Das Geschlechtsregister des Herrn Jesus
Matthäus 1,1-17; Lukas 3,23-38

Peter Streitenberger

© P. Streitenberger, online seit: 25.11.2004, aktualisiert: 30.10.2022

Leitverse: Matthäus 1,11; Lukas 3,23-38

Mt 1,11: Josia aber zeugte Jekonja und seine Brüder zur Zeit der Wegführung nach Babylon.

Lk 3,23:
Und er, Jesus, begann seinen Dienst, ungefähr dreißig Jahre alt, und war, wie man meinte, ein Sohn Josephs, des Eli … [Elberfelder 2003]

Zum Geschlechtsregister des Herrn Jesus Christus im Matthäus- und Lukasevangelium unter besonderer Betonung der Problematik in Lukas 3,23

A) Zur Thematik

Über die beiden Geschlechtsregister des Herrn Jesus Christus gab und gibt es kontroverse Lehrmeinungen bis hin zur Behauptung offensichtlicher Widersprüche. Zunächst sollen einige grundsätzliche Anmerkungen in die Problematik einführen und schließlich anhand von Textvergleichen eine Übersetzung geliefert werden, die die aufgeworfenen Probleme ausschließt.

1) Das Geschlechtsregister im Matthäusevangelium

Matthäus 1 zeigt, dass der Herr Jesus Christus, von der rechtlichen Seite her gesehen, seinen Anspruch auf den Königsthron über die Geschlechterreihenfolge der Könige Israels bis auf David herleitet.

Matthäus gibt die Abstammungsreihe von Abraham bis zu Joseph, dem Mann der Maria, wieder.

Jedoch entsteht ein Problem, dadurch dass in dieser Geschlechterfolge ein gewisser Jekonja – bzw. in Kurzform Konja (Mt 1,11) – auftaucht.

Dazu gibt es ein Gerichtswort in Jeremia:

  • Jer 22,30: So spricht der HERR: Schreibt diesen Mann [Anm.: Jekonja] auf als kinderlos, als einen Mann, dem nichts gelingt in seinen Tagen! Denn von seinen Nachkommen wird es nicht einem gelingen, auf dem Thron Davids zu sitzen und weiterhin über Juda zu herrschen.

Der Stiefvater des Herrn Jesus war jedoch direkter Nachkomme Jekonjas. Das bedeutet somit, dass er und seine Nachkommen vom Anspruch auf den Thron Davids ausgeschlossen sind. Das würde zur Folge haben, dass der Herr Jesus Christus, wenn Joseph sein Vater gewesen wäre, doch vom Königsthron ausgeschlossen gewesen wäre.

2) Das Geschlechtsregister im Lukasevangelium

Die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, bestand in der Geburt des Messias durch eine Jungfrau aus dem Haus Davids, die nicht von Jekonja abstammte.

Lukas zeigt, warum Jesus Christus den Anspruch auf den Königsthron legitimieren kann. Wie gezeigt, unterliegt Jesus Christus als von einer Jungfrau geboren nicht dem Ausschlusskriterium aufgrund der Abstammung Josephs über Jekonja.

Maria war echte Nachfahrin von David, jedoch ging ihre Abstammungslinie nicht über Jekonja.

B) Zur vermeintlichen Schwierigkeit der Deutung des Geschlechtsregister bei Lukas

Bei Vergleich der beiden Geschlechtsregister von Matthäus und Lukas wurde der Vorwurf erhoben, Joseph könne nicht Sohn des Jakob (nach Matthäus) und gleichzeitig Sohn des Eli (nach Lukas) sein. Angeblich liege hier ein offensichtlicher Widerspruch im Neuen Testament.

Andere wiederum behaupten, das Geschlechtsregister bei Lukas wäre lückenhaft und ließe Namen im Geschlechtsregister aus, um dem Widerspruch zu entgehen.

Matthäus 1,16 schreibt ja eindeutig (Schlachter 2000):

Mt 1,16: Jakob zeugte den Joseph, den Mann der Maria, von welcher Jesus geboren ist, der Christus genannt wird. [Schlachter 2000]

Folgende – dem kritischen Text von Nestle/Aland folgenden – Übersetzungen verschärfen in Lukas 3,23 diese Spannung:

a) Einheitsübersetzung:

Lk 3,23: Jesus war etwa dreißig Jahre alt, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat. Man hielt ihn für den Sohn Josephs. Die Vorfahren Josephs waren: Eli, […]

b) Hoffnung für alle:

Lk 3,23: Jesus begann seine große Aufgabe, als er ungefähr dreißig Jahre alt war. Die Leute kannten ihn als den Sohn Josephs. Josephs Vater war Eli, und dessen Vorfahren waren …

Es gilt somit folgende Frage zu klären: Sind in den Registern in Lukas als auch Matthäus die Vorfahren Josephs aufgelistet, wie die Einheitsübersetzung und Hoffnung für alle übersetzt? Das würde bedeuten, es handelt sich jeweils um das Abstammungsregister von Joseph.

C) Zur Text- und Übersetzungsfrage in Lukas 3,23

Der vorhergehende Vers in Lukas 3,22 muss als direkter Kontext in die Betrachtung einbezogen werden:  

Lk 3,22: Der Heilige Geist stieg in leiblicher Gestalt wie eine Taube auf ihn herab, und eine Stimme ertönte aus dem Himmel, die sprach: Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe ich Wohlgefallen!

Der Mehrheitstext

Καὶ

αὐτὸς ἦν ὁ Ἰησοῦς

ὡσεὶ ἐτῶν τριάκοντα ἀρχόμενος

ὢν ὡς ἐνομίζετο υἱός Ἰωσὴφ

τοῦ Ἠλὶ 

τοῦ Ματθὰτ, τοῦ Λευὶ τοῦ Μελχὶ τοῦ Ἰαννὰ, τοῦ Ἰωσὴφ

Der kritische Text nach Nestle/Aland27:

καὶ

αὐτὸς ἦν Ἰησοῦς ἀρχόμενος

ὡσεὶ ἐτῶν τριάκοντα

ὢν υἱός

ὡςἐνομίζετο Ἰωσὴφ τοῦ Ἠλὶ

τοῦ Μαθθὰτ τοῦ Λευὶ τοῦ Μελχὶ τοῦ Ἰανναὶ τοῦ Ἰωσὴφ

Lukas 3,23:

Für die Wiedergabe des Mehrheitstextes schlage ich folgende Übersetzung vor:

„Und er (selbst), Jesus – seinen Dienst (bzw. Predigt) mit etwa dreißig Jahren beginnend, wobei er für einen Sohn Josephs gehalten wurde – war von Eli, von Mathan, von Levi …“

Etwas flüssiger wiedergegeben:

„Und Jesus selbst – der seinen Dienst mit etwa dreißig Jahren begann und für einen Sohn Josephs gehalten wurde – war von Eli, von Mathan, von Levi …“

Begründung:

  1. Als Hauptsatz wird Καὶ αὐτὸς ἦν ὁ Ἰησοῦς […] τοῦ Ἠλὶ gewertet: „Er – Jesus – selbst war von Eli.“ Das im Mehrheitstext freier schwebende ἦν wird also auf τοῦ Ἠλὶ bezogen.

    Das Wort ἦν würde nach den Vorstellungen der Einheitsübersetzung und der Hoffnung für alle syntaktisch hinter Ἰησοῦς gehören und deute somit eine periphrastische Konjugation bzw. ein Zusammengehören von ἦν und ἀρχόμενος an – etwa im Sinn „er war ein Anfangender“ bzw. „er war anfangend“. Diese Wortstellung macht eine Auflösung wie o.g. unmöglich.

    Von dem genannten Hauptsatz sind die beiden folgenden Nebensätze abhängig:
    ὡσεὶ ἐτῶν τριάκοντα ἀρχόμενος
    und: ὢν ὡς ἐνομίζετο υἱός Ἰωσὴφ

    Jahresangaben beim Menschenalter wie ὡσεὶ ἐτῶν τριάκοντα ἀρχόμενος werden im Lukasevangelium nie mit εἶναι angegeben, sondern frei konstruiert (Lk 2,37; 2,42; 8,42; 13,11; 13,16).

  2. Weiterführungen desselben Gedankens werden im Griechischen nicht mit καὶ, wie in Vers 23, sondern eher mit dem schwächeren δὲ angedeutet. Es ist offensichtlich, dass es zwischen Vers 22 und Vers 23 eine neue Akzentuierung bei Lukas gibt, wobei Jesus Christus im Mittelpunkt steht.

    Dazu kommt verstärkend die Verwendung des Personalpronomens αὐτὸς nach καὶ, das eine besondere Betonung angibt, da ja das Subjekt im Prädikat ἦν bereits vorhanden ist. Der bestimmte Artikel ὁ wird vor Ἰησοῦς von Nestle/Aland ausgelassen, daher ist hier keine Wiedergabe mit „er selbst, Jesus“ möglich.

    Wenn es Lukas also um die – von Vers 22 weiterführende – Feststellung ginge, dass Jesus der Sohn des Wohlgefallens des Vaters auch gleichzeitig der (Stief-)Sohn Josephs sei, wäre folgende Aussage in Vers 23 entsprechender: καὶ ὁ Ἰησοῦς ἦν υἱός Ἰωσὴφ

  3. Der Satzteil ὢν ὡς ἐνομίζετο υἱός Ἰωσὴφ wird als Einschub gesehen. Das Partizip Präsens kann evtl. sogar konzessiv aufgelöst werden: „obwohl“ bzw. „obzwar“ Jesus (von den Leuten) für einen Sohn Josephs gehalten wurde, war er – in Wirklichkeit – von Eli.

    Dass Jesus offensichtlich nicht der Sohn Josephs ist, stellt Lukas mit dem Passus ws enomizeto klar. Er wird lediglich von den Leuten dafür gehalten. Dass der allmächtige Gott der tatsächliche Vater Jesu Christi ist, hat Lukas bereits klargestellt. Die Verwendung des Imperfekt zeigt an, dass die Identifizierung des Herrn als Sohn Josephs nicht punktuell, sondern eine übliche Verwechslung war.

    Die besondere Betonung von αὐτὸς kann den Gegensatz zum Herrn als Sohn Gottes, der nach menschlicher Abstammung von Eli kommt, von den Menschen aber fälschlicher Weise für Josephs Sohn gehalten wurde, ausdrücken: Er – Jesus – war in Wirklichkeit Elis Sohn – obwohl die Leute Ihn üblicherweise für den Sohn Josephs hielten.

  4. Das Partizip ἀρχόμενος bedarf einer dem Kontext entsprechenden Ergänzung – also kann dieses Partizip mit zum Beispiel „seine Predigt, seinen Dienst oder seinen Auftrag beginnend“ umschrieben werden.

  5. Der kritische NA-Text wird zurückgewiesen, da dieser missverständlich Joseph zum Sohn des Eli erklärt und somit Widersprüche aufwirft, die in Gottes Wort nicht vorhanden sein können.

  6. Ein weiterer Hinweis aus dem griechischen Text ist der Sachverhalt, dass bei allen Eigennamen des Geschlechtsregisters der bestimmte Artikel erwähnt wird: τοῦ Ἠλὶ τοῦ Ματθὰτ, τοῦ Λευὶ τοῦ Μελχὶ. Als ein Indiz, dass Joseph nicht in das Geschlechtsregister bei Lukas gehört, fällt das Fehlen des Artikels vor seinem Namen auf. Ebenso findet sich der bestimmte Artikel bei den Eigennamen im Geschlechtsregister bei Matthäus. Zudem ist nur bei Joseph das Wort υἱός erwähnt. Dies verdeutlicht ebenso die Trennung Josephs von dem Geschlechtsregister, dem er offensichtlich nicht angehört. Der Gegensatz kann somit darin gesehen werden, dass die Menschen Jesus für den Sohn Josephs hielten, der de facto doch von Eli abstammte – und da Er nicht Sohn, sondern Enkel des Eli war, wird υἱός nicht im Geschlechtsregister, das mit Eli beginnt, erwähnt. Lukas sagt also nicht aus, dass Jesus Christus der tatsächliche Sohn Elis war, sondern nur, dass Jesus von ihm abstammte.

D) Konsequenzen und Schlussfolgerung

Im Matthäusevangelium wird Joseph – der Stiefvater vom Herrn Jesus Christus – als Sohn des Jakob identifiziert. Der Anspruch des Herrn auf den Königsthron wird nicht beseitigt, obwohl Joseph ein Nachkomme Jekonjas ist, da Jesus von einer Jungfrau geboren wurde.

Im Lukasevangelium handelt es sich um das Geschlechtsregister der Maria, die im Männerstammbaum üblicherweise nicht erwähnt wird – sondern mit dem Vater Marias, nämlich Eli, endet. Seine Abstammung dem Fleische nach hat Jesus Christus über Maria, die eine Nachkommin Elis war. Jesus war somit dem Fleische nach ein Enkel Elis. Dieser wiederum kann sein Geschlecht bis auf Adam nachweisen.

Der Herr Jesus hat also als echter Sohn Davids – ohne Jechonja im Geschlechtsregister – von der natürlichen Abstammung her über Maria und von der rechtlichen Seite her über seinen Stiefvater Joseph Anspruch auf den Thron Davids, den er bei seinem zweiten Kommen antreten wird.

Die Übersetzung nach dem byzantinischen Text macht deutlich, dass es sich im Lukasevangelium definitiv nicht um das Geschlechtsregister von Joseph handeln kann. Zwischen dem Register im Matthäus- und dem im Lukasevangelium bestehen insofern keine Widersprüche in Bezug auf die Vaterschaft des Joseph. Joseph ist der Sohn des Jakob – Eli ist der Vater Marias, der Mutter des Herrn.


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