksmenge. In Seiner reichsten Gnade richtete er ihr nicht nur eine Mahlzeit zu und speiste sie, sondern machte auch die schwachen Jünger zu Austeilern Seiner Freigebigkeit. So mussten sie auch hinterher das Übriggebliebene einsammeln.

Die Jünger im Sturm (Mk 6,45-56)

Danach finden wir sie wieder einem Sturm ausgesetzt. Der Herr vereinigte sich mit ihnen in ihren Schwierigkeiten und brachte sie schnell und sicher in den ersehnten Hafen. Dort folgte die Szene der Freude, in der Jesus erkannt wurde und in der jeder Schritt, den Er machte, von reichem Segen begleitet war. Genauso wie Jesus damals die arme Welt segnete, so, und noch viel mehr, wird Er bei Seiner Wiederkehr die Welt segnen, nachdem diese das Schlimmste getan hat. Ich zweifle nicht daran, dass diese Ereignisse uns zum Ende hinführen, wenn der Herr Jesus sich wieder mit Seinem Volk nach vielfältigen und schlimmen Drangsalen, nachdem es seine Schwachheit bewiesen hatte und den äußeren Stürmen ausgesetzt war, vereinigen wird. So wie an jedem Ort, den Er damals besuchte, wird Er auch bei der allumfassenden Ausbreitung von Macht und Segnung handeln, wenn die sturmgeschüttelten Jünger sicher an Land gekommen sind.

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Aus Lectures Introductory to the Study of the Gospels
Heijkoop, Winschoten, NL, 1970
(im Deutschen herausgegeben und übersetzt von J. Das)
Die Zwischenüberschriften stammen von SoundWords

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