Das Evangelium ohne die Gemeinde?
Dem Auftrag treu sein

James Butler Stoney

© SoundWords, online seit: 06.07.2017, aktualisiert: 31.07.2023

Niemals gibt es einen Anfang ohne eine Beziehung zu einem Ziel; deshalb muss das Ziel den Charakter des Anfangs prägen. Ja, jemand mag nachher seine Pläne ändern; dann aber stimmt sein Ziel, das er nun vor sich hat, nicht mehr mit dem Anfang überein. Nichts ist deutlicher: Bei jedem Anfang muss es ein Ziel geben und dieser Anfang muss mit dem Ziel übereinstimmen, auch wenn es noch weit entfernt ist. Das Ziel mag sehr verschwommen sein, dennoch wurde das Werk in Beziehung zu ihm begonnen oder unternommen.

Der Diener des Herrn bekommt einen Auftrag von Ihm, eine gewisse Sache zu tun. Vielleicht kann er das volle Ergebnis seiner Arbeit nicht erfassen; um aber dem Ergebnis treu zu sein, muss er dem Auftrag treu sein. Wenn er nicht weiß, was er tun soll, wird er zwangsläufig in seinem ganzen Dienst mangelhaft sein.

Jeder wahre Diener wird vom Herrn berufen und mit Gaben ausgerüstet. Eine Gabe ist ein besonderer Dienst, und wenn jeder Diener auf den Herrn wartet, bekommt er Anweisungen von Ihm durch das Wort, damit er dem gefällt, der ihn berufen hat.

Jemand ist nur dann ein Evangelist, wenn der Herr ihn für diesen Dienst ausgerüstet hat. Das ist schon einmal der erste Punkt, und niemand, der im Wort unterwiesen ist, wird das leugnen. Das Nächste ist dann der Auftrag, den der Evangelist vom Herrn empfängt. Daher rührt heute alle Unvollkommenheit und Schwachheit im Predigen des Evangeliums her: Der Diener ist nur dann wirklich nützlich und wirkungsvoll, wenn er die Gedanken seines Meisters überbringt. Jedes Mal, wenn er darin versagt, die Gedanken des Herrn richtig darzustellen, versagt er in seinem Auftrag, wie groß seine Kraft als Verkündiger auch sein mag.

„Damit er dem gefalle, der ihn angeworben hat“ (2Tim 2,4) – das ist die erste und wichtigste Eigenschaft eines Dieners. Seine Fähigkeit allein genügt nicht. Um es in einfachen Worten zu sagen: Ein Diener mag jede Fähigkeit haben und doch dem Dienst nicht genügen, weil er die Wünsche seines Herrn wenig beachtet. Wie groß seine Kraft auch sei, der begabteste Evangelist wird in seinem Dienst versagen, wenn er nicht weiß, was der Herr durch seine Predigt bewirken möchte. Es ist deshalb sehr wichtig, dass er vom Herrn lernt, was er tun soll.

Wenn wir das Evangelium predigen, müssen wir für unseren Auftrag Licht aus den Schriften beziehen, entweder aus den Schriften vor der Himmelfahrt des Herrn oder danach. Vor der Himmelfahrt gab es Errettung für die Seele, aber es war noch keine Gemeinde da, und der Evangelist, der sich jetzt nur von dem Maß des Lichtes leiten lässt, das vor der Himmelfahrt vorhanden war, entspricht nicht seinem Auftrag. Wie begabt er auch sein mag, er kennt die Gedanken des Herrn nur mangelhaft und tut das Werk des Herrn nachlässig, auch wenn es zugegebenermaßen nicht seine Absicht  ist. Aber heute ist es überaus wichtig, den einen vollkommenen Weg zu erkennen. Es gibt nicht zwei Wege. Dass jemand dem richtigen Weg nahe ist oder Eifer und Erfolg hat, ist kein Ausgleich dafür, dass er den Willen Gottes missachtet oder die Wünsche Gottes nicht kennt. […]

Die Gaben sind nach der Himmelfahrt unseres Herrn gegeben worden, und wenn der Evangelist vom Herrn, der ihm die Gnadengabe verliehen hat, belehrt worden ist, muss er jetzt ein klares Ziel vor sich haben, das mit den Gedanken Christi übereinstimmt. Entweder greift der Evangelist nur auf das Licht zurück, das vor der Himmelfahrt Christi da war – dann verbindet er seine Gabe nicht mit ihrer Quelle und ist rückständig im Zeugnis. Oder er weiß, dass er ein Evangelist durch die Gabe von einem auf der Erde verworfenen, aufgefahrenen Christus ist – dann bemüht er sich darum, Seelen „von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott“ zu führen, „damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind“, das heißt an den verherrlichten Christus (Apg 26,18).

Wenn das einzige Ziel die Errettung der verlorenen Seele ist, dann bringt jeder Teil des Dienstes des Evangelisten dieses Ziel mehr oder weniger zum Ausdruck. Wenn aber Christus und unsere Vereinigung mit Ihm in der Herrlichkeit das Ziel ist (wie es sicherlich sein muss, wenn der Evangelist weiß, dass er von einem zur Rechten Gottes aufgefahrenen Heiland gesandt worden ist, um die frohe Botschaft des vollbrachten Werkes zu predigen), dann trägt der Anfang und jeder Teil seines Werkes das Kennzeichen dieser Wahrheit, und die Seelen, die seine Botschaft annehmen, werden im Einklang damit erleuchtet. Wenn der Evangelist diese eine einfache Sache aufrichtig vor sich hat und er seine Gabe einem aufgefahrenen Christus entnimmt, so muss er die Gedanken des aufgefahrenen Christus erforschen und Seelen suchen, die an einen aufgefahrenen Christus glauben. Und glaubend werden sie den Geist empfangen, der sie mit dem vereinigt, der jetzt abwesend ist.

Die Gemeinde kam, weil Christus verworfen wurde. Sie trat nicht hervor, solange in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte ein Angebot vom Herrn in Herrlichkeit an Israel bestand, das heißt, bis Stephanus gesteinigt wurde. Doch die Gemeinde war die ganze Zeit der eine wahre Sammelpunkt.

Die Heiligen sind jetzt in der Kraft des einen Geistes zu einem Leib getauft; das schwächste Glied ist notwendig, und jetzt ist nicht die Errettung der Seele das einzige Ziel des Evangeliums, sondern dass Gläubige durch den Heiligen Geist auf der Erde mit Christus, dem Haupt im Himmel, und auch miteinander vereinigt werden. Es ist von größter Bedeutung, ob der Evangelist erfasst, was die Gedanken des Herrn sind, indem Er ihm die Gabe eines Evangelisten verliehen hat. Wie ernst und treu er auch sein mag, er kann sonst weder seine Pflicht an Seelen erfüllen noch dem Herrn gefallen. Wenn er sich im Herzen vornimmt, das Ziel seiner Arbeit darauf zu beschränken, dass Seelen errettet werden, so kann er darüber hinaus erst dann etwas tun, wenn die Beschränkungen in seinem Sinn beseitigt sind. Wenn der Prediger nicht mehr kennt und predigt als nur die Vergebung der Sünden, mag es Bekehrte wie in Ephesus geben: Sie waren nicht weiter als Apollos, der ihnen gepredigt hatte und nur „die Taufe des Johannes“ kannte (Apg 18,24.25).

Wenn der Geist Gottes das gesprochene Wort segnet, so stimmt der Segen damit überein, wie das Wort vorgestellt wurde. Das wird in 1. Korinther 3 als das Werk eines Menschen bezeichnet; es kann weise, töricht oder schlecht sein. Das getane Werk hängt von der Belehrung des Dieners ab. Seelen mögen Hilfe oder Licht auf andere Weise vom Herrn empfangen; immer aber wird eine Übereinstimmung mit dem Lehrer und den Belehrten sein. Deshalb waren die Jünger, die Paulus in Ephesus fand und die durch Apollos bekehrt worden waren, nicht weiter als ihr Evangelist.

Ich erwähne das, um zu zeigen, dass es wichtig ist, einen richtigen Grund zu legen und die Zeit zu verstehen, sonst werden die Bekehrten behindert und es wird ihnen geschadet. Ich bin sicher: Kein Prediger kann einen Grund legen, der die Welt ausschließt, wenn er nicht weiß, dass er mit Christus vereinigt ist und seine Gabe von einem aufgefahrenen Christus empfängt, auf den er wartet. Er muss wissen, wo Er ist, und Anweisungen von Ihm empfangen, die in Übereinstimmung sind mit dem Schauplatz, von wo aus Er sie mitteilt; dann bleibt er in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Zeugnis des Herrn.

Man kann sich erst dann sich von der Welt absondern, wenn man weiß, was es bedeutet, himmlisch zu sein. Nur der Geist Gottes, der uns in die Gesellschaft Christi führt, dahin, wo Er ist, kann das Herz von den irdischen Dingen ablenken. Wenn das Herz ein festes Band mit Christus gefunden hat, so wird es bald die richtige Zusammenkunft finden oder wie sich versammelt werden soll. Oft wird die Frage der Hölle oder des Himmels für die Zukunft geregelt, aber nicht gefragt, ob es jetzt die Erde oder der Himmel ist.

Ganz gleich, ob die Diener es sehen wollen oder nicht: Der wahre Grund, dass es so viele Verfechter des Evangeliums ohne die Gemeinde gibt, ist der, dass man in der Welt bleibt und irdischen Dingen nachstrebt, aber dennoch eifrig Seelen vor der Hölle zu retten sucht. Das könnte aber niemals so sein, wenn man zum Ziel hätte, Seelen mit Christus im Himmel zu verbinden, damit sie nicht von der Welt sind, weil Er nicht von der Welt ist. Die meisten anerkannten Evangelisten haben heute praktisch niemals mit der Welt gebrochen. Nur wer in gewissem Maß die irdischen Dinge aufgegeben hat, kann aufrichtig die Wahrheit über die Gemeinde bewahren. Die Verfassung der Gemeinde erfordert, dass ihre Hoffnungen himmlisch und ihre Kraft und Unterstützung geistlich sind. Man kann unmöglich wahrhaftig und aufrichtig ein Glied des Leibes Christi auf der Erde sein, ohne zu sehen, dass man dieser erhabenen Berufung nur entsprechen kann, wenn man himmlisch und geistlich ist. Dieser höchste Grad gegenseitiger Beziehungen und diese völlig neue Art der Einheit, wo jedes Glied das andere beeinflusst, kann nur in der Gemeinde verstanden werden. Wenn dies verstanden wird, bewirkt es neue und besondere lebendige Empfindungen in den Herzen für das Volk Christi hier auf der Erde, die anders nicht gekannt werden können.

Ich bin überzeugt und traurig darüber, dass die Ursache der Schwachheit bei Jungbekehrten heute hauptsächlich darin begründet ist, dass die Prediger nicht genug darauf hinweisen, wo der Herr, von dem sie ihre Gaben empfangen haben, jetzt ist. Aus diesem Grund suchen sie Unterweisung für ihren Auftrag aus Schriftstellen vor der Aufrichtung der Gemeinde, und alle ihre Arbeit trägt den Stempel ihrer Unwissenheit oder Gleichgültigkeit. Es ist sehr schmerzlich, dieses zu erwähnen, es ist aber sehr notwendig.

Möge der Herr jeden erkennen lassen, was sich geziemt und dass man, wenn man vom Haupt der Gemeinde gesandt ist, deutlich und sorgfältig den Auftrag von einem aufgefahrenen Christus, den die Menschen verworfen haben, erfüllen muss.


Originaltitel: „The Gospel without the Church“
aus A Voice to the Faithful, Jg. 8, 1874,  S. 22–32


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