Das ewige Leben

Willem Johannes Ouweneel

© EPV, online seit: 10.09.2006, aktualisiert: 17.11.2022

Vorwort

Bereits früher habe ich geschrieben, dass ich für jedes neue Heft dieser Reihe[1] einen deutlichen Hinweis des Herrn sehen wollte. In den letzten Monaten hat Er mich verschiedentlich besonders mit dem wunderbaren Thema des „ewigen Lebens“ beschäftigt. Die Studien, die daraus hervorgekommen sind, haben zu diesem Heft geführt. Ich muss allerdings darauf hinweisen, dass dieses Thema eines der reichsten und tiefsten, aber dadurch auch eines der schwierigsten Themen der Heiligen Schrift ist, und deshalb konnte es auch keine einfache und ebenso wenig eine erschöpfende Studie werden. Nicht von ungefähr ist gerade dieses Thema in den letzten hundertfünfzig Jahren – in denen Gott das Licht wieder völlig neu auf dieses alte biblische Thema hat scheinen lassen – leider Anlass zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten und traurigen Trennungen unter Christen gewesen. Diese Broschüre ist vor allem in dem Vertrauen geschrieben, dass es möglich sein muss, die Lektionen aus der Vergangenheit zu Herzen zu nehmen und in einer geistlichen, bescheidenen Gesinnung Gedanken über das ewige Leben auszutauschen, in absoluter Unterwürfigkeit gegenüber der Schrift. Es ist mein Gebet, dass dieses Heft ein Beitrag zu solch einem Gedankenaustausch sein möge.

De Bilt, 1977, Emmalaan 1

1. Das Wort des Lebens

„Ehe geboren waren die Berge, und du die Erde und den Erdkreis erschaffen hattest – ja, von Ewigkeit“, lange bevor „die Morgensterne miteinander jubelten und alle Söhne Gottes jauchzten“, bei der Grundlegung der Welt, ja lange bevor die „Morgensterne“ selbst, die Söhne Gottes, geschaffen waren, vor den Zeiten der Zeitalter, war Gott; und Er war der lebendige Gott. Von Ewigkeit war dieser Gott der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und von Ewigkeit hatten die drei Personen der Gottheit Leben in sich selbst. „Der Vater hat Leben in sich selbst.“ Von dem eingeborenen Sohn, „der in des Vaters Schoß ist“ und der „das Wort“ genannt wird, wird gesagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott … In ihm war Leben.“ Und von dem „ewigen Geist“ wird gesagt, dass Er der „Geist des Lebens“ ist und dass „der Geist Leben [ist]“.

Gott ist also der ewige Gott, und Er ist der lebendige Gott. (Dieser Ausdruck kommt im NT 14-mal vor: Mt 16,16; 26,63; Apg 14,15; Röm 9,26; 2Kor 3,3; 6,16; 1Thes 1,9; 1Tim 3,15; 4,10; Heb 3,12; 9,14; 10,31; 12,22; Off 7,2; vergleiche auch Apg 3,15, der „Urheber (Anführer) des Lebens“.) In Ihm sehen wir, was ewiges Leben ist, Leben, das nicht nur ewig ist, weil es keinen Anfang und kein Ende hat, sondern Leben, das ewig ist in seinem Charakter, weil es das Leben des ewigen Gottes ist. Ewiges Leben ist Leben des ewigen, lebendigen Gottes. Doch wir sehen das ewige Leben vor allem in einer der drei Personen der Gottheit, nämlich in Ihm, der Gott „kundgemacht“ hat, dem Sohn im Schoß des Vaters; in Ihm, der „das Wort“ war, der vollkommene Ausdruck alles dessen, was in Gott ist und der zugleich selbst Gott ist. Das ewige Leben ist in Gott; doch wir sehen es offenbart in Ihm, der Gott offenbart hat. „Wir wissen aber, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, auf dass wir den Wahrhaftigen kennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen in seinem Sohne Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und [das] ewige Leben.

In dem Sohn sehen wir das ewige Leben offenbart, denn Er ist selbst das ewige Leben: „Das Leben ist offenbart worden, und wir [sagen die Apostel] haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist.“ Dieses ewige Leben war in dem Vater, aber es war, wie hier steht, auch bei dem Vater (wie das Wort bei Gott war) als eine Person, unterschieden von dem Vater. Diese Person ist sein Sohn Jesus Christus. In dem Sohn sehen wir nicht nur das ewige Leben offenbart, das bei dem Vater war, sondern Er ist selbst das ewige Leben, das bei dem Vater war; denn der Apostel spricht hier offensichtlich über die Person Christi, über das, „was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens“. Dieses Sichtbare und Tastbare war die Person, von der Johannes sagt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, (und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater) voller Gnade und Wahrheit.“

„Unser Gott ist in den Himmeln“, und deshalb ist das ewige Leben grundsätzlich eine himmlische Sache. Christus selbst macht uns deutlich, dass das ewige Leben zu den „himmlischen Dingen“ gehört. Doch Er erklärt zugleich, dass das ewige Leben deshalb seinem Wesen nach eine völlig unbekannte Sache war, solange Gott nicht in seinem Sohn offenbart war. Niemand kann himmlische Dinge verstehen und verkündigen als nur himmlische, göttliche Personen. Niemand anders als der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, und der Geist, der alle Dinge erforscht, auch die Tiefen Gottes, haben himmlische Dinge offenbart: „Wir [der Sohn und der Geist] reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben … [betreffend] das Himmlische … Und niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, als nur der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Niemals vorher, erst aus dem Mund des Sohnes haben wir gehört, was das ewige Leben seinem Wesen nach ist.

Das ist nicht alles. Die „himmlischen Dinge“ umfassen viel, doch sie betreffen vor allem das Vaterhaus. Das ewige Leben ist das Leben des Hauses des Vaters, wo göttliche Personen einander von Ewigkeit kennen und lieben und Gemeinschaft miteinander haben. Das ewige Leben ist das Leben, das zu Hause ist an einem Ort von lauter Herrlichkeit: Wir hören von der Herrlichkeit, die der Sohn bei dem Vater hatte, ehe die Welt war, von der Herrlichkeit des Vaters, und von dem Geist der Herrlichkeit.

In dieser Herrlichkeit Gottes sehen wir hauptsächlich zwei Aspekte:

  • 1Joh 1,5: Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist.

  • 1Joh 4,8: Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe.

Dies war von Ewigkeit her der Fall: Von Ewigkeit war Er Licht und war Er Liebe. Doch das Licht schien noch allein für Gott selbst; Er bewohnte ein unzugängliches Licht. Und die Liebe hatte noch keinen bestehenden Gegenstand außerhalb des dreieinigen Gottes. Die Liebe des Vaters – wie groß, vollkommen und unendlich auch – galt noch lediglich dem Sohn, der in seinem „Schoß“ war, dem vertrauten Wohnort der Liebe. Dieser, die wahre Weisheit, war Tag für Tag seine Wonne, vor Ihm sich ergötzend allezeit. Außerhalb Gottes gab es noch nichts und niemanden.

„Denn bei dir ist der Quell des Lebens“ – aber den geschaffenen Wesen war aus diesem Quell noch kein Leben mitgeteilt worden, bevor „Gottes ewige Kraft und Göttlichkeit“ sich in geschaffenen Dingen offenbart hatten. Dann kam der Augenblick, als Gott „das Nichtseiende“ rief, „wie wenn es da wäre“; da traten göttliche Weisheit und Kraft zum Vorschein, und die Engel jubelten darüber. Hellere Strahlen des Lichtes Gottes traten hervor, und Menschen bezeugten dankbar: „In deinem Licht werden wir das Licht sehen.“ Deutliche Beweise der Liebe Gottes wurden Herzen gegeben, die dafür empfänglich waren und die seine Stimme verstanden. „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt.“ – „Vielfältig und auf vielerlei Weise“ wurden Gottes Licht und Liebe dem Menschen erzeigt, so dass kein sündiger Mensch eine Entschuldigung hatte, wenn er Gott nicht verherrlichte in dem Maße, wie Er sich offenbart hatte und man „die Stimme des lebendigen Gottes“ gehört hatte.

Doch obwohl Gott gekannt war als „der lebendige Gott und ein ewiger König“, war das Menschen noch nicht „offenbart“! Und damit hatten auch das Licht und die Liebe bei weitem noch nicht ihren vollkommenen Ausdruck gefunden. Die „Tiefen Gottes“ waren noch lange nicht ergründet. „Gnade und Wahrheit“ waren noch nicht „geworden“, und Gott war noch nicht wirklich „kundgemacht“. Das Gesetz war zwar durch Mose gegeben, und das Gesetz hatte Leben denen verheißen, die es halten würden, doch das Evangelium bestand noch nicht, wodurch „Leben und Unvergänglichkeit“ ans Licht gebracht werden sollten, nachdem „unser Heiland Jesus Christus“ erschienen war. Gottes ewige Kraft und Göttlichkeit waren in seiner Schöpfung gesehen worden, aber Gott selbst war niemals von irgendeinem Geschöpf (Mensch oder Engel) gesehen worden; niemand hatte jemals sein Wesen oder seine Herrlichkeit betrachtet. Niemand hatte jemals Gottes Licht gesehen, und das konnte auch niemand sehen – denn es ist „unzugänglich“ – außer dem Einen, der in diesem Licht war. Niemand konnte den Vater kundmachen außer dem Einen, der das Herz des Vaters kannte, weil Er der eingeborene Sohn des Vaters war, der von Ewigkeit im Schoß des Vaters war.

Doch dass das Leben, das Licht und die Liebe Gottes offenbart werden sollten, war sicher. Das war „die Verheißung des Lebens, das in Christus Jesus ist“; dort war das ewige Leben, das „Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten“. „Dies ist die Verheißung, welche er uns verheißen hat: das ewige Leben.“ Vor ewigen Zeiten, bevor die Zeitalter begannen, bevor die Zeit anfing, bevor es Engel oder Menschen gab, hatte Gott bereits das ewige Leben dem verheißen, der das ewige Leben ist, und in Ihm uns, die „zum ewigen Leben verordnet“ waren, denen Er das ewige Leben in und durch den Sohn nach seinem ewigen Ratschluss schenken wollte. In Ihm hat Er uns ja auserwählt vor Grundlegung der Welt, mit der Folge, dass Er uns nun „gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus“. Und welche Umschreibung drückt tiefer und reicher aus, was diese himmlische Segnung ist, als das ewige Leben?

2. Das Licht des Lebens

Wir haben gesehen: Das ewige Leben ist das bewusste, denkende, wollende, fühlende, kennende, liebende Leben Gottes selbst: das Leben in Ihm und das Leben, worin Er verkehrt. Nur der Sohn, der der wahrhaftige Gott ist und das ewige Leben, das bei dem Vater war, konnte uns dieses Leben und damit Gott selbst offenbaren. Dies geschah, als Er, das Wort, Fleisch wurde und unter uns wohnte und die Herrlichkeit offenbarte als eines Eingeborenen vom Vater, und Er, der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, kam, um Ihn kundzumachen. Damit ist „die Gnade und die Wahrheit durch Jesus Christus geworden“, d.i. der höchste Ausdruck sowohl des Lichtes als auch der Liebe Gottes. „Das Leben ist offenbart worden“, und in der Wirksamkeit dieses Lebens kam „das Licht“ zum Vorschein: „In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Die vollkommene Wahrheit in Bezug auf Gott und sein Wesen hat ihren Ausdruck in Ihm gefunden, der sagte: „Ich bin … die Wahrheit“, und von dem der Apostel sagte: „Das war das wahrhaftige Licht, welches, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet.“ Dies sagte er von dem, der sprach: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ – Licht, das gekennzeichnet wird durch das Leben des Sohnes selbst.

Doch auch die „Gnade“ ist durch Jesus Christus geworden; auch die „Liebe“ Gottes ist offenbart, indem Er seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben möchten. „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ Nun kann (wie Johannes es in seinem Brief tut) völlig dargelegt werden, was es bedeutet, dass Gott Licht und Liebe ist, weil derselbe Johannes uns das ewige Leben verkündigen kann, das bei dem Vater war und uns offenbart worden ist. (Die Apostel hatten das ewige Leben „erlebt“ in dem Sinn von Johannes 1,14 [daher in Joh 4,23: „… und ist jetzt“]; Johannes 6,63.68; 12,49.50; 14,6; 15,15).

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Gott ist Mensch geworden und Gott geblieben. Er war zuvor das ewige Leben, das bei dem Vater war – war Er auch das ewige Leben auf der Erde? Er gibt selbst die Antwort: „Denn gleichwie der Vater Leben in sich selbst hat, also hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst; und er hat ihm Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist.“ Der Vater hatte von Ewigkeit Leben in sich selbst; doch hatte nicht auch der Sohn von Ewigkeit Leben in sich selbst? Ohne Zweifel: „In ihm war Leben.“ Doch sagt Er nach seiner Menschwerdung, dass der Vater es Ihm gegeben habe, Leben in sich selbst zu haben. Weshalb? Weil Er des Menschen Sohn ist; und dieser Mensch hat es vom Vater empfangen, Leben in sich selbst zu haben, ebenso wie Er das von Ewigkeit als der ewige Sohn in sich selbst hatte. Der ewige Sohn bei dem Vater war das ewige Leben; der Mensch Christus Jesus, „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“, war das ewige Leben; und auch der verherrlichte Mensch im Himmel, den wir nun kennen und in dem wir nun sind, ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Er war es immer und wird es immer sein.

Doch wie herrlich, dass Er es auch in der Erniedrigung auf der Erde war! Der Mensch Christus Jesus war das ewige Leben, so dass Er, der zugleich der ewige Sohn war, es als Mensch mit Menschen teilen konnte. Er offenbarte das ewige Leben und Er gab das ewige Leben. Sein ganzes Leben, von der Krippe bis zum Kreuz, war die Offenbarung dieses wahren Lebens. Was Er sprach, betraf das ewige Leben: „Der Vater, der mich gesandt hat, er hat mir ein Gebot gegeben, was ich sagen und was ich reden soll; und ich weiß, dass sein Gebot ewiges Leben ist. Was ich nun rede, rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat.“ Die Jünger anerkannten: „Du hast Worte ewigen Lebens“, denn die Worte, die Er zu ihnen sprach, waren „Geist und Leben“. Die Dinge, über die Er sprach, waren „himmlische Dinge“, aus der Sphäre, in der Er selbst verkehrte; es waren die Dinge des Vaterhauses. „Alles, was ich von meinem Vater gehört habe“, habe ich euch kundgetan.

Doch Er sprach nicht nur darüber, Er war es auch; Er war durchaus das, was Er redete. Er konnte sagen: „Ich bin … das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich … Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Und das galt nicht nur für die, die Ihn mit ihren natürlichen Augen anschauten, sondern auch wir kennen den Vater und haben Ihn in dem Sohn gesehen: Wir kennen den „Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist … Denn der Gott, der aus Finsternis Licht leuchten hieß, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi.“ – „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Er ist der Weg zum Vater, so dass die, die diesen Weg gehen, Gott nun als ihren Vater kennen, und dieses Kennen ist ewiges Leben. Er ist die Wahrheit im Blick auf den Vater – Er hat Gott kundgemacht –, und sein Gebot ist ewiges Leben. Und Er ist selbst das Leben, und zwar Leben, das Menschen wie uns mitgeteilt werden kann: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben. An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.“

Unsere Herzen werden voll Anbetung, wenn wir „das Leben“ auf seinem Weg über die Erde verfolgen. Wir stehen an der Krippe in Bethlehem und bewundern die „Liebe“, die bewirken konnte, dass die ewige Kraft sich in solch eine Schwachheit und Abhängigkeit hüllte; wir bewundern das „Licht“ in dem Jungen von Nazareth, der seinen Eltern vollkommen gehorsam war und zugleich in den Dingen seines Vaters sein musste. Wir beten das Lamm Gottes an, das sich am Jordan „in Liebe“ mit einem sündigen und reuevollen Überrest Israels verband, während das „Licht“ sich offenbarte, indem Er so alle Gerechtigkeit erfüllte. Wir haben mit Ihm am Brunnen von Sichar gesessen und das „Licht“ gesehen, das in das Gewissen einer armen samaritischen Frau fiel, während die „Liebe“ ihr die Gabe Gottes vorstellte und das lebendige Wasser, das ins ewige Leben quillt. Wir stehen mit Ihm vor Martha, der Er sich am Grab ihres gestorbenen Bruders als „die Auferstehung und das Leben“ offenbart. Das „Leben“ erwies sich stärker als der Tod, und während das „Licht“ die Volksmenge aus dem Haus des Jairus vertrieb, gab die „Liebe“ ihm seine Tochter wieder und der armen Witwe ihren Sohn. Wir haben das „Licht“ bewundert, das die Gewissen der Schriftgelehrten erschreckte, die die ehebrecherische Frau beschuldigten, während die „Liebe“ sie mit einer ernsten Warnung, doch ohne Strafe entließ. Wir haben Ihn angebetet, als das „Licht“ die verfrühte und unpassende Bemühung einer Mutter rügte und als die „Liebe“ in der Stunde seines bittersten Schmerzes nicht an sich selbst dachte, sondern die Mutter mit einem liebreichen Haus und einem treuen Beschirmer versorgte. Wir hatten Ehrfurcht vor dem „Licht“, das an der Tafel Simons den Gastherrn strafte und vor der „Liebe“, die einer Sünderin, die seine Füße mit Tränen wusch, die Freude und Sicherheit der Vergebung schenkte. Wir haben seine „Liebe“ gesehen, die die Familie in Bethanien genoss, und das „Licht“, das Er auf die Habsucht eines bösen Menschen in diesem Haus scheinen ließ.

So groß ist die Offenbarung des „Lebens“, das jeden Menschen erleuchtet und die Liebe Gottes offenbart. Gott ist Licht und Liebe – in dem fleischgewordenen Wort, in dem Gnade und Wahrheit geworden ist, bewundern wir die vollkommene Offenbarung des Lichtes und der Liebe. Und wie groß für mein Herz: Alles, was ich offenbart sehe in dem Sohn, ist mein Leben geworden, denn ich habe den Sohn als mein Leben empfangen! Das konnte geschehen, weil das Leben nicht nur offenbart worden, sondern durch den Tod gegangen ist – den Tod, in dem ich von Natur aus lag. Und niemals ist das „Licht“ heller an den Tag getreten als in den Stunden der Finsternis, als ein heiliger und gerechter Gott in dem Sohn des Menschen verherrlicht wurde. Und niemals ist die „Liebe“ strahlender offenbar geworden als in dem Augenblick, da Christus starb, als wir noch Sünder waren. Und niemals ist das „Leben“ herrlicher entfaltet worden als da, wo der Sohn es gelassen und es wiedergenommen hat.

3. Das Brot des Lebens

Das ewige Leben, das bei dem Vater war, ist uns offenbart, damit wir nicht nur etwas davon vernehmen, sondern damit wir es empfangen. Dazu musste das Wort erst Fleisch werden; der Sohn musste Mensch werden, und es musste Ihm gegeben sein, auch als Mensch das ewige Leben in sich selbst zu besitzen, um es mit anderen Menschen teilen zu können. Doch nicht nur das: Die Menschen, die der Sohn auf der Erde traf, verkehrten durch ihre Sünde in einem Zustand des Todes. Es ging nicht nur darum, dass irdische Menschen das Leben des Himmels, des Vaterhauses empfingen, sondern dass tote Menschen in das Leben übergingen. Für einen toten Sünder muss das Empfangen des ewigen Lebens daher auch noch beinhalten: Er „kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen.“ Die Verkündigung des ewigen Lebens würde beinhalten, dass „die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben.“ Die, die seine Stimme hören würden, würden seine Schafe sein: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben.“ Er kam, um den Schafen das Leben zu geben, doch dazu musste Er zuvor sein Leben in den Tod geben: „Ich bin gekommen, auf dass sie [die Schafe] Leben haben und es in Überfluss haben. Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe … Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt es zu lassen, und habe Gewalt es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.“

Bereits das erste Mal, als Christus über das ewige Leben spricht, macht Er unmittelbar deutlich, dass das Leben durch den Tod gehen muss, bevor es toten Menschen mitgeteilt werden kann. Er bezeugt Nikodemus, dass der Sohn und der Geist redeten, was sie wussten, und bezeugten, was sie gesehen hatten, nämlich im Hinblick auf „himmlische Dinge“. Niemand war von der Erde hinaufgestiegen – das war auch nicht möglich –, um sich bezüglich himmlischer Dinge zu erkundigen; niemand als Er, der auch aus dem Himmel herabgestiegen war, dort zu Hause war und die „himmlischen Dinge“ von Ewigkeit und von Natur kannte – nämlich der Sohn des Menschen, der in demselben Augenblick, als Er mit Nikodemus sprach, selbst im Himmel war. Er war aus dem Himmel herabgestiegen, Er ist zum Himmel hinaufgefahren, doch Er war andererseits auch immer und ununterbrochen dort. Wer konnte uns besser von himmlischen Dingen erzählen als Er, der als Menschensohn auf der Erde war, der jedoch ein und dieselbe Person war wie der eingeborene Sohn, der allezeit ununterbrochen im Schoß des Vaters ist? Und was sind die„himmlischen Dinge“? Er fasst sie hier mit zwei Worten zusammen, nämlich das, was die empfangen sollten, die an Ihn glauben: „ewiges Leben“.

Doch unmittelbar anschließend fügt Er hinzu, dass es nicht ausreichend war, das ewige Leben zu „offenbaren“; der Sohn des Menschen musste nicht nur „sprechen“ und „zeugen“, Er musste „erhöht“ werden. „Und gleichwie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, also muss der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Hier sehen wir das Kreuz, die Grundlage, auf der das ewige Leben uns geschenkt werden konnte, weil das Kreuz der Ort war, wo der ganze Zustand des Menschen im Fleisch unter das gerechte Gericht Gottes gebracht wurde, nämlich in dem erhöhten Sohn des Menschen, und wo zu gleicher Zeit die Liebe Gottes zum Menschen in der herrlichsten Weise offenbar wurde, indem dieses gerechte Gericht nicht den sündigen Menschen traf, sondern seinen eingeborenen Sohn. Gott ist „Licht“ – deshalb lesen wir erst, dass (wegen der heiligen Forderungen eines gerechten Gottes) der Mensch Christus Jesus erhöht werden musste; doch Gott ist auch „Liebe“ – deshalb lesen wir anschließend, dass dieser Mensch der eingeborene Sohn Gottes selbst war, von Gott selbst in die Welt gesandt (die Er so geliebt hatte) und in den Tod „gegeben“. Sogar für den schlechtesten Menschen gab Gott seinen Sohn – aber sogar für den besten Menschen musste der Sohn des Menschen erhöht werden.

Das war die notwendige Grundlage für die Gabe des ewigen Lebens; denn sollten Menschen in eine neue, himmlische Beziehung zu Gott gebracht werden und Leben in dem Sohn Gottes haben, dann mussten nicht nur ihre Sünden vergeben werden, sondern es musste alles, was sie dem Fleisch nach waren, durch das Gericht zu einem Ende gebracht werden. Auch konnte das Leben niemals völlig offenbart werden, bevor nicht der Tod zunichtegemacht war. Paulus spricht über die „Gnade, die uns in Christus Jesus

  • vor den Zeiten der Zeitalter gegeben [vgl. das ewige Leben in Titus 1,2],
  • jetzt aber offenbart worden ist durch die Erscheinung unseres Heilandes Jesus Christus,
  • welcher den Tod zunichtegemacht, aber Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“

Die Gnade und das Leben waren verheißen, bevor die Zeit begann, sie wurden offenbart, als Christus erschien, und sie traten völlig ans Licht, als der Tod zunichtegemacht war.

Dadurch verstehen wir auch die Charakterzüge, die Johannes in seinem Brief aufzählt von dem Zeugnis, welches Gott gezeugt hat über seinen Sohn. „Und dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.“ Diese Charakterzüge des Zeugnisses Gottes bezüglich des ewigen Lebens finden wir einige Verse zuvor: „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus, der Christus; nicht durch das Wasser allein, sondern durch das Wasser und das Blut. Und der Geist ist es, der da zeugt, weil der Geist die Wahrheit ist. Denn drei sind, die da zeugen: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei sind einstimmig.“ Das Wasser und das Blut weisen uns unmittelbar hin auf den am Kreuz erhöhten Sohn des Menschen, und der Geist weist uns unmittelbar hin auf den im Himmel verherrlichten Sohn des Menschen (denn der Geist kam erst, nachdem Jesus verherrlicht war). Als Christus auf dem Kreuz gestorben war, kamen die Soldaten, und „einer der Kriegsknechte durchbohrte mit einem Speer seine Seite, und alsbald kam Blut und Wasser heraus“. Das Blut und das Wasser geben Zeugnis von dem Wert und der Allgenugsamkeit des Todes Christi: Das Blut spricht von der Tilgung der Sünden vor Gott und das Wasser von sittlicher Reinigung des Menschen. Daneben gibt der Geist Zeugnis von der Tatsache, dass jetzt das ewige Leben nirgends anders gefunden werden kann als in dem auferstandenen und verherrlichten Sohn Gottes. Zusammen ist es das Zeugnis, das Gott gezeugt hat über seinen Sohn; dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben, und Gott hat uns Ihn als das ewige Leben gegeben, denn wir besitzen das Leben in Ihm; doch dies war nur dadurch möglich, dass der Sohn das Leben abgelegt und wiedergenommen hat und nun in der Herrlichkeit des Vaterhauses weilt als der verherrlichte Sohn des Menschen. Dies ist die Fülle, in der das ewige Leben nun offenbart ist.

Nirgends wird die Gabe des ewigen Lebens übrigens ausführlicher mit dem Tod Christi verbunden als in seiner eigenen Rede über das Brot des Lebens. In Johannes 5 sehen wir Ihn als den Sohn Gottes, der Leben ist, Leben in sich selbst hat, Leben gibt und lebendig macht; wer Ihm glaubt, „hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen“. Doch in Johannes 6 sehen wir Ihn nicht als den Sohn Gottes, sondern als den Sohn des Menschen, der selbst in den Tod gegangen ist und sein Fleisch für das Leben der Welt gibt. Christus leitet seine Rede ein mit den Worten: „Wirket nicht für die Speise, die vergeht, sondern für die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird; denn diesen hat der Vater, Gott, versiegelt.“ Und was ist diese Speise? „Denn das Brot Gottes ist der, welcher aus dem Himmel herniederkommt und der Welt das Leben gibt … Ich bin das Brot des Lebens: wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nimmermehr dürsten … Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“

Im weiteren Verlauf sehen wir jedoch, dass es nicht ausreicht, an Ihn zu glauben, wie Er auf der Erde wandelte, sondern dass man seinen Tod und dessen Folgen auf sich selbst anwenden muss. Das Brot des Lebens ist durch den Tod gegangen, und an Ihn glauben bedeutet, in Verbindung zu treten mit einem gestorbenen und auferweckten Sohn des Menschen, Ihn als solchen als das ewige Leben zu empfangen und bald auch selbst durch Ihn auferweckt zu werden. Das ewige Leben ist hier das Leben, das auf die andere Seite des Todes gehört, in die Auferstehungswelt. Christus sagt davon: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens … Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, so wird er leben in Ewigkeit. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt … Es sei denn, dass ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“

Es besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Vers 53 einerseits und den Versen 54 und 56 andererseits, auf den wir später zurückkommen. Nun geht es darum, dass niemand das ewige Leben empfangen kann, es sei denn, dass er sich mit dem Tod Christi einsmacht, zu Ende kommt, was sein Bestehen im Fleisch betrifft, und dadurch in die Atmosphäre eintritt, wo der Vater und der Sohn von Ewigkeit Liebe und Gemeinschaft genossen haben, Das bedeutet aber auch, dass niemand das Leben in diesem Maß und entsprechend dieser Höhe besitzen konnte (erst recht nicht genießen), bevor Christus nicht tatsächlich gestorben und auferstanden war, denn das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes war die Voraussetzung zum Besitz des ewigen Lebens. Niemand könnte aber davon essen und trinken und so den Tod Christi auf sich selbst anwenden, bevor Christus nicht tatsächlich durch den Tod gegangen war. Die volle Wirklichkeit und Reichweite des ewigen Lebens, dessen „Überfluss“, konnte erst gekannt und empfangen werden, nachdem man den Sohn des Menschen hatte dahin „auffahren“ sehen, „wo er zuvor war“. Dies bedeutet einen Unterschied in den Haushaltungen, auf den wir nun näher eingehen müssen.

4. Die Gabe des Lebens

Um diesen Unterschied in den Haushaltungen zu verstehen, kann uns nichts besser helfen, sowohl den Unterschied als auch den Zusammenhang zwischen dem ewigen Leben und der Wiedergeburt zu studieren. Es ist ein und dasselbe Kapitel, in dem zum ersten Mal in der Geschichte klar und deutlich über beide Gegenstände gesprochen wird, und zwar in dem Gespräch des Herrn Jesus mit Nikodemus.

Nikodemus war jemand, der nicht nur verstandesmäßig an den Namen Christi glaubte, wie viele das am Passah taten, sondern er anerkannte Ihn als einen Lehrer, „von Gott gekommen“, und obwohl er selbst ein „Lehrer Israels“ war, kam er zu Jesus, um von Ihm zu lernen. Doch kam er als ein Gelehrter, als ein bevorrechtigtes Glied eines auserkorenen Volkes, das meinte, sagen zu können: „Wir wissen.“ Deshalb antwortet Christus ihm geradewegs: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Dieses Wort „von neuem“ (änöthen) wird an anderer Stelle auch mit „von oben“ übersetzt; doch Nikodemus fasste das Wort offensichtlich nicht so auf, sonst würde er nicht die Frage in Vers 4 gestellt haben. Er fasste es auf, wie es in Lukas 1,3 übersetzt wird, als „von Anfang an“; er hatte eine völlig neue Geburt nötig aus einem völlig neuen Ursprung. Nikodemus nahm als selbstverständlich an, dass er als Jude ein Kind des Reiches war; doch der Herr Jesus war nicht gekommen, um Fleisch zu verbessern. Gott stand im Begriff, ein Reich auf einer völlig neuen Grundlage zu errichten, und dafür war eine total neue (andersartige) Geburt nötig, wie bevorrechtigt und gesegnet die erste Geburt als Kind Abrahams auch gewesen sein mochte. Das Reich war zwar noch nicht sichtbar geworden, aber es war doch bereits mitten unter dem Volk. Um nun das Reich sehen zu können, war eine völlig neue Natur nötig. Gott würde eine neue Ordnung der Dinge errichten und um dieser entsprechen zu können, war eine neue Natur erforderlich. Adams Natur war durch seine Sünde verdorben und somit war auch seine ganze Nachkommenschaft Teilhaber seiner verdorbenen Natur. Geistliche Blindheit ist ein Aspekt davon, so dass man das Reich Gottes nicht „sehen“ kann.

Nun geht der Herr einen Schritt weiter; wir sollen das Reich nicht nur sehen, sondern auch hineingehen. Dazu muss jemand „aus Wasser und Geist“ geboren werden. Das Wasser ist das Mittel, das angewendet wird, und der Geist ist die handelnde Person, die das Mittel anwendet (dieser Unterschied folgt auch aus Vers 6, wo nicht hätte stehen können: „Was aus Wasser geboren ist, ist Wasser“). Diese weitere Belehrung Christi begreift Nikodemus noch weniger, und der Herr nimmt ihm dies offenbar übel – und kein Wunder. Was Er hier lehrte, war nicht etwas völlig Neues, sondern wurzelte in dem, was vor allem der Prophet Hesekiel lange zuvor vorausgesagt hatte, der sowohl über das Wasser als auch über den Geist schreibt. Er beschreibt, wie der HERR in der Zukunft die Israeliten zusammenbringen und „reines Wasser“ auf sie sprengen und ein „neues Herz“ und einen „neuen Geist“ in ihr Inneres geben würde. Die Reinigung durch Wasser würde also so gründlich sein, dass sie eine ganz neue Natur empfangen würden, ja, sie würden nicht nur „einen neuen Geist [als Natur]“ empfangen, sondern „ich werde meinen Geist [als Person] in euer Inneres geben“. Nur wer die neue Geburt (neue Natur) und den Geist Gottes innewohnend empfangen würde, sollte in das Reich Gottes eingehen können.

Dies alles hätte Nikodemus wissen können und müssen. Wer die Natur Adams besitzt (wenn auch über Abraham!), ist unpassend für das Reich Gottes: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“, das heißt, die neue Natur („Geist“) hat die Charakterzüge dessen, aus dem sie geboren ist, nämlich des Geistes, wie die alte Natur („Fleisch“) die Kennzeichen ihrer Eltern zeigt, die auch „Fleisch“ sind. Fleisch kann niemals in Geist verwandelt werden: Nur das ist „Geist“, was aus dem Geist (also „von neuem“, aus einem völlig neuen Ursprung) geboren ist. Zu dieser neuen Geburt ist „Wasser“ das Mittel; als Hesekiel darüber sprach, dachte er natürlich unter anderem an 4. Mose 8 und 19, wo wir solch eine Reinigung durch Wasser finden, und nicht etwa an die Taufe, die zu der Zeit noch nicht bekannt war. Das „Wasser“ ist das Wort Gottes, das jemanden mit seinem verdorbenen Zustand bekannt macht und ihm den Tod Christi in seiner reinigenden Kraft vorstellt. Dass dies die Bedeutung des „Wassers“ ist, wird viele Male bestätigt; vergleiche zum Beispiel Johannes 13,5-11 mit dem Wort: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ So spricht Paulus über eine Reinigung „durch die Waschung mit Wasser durch das Wort“, und Jakobus bringt es geradewegs in Zusammenhang mit der neuen Geburt: „Nach seinem eigenen Willen hat er [Gott] uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt.“ 1. Petrus zeigt uns dieselbe Wahrheit: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes … Dies aber ist das Wort, welches euch verkündigt worden ist.“ In Johannes 3 liegt der Nachdruck auf dem Geist und auf Gottes gnädigem, unergründlichem Wirken in der Seele („der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt, und wohin er geht; also ist jeder, der aus dem Geiste geboren ist“), während in 1. Petrus 1 der Nachdruck auf dem Wort liegt und auf der Verantwortung des Menschen, das Wort anzunehmen. Nur Arminianer und Calvinisten versuchen, diese beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen, indem sie darüber streiten, ob ein Mensch glauben muss, um wiedergeboren zu werden, bzw. ob er wiedergeboren werden muss, um glauben zu können. Wir sollten uns an diesem unehrerbietigen Wortstreit nicht beteiligen, denn es ist ebenso unmöglich, die Unumschränktheit Gottes mit der Verantwortlichkeit des Menschen in Einklang zu bringen, wie zum Beispiel zu versuchen, das Verhältnis der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus zu erklären.

Indessen lehrt Petrus uns einen neuen Aspekt der Wiedergeburt: Die handelnde Person bei der Wiedergeburt ist der Geist, das Mittel, das angewendet wird, ist das Wort, und der Ursprung der neuen Natur ist der unverwesliche Same. Beachte das Verhältniswort: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.“ Kinder Adams werden aus vergänglichem Samen geboren, Kinder Gottes aus unvergänglichem Samen, dem Ursprung einer neuen Natur, die ebenso lebendig und bleibend ist wie das Wort, durch das sie wiedergeboren ist. Dies sind die Kennzeichen der neuen Natur: Unverweslichkeit, Leben, Beständigkeit.

Petrus bringt uns von selbst zu dem Brief des Johannes, der sagt: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein [d.h. Gottes] Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ Hier liegt der Nachdruck nicht mehr auf der handelnden Person (dem Geist) oder dem Mittel (dem Wort), sondern auf Gott selbst, der die Quelle und der Ursprung von allem ist. Wer aus Ihm geboren ist, hat dessen Samen beständig in sich und nimmt dadurch teil an seiner sündlosen Natur. Das ist die volle Wirklichkeit der neuen Geburt: Wir sind „Teilhaber der göttlichen Natur“ geworden, und diese Natur ist sündlos, gerecht und liebt und wird gekennzeichnet durch Glauben und Sieg über die Welt.

Was hat dies alles nun mit dem ewigen Leben zu tun? Die zentrale Frage ist, welcher Zusammenhang zwischen dem Empfangen der neuen Natur in der Wiedergeburt und dem Empfangen des ewigen Lebens besteht. Johannes 3 muss Licht auf diesen Zusammenhang werfen, weil der Herr Jesus dort zum ersten Mal sowohl über die neue Geburt als auch über das ewige Leben spricht. Nun, das Erste, was uns dabei auffällt, ist, dass der Herr Jesus viel mehr Unterschied als Übereinstimmung zwischen den beiden Gegenständen andeutet. Die Wiedergeburt hat hier mit den „irdischen Dingen“ zu tun (da sie der Zugang zum Reich Gottes auf der Erde ist) und das ewige Leben mit den „himmlischen Dingen“ (die zum Haus des Vaters gehören). Die Wiedergeburt war etwas Bekanntes, das bereits durch die alttestamentlichen Propheten beschrieben war, das ewige Leben dagegen war in seinem tiefsten Wesen etwas völlig Neues, das erst offenbart werden konnte, nachdem der Sohn des Menschen aus dem Himmel herabgestiegen war. Die Wiedergeburt war das Teil aller Gläubigen im AT; denn kein Mensch konnte jemals auf der Grundlage des Fleisches mit Gott Verbindung haben. Für sie galt, dass „sie gerichtet werden möchten dem Menschen gemäß nach dem Fleisch, aber leben möchten Gott gemäß nach dem Geist“. Das ewige Leben jedoch, sogar in dem äußerst begrenzten Maß, in dem es bekannt war, war für die alttestamentlichen Gläubigen immer etwas Zukünftiges. In dem Maß, wie es nun offenbart ist, wird es das Teil dessen, der sich durch den Glauben einsmacht mit einem gestorbenen, auferstandenen und verherrlichten Christus, wie wir sahen; und das war nicht möglich, bevor Christus nicht tatsächlich gestorben war.

Doch das will andererseits nicht heißen, dass wir in dieser Haushaltung die Wiedergeburt und das ewige Leben völlig trennen können oder dürfen. Die Wiedergeburt selbst hat ja im NT bereits ein weiter reichendes Gesichtsfeld als zum Beispiel in Hesekiel 36, weil Christus hier offenbart ist. Deshalb wird sie in dieser Haushaltung mit der Verkündigung des Evangeliums und der Annahme Christi verbunden: „So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, welche nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Und weiter: In der Tat ist es so, dass die Wiedergeburt in der Schrift nicht unmittelbar mit dem neuen Leben verbunden wird (obwohl indirekt in 1. Petrus 1,23), sondern mit einer neuen Natur. Doch was wir hier unterscheiden können, dürfen wir nicht trennen. Kein Mensch kann Leben aus Gott haben, ohne wiedergeboren zu sein, oder wiedergeboren sein, ohne Leben aus Gott zu haben. Das Schenken des Lebens wird „Lebendigmachen“ genannt, doch dies ist einfach eine andere Bezeichnung für dieselbe Wirksamkeit Gottes in der Seele, obwohl der Unterschied bedeutsam ist. Bei der Wiedergeburt geht es darum, dass ich eine verdorbene Natur habe, die von Adam stammt („Fleisch“), und dass ich eine total neue Natur nötig habe, die aus Gott stammt („Geist“). Bei dem Lebendigmachen geht es darum, dass ich von Natur aus tot bin in Sünden und Übertretungen und diesem Zustand nur dadurch entkommen kann, dass ich ein neues Leben empfange. Ich empfange deshalb in demselben Augenblick, da ich dem gepredigten Wort Gottes glaube, eine neue Natur und ein neues Leben. Die Frage ist nun: Ist dieses Leben, das ich in der Lebendigmachung empfange, dasselbe wie das, das woanders das „ewige Leben“ genannt wird?

Es hat schon sehr viel traurigen Streit um diese Frage gegeben, und wir wollen diesen Streit nicht neu aufleben lassen, sondern versuchen, besonnen festzustellen, ob vielleicht beide Seiten unrecht hatten (wie es häufig der Fall ist). Ich glaube tatsächlich, dass diejenigen unrecht haben, die keinen Unterschied sehen zwischen dem Leben der Wiedergeburt im Alten Testament und dem ewigen Leben. Und ich glaube, dass diejenigen genauso unrecht haben, die meinen, dass das Leben, das ein toter Sünder, der lebendig gemacht wird, jetzt in dieser Haushaltung empfängt, noch nicht das ewige Leben ist. Es muss meines Erachtens deutlich sein, dass das Leben aus Gott, das die alttestamentlichen Gläubigen empfingen, sowohl einer anderen Ordnung als auch einem anderen Maß entsprach als das ewige Leben, wie es nun offenbart ist seit der Fleischwerdung, dem Tod, der Auferstehung und der Verherrlichung des Sohnes Gottes. Doch muss es meines Erachtens ebenso deutlich sein, dass göttliches Leben immer wesentlich dasselbe ist, und zugleich, dass es unmöglich ist, dass der Gläubige nach dem Pfingsttag verschiedene Arten von Leben aus Gott zu verschiedenen Zeitpunkten empfängt.

5. Der Überfluss des Lebens

Wenn wir die Frage lösen wollen, was der Zusammenhang zwischen Leben aus Gott im Allgemeinen und dem ewigen Leben ist, dann müssen wir, wie gesagt, in erster Linie bedenken, dass das neue Leben, das Gott schenkt, immer seinem Wesen nach dasselbe ist. In allen Haushaltungen geht es wesentlich um dasselbe Leben aus Gott. Aber es besteht trotzdem ein gewaltiger Unterschied in der Weise und in dem Maß, in dem dieses Leben sich offenbaren kann. Holzkohle und Diamant sind chemisch genau derselbe Stoff, doch im Charakter (vor allem in ihrem Wert) sind sie gänzlich verschieden. So hatte auch das Leben der alttestamentlichen Gläubigen nicht den Charakter, den unser Leben als Gläubige hat, was die Beziehungen, Verantwortlichkeiten und Herrlichkeit betrifft. Der Unterschied liegt darin, dass das Leben nun „offenbart“ ist. Der Herr Jesus kam, damit seine Schafe (die „Gegebenen des Vaters“) nicht nur „Leben“ hätten – das hatten schon alle Gläubigen in der alten Haushaltung –, sondern es „in Überfluss“ hätten. Das wurde dadurch möglich, dass Er durch den Tod und die Auferstehung ging; dann wurde es wahr: „Ich gebe ihnen ewiges Leben“; „auf dass er [der Sohn] allen, die du ihm gegeben, ewiges Leben gebe. Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“

Es ist völlig eindeutig, dass die alttestamentlichen Gläubigen (obwohl sie seinem Wesen nach dasselbe Leben besaßen) es nicht in diesem Überfluss und in diesem Charakter kannten. Man kann nicht sagen, dass sie den Vater kannten (Ihn, den der Sohn hier mit „Du“ anspricht); sie kannten den einzigen wahrhaftigen Gott noch nicht in diesem Charakter, in dem der Sohn Ihn kannte. Ihr Leben hatte nicht den Charakter, dass sie den Sohn als ihr Leben besaßen. Sie konnten nicht sagen, dass ihr Leben mit Christus verborgen war in Gott und dass Christus ihr Leben war, denn Christus war noch nicht gestorben, und es gab noch keinen verherrlichten Menschen im Himmel.

Während des Umherwandelns des Herrn haben wir eine Art Übergangssituation. Aus Johannes 6 scheinen wir schließen zu können, dass das ewige Leben sowohl demjenigen geschenkt wurde, der an den Sohn glaubte, während Er noch im Fleisch auf der Erde war (Joh 6,40.47), als auch demjenigen, der an den gestorbenen und auferweckten Christus glaubte (Joh 6,53). Aber natürlich konnten die, die an Ihn während seines Lebens auf der Erde glaubten, das Leben nicht in dem Überfluss kennen, in dem wir es nun erleben, nachdem Christus auferweckt und verherrlicht ist. Wir sehen dies deutlich, nachdem der Herr Jesus nun auferweckt ist. Dadurch, dass wir das ewige Leben besitzen, sind wir (und wir wissen das) Kinder des Vaters geworden. Erst nach seiner Auferstehung jedoch sagt Christus zum ersten Mal: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17)! Damit im Zusammenhang steht die Tatsache, dass Er (Joh 20,22) in seine Jünger haucht und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist“ – beachte, dass „den“ kursiv gedruckt ist (d.h., dass der Artikel im Griechischen fehlt), das heißt, dass die Apostel noch nicht den Geist als Person in sich wohnend hatten (das geschah erst am Pfingsttag), sondern wir sehen hier den Herrn als einen „lebendig machenden Geist“ (1Kor 15,45), der hier seinen Jüngern (die bereits lange zuvor wiedergeboren und lebendig gemacht waren!) den Überfluss des göttlichen, geistlichen Lebens schenkt, das ewige Leben in seiner reichen Form und seinem reichen Maß. Der erste Adam war eine lebendige Seele geworden, indem Gott in ihn hauchte (1Mo 2,7) – Adam konnte Leben beschreiben (den Tieren Namen geben), aber nicht Leben schenken –, doch der letzte Adam ist ein lebendig machender Geist, der (weil Er selbst Gott ist) in andere hauchen und sie zu Teilhabern seines eigenen Lebens machen kann, nachdem dieses ewige Leben zugleich den Charakter des Auferstehungslebens bekommen hatte.

Dies ist ja das Wesen des Christentums: ein verherrlichter Mensch zur Rechten Gottes und der Heilige Geist ausgegossen auf die Erde: der Geist, der zeugt, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und der in uns das Wort Gottes „ins ewige Leben quellen“ lässt. Das Leben, das die alttestamentlichen Gläubigen aus Gott empfingen, machte sie vielleicht zu Kindern, doch sicherlich nicht zu Söhnen, und deshalb hatten sie den Heiligen Geist noch nicht bleibend in sich wohnend empfangen. Das ewige Leben war den alttestamentlichen Gläubigen noch nicht offenbart, obwohl es wesentlich immer um dasselbe Leben geht, doch entsprechend dem Charakter, den ihr Leben hatte, konnte es niemals „ewiges Leben“ genannt werden. Natürlich war ihr Leben „ewig“, aber wir haben gesehen, dass der Ausdruck „ewiges Leben“ nicht so sehr auf die Zeitdauer Bezug hat, sondern auf die Qualität dieses Lebens: Es ist das Leben des ewigen Gottes, wie es gekannt und genossen wird im Haus des Vaters. („Ewiges Leben“ ist nicht dasselbe wie Unsterblichkeit, denn sonst würden – je nachdem, wie man „Unsterblichkeit“ auffasst – entweder alle Menschen und Engel es besitzen, oder die Gläubigen würden nicht mehr sterben können. „Ewiges Leben“ ist nicht lediglich ein „unsterbliches Leben“, sondern Leben, das zu einer Welt gehört, die außerhalb des Bereiches der Sinne liegt, denn die Dinge, die man nicht sieht, sind ewig [2Kor 4,18].) Die alttestamentlichen Gläubigen haben jedoch ihren Platz nicht in diesem Haus, sondern auf der neuen Erde.

Das ewige Leben kennzeichnet also die neutestamentlichen Gläubigen, und obwohl es in der Schrift niemals unmittelbar mit dem „Lebendigmachen“ verbunden wird, kann das Leben, das wir bei der Lebendigmachung empfangen, sich seinem Wesen nach nicht von dem ewigen Leben unterscheiden. Wir empfangen nicht mehrere, verschiedene Leben zu verschiedenen Zeitpunkten. Übrigens müssen wir auf zwei Dinge achten:

  • In Johannes 5 wird das „Lebendigmachen“ indirekt mit dem „ewigen Leben“ verbunden: „Denn gleichwie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, also macht auch der Sohn lebendig, welche er will … Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen.“

  • Ebenso wie die Wiedergeburt steht auch das Lebendigmachen im NT auf einem höheren Niveau als im AT. Wir sind nicht nur einfach wiedergeboren und lebendig gemacht, sondern lebendig gemacht als zugleich tot allem gegenüber, was hinter uns liegt: der Sünde, dem Gericht und der Macht Satans. Wir haben nicht nur Leben aus Gott empfangen, sondern wir haben es in einem gänzlich neuen Zustand, nämlich in der Auferstehung; wir haben es in einer gänzlich neuen Stellung vor Gott, nämlich in der Stellung, die Christus als auferstanden und verherrlicht vor Gott hat.

Dies ist der besondere Charakter unserer Lebendigmachung, dass wir (im Gegensatz zu den alttestamentlichen Gläubigen) „mit dem Christus lebendig gemacht“ worden sind; Gott hat uns sogar „mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“. Unser Leben ist das Leben des lebendig gemachten Herrn, und unsere Stellung vor Gott ist die des auferweckten und verherrlichten Herrn! Hier sehen wir Ihn nicht als den Sohn, der lebendig macht, „welche Er will“, und als den letzten Adam, einen lebendig machenden Geist, sondern als den Menschen, der selbst im Tod war und von Gott lebendig gemacht worden ist, nachdem Er für unsere Sünden gestorben war. Mit dem auferweckten Menschen Christus Jesus besitzen wir das Leben nun in der Auferstehung; es hat den Charakter von „Auferstehungsleben“ bekommen, und obwohl dieser Ausdruck einen völlig anderen Aspekt des Lebens ausdrückt (mehr Stellung als Gemeinschaft) als das ewige Leben, kann es nicht anders sein, als dass es seinem Wesen nach dasselbe Leben ist.

Hiergegen hat man verständlicherweise den Einwand vorgebracht, dass Paulus über unsere „Lebendigmachung“ in der Vergangenheit spricht und in der gegenwärtigen Zeit sagt, dass Christus unser Leben ist, doch über das „ewige Leben“ immer als etwas Zukünftiges redet (vielleicht mit Ausnahme von Römer 6,23). Dies ist jedoch relativ, denn man muss dabei den unterschiedlichen Charakter seiner Briefe in Betracht ziehen. So wie Johannes „Leben“ vor allem mit Beziehungen und Gemeinschaft verbindet, so verbindet Paulus es vor allem mit Stellung, nämlich mit dem, was wir in der Auferstehung sind. Deshalb sagt er, dass durch das Evangelium „Leben und Unverweslichkeit“ ans Licht gebracht sind, nämlich die Unverweslichkeit der Auferstehung. Wenn er deshalb sagt, dass Christus unser Leben ist, sagt er unmittelbar dazu, dass das Leben mit Christus verborgen ist in Gott, also verbunden ist mit der Stellung, die Christus in der Auferstehung und Verherrlichung einnimmt. Paulus verbindet den vollen Besitz und Genuss des Lebens mit der Unverweslichkeit des Leibes in der Auferstehung; er sagt, dass die Vergeltung für die, „die mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit [nämlich die des Leibes in der Auferstehung] suchen, ewiges Leben“ ist. (Übrigens sogar bei Johannes, wo das ewige Leben gewöhnlich als ein gegenwärtiger Besitz gesehen wird, wird es in einem Kapitel viermal mit unserer Auferweckung verbunden.) Obwohl Paulus sagt, dass wir das Leben seinem Wesen nach bereits besitzen, ist es in der vollen Bedeutung für ihn das Gleich-Sein mit dem auferstandenen Menschen in der Verherrlichung, in der Atmosphäre, wo das ewige Leben zu Hause ist als das Leben, nicht nur des ewigen Sohnes, sondern auch des verherrlichten Christus.

Doch beachte: Im Epheser- und Kolosserbrief (übrigens die einzigen Briefe, in denen er über unsere „Lebendigmachung“ spricht) sieht Paulus das ewige Leben nicht als etwas Zukünftiges. Er gebraucht den Ausdruck dort zwar nicht wörtlich, doch in beiden Briefen sieht er uns als bereits mit Christus auferweckt (was er im Römerbrief, wo das ewige Leben etwas Zukünftiges ist, nicht tut!). Zudem zeigt er, dass wir nun bereits den Christus, der bei Gott verborgen ist, als unser Leben besitzen. Doch im Epheserbrief geht er noch weiter. Dort sieht er den Gläubigen sogar in Christus Jesus in himmlischen Örtern sitzend und dadurch nun bereits im Besitz aller geistlichen Segnungen in diesen himmlischen Örtern. Das konnte er im Römerbrief (wo ja die Auferstehung und deshalb das ewige Leben etwas Zukünftiges ist) nicht sagen. Nun, was dann im Epheserbrief folgt, steht das nicht (obwohl der Name fehlt) in einem treffenden Zusammenhang mit dem ewigen Leben? „Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens.“ Das sind genau zwei Charakterzüge des ewigen Lebens, die wir bereits früher fanden:

  • das, was mit der Natur Christi übereinstimmt: was Er persönlich ist und war („Licht“ und „Liebe“), und
  • unsere Beziehung zu dem Vater als seine Söhne. (Demgemäß wird in Römer 8,23 die Sohnschaft im vollen Sinn als etwas Zukünftiges gesehen, genauso wie das ewige Leben in diesem Brief.)

Wir sind Teilhaber der göttlichen Natur geworden und in die Stellung Christi versetzt: Durch Ihn sind wir Söhne nach dem Wohlgefallen des Willens des Vaters. Vers 13 fügt den Geist da hinzu, denn der Geist ist „Leben“, wenn Christus in uns ist (siehe weiter zu Epheser 1 in Abschnitt 8).

Ich denke, dass wir aus diesem allem die Schlussfolgerung ziehen müssen, dass das Leben, das jemand bei der Wiedergeburt bzw. der Lebendigmachung empfängt, seinem Wesen nach in dieser Haushaltung das ewige Leben ist. Einige entgegnen hierbei, dass da s„Leben aus Gott“, das ein Wiedergeborener besitzt, der noch nicht in dem vollbrachten Werk Christi ruht und noch unter dem Gesetz seufzt (ein Zustand, der in Römer 7 beschrieben wird), doch unmöglich als„ ewiges Leben“ bezeichnet werden kann, das heißt beispielsweise das Kennen Gottes als Vater. Das ist an sich richtig, doch man muss hier wohl „Besitz“ von „Genuss“ und „Bewusstsein“ unterscheiden.[2] Das Leben ist seinem Wesen nach immer dasselbe, und man empfängt nicht zwei Leben: eins bei der Wiedergeburt und eins, wenn man zum Frieden kommt. Der volle Überfluss des Lebens gehört jedem, der heutzutage lebendig gemacht wird; doch bis er versiegelt ist mit dem Heiligen Geist, kennt er seinen Zustand (als lebend in Christus) nicht und besitzt und genießt er in der Praxis noch nicht seine wahre Beziehung zu Gott. Die Seele, die sich in dem Zustand von Römer 7 befindet, ist zwar „lebendig gemacht“, aber dieser Zustand ist seinem Charakter nach noch nicht ein „Lebendig-gemacht-Sein mit Christus“, ein durch„das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus „Frei-gemacht-Sein“ von dem Gesetz der Sünde und des Todes“.

Wir sehen denselben Unterschied zwischen dem „Besitz“ einer Sache und dem „Bewusstsein“ dieses Besitzes auch bei Johannes. Sein Evangelium schrieb er, „auf dass ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und auf dass ihr glaubend Leben habe in seinem Namen“. Doch seinen Brief schrieb er, „auf dass ihr wisset, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes“. Glaube ist hier die Voraussetzung zum Empfangen des ewigen Lebens: Glaube an den, der den Sohn gesandt hat, Glaube an den Sohn Gottes selbst und Glaube an den erhöhten Sohn des Menschen.

6. Die Atmosphäre des Lebens

Es wird Zeit, dass wir hier auch auf die Bedeutungen des Begriffes „Leben“ eingehen, die noch nicht zur Sprache gekommen sind. Bis hierher haben wir hauptsächlich über das „ewige Leben“ als ein Lebensprinzip in dem Gläubigen gesprochen. Einige haben geleugnet, dass alle Gläubigen dieses Leben in sich besitzen, doch die Schrift ist in diesem Punkt sehr deutlich. Wir wollen zuvor diese Tatsache noch einmal ausdrücklich betonen:

  1. Erstens ist das ewige Leben allen Gläubigen gegeben. Der Herr Jesus sagt von seinen Schafen: „Ich gebe ihnen ewiges Leben.“ Und der Apostel sagt: „Dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat.“

  2. Zweitens wird deutlich gesagt, dass der Gläubige ewiges Leben hat: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben.“ Der Herr sagt: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben“, und: „Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben … Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben.“ Der Apostel sagt: „Dies habe ich euch geschrieben, auf dass ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.“

  3. Drittens wird indirekt deutlich gemacht, dass der Gläubige dieses ewige Leben in sich bleibend hat, durch die Worte: „Ihr wisst, dass kein Menschenmörder ewiges Leben in sich bleibend hat“, und: „Es sei denn, dass ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst“ („Leben“ ist hier nach Vers 54 nicht unterschieden vom „ewigen Leben“). Diese Worte haben natürlich nur dann Sinn, wenn Gläubige das ewige Leben in sich bleibend haben.

Wir dürfen diesen Ausdruck übrigens nicht verkehrt auffassen; er bedeutet nicht, dass wir ewiges Leben „in uns selbst haben“ in dem Sinne von „unabhängig von Gott“, unabhängig von der großen Quelle dieses Lebens. Deshalb, obwohl das ewige Leben „in uns“ ist, wird ebenso gesagt, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, „und dieses Leben Ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben.“ Was bedeutet das also? Habe ich den Sohn als mein Leben in mir? Oder habe ich mein Leben in dem Sohn, der bei dem Vater ist? Beides ist vollkommen wahr, und ich darf diese beiden Wahrheiten nicht voneinander trennen oder gegeneinander ausspielen (wie das geschehen ist). Christus ist mein Leben, aber dieses Leben ist zugleich mit Christus verborgen in Gott.

Ein Bild kann dies deutlich machen. Ein Blatt an einem Baum trägt durch seine Frische und das Grün unverkennbar die Zeichen des Lebens; es ist ein „Besitzer des Lebens“. Aber es besitzt dieses Leben nicht „in sich selbst“ unabhängig von dem Baum. Wenn das so wäre, könnten wir das Blatt von dem Baum abreißen, und es würde ebenso grün und frisch bleiben wie der Baum. Aber das ist nicht der Fall. Das Blatt hat kein unabhängiges Leben, der Baum wohl; das Leben des Blattes ist in dem Baum. So ist es auch mit meiner Hand; sie besitzt Leben, aber nicht unabhängig von meinem Leib. Man kann sagen: die Hand hat Leben in sich; man kann auch sagen: Das Leben der Hand ist in dem Leib, mit dem sie verbunden ist.

In allen diesen besprochenen Fällen wird das ewige Leben, wie gesagt, gesehen als ein Lebensgrundsatz in uns. Doch nun wollen wir einige Stellen betrachten, die über das ewige Leben in einem anderen Sinn sprechen. So sagt Christus zum Beispiel: „Und diese [die Ungerechten] werden hineingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ Hier wird nicht über das ewige Leben in den Gläubigen gesprochen, sondern über das Hineingehen der Gläubigen in das ewige Leben! (So auch in Matthäus 19,17, wo über „ins Leben eingehen“ gesprochen wird, und der Zusammenhang {Mt 19,16] zeigt, dass dies das ewige Leben ist. Denselben Ausdruck finden wir in Matthäus 18,8 und Markus 9,43.45 im Gegensatz zum Eingehen in die Hölle.) Man kann natürlich einwenden, dass das ewige Leben hier in einem anderen Charakter vorgestellt wird als zum Beispiel im Johannesevangelium; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass (wie wir gesehen haben) ewiges Leben seinem Wesen nach immer dasselbe Leben ist. Allerdings kann es in verschiedenen Haushaltungen unterschiedlich sein in seinem Maß und Charakter, je nach der Art und Weise, in der Gott sich in einer bestimmten Haushaltung offenbart hat. Nun, was ist denn „Eingehen in das ewige Leben“?

Um das zu verstehen, müssen wir sehen, dass sowohl die Schrift als auch wir das Wort „Leben“ beständig in zwei völlig verschiedenen Bedeutungen gebrauchen. Einerseits sprechen wir über „pflanzliches Leben“, „tierisches Leben“, „sterbliches Leben“, „blühendes Leben“, usw. Andererseits sprechen wir zum Beispiel über „Leben auf dem Land“, „ein mühsames Leben“, „ein angenehmes Leben“ usw. Wer kurz nachdenkt, sieht, dass „Leben“ im ersten Fall ein wirksamer Grundsatz ist innerhalb der Pflanzen, Tiere, Menschen, usw., wodurch sie wachsen, sich bewegen und fortpflanzen können. Doch im zweiten Beispiel ist es nicht etwas in einer Person, sondern etwas, worin eine Person sich befindet: eine Weise, ein Verhalten, ein Zustand, eine Existenz, worin der innere Lebensgrundsatz sich in einer bestimmten Weise äußert. Ein mühsames Leben ist ein mühsames Dasein; jemand, der das „Stadtleben“ tauscht gegen das „Leben auf dem Land“, empfängt nicht einen neuen Lebensgrundsatz in sich, sondern tritt ein in eine neue Bestehens- oder Lebensweise. So ist es nun auch mit dem ewigen Leben. Es hat viele unterschiedliche Auffassungen über die Frage gegeben, ob das ewige Leben nun ein Lebensgrundsatz in uns ist oder eine Bestehensweise, in die wir eintreten. Doch der Streit ist sinnlos, denn was wir hier zwar unterscheiden können, dürfen wir nicht trennen: Das ewige Leben ist sowohl ein Lebensgrundsatz in uns (ein Leben, wodurch wir leben) als auch eine Lebensweise, in die wir eingetreten sind (ein Leben, worin wir leben). Wenn wir dies Letztere begreifen, werden wir auch besser verstehen, wie der Ausdruck „ewiges Leben“ im AT, in den synoptischen Evangelien und bei Paulus gebraucht wird.

Wie gesagt, das ewige Leben wird uns natürlich in verschiedenen Haushaltungen unterschiedlich vorgestellt, je nach der Weise, in der Gott in einer bestimmten Haushaltung von den Gläubigen gekannt wurde. Die Gläubigen in dem Israel des AT kannten Gott als den Allmächtigen, als den Allerhöchsten und als den HERRN, und sie sahen aus nach der Zeit der Auferstehung, in der Gott auf dieser Erde allerorts in diesen Namen anerkannt und angebetet wird. Sie waren unter denen, die mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit, Ehre und die Unverweslichkeit des Auferstehungsleibes suchten und die deshalb „am Tage … des gerechten Gerichtes Gottes“ das ewige Leben empfangen werden. Das wird in der Zeit sein, wenn der Sohn des Menschen ein ewiges Reich von dem Alten an Tagen empfangen und auf der Erde errichten wird, wenn Er mit den Wolken des Himmels kommt. Das wird die Zeit sein, wenn „viele von denen, die im Staub der Erde schlafen“, erwachen werden, „diese zu ewigem Leben, und jene zur Schande, zu ewigem Abscheu“. Das ewige Leben ist hier die herrliche Bestehensweise, die köstliche Atmosphäre des Friedensreiches des Messias. Dann werden die Worte des Psalmisten völlig erfüllt werden: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen … Wie der Tau des Hermon, der herabfällt auf die Berge Zions; denn dort hat der HERR den Segen verordnet, Leben bis in Ewigkeit.“

In den synoptischen Evangelien finden wir das ewige Leben in genau der gleichen Bedeutung wieder wie die Hoffnung und Zukunftserwartung der Juden. Ein Gesetzesgelehrter kam einmal zu dem Herrn Jesus mit der Frage: „Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu ererben?“, und beinahe dieselbe Frage wurde Ihm von einem reichen Jüngling, einem Obersten, gestellt. In beiden Fällen stellt Christus ihnen zuerst die Normen des Judentums vor, nämlich das Gesetz, doch danach stellt Er ihnen in Wirklichkeit sich selbst vor, nämlich als den barmherzigen Samariter bzw. als denjenigen, der alles „verkauft“ hatte, was Er besaß, und sein Kreuz aufgenommen hatte. Vergleiche auch Johannes 5,39.40: Die Juden kannten das ewige Leben aus den Schriften und sonnten sich in dem Gedanken, dass sie das ewige Leben besaßen, weil sie das auserwählte Volk dieser Schriften waren; doch sie verstanden nicht, dass sogar der auserwählte Jude das Leben nicht außerhalb des Christus empfangen konnte, von dem dieselben Schriften zeugten (vgl. Joh 3,1-7). Das war nun der Weg für denjenigen, der das ewige Leben ererben wollte: jetzt Selbstverleugnung und Verfolgungen und in dem zukünftigen Zeitalter das ewige Leben; das ist in dem Zeitalter, wenn der „zukünftige Erdkreis“ dem Sohn des Menschen unterworfen sein wird oder, wie Christus selbst sagt, die Zeit der „Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen sitzen wird auf seinem Thron der Herrlichkeit“ und auch die zwölf Apostel sitzen werden „auf zwölf Thronen … und richten die zwölf Stämme Israels. Und ein jeder, der irgend verlassen hat Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Frau oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, wird hundertfältig empfangen und ewiges Leben erben.“ Bald, „wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen“; dann wird Er zu denen sagen, die seinen Brüdern geholfen und sie angenommen haben: „Kommt her, Gesegnete meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an“, und deshalb wird von diesen Gerechten gesagt, dass sie eingehen werden „in das ewige Leben“. Das Ererben des Reiches ist also das, was woanders das Ererben des ewigen Lebens genannt wird; das ewige Leben ist die Atmosphäre des Reiches in Gemeinschaft mit dem König.

Doch beachte nun, wie sehr dies der Art und Weise ähnelt, in der Paulus den Ausdruck gebraucht. Allerdings verbindet er das ewige Leben nicht mit dem zukünftigen Erdkreis, sondern mit dem Himmel; nicht mit dem Sohn des Menschen in der Herrlichkeit des Friedensreiches auf der Erde, sondern mit dem auferstandenen und verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes im Himmel. Auch er spricht über „Erben“: Wir sind „Erben … nach der Hoffnung des ewigen Lebens“. So wie Israel bald im verheißenen Land das ewige Leben ererben wird, so sieht Paulus das ewige Leben als eine Ernte im „himmlischen Land“, wenn er sagt: „Denn wer für sein eigenes Fleisch sät, wird von dem Fleisch Verderben ernten; wer aber für den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten.“ Übrigens verbindet auch Christus selbst das ewige Leben mit dieser zukünftigen „Ernte“ in der Herrlichkeit: „Der da erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben“, und: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.“ (Siehe weiter Abschnitt 8.)

Für Paulus ist das ewige Leben das herrliche Endziel des Weges des Glaubens, der bei dem verherrlichten Menschen in der Herrlichkeit endet. Er spricht über „die, welche an ihn glauben werden zum ewigen Leben“; und obwohl wir bereits jetzt die Segnungen des ewigen Lebens praktisch in unserem Leben verwirklichen können („ergreife das ewige Leben, zu welchem du berufen worden bist!“), verbindet er dies mit der vollen Verwirklichung in der Zukunft, wenn er die Reichen ermahnt: „… indem sie sich selbst eine gute Grundlage auf die Zukunft sammeln, auf dass sie das wirkliche Leben ergreifen.“ Das Ziel des Glaubensweges ist das ewige Leben: „Gleichwie die Sünde geherrscht hat im Tod, also [herrsche] auch die Gnade durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben.“ Hier sehen wir das ewige Leben eingeführt durch Christus. Ein Kapitel weiter sehen wir es als Gottes Gnadengabe in Christus: „Jetzt aber, von der Sünde freigemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben. Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“ Das ewige Leben ist hier das Leben des Himmels, wo Christus ist, verborgen bei Gott, das jedoch bereits jetzt hier auf der Erde „ergriffen“ werden kann: Wir können bereits jetzt in der Atmosphäre des Himmels leben. Ich bin bereits lebendig gemacht, ich habe das ewige Leben als wirksamen Grundsatz bereits „bleibend in mir“ („Christus lebt in mir!“), aber ich bin noch nicht in einem verherrlichten Leib in die Atmosphäre eingeführt, in der ich dieses Leben vollkommen genießen werde. Das ewige Leben ist in mir, aber es ist dort „ausheimisch“, denn das Vaterhaus ist die „Heimat“ des ewigen Lebens. Ein Gläubiger, der das ewige Leben besitzt, ist nicht mehr „von der Welt“, und deshalb ist er, solange er sich doch noch „in dieser Welt“ befindet, nicht in seinem Element: Er ist wie ein Fisch außerhalb des Wassers oder wie ein Mensch im Wasser. So wie weder ein Fisch noch ein Mensch wahre Ruhe und Genuss erleben können, wenn sie aus ihrem eigenen Element in ein fremdes Element gebracht sind, so kann auch das ewige Leben, das dem Gläubigen geschenkt ist, niemals wirklich vollkommene Ruhe und Genuss in dieser Welt und in diesem Leib finden. Das Vaterhaus ist die Heimat des ewigen Lebens, die neue Schöpfung ist die Sphäre des ewigen Lebens, der verherrlichte Leib ist das wahre Zelt des ewigen Lebens.

Und doch: Wir sind nicht mutlos. Wir können und dürfen bereits jetzt das wirkliche Leben, das ewige Leben, ergreifen, wenn wir praktisch in unserem Leben verwirklichen, was es bedeutet, mit Christus auferweckt zu sein und daher die Dinge zu suchen, die droben sind, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes, ja, zu sinnen auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn wir sind gestorben, und unser Leben (Christus ist unser Leben!) ist mit Christus verborgen in Gott. Wir haben das ewige Leben in uns, aber wir werden auch praktisch in der Atmosphäre des ewigen Lebens leben, wenn wir tatsächlich verwirklichen, dass wir in Christus versetzt sind in himmlische Örter, wo wir mit allen geistlichen Segnungen gesegnet sind. Das ewige Leben ist das Leben des Vaterhauses, und wir werden etwas davon schmecken, wenn das ewige Leben, das uns verkündigt worden ist, uns praktisch dazu bringt, Gemeinschaft zu genießen mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus; denn diese Gemeinschaft ist das Leben des Vaterhauses.

7. Der Genuss des Lebens

Der letzte Teil des vorigen Abschnitts brachte uns bereits zu einem bedeutsamen Thema in Verbindung mit dem ewigen Leben, nämlich dem praktischen Erleben und Genießen dieses Lebens. Wie fehlt es daran bei vielen Gläubigen! Johannes 3,16 ist vielleicht der bekannteste Vers der Bibel, doch in gewisser Hinsicht ist er auch einer der unbekanntesten. Denn wie viele Gläubige verstehen wirklich, was es bedeutet, dass sie „ewiges Leben haben“, geschweige denn, dass sie es genießen. Das ewige Leben ist himmlisches Leben, und obwohl wir noch nicht im Himmel sind, können wir den Himmel bereits in unseren Herzen haben. Doch je mehr wir durch unsere irdischen Umstände (seien sie nun mühselig oder gerade günstig – beides ist eine Gefahr) in Anspruch genommen werden, um so weniger verwirklichen wir in der Praxis etwas von diesem himmlischen Leben in unseren Herzen.

Diese Gefahr war einer der Gründe, weshalb Johannes seinen ersten Brief schrieb. In seinem Evangelium hatte er Christus vorgestellt als den Offenbarer des ewigen Lebens, doch in seinem Brief zeigt er, dass Christus selbst das ewige Leben ist. In seinem Evangelium ist Christus der abhängige Sohn, der auf den Vater hinweist, doch in dem Brief ist es der Heilige Geist, der hinweist auf Christus! Nun, das Evangelium wurde geschrieben ,„auf dass ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“; doch der Brief wurde geschrieben, „auf dass ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt“. Das ist unsere Verantwortung als Gläubige: zu wissen, wie reich wir sind, und das lernen wir nicht dadurch, dass wir uns mit Dogmen vertraut machen, sondern dadurch, dass wir in der Praxis eines geistlichen Glaubenslebens stehen.

Gläubige besitzen das ewige Leben, doch sie sind damit (wie wir sahen) „ausheimisch“, Fremdlinge in einem Land, wo das ewige Leben nicht zu Hause ist. Es ist nicht umsonst, dass das ewige Leben im Johannesevangelium mehrere Male mit Bildern von der Wüstenreise Israels verbunden wird; auch Israel befand sich in der Wüste, in einem dürren und wüsten Gebiet, wo sie, jetzt Bürger des verheißenen Landes, nicht zu Hause waren, aber bereits etwas schmecken durften von dem Leben mit Gott. Es gibt vier solcher Bilder im Johannesevangelium:

  1. Die eherne Schlange

    Joh 3,14: Und gleichwie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, also muss der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.

    Der Zusammenhang ist deutlich: So wie Israel zu der Schlange aufsehen musste und so das Leben hatte, so müssen wir an den erhöhten Sohn des Menschen glauben, auf dass wir dadurch das ewige Leben empfangen. Wenn wir jedoch bedenken, dass Israel im Allgemeinen nicht ein Bild des Sünders ist, der zum Glauben kommt, sondern von dem Volk Gottes, das in geistlichen Verfall geraten kann und zur Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt werden muss, sehen wir, dass die Verse auch eine sehr praktische Bedeutung für uns haben. Wir müssen nicht nur einmal auf Christus sehen, sondern lernen, unser Auge beständig auf Ihn gerichtet zu halten oder wieder auf Ihn zu richten, wenn wir abgewichen sind, um uns bewusst zu werden, dass der Ort, wo Er erhöht wurde, der Ort ist, wo Gott vollkommen mit unserem Fleisch abgerechnet und es in den Tod gebracht hat. Dieses Bewusstsein kann uns in dem praktischen Genuss des ewigen Lebens bewahren.

  2. Das lebendige Wasser

    Joh 4,10: Wenn du die Gabe Gottes kenntest, und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du ihn gebeten haben, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben … wer irgend aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt.

    So wie Johannes 4 auf Kapitel 3 folgt, so erinnern uns diese Worte unmittelbar an das, was auf die Begebenheit mit der ehernen Schlange folgte: Sie zogen von Wasser zu Wasser„ und von dort nach Beer [= Brunnen]; das ist der Brunnen, von welchem der HERR zu Mose sprach: Versammle das Volk, und ich will ihnen Wasser geben. Damals sang Israel dieses Lied: Herauf, Brunnen! Singet ihm zu! Brunnen, den Fürsten gegraben, den die Edlen des Volkes, mit dem Gesetzgeber, gehöhlt haben mit ihren Stäben!“ Hier sehen wir, wie lebendiges Wasser zu Brunnen der Erquickung und des Segens aufspringt und das Volk direkt aus der Wüste in die Ebene Moabs führt, den Ort der Zubereitung für das verheißene Land.

    So sehen wir in Johannes 4 eine arme, nichtjüdische Frau, die bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die Forderungen Gottes gekannt hatte und nun mit der Gabe Gottes und mit seinem Sohn (in einem Zustand solch tiefer Erniedrigung, dass Er diese Frau um ein wenig Wasser bittet) in Berührung kommt. Wie tief neigt sich die Güte Gottes herab! Wer diese Gabe und diese Person kennt, wird um lebendiges Wasser bitten, ein Bild des Wortes Gottes, lebendig gemacht durch den Heiligen Geist, wie Johannes sagt. Es ist dieser Geist, der in das Herz des Gläubigen die Liebe Gottes ausgießt, die auf dem Kreuz offenbart ist und ihn in den praktischen Genuss des ewigen Lebens einführt: die Kenntnis Gottes als Vater und des von Ihm gesandten und danach im Himmel verherrlichten Sohnes wie auch die Gemeinschaft mit diesem Vater und diesem Sohn. Dies führt uns geistlicherweise aus der Wüste hinauf bis in die Atmosphäre des Vaterhauses, und dies wird praktisch in uns verwirklicht werden in dem Maße, wie wir auch praktisch das Fleisch an dem Ort des Todes halten und durch den Geist leben und wandeln.

  3. Das Brot des Lebens

    Joh 6,54.56.57: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag … Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm. Gleichwie der lebendige Vater mich gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich isst, der wird auch leben meinetwegen.

    Wir haben hier Worte anlässlich eines anderen Bildes aus der Wüstenreise, denn der Herr Jesus vergleicht sich hier mit dem Manna, das die Israeliten aus dem Himmel von Gott empfangen hatten. So ist Er selbst das wahre Brot aus dem Himmel, und jeder, der sich von Ihm als dem Gestorbenen ernährt, empfängt ewiges Leben. Doch ich habe bereits früher darauf hingewiesen, dass zwischen dem Vers 53 und den Versen 54-57 ein wichtiger Unterschied besteht; in der ersten Stelle geht es um das Empfangen des Lebens, indem man den Tod Christi auf sich anwendet, doch in der zweiten Stelle geht es um das Unterhalten des Lebens, indem man sich fortwährend mit Christus ernährt. Wir sehen das unmittelbar an dem Tätigkeitswort „essen“, das in Vers 53 im Aorist und in den Versen 54-57 im Präsens vorkommt, so dass wir den Abschnitt wie folgt frei wiedergeben können: „Es sei denn, dass ihr [in einem bestimmten Augenblick in der Vergangenheit] das Fleisch des Sohnes des Menschen gegessen habt und sein Blut getrunken habt, so habt ihr kein Leben in euch selbst. Wer [beständig, immer wieder aufs Neue] mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat [beständig, ununterbrochen] ewiges Leben“; so auch weiter. In den Versen 54-57 geht es also nicht darum, dass jemand zum Glauben kommt, sondern darum, dass man sich täglich mit dem erniedrigten und gestorbenen Sohn des Menschen ernährt (der zugleich unseren Blick auf die Auferstehung richtet), um in der beständigen Sicherheit und dem Genuss des ewigen Lebens zu bleiben. Dazu müssen wir uns jeden Tag praktisch mit seiner Person beschäftigen (so wie Israel sich jeden Tag mit dem Manna ernährte), damit Er unser Herz und Leben füllt und wir Ihm auf dem Weg nachfolgen, den Er uns in der Wüste vorangegangen ist.

  4. Die Schafe

    Joh 10,27: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben.

    Auch das Bild einer Schafherde war für Israel ein vertrautes Bild aus dem AT, nicht zuletzt in Verbindung mit der Wüstenreise: „Hirte Israels, nimm zu Ohren, der du Joseph leitest wie eine Herde, der du thronst zwischen den Cherubim [der Bundeslade], strahle hervor! Vor Ephraim und Benjamin und Manasse [d.h. an der Westseite der Stiftshütte, also sehr nahe bei der Bundeslade] erwecke deine Macht und komm zu unserer Rettung! … Einen Weinstock zogst du aus Ägypten, vertriebst Nationen und pflanztest ihn.“ Moses Herzubringen der Schafherde durch die Wüste zu dem Berg Horeb war das Vorspiel zu dem Herzubringen des Volkes Israel zu diesem Berg und damit ein Vorbild von Christus, der nun sein Volk durch die Wüste zu dem „Berg Gottes“ bringt. Einmal werden wir bei Gott sein und vollkommen das „Leben Gottes“ genießen; doch bereits jetzt sagt Christus von seinen Schafen, dass Er ihnen das ewige Leben zu genießen gibt, zumindest wenn wir auch in der praktischen Verwirklichung beständig seine „Stimme hören“ und Ihm, dem Hirten, gehorsam nachfolgen.

Wir haben also gesehen, dass wir das ewige Leben schon hier in dieser Wüste genießen können. Wir haben aber auch gesehen, dass das ewige Leben seinem Wesen nach himmlisch ist; es hat seine Heimat im „verheißenen Land“. Das Land Kanaan ist ein Bild der himmlischen Örter, und die Früchte des Landes sind ein Bild der geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern. Wenn wir an unser Erbteil im Himmel denken, stellen wir uns das oft nur als etwas Zukünftiges vor, so wie Petrus schreibt: „Ein unverwesliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt ist für euch.“ Aber Paulus zeigt uns, dass wir grundsätzlich schon jetzt in Christus Jesus in die himmlischen Örter versetzt sind. Wir haben schon jetzt alle Voraussetzungen empfangen, um diese Stellung besitzen und genießen zu können, denn nach Gottes Auserwählung sind wir grundsätzlich schon heilig und tadellos vor Ihm in Liebe: Wir haben Teil an der göttlichen Natur, die Licht und Liebe ist, so dass wir die Fähigkeit haben, die himmlische Stellung zu kennen und zu genießen. Und nicht nur das: Wir sind auch in eine Beziehung zu Gott gebracht, die mit dieser Stellung in den himmlischen Örtern in Übereinstimmung ist, nämlich in die Beziehung der Sohnschaft.

Söhne Gottes besitzen das Erbteil im verheißenen Land: alle geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern. Es ist aber bemerkenswert, dass Paulus uns nicht beschreibt, was diese „geistlichen Segnungen“ sind. Er nennt uns die Natur und die Beziehung, die notwendig sind, um diese Segnungen zu besitzen, und führt die Voraussetzung an, der Sünder entsprechen müssen, um zu diesen Segnungen zu gelangen; was aber die Segnungen selbst sind, sagt er uns nicht. Sein Thema ist vielmehr unsere Stellung vor Gott in Christus in den himmlischen Örtern. Wir sehen das auch im Kolosserbrief: „… dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht, … versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe.“ Da finden wir wieder die Fähigkeit und die Stellung, aber nicht das eigentliche Erbe. Dafür brauchen wir den Apostel, der ganz besonders über den „Sohn seiner Liebe“ (der Liebe des Vaters) geschrieben hat: Johannes.

Wie wir schon sahen, spricht der Herr Jesus selbst über himmlische Segnungen: „Wie werdet ihr glauben, wenn ich euch das Himmlische sage?“ Der Ausdruck „das Himmlische“ (eigentlich: die Himmlischen) ist im Griechischen genau derselbe wie „die himmlischen (Örter)“ (ta epourania) im Epheserbrief! Und wie gesagt, der Herr fasst in zwei Worten zusammen, was dieses Himmlische beinhaltet: ewiges Leben. Die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern, unser Erbe im verheißenen Land, können nicht besser beschrieben werden als durch den Ausdruck „ewiges Leben“. Dieses Thema ist nicht einfach, weil wir hier Verbindungen zwischen dem Dienst des Paulus und dem des Johannes herstellen müssen. Darum möchte ich das etwas ausführlicher darlegen, und zwar in sieben Punkten:

  1. Ewiges Leben ist tatsächlich der himmlische Segen; die beiden Worte „ewiges Leben“ haben einen solch reichen Inhalt, dass sie in Johannes 3 die gesamte Beschreibung dessen bilden, was der Herr das „Himmlische“ nennt. Das Alte Testament enthält dazu eine wunderschöne Illustration, wenn es von der köstlichen und lieblichen Gemeinschaft und dem Zusammenwohnen von „Brüdern“ sagt: „Denn dort hat der HERR den Segen verordnet, Leben bis in Ewigkeit.“ Sogar für den alttestamentlich Gläubigen war das ewige Leben bereits der Segen Gottes.

  2. Ewiges Leben ist tatsächlich das himmlische Erbe. Paulus sagt, dass die Gläubigen aus den Nationen und aus Israel nun Miterben und Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheißung Gottes in Christus Jesus sind. Auch hier lesen wir nicht, worauf dieses Erbe Bezug hat, doch es besteht ein Zusammenhang mit der „Verheißung Gottes in Christus Jesus“. Das ist nicht die Verheißung gegenüber Abraham, denn die war bereits im Alten Testament bekannt. Doch „Gottes Verheißung in Jesus Christus“ war in den vorausgegangenen Jahrhunderten nicht bekannt; sie war ein Geheimnis, das nun erst seinen Heiligen offenbart worden ist, den anderen Geschlechtern unbekannt war und also vor alle Zeiten zurückgehen muss. Nun, wir lesen von dem ewigen Leben, „welches Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten“, und zwar (dem Wesen der Sache nach) Christus verheißen und in Christus uns, die wir Gott von Ewigkeit bekannt waren. Wir sind daher Miterben und Mitteilhaber des ewigen Lebens; deshalb kann Paulus sagen, dass wir „Erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens“. Ewiges Leben ist also unser himmlisches Erbe.

  3. Ewiges Leben ist eine Gabe der Liebe Gottes; das ist der Inhalt von Johannes 3,16: Gottes Liebe zu der Welt ging so weit, dass Er nicht nur ihre Errettung beabsichtigte, sondern denen, die an seinen eingeborenen Sohn glauben würden, sogar das ewige Leben schenken wollte. Deshalb ist es so wichtig (weil ewiges Leben und Gottes Liebe zusammengehören), dass wir sehen, dass es diejenigen sind, die heilig und tadellos sind vor Gott in Liebe, die gesegnet sind mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern. So sahen wir bereits: diejenigen, die versetzt sind in das Reich des Sohnes der Liebe Gottes, sind es, die befähigt sind, Anteil zu haben am Erbe der Heiligen in dem Licht. Ewiges Leben kann lediglich im Bewusstsein und im Genuss der Liebe Gottes genossen werden.

  4. Ewiges Leben ist der Besitz der Söhne Gottes. Gott hat uns zur Sohnschaft zuvorbestimmt als der Stellung, in der wir völlig die himmlischen Segnungen besitzen können. Sohnschaft schließt Erbschaft in sich: „Wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott.“ Im Galaterbrief ist das „Erbe“ im Vorbild das Land, das Gott Abraham verheißen hat, und die Ernte dieses Landes ist das ewige Leben: „Wer aber für den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten.

  5. Ewiges Leben ist der Segen des Landes und liegt also an der anderen Seite des Todesflusses, des Jordan, und des Gebietes des Todes, der Wüste. Deshalb ist es so bedeutsam, dass Epheser 1 (in Verbindung mit Epheser 2) uns zeigt, dass, solche Menschen wie wir, die tot waren in Vergehungen und Sünden, die Erlösung durch das Blut Christi und die Vergebung der Vergehungen empfangen mussten, um die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern besitzen zu können. So lesen wir auch, dass die Heiligen, die Anteil haben an dem Erbe, aus der Macht der Finsternis erlöst und in das Reich des Sohnes der Liebe Gottes versetzt sind, in welchem sie die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden. Paulus macht auch im Römerbrief den Gegensatz zu dem Tod in treffender Weise deutlich: „… auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat im Tod, also auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ – „Denn das Ende derselben [der Sklaverei der Sünde] ist der Tod. Jetzt aber von der Sünde freigemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben. Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“

  6. Ewiges Leben wird gekannt und genossen durch den Heiligen Geist, den wir empfangen haben, als wir geglaubt und das Evangelium unseres Heils angenommen haben. Der Heilige Geist will in uns eine Quelle Wassers sein, das ins ewige Leben quillt. „Und der Geist ist es, der da zeugt, weil der Geist die Wahrheit ist … denn dies ist das Zeugnis Gottes, welches er gezeugt hat über seinen Sohn … Und dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.“ Durch den Geist des Sohnes Gottes rufen wir „Abba, Vater!“ und verwirklichen wir unsere Sohnschaft und unser Erbteil, und für den Geist säen wir, damit wir von dem Geist ewiges Leben ernten.

  7. Ewiges Leben ist, was unseren Besitz und Genuss desselben betrifft, verbunden mit der Auferstehung und Verherrlichung Christi. Deshalb zeigt Paulus uns in seinem Gebet am Ende von Epheser 1, dass wir die geistlichen Segnungen in den himmlischer Örtern besitzen können, weil Christus aus den Toten auferweckt ist und Gott Ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern gesetzt hat, während Gott dieselbe Kraft auch an uns erwiesen hat, so dass Er auch uns lebendig gemacht und auferweckt hat mit Christus und uns in Ihm hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern. Wenn Paulus unmittelbar über das ewige Leben spricht, verbindet er es ebenfalls mit der Unvergänglichkeit der Auferstehung und mit der himmlischen Herrlichkeit. In Johannes 6 stellt der Herr Jesus sich vor als das Brot des Lebens und das ewige Leben und verbindet es viermal mit der Auferstehung und einmal mit seiner Verherrlichung. In Johannes 4 und 12 wird das ewige Leben als Ausnahme nicht vorgestellt als ein gegenwärtiger Besitz für den Gläubigen, sondern als mit der (zukünftigen) himmlischen Herrlichkeit verbunden.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass das ewige Leben der Segen Gottes ist, ein himmlischer Segen, die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern, genossen in der Liebe Gottes durch den Geist Gottes, jenseits des Todes in dem Bereich der Auferstehung und Verherrlichung, durch diejenigen, die zur Familie Gottes gehören und die Sohnschaft empfangen haben. Wie unermesslich ist unser Segen.

8. Die Gemeinschaft des Lebens

Wir haben also gesehen, dass der praktische Genuss des ewigen Lebens als Voraussetzung hat:

  • das Hinschauen auf den erhöhten Sohn des Menschen (der zugleich der gegebene, eingeborene Sohn Gottes ist) an dem Ort des Gerichtes über unser Fleisch,
  • die freie Wirksamkeit des Heiligen Geistes in dem Gläubigen, um ihn mit dem verherrlichten Christus in Verbindung zu bringen,
  • das Sich-Ernähren mit dem erniedrigten und gestorbenen Christus im Bewusstsein seiner Auferstehung und Himmelfahrt und
  • das tägliche gehorsame Hören auf seine Stimme.

Es gibt neben dem Zusammenhang mit der Wüstenreise noch einen zweiten, sehr praktischen Aspekt des Genusses des ewigen Lebens. Wir haben festgestellt, dass das ewige Leben das Leben des Vaterhauses ist, das die Kinder des Vaters, die den Sohn dieses Vaters als ihr Leben empfangen haben, genießen dürfen. Es ist daher auch das Leben der Familie Gottes und deshalb Leben, das vor allem als Familie genossen wird. Ich möchte in dieser Hinsicht auf sechs Schriftstellen hinweisen:

  1. Der Ort der Anbetung

    Joh 4,14.23.24: Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt … Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter. Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten.

    Mit der Offenbarung der Gabe Gottes, der göttlichen Person, die in Erniedrigung auf der Erde war, und des „lebendigen Wassers“ (Wort und Geist) offenbarte der Herr auch einen dementsprechenden neuen Ort der Anbetung, wo die „wahren Anbeter“ (die Familie Gottes) Gott als Vater anbeten (ein Beweis, dass sie das ewige Leben besitzen) in einer geistlichen Weise und in Übereinstimmung mit diesen neuen, offenbarten Wahrheiten. (Denken wir wieder zurück an 4. Mose 21,16.17: „Das ist der Brunnen, von welchem der HERR zu Mose sprach: Versammle das Volk; und ich will ihnen Wasser geben. Damals sang Israel dieses Lied: Herauf, Brunnen! Singet ihm zu!“ Hier sehen wir im Vorbild Gottes Volk, versammelt zur Anbetung bei einem frei sprudelnden Brunnen [die freie Wirksamkeit des Heiligen Geistes].) Die Anbetung des Vaters ist vielleicht der höchste Segen des Besitzes des ewigen Lebens!

  2. Die eine Herde

    Joh 10,16: Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind; auch diese muss ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein.

    Die Schafe aus Israel, vereinigt mit den Schafen aus den Nationen zu einer neuen Herde, sind die Familie Gottes, der der Herr hier nach seiner Verheißung ewiges Leben gibt; es ist der individuelle Besitz jedes Gläubigen und der kollektive Besitz der Familie Gottes.

  3. Die Gegebenen des Vaters

    Joh 17,1-3: Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, auf dass dein Sohn dich verherrliche. Gleichwie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf dass er allen, die du ihm gegeben, ewiges Leben gebe. Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

    Hier sehen wir die Familie Gottes als diejenigen, die der Vater dem Sohn aus der Welt gegeben hat. Sie sind nicht einfach eine Anzahl von Kindern Gottes ohne jeden Zusammenhalt, sondern eins, gleichwie der Vater und der Sohn eins sind. Das Leben dieser Familie ist das„ ewige Leben“: das Kennen Gottes, so wie Christus Ihn kannte, nämlich als Vater; nicht nur das Wissen, dass Er der Vater des Sohnes ist, sondern sie kennen Ihn als ihren Vater (denn sie haben seinen Sohn als ihr Leben empfangen) und wissen, dass sie Brüder des Sohnes sind. Und sie kennen Jesus Christus, den Gesandten, so wie Er, der Ihn sandte, Ihn kannte, nämlich als den eingeborenen Sohn des Vaters; nicht nur wissen sie, dass Er Sohn ist, sondern dieser Sohn ist ihr Leben geworden. Sie sind nach Gottes Ratschluss grundsätzlich bereits dem Bild seines Sohnes gleichförmig, so dass dieser der Erstgeborene ist unter vielen Brüdern, also inmitten der Familie Gottes.

  4. Die Gemeinschaft

    1Joh 1,2-4: „Wir … verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist; was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.

    Hier lesen wir, dass das ewige Leben verkündigt worden ist, damit wir Gemeinschaft haben mit dem Vater und dem Sohn und dadurch auch miteinander als die Familie des Vaters und des Sohnes. So wie der Besitz des ewigen Lebens das wahrhaftige Kennen des Vaters und des Sohnes beinhaltet, so ist es auch deutlich, dass solch ein Kennen wahrhaftige Gemeinschaft mit diesen göttlichen Personen beinhaltet und dadurch auch mit allen, die dieses ewige Leben gemeinschaftlich besitzen. Wir haben das ewige Leben empfangen (das uns verkündigt worden ist), so dass wir dadurch eine Lebensgemeinschaft bilden, die charakterisiert wird (wie der Vers eigentlich sagt) durch Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn; ja, das ewige Leben, das wir miteinander teilen, ist das Leben, das der Sohn in Gemeinschaft mit dem Vater hatte und hat. Die Folge solch einer Gemeinschaft ist völlige Freude, so wie der Sohn selbst diese auf der Erde in Gemeinschaft mit seinem Vater genoss.

  5. Die Kinder

    1Joh 2,24.25: Ihr, was ihr von Anfang gehört habt, bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang gehört habt, so werdet auch ihr in dem Sohn und in dem Vater bleiben. Und dies ist die Verheißung, welche er uns verheißen hat: das ewige Leben.

    In diesem ganzen Abschnitt schreibt Johannes über seine Kinder im Glauben und unterteilt sie (die Familie Gottes) in drei Gruppen: Väter, Jünglinge und Kindlein. Die Väter sind diejenigen, die geistlich so weit fortgeschritten sind, dass sie Ihn kennen, der von Anfang ist (also Christus, das ewige Leben, das bei dem Vater war und uns nun offenbart worden ist). Das ist ihr großes und einziges Kennzeichen: Das ewige Leben (das ist das „Kennen“ des Vaters und des Sohnes!) ist für sie alles geworden; sie leben bereits in der himmlischen Atmosphäre dieses Lebens. Bei den Jünglingen ist das noch nicht so: Dort ist die Atmosphäre des ewigen Lebens (des Vaterhauses) noch in beständigem Konflikt mit der Atmosphäre der Welt; allerdings haben sie den Bösen überwunden. Bei den Kindlein kann natürlich von geistlicher Erfahrung noch keine Rede sein; im Gegenteil, sie waren beunruhigt worden durch die Antichristen, die unter den Gläubigen offenbar geworden waren. Doch der Apostel versichert ihnen, dass, obwohl sie noch kaum zu dem Genuss des ewigen Lebens gekommen sind, dies nichts an dem Besitz des ewigen Lebens ändert. Sogar die Kindlein haben die Salbung (mit dem Geist) von dem Heiligen (= Christus) und „wissen“ alles; im Grundsatz „erkennen“ sie den Vater und den Sohn. Die Verheißung des ewigen Lebens war nicht nur für die Väter, sondern auch für die Kindlein in Christus. Wenn nun in ihnen blieb, was sie von Anfang gehört hatten (bezüglich dessen, der von Anfang war: das ewige Leben, das bei dem Vater war), dann würden sie auch in dem Sohn und in dem Vater bleiben und verkehren in der Atmosphäre des ewigen Lebens und in der Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

  6. Die Brüder

    1Joh 3,14.15: Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tod. Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder, und ihr wisst, dass kein Menschenmörder ewiges Leben in sich bleibend hat.

    Der Besitz des ewigen Lebens schließt die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn in sich und dadurch mit der ganzen Familie Gottes. Diese Lebensgemeinschaft ist eine Liebesgemeinschaft; diejenigen, die dazugehören, zeigen die Züge Gottes, der Licht und Liebe ist, und sie können nicht anders, als alle, die zu dieser Gemeinschaft gehören, lieben. Diejenigen, die das ewige Leben haben, tragen die Kennzeichen des „Lichtes“ (Gerechtigkeit, Gehorsam) und der „Liebe“ (Liebe zu Gott und zu den Brüdern). Diese Aussage ist so absolut, dass man sie ebenso gut umkehren kann: Wer seinen Bruder hasst, gibt damit den einfachen Beweis, dass das ewige Leben nicht in ihm ist; er ist ein Mörder und ist selbst in dem Tod statt in der Atmosphäre des Lebens.

9. Die Hoffnung des Lebens

In den vorausgegangenen Abschnitten ist uns klargeworden, dass der Genuss des ewigen Lebens ein großes Vorrecht ist – aber er ist auch eine große Verantwortung. Wir haben das ewige Leben, aber es befindet sich noch nicht dort, wo es zu Hause ist. Es ist letztendlich in einem verherrlichten Leib im Vaterhaus zu Hause! Das bedeutet Konflikt, solange wir noch in dem alten Leib sind (also das Fleisch noch in uns haben). Ich besitze das ewige Leben und habe dadurch bereits jetzt die Fähigkeit, die Dinge des Vaterhauses und der neuen Schöpfung zu genießen, und die „Hoffnung des ewigen Lebens“ besteht gerade in der Erwartung, das bald (in der diesem Leben eigenen Umgebung und Atmosphäre) vollkommen zu tun. Solange ich noch in diesem Leib und in dieser Welt bin, wird der praktische Genuss des ewigen Lebens immer mit Reinigung Hand in Hand gehen müssen. „Wir wissen, dass, wenn es offenbart werden wird, wir ihm gleich sein werden [sein Leben ist mein Leben!], denn wir werden ihn sehen, wie er ist [das ist das Kennzeichen des ewigen Lebens: es „kennt“ den Sohn, und bald werden wir Ihn vollkommen kennen]. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist“ – das heißt, er bringt sich bereits jetzt sittlich mit dem in Übereinstimmung, was Er in sich selbst ist.

Der Herr Jesus selbst macht das bei der Fußwaschung deutlich. Für unseren Wandel in der Wüste ist ständig das Reinigungswasser des Wortes nötig, und für unser Stehen im Heiligtum bei dem Altar ist das Wasser des Waschbeckens nötig; doch das Höchste haben wir in Johannes 13: Dort geht es um das Liegen im Schoß des Herrn Jesus, das „Teilhaben mit ihm“. Nicht Teil bekommen an Ihm – das geschieht durch Wiedergeburt und Glauben: die völlige Waschung, und die ist einmalig. Doch eine beständige Reinigung von allen Beschmutzungen dieser Welt und des Fleisches ist nötig, um teilzuhaben mit Ihm, Gemeinschaft zu genießen mit dem verherrlichten Christus, mit dem Sohn Gottes. Dasselbe lehrt uns der Apostel in seinem ersten Brief, wie wir sahen. Das ewige Leben

  • war bei dem Vater,
  • wurde den Aposteln offenbart,
  • diese haben es uns verkündigt,
  • dadurch haben wir nun mit ihnen Gemeinschaft,
  • eine Gemeinschaft, die zugleich Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn in sich schließt,
  • doch das bedeutet zugleich Gemeinschaft mit Gott, einem Gott, der Licht ist und in dem gar keine Finsternis ist.

Bald, wenn wir bei Ihm im Vaterhaus sind, ist das kein Problem mehr. Dann ist das Fleisch nicht mehr in uns und keine Finsternis mehr um uns. Doch bereits jetzt wandeln wir in dem Licht, wie Gott Licht ist; ebenso gilt allerdings, dass wir noch die Sünde in uns haben und dass wir leider noch sündigen können.

Ein erster Aspekt der Hoffnung des ewigen Lebens ist deshalb, dass der Gläubige sich darauf freut, bald das ewige Leben in Vollkommenheit zu genießen, ohne die Störungen des Fleisches und der Welt. Von der Sünde freigemacht, sind wir Sklaven Gottes geworden und haben die Verantwortung, ein heiliges Leben zu führen, bis wir in das vollkommene, wahre Leben – das ewige Leben – eingehen.

Umgekehrt: Neben dieser Verantwortung, so zu leben, gibt es auch Lohn für diejenigen, die so gelebt haben. „Wer aber für den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten.“ Und: „Der da erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf dass beide, der da sät und der da erntet, zugleich sich freuen.“ Und: „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.“

Diese beiden letzten Schriftstellen sind bemerkenswert, weil hier im Johannesevangelium ausnahmsweise der Ausdruck „das ewige Leben“ einen zukünftigen Charakter hat. Gewöhnlich liegt bei diesem Apostel der Nachdruck mehr auf der Tatsache, dass das ewige Leben bereits jetzt unser Besitz ist und dass wir dadurch nun all die „himmlischen Dinge“ (die Dinge des Vaterhauses) kennen und genießen und mit den göttlichen Personen in diesem Haus des Vaters Gemeinschaft haben können. Er spricht deshalb in seinem Evangelium und seinen Briefen sehr wenig über die Zukunft; doch die drei Male, wo er es ausdrücklich tut, sind dann für uns auch außerordentlich kostbar. In keiner der drei Stellen wird das ewige Leben ausdrücklich genannt – und doch ist es inhaltlich das, was uns in diesen drei Stellen vorgestellt wird:

  • Joh 14,2: In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seid.

  • Joh 17,24: Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.

  • 1Joh 3,1.2: Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

Welch ein Segen wird uns hier vorgestellt! Und doch – ist es nicht ebenso ein Segen, dass der Herr für alles Vorsorge trifft, solange wir noch nicht in die volle Herrlichkeit des ewigen Lebens eingegangen sind? Judas tröstet uns mit den Worten: „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben“ – das heißt, er rechnet auf all seine Barmherzigkeit in allen euren Bedürfnissen, in allen euren Umständen, bis ihr in das ewige Leben eingehen werdet.

Johannes spricht über das ewige Leben vor allem als einen gegenwärtigen Besitz, Paulus vor allem als einen zukünftigen, himmlischen Zustand. Doch auch bei Paulus ist der Genuss des ewigen Lebens nicht etwas, das ausschließlich erst im Himmel geschmeckt werden kann. In der Tat, Christus ist mein Leben, und dieses Leben ist mit Ihm verborgen in Gott; doch Paulus fordert uns auf – wenn wir mit Christus auferweckt sind –, jetzt schon das zu suchen und auf das zu sinnen, was droben ist, wo der Christus ist. In der Tat, das wirkliche Leben liegt in der Zukunft; doch Paulus mahnt uns, jetzt schon das wirkliche Leben, das ewige Leben zu „ergreifen“, die Hand darauf zu legen und es zu unserem geistlichen Eigentum zu machen: „Die Gottseligkeit [d.h. Gott dienen oder Ihn verehren] aber ist zu allen Dingen nütze, indem sie die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen.“ Die Gottseligkeit bringt nicht nur Frucht für das zukünftige Leben (so wie die leibliche Übung lediglich Frucht bringt, wenn das Ziel, nämlich der Kampfpreis, erlangt ist), sondern beinhaltet auch bereits einen großen Segen für das gegenwärtige Leben, und zwar in dem Maß, wie wir das wahre Leben der nahen Zukunft bereits jetzt in unserem gegenwärtigen Dasein verwirklichen.

Der Apostel Paulus ist hierfür ein gesegnetes Vorbild. Jesus Christus hat ihm all seine Langmut erzeigt „zum Vorbild für die, welche an ihn glauben werden zum ewigen Leben. Dem König der Zeitalter aber, dem unverweslichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“


Das ewige Leben, Heft 8 aus der Reihe „Was lehrt die Bibel?“,
Neustadt/Weinstr. (Ernst Paulus) 1977

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Es handelt sich um eine Reihe unter dem Titel Was lehrt die Bibel?, in dem verschiedene grundsätzliche Themen der Bibel behandelt werden.

[2] Anm. d. Red.: Die Redaktion sieht das etwas anders; siehe hierzu „Doppeltes Lebendigmachen?“.

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