Charlie Hebdo – „Ein Anschlag auf die Freiheit“?

Jochen Klein

© J. Klein, online seit: 25.01.2015, aktualisiert: 15.02.2024

Am 7. Januar 2015 drangen zwei schwer bewaffnete islamistische Gewalttäter in die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo ein. Sie töteten insgesamt zwölf Menschen, mindestens zehn wurden zum Teil schwer verletzt.

Die öffentlichen Reaktionen darauf waren im Westen weitgehend übereinstimmend. Ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierten es auch andere einflussreiche Personen – sie sprach von einem „Angriff auf die Werte der freien Welt und auf alles, was uns lieb und teuer ist, wie die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung“. DER SPIEGEL schrieb:

Es war eine Attacke auf die Republik, auf die Werte der Aufklärung und der Französischen Revolution. Es geht um mehr als um eine Zeitschrift. Es geht um die Freiheit. Um Menschlichkeit.[1]

Der ehemalige Präsident Frankreichs, Nicolas Sarkozy, sagte dazu:

Es geht hier nicht einmal um die Demokratie, es geht um die Zivilisation.

Kurz nach dem Attentat prägte ein französischer Journalist den Satz „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) – was heißen soll, dass man sich stark mit den getöteten Journalisten, dem Magazin und auch dessen Werten identifiziert. Sehr viele Menschen auf der ganzen Welt schlossen sich dem in kurzer Zeit an. Beim Kurznachrichtendienst Twitter (jetzt: X) waren es innerhalb weniger Tage sechs Millionen. Zu den Befürwortern des Slogans gehörten auch „christliche“ und evangelikale Autoren. Einer sagte:

Wer die Meinungsfreiheit angreift, greift auch meine Überzeugung an.

Als Christen müssen wir uns die Frage stellen: Haben diese Leute recht? Um zu einer begründeten Antwort zu gelangen, sollten wir uns einmal die Werte bewusstmachen, die diese Zeitschrift geprägt haben. DER SPIEGEL fasst sie so zusammen: Charlie Hebdo sei hedonistisch, libertär und anarchistisch gewesen (= nach Lustgewinn trachtend, nach Sinnengenuss strebend; extrem freiheitlich; eine Gesellschaftsform ohne Staatsgewalt und gesetzlichen Zwang propagierend). Darin habe sich ein Verständnis von Humor ausgedrückt, das ein dauernder Prozess gewesen sei, den man freie Meinungsbildung nenne: ob das Lachen eines der Verachtung gewesen sei oder eines der Aufklärung, eines der Ausgrenzung oder eine Einladung. Und das, was lustig gewesen sei, habe niemand entschieden. Es sei darum gegangen, zu beweisen, dass Satire alles, wirklich alles dürfe. Was die Zeichner verbunden habe, sei der Spott über Religion und der Kampf gegen alle Ideologien gewesen. Im Zweifel habe sich die Redaktion immer jenseits der Grenzen des guten Geschmacks befunden. Jean-Marie Rouart, einer der bekanntesten Angehörigen der französischen Akademie der Künste, meinte dazu, das habe allgemein Tradition in Frankreich. Schamlosigkeit, Exzess, Vulgarität seien dort „Zeugnisse einer ununterdrückbaren Freiheit“. In diesem Sinne wurden auch in der ersten Ausgabe nach dem Attentat neben dem Leitartikel auf fünf Zeichnungen religiöse Motive auf übelste Weise karikiert.

Betrachten wir einige der genannten Bereiche – Aufklärung, Demokratie und Freiheit – einmal etwas näher. Die Hauptvertreter der Aufklärung proklamierten als Maximen unter anderem Toleranz, Respekt und auch Erziehung zu einem edleren Menschen. Diese Maximen werden immer wieder auch als Grundlage für Demokratie und Freiheit genannt. Es ist unschwer zu erkennen – dazu muss man nicht einmal christliche Werte bemühen –, dass Charlie Hebdo allein schon diese grundlegenden Aspekte des Miteinanders massiv verachtet hat. Wenn Menschen im täglichen Leben nach den Gepflogenheiten dieses Satiremagazins handeln würden, verlören sie sofort ihren Arbeitsplatz oder würden zumindest des Mobbings angeklagt. Wenn es aber „Satire“ genannt wird, gelten die „normalen“ Maßstäbe nicht mehr, und das wird sogar noch als exemplarisch positiv oder vorbildhaft dargestellt. Was ist das für eine Meinungsfreiheit, die hauptsächlich andere Meinungen und Überzeugungen lächerlich macht und diskriminiert – und gleichzeitig als Grundlage unserer Gesellschaftsform gepriesen wird? Mit den von Politikern und Journalisten proklamierten Werten hat das jedenfalls nichts zu tun, von Respekt, Menschlichkeit und Zivilisation ganz zu schweigen.

Ähnlich argumentiert Tomáš Halík, Soziologieprofessor an der Universität Prag. Er schreibt:

Was mich jedoch verlegen und stutzig macht, ist die Bemühung, die unglücklichen Opfer aus der Redaktion der Pariser satirischen Zeitschrift als Helden und Symbole unserer Kultur hervorzuheben und zu feiern. Wenn Präsident Hollande die Redakteure der Zeitschrift Charlie Hebdo „unsere Helden“ nennt, kommen damit, fürchte ich, die Seichtheit und Leere nicht nur dieses Politikers ans Licht, sondern auch der von ihm repräsentierten politischen Kultur. […] Denn ich bekenne mich zu einer anderen Gestalt unserer Kultur, [die] auch empathisch sein kann gegenüber den anderen und deren Werte achtet, einer Kultur, die weiß, dass diese Achtung kein wenig wichtigerer Wert ist als Redefreiheit. […] Stellt tatsächlich die Verantwortungslosigkeit, die die Zeitschrift Charlie Hebdo als Untertitel führt, eine des Feierns und des allgemeinen Beifalls würdige Tugend dar? … [Man sollte sich doch davor hüten], das Dekadente und Zynische als heiliges Sinnbild unserer Kultur und Freiheit zu feiern: Zur Freiheit gehört Verantwortung. […] Ist nicht das Prinzip der „Laizität“ allmählich zu einer intoleranten Religion des Atheismus geworden?[2]

Nachdenklich stimmen sollte auch die Tatsache, dass um der „Pressefreiheit“ willen immer wieder Menschen zu Schaden kommen oder sich sogar das Leben nehmen, weil (oft falsche) Gerüchte über intimste Angelegenheiten öffentlich kolportiert werden. Selbst der Mitbegründer von Charlie Hebdo, Henri Roussel, scheint mittlerweile skeptisch geworden zu sein. Er warf dem getöteten Chefredakteur Stéphane Charbonnier im Nachhinein vor, dieser sei auch ein unglaublich sturer Dickkopf gewesen, der seine Redaktion in den Tod getrieben habe.

Und wie ist die Sicht der Bibel? Wir wissen, dass alle Menschen von Natur aus Sünder und nicht zur Ehre Gottes sind. So schaden sie sich selbst und anderen. Viele Gewalt- und Gräueltaten finden wir auch in der Bibel. Durch Buße zu Gott und Glaube an das Erlösungswerke Jesu Christi sind die Menschen aber in der Lage, nach biblischen Maßstäben zu leben. – Danach sollten auch wir jeden Tag mit Gottes Hilfe streben. Die Bibel warnt aber auch an vielen Stellen davor, leichtfertig oder respektlos mit Gottes Grundsätzen umzugehen, und sie kündigt diesbezüglich klares Gericht an. Dies gilt selbstverständlich noch mehr in Bezug auf eine bewusst kalkulierte Lästerung Gottes. Von einem auch nur gedankenlosen Solidarisieren mit solchen, die dies tun, muss klar Abstand genommen werden.

Die Anschläge in Paris müssen wir nach dem beurteilen, was sie sind: ein grausames, mörderisches Verbrechen; ein Anschlag auf das Leben von Menschen, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Und in Bezug auf (Presse-)Freiheit müssen wir klar bekennen: Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir in den westeuropäischen Ländern ohne Zensur publizieren, uns versammeln dürfen usw. Der Anschlag auf Charlie Hebdo kann daher nur in aller Schärfe verurteilt werden. Die Bedeutung, die ihm zugeschrieben wird, hat er aber nicht, weil dieses Satiremagazin nicht für die Werte steht, die ihm fälschlich unterstellt werden, und erst recht nicht für die Werte, die für einen Christen Gültigkeit haben.


Quelle: www.jochenklein.de > Allgemeine Artikel > Aktuelle Themen

Anmerkungen

[1] „Freiheit der Bleistifte“ aus DER SPIEGEL 3/2015.

[2] Tomáš Halík, „Warum ich nicht Charlie bin“ in Frankfurter Allgemeine, 17.01.2015.

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