Das Markusevangelium (3)
Kapitel 3

William Kelly

© J. Das, online seit: 29.11.2002, aktualisiert: 26.06.2023

Leitverse: Markus 3

Heilung einer verdorrten Hand (Mk 3,1-6)

Aber dieser Gegenstand enthält noch tiefere Wahrheiten, wie sich am zweiten Sabbat herausstellt. Es zeigte sich die äußerste Hilflosigkeit des Menschen. Jetzt handelte es sich nicht nur darum, dass die Jünger Jesu Mangel litten als Zeugnis von Seiner Verwerfung; denn in der Synagoge, in die Er eintrat, befand sich ein Mensch mit einer verdorrten Hand. Wie kam es dazu? Was für Gefühle mussten im Herzen sein, wenn es das Gesetz des Sabbats verteidigte, um die Heilung eines elenden menschlichen Dulders zu verhindern? Würde Jesus kein Mitleid zeigen, weil ihre Augen allein darauf gerichtet waren, in Seiner Liebe einen Anklagegrund gegen Den zu finden, der jedes Leid des Menschen auf der Erde fühlte? Er war da; und Er besaß die ausreichende Macht, um alles Leid mitsamt seiner Quelle zu verbannen. Und deshalb ging unser Herr Jesus in diesem Fall, anstatt einfach für die Schuldlosen einzutreten, kühn voran. Obwohl Er wusste, dass sie Ihn beobachteten, um Ihn anklagen zu können, antwortete Er inmitten einer mit Menschen angefüllten Synagoge den bösen Gedanken ihrer Herzen. Er gab ihnen die gewünschte Gelegenheit. „Und er spricht zu dem Menschen, der die verdorrte Hand hatte: Stehe auf.“ Nicht das Geringste wurde verheimlicht. „Er spricht zu ihnen: Ist es erlaubt, an den Sabbaten Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten?“ War Er nicht der vollkommene Knecht Gottes, der die richtigen Zeitpunkte sehr gut kannte? Hier verteidigte Er also nicht nur Seine Jünger, sondern Er forderte auch die gottlosen und bösen Gedanken der Pharisäer in einer offenen Versammlung heraus. Er legte Sein Zeugnis davon ab, dass Gott kein Gefallen daran hat, wenn man Satzungen einhält, welche die Entfaltung Seiner Güte behindern. Seine Handlung machte im Gegenteil kund, dass keine Satzung Gott davon abhalten kann, Gutes zu tun. Seine Natur ist Güte; mögen die Menschen noch so viel Eifer für Sein Gesetz vortäuschen, um den Menschen im Elend zu halten und den Fluss der Gnade zu hindern. Die Gebote Gottes sollten niemals Seine Liebe einschränken. Sie sollten ohne Zweifel die Bosheit des Menschen zügeln, aber niemals Gott verbieten, Seinen eigenen guten Willen auszuführen. Aber ach, sie hatten nicht den Glauben, dass Gott wirklich anwesend war!

Es ist auch bemerkenswert, obwohl ich dort nicht darauf hingewiesen habe, dass Markus im ersten Kapitel nicht mit der Beschreibung des Dienstes unseres Herrn Jesus beginnt, ohne Ihn in Vers 1 als Sohn Gottes vorzustellen. Darauf folgte die Anführung des prophetischen Ausspruchs, der aufzeigte, dass Er wirklich Jehova war. Der einzige wahre Knecht war wahrhaft göttlicher Natur. Was für ein bedeutendes Zeugnis von Seiner Herrlichkeit! Der Anfang des Evangeliums war der rechte Ort für diese Darlegung, zumal dieser Herrlichkeit im Markusevangelium nicht häufig gedacht wird. An dieser Stelle möchte ich auch im Vorbeigehen bemerken, dass wir im Markusevangelium kaum Zitate von Schriftstellen durch den Evangelisten finden. Ich weiß kein Beispiel, das man anführen könnte, außer diese einleitenden Verse; denn die Stelle in Markus 15,28 stützt sich auf zu unsichere Autoritäten, als dass man sie uneingeschränkt als Ausnahme ansehen könnte.[1] Wir finden nicht selten Zitate durch unseren Herrn oder an unseren Herrn. Aber die Anwendung der Schrift durch den Evangelisten auf unseren Herrn, die im Matthäusevangelium so häufig gefunden wird, ist dem Markusevangelium fast völlig, wenn nicht sogar gänzlich, unbekannt. Ich denke, der Grund dafür ist klar. Markus sollte nicht die Erfüllung biblischer Zeichen und Hoffnungen beschreiben, sondern die Erfüllung des Dienstes durch den Herrn. Er beschäftigt sich deshalb nicht mit dem, was andere früher gesagt hatten, sondern was der Herr tat. Folglich verschwinden bei einem solchen Thema des Evangeliums natürlich Anführungen der Schrift und die Erfüllung der Prophetie.

Lasst uns jedoch zum Abschluss des zweiten Sabbat-Tages zurückkehren! Unser Herr blickte mit Zorn umher auf diese fanatischen Sabbatisten und war, wie gesagt wird, betrübt über die Verstockung ihrer Herzen. Dann befahl Er dem Menschen, seine Hand auszustrecken. Sobald er dies tat, war sie geheilt. Diese Güte Gottes, die so öffentlich und furchtlos von Ihm, der den Menschen diente, bezeugt wurde, fachte sofort die mörderischen Gedanken der religiösen Führer bis zur Tollheit an. Es ist das erste Mal im Bericht des Markus, dass in den Pharisäern, indem sie mit den Herodianern Rat wider Ihn hielten, das Verlangen entstand, Jesus zu töten. Es passte ihnen nicht, dass jemand, der so gut war, in ihrer Mitte lebte.

Die Berufung der 12 Jünger (Mk 3,7-19)

Der Herr zog sich mit Seinen Jüngern an den See zurück. Und nachdem Er viele geheilt und unreine Geister ausgetrieben hatte, stieg Er auf einen Berg. Er machte als Folge der Ablehnung durch die Pharisäer einen weiteren Schritt vorwärts. Es ist einer der Wendepunkte im Markusevangelium – ein Schritt, der weiter geht als alle Schritte, die Er bisher getan hatte. Nachdem die Pharisäer und Herodianer Ihn zu vernichten suchten, ergriff Er eine neue Maßregel, indem Er in Seiner Unumschränktheit die zwölf Apostel berief und ernannte, um sie bei passender Gelegenheit auszusenden. Er berief sie also nicht nur, damit sie bei Ihm seien, sondern Er ernannte sie auch in förmlicher Weise für die große Mission, auf die sie gesandt werden sollten. Der Herr benutzte die Verschwörung zweier großer Feinde in Israel, der Pharisäer und der Herodianer, als Anlass, um für Sein Werk Vorsorge zu treffen. Er erkannte in ihrem Hass genau, was Ihm bevorstand. Tatsächlich wusste Er alles von Anfang an, wie wohl kaum gesagt werden muss. Trotzdem wurde die Offenbarung ihres mörderischen Hasses das Signal für diesen neuen Schritt. Er bestellte jene, die Sein Werk fortsetzen sollten in der Zeit, wenn Er nicht mehr körperlich auf der Erde anwesend sein würde, um es selbst weiterzuführen. Und so finden wir hier die zwölf Apostel. Er berief sie, „auf dass sie bei ihm seien, und auf dass er sie aussende zu predigen“ usw. Der Dienst am Wort hat im Markusevangelium immer den höchsten Platz – nicht die Wunder, sondern die Predigt. Krankenheilungen und das Austreiben der Dämonen waren nur Zeichen, die das gepredigte Wort begleiten sollten. Nichts könnte vollständiger sein. Hier finden wir nicht nur die Knechte geschildert, sondern wir erkennen auch, wie am Anfang dieses Evangeliums, dass der Herr selbst der wahre Knecht war.

Die Lästerung wider den Geist (Mk 3,20-30)

Das war also die Ernennung derjenigen, die Er für die passende Ausführung Seiner gewaltigen Werke auf der Erde berufen wollte. Bei diesem Stand der Dinge sehen wir, wie Seine Verwandten sehr erregt sind durch das, was sie sahen (die Volksmenge) und hörten (keine Zeit zu essen). Dieses bemerkenswerte und charakteristische Detail erwähnt nur Markus. „Als seine Angehörigen es hörten, gingen sie hinaus, um ihn zu greifen; denn sie sprachen: Er ist außer sich.“ Ich vermute: Es waren hauptsächlich die Folgen Seiner gänzlichen Hingabe, die sie nicht würdigen konnten; denn kurz vorher wird uns gesagt: „Wiederum kommt eine Volksmenge zusammen, so dass sie nicht einmal essen konnten.“ Für Seine Angehörigen war das Vernarrtheit. Sie dachten, Er müsse außer sich sein. Insbesondere die Angehörigen bekommen diesen Eindruck, wenn die machtvolle Gnade Gottes Menschen aus allen ihren natürlichen Verbindungen herausruft und absondert. So ist es immer in dieser Welt. Und selbst der Herr Jesus war, wie wir sehen, nicht sicher vor den unrechtmäßigen Ansprüchen vonseiten Seiner Verwandten. Aber es kommt noch schlimmer. Wir hören Seine Feinde, nämlich die Schriftgelehrten von Jerusalem. „Er hat den Beelzebub“, sagten sie. „Durch den Obersten der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ Der Herr ließ sich herab, mit ihnen zu argumentieren. „Wie kann Satan den Satan austreiben? Und wenn ein Reich wider sich selbst entzweit ist, so kann jenes Reich nicht bestehen.“

Daraufhin verkündete unser Herr ganz ernst ihr Verderben, denn sie waren schuldig – nicht der Sünde, wie die Menschen gewöhnlich sagen, sondern – der Lästerung wider den Heiligen Geist. Einen Ausdruck wie „Sünde gegen den Heiligen Geist“ in diesem Sinn gibt es nicht. Die Leute sprechen oft davon, aber die Schrift nie. Der Herr prangerte die Lästerung gegen den Heiligen Geist an. Wenn man das gut im Auge behalten würde, dann wären manche Seelen von einem großen Teil ihrer unnötigen Sorgen befreit. Wie viele haben voller Schrecken geseufzt und gestöhnt aus Angst, der Sünde gegen den Heiligen Geist schuldig zu sein! Dieser Ausdruck hat nur eine verschwommene Bedeutung, und man kann viel darüber diskutieren. Aber unser Herr sprach ausdrücklich von einer unvergebbaren, lästernden Sünde gegen den Heiligen Geist. Ich nehme an, dass jede Sünde eine Sünde gegen den Heiligen Geist ist, welcher Seinen Platz in der Christenheit eingenommen hat. Deshalb gibt Er auch jeder Sünde diesen Charakter. So bedeutet Lügen nicht nur Falschheit gegen Menschen, sondern auch gegen Gott wegen der großen Wahrheit, dass der Heilige Geist da ist. Hier jedoch sprach der Herr von einer unvergebbaren Sünde, der Lästerung gegen den Heiligen Geist, und nicht von jenem verschwommenen Bewusstsein des Bösen, welches Seelen als „Sünde gegen den Heiligen Geist“ schrecklich beunruhigt. Was ist dieses Böse, das niemals vergeben wird? Wenn man die Macht, die in Jesus wirkte, dem Teufel zuschreibt! Wie viele beunruhigte Seelen wären sofort erleichtert, wenn sie diese einfache Wahrheit für sich in Anspruch nehmen würden! Dann würde diese Täuschung des Teufels sich sofort auflösen. Denn es ist wirklich eine Täuschung des Teufels, der sich viel Mühe gibt, um Seelen in Furcht zu versetzen und, wenn möglich, in die Verzweiflung zu treiben. In Wirklichkeit kann jede Sünde eines Christen als Sünde gegen den Heiligen Geist bezeichnet werden. Aber die besondere Sünde gegen den Heiligen Geist, wenn es überhaupt so etwas gibt, besteht darin, die freie Handlungsweise des Heiligen Geistes im Werk Gottes oder Seiner Kirche direkt zu behindern. Das mag man als die Sünde bezeichnen, wenn man sie genau festlegen will. Aber worauf sich der Herr bezog, war weder eine Sünde noch die Sünde, sondern die Lästerung wider den Heiligen Geist. Es war die Sünde, in welche die jüdische Nation mit rasender Geschwindigkeit fiel und für die sie damals keine Vergebung fand noch jemals finden wird. Es wird, sozusagen, einen neuen Pflanztrieb geben. Ein anderes Geschlecht wird erweckt werden, welches den Christus, den ihre Väter lästerten, aufnimmt. Aber soweit es jenes Geschlecht betraf, so waren sie dieser Sünde schuldig; und ihnen konnte nicht vergeben werden. Sie begannen damit zu Lebzeiten Jesu. Sie vollendeten sie, als der Heilige Geist herniedergesandt war und sie Ihn verschmähten. Sie verfolgten diese Sünde hartnäckig, wie es immer ist, wenn die Menschen einen schlechten Weg einschlagen und die unumschränkte Gnade sie nicht befreit. Je mehr Gott an Liebe, Gnade, Wahrheit und Weisheit offenbart, umso entschlossener und blinder rasen sie in ihr Verderben. So war es bei Israel. So geschieht es immer bei dem Menschen, der sich selbst überlassen bleibt und die Gnade Gottes verachtet. „Wer aber irgend wider den Heiligen Geist lästern wird, hat keine Vergebung in Ewigkeit.“ Es ist die letzte Stufe der Rebellion gegen Gott. Schon damals lästerten sie den Sohn des Menschen, Jehova selbst. Schon damals schrieben sie die Macht des Geistes und Seinen Dienst dem Feind zu. Aber später zeigten sie diese Sünde noch eindeutiger, als der Heilige Geist in Seinen Knechten wirkte; da wurde die Lästerung vollendet.

Das ist das, worauf sich, wie ich annehme, dem Grundsatz nach Hebräer 6 bezieht. Hebräer 10 scheint etwas anderes zu bedeuten. Dort handelt es sich um eine Person, die den Namen des Herrn bekannt hatte, Ihn trotzdem völlig preisgibt und der Sünde die Zügel schießen lässt. Das ist eine andere Form der Sünde und des Verderbens.

Irdische Verbindungen zählen nicht (Mk 3,31-35)

In dem Fall vor uns im Markusevangelium hatten die Feinde ihre unbeherrschbare Wut und ihren Hass in vollster Weise gezeigt. Sie hatten die böseste Beschuldigung gegen jene Macht, die sie nicht leugnen konnten, ausgestoßen und versuchten, sie vor anderen schlechtzumachen, indem sie sie Satan zuschrieben. Es ist klar, dass danach jedes weitere Zeugnis völlig umsonst war. Folglich führte unser Herr die sittliche Grundlage für eine neue Berufung und ein neues Zeugnis ein. Das wahre Ziel Gottes und die tiefere Absicht im Dienst Jesu werden herausgestellt. Gott lieferte richtigerweise ein Zeugnis an jenes Volk, in dessen Mitte der Herr erschienen war und wo Sein Dienst die mächtigen Werke Gottes in Gnade hienieden offenbart hatte. Aber jetzt gab unser Herr zu verstehen, dass es sich nicht länger um eine Frage der natürlichen Beziehungen, sondern um die Gnade handelt. Das zeigte sich in Hinsicht auf Seine Mutter und Seine Brüder, auf die von einigen Anwesenden hingewiesen wurde. Sie sagten: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen suchen dich. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter oder meine Brüder? Und im Kreise umherblickend auf die um ihn her Sitzenden, spricht er: Siehe da, meine Mutter und meine Brüder; denn wer irgend den Willen Gottes tun wird, derselbe ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Kurz gesagt: Er anerkannte hinfort niemanden mehr wegen irgendeiner Verbindung mit Ihm nach dem Fleisch. Die einzige Grundlage einer Beziehung zu Ihm war jetzt das übernatürliche Band der neuen Schöpfung. Es ging darum, ob der Wille Gottes getan wurde. Nur dann hilft die Gnade; „das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63).


Aus Lectures Introductory to the Study of the Gospels
Heijkoop, Winschoten, NL, 1970
(im Deutschen herausgegeben und übersetzt von J. Das)
Die Zwischenüberschriften stammen von SoundWords

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Üb.: Vergleiche die überarbeitete Fassung des „Elberfelder Neuen Testamentes“ von 1996.

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