Gideon und seine Eskorte (2)
Ausbildung in der Schule Gottes

Charles Henry Mackintosh

© SoundWords, online seit: 01.01.2001, aktualisiert: 06.07.2023

Leitverse: Richter 6–8

Der HERR ist mit Gideon, wie Er mit Josua war

Das bisher Gesagte findet in der interessanten und lehrreichen Geschichte Gideons einen treffenden Beleg. Er war in seiner Person und in seinen Erfahrungen ein wahres Bild von dem traurigen Zustand Israels. Der Unterschied zwischen Josua und Gideon, so weit es sich um ihre Stellung und ihre Umstände handelt, könnte nicht größer sein. Josua konnte seinen Fuß auf den Nacken der kanaanitischen Könige setzen. Gideon musste seinen Weizen in einem verborgenen Schlupfwinkel ausdreschen, um ihn vor den Augen der Midianiter zu verbergen. Der Tag Josuas war durch glänzende Siege ausgezeichnet, während der Tag Gideons ein Tag kleiner Dinge war.

Doch der Tag kleiner Dinge für den Menschen ist der Tag großer Dinge für Gott. Dies erfuhr auch Gideon. Wohl wurde es ihm nicht gestattet, die Sonne und den Mond in ihrem Lauf aufgehalten zu sehen oder die Städte der Unbeschnittenen dem Boden gleichzumachen. Sein Tag war ein Tag der Gerstenbrote und der zerbrochenen Krüge, nicht aber ein Tag staunenerregender Wunder und ausgezeichneter Heldentaten. Aber Gott war mit ihm, und das war genug.

Ri 6,11.12: Und der Engel des HERRN kam und setzte sich unter die Terebinthe, die zu Ophra war, welche Joas, dem Abieseriter, gehörte. Und Gideon, sein Sohn, schlug eben Weizen aus in der Kelter, um ihn vor Midian zu flüchten. Und der Engel des HERRN erschien ihm und sprach zu ihm: Der HERR ist mit dir, du tapferer Held.

Welche Worte für das Ohr Gideons, der sich aus Furcht vor den Feinden in der Kelter verborgen hatte! Es waren Worte vom Himmel, um seine Seele über die Schwierigkeiten, Sorgen und Demütigungen der Erde zu erheben, Worte von göttlicher Kraft und geeignet, seinem niedergedrückten und trauernden Herzen Mut einzuflößen. „Der HERR ist mit dir, du tapferer Held!“ Wie schwer mag es Gideon geworden sein, diese merkwürdigen Worte auf sich anzuwenden! Ein Held ist stark und tapfer und verbirgt sich nicht vor seinen Feinden. Gideon aber offenbarte in jenem Augenblick seine ganze Schwachheit und Mutlosigkeit. Wo sollte er Kraft und Mut finden? Sicherlich nicht in sich selbst oder in seinen Umständen. Dort, wo auch Josua sie fand: in dem lebendigen Gott. Es besteht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen den Worten, mit denen diese beiden auserwählten Knechte Gottes angeredet wurden, obwohl der Unterschied in den beiderseitigen Umständen groß war. Zu Josua wurde gesagt:

„Habe ich dir nicht geboten: Sei stark und mutig? Erschrick nicht und fürchte dich nicht, denn der HERR, dein Gott, ist mit dir überall, wohin du gehst“ (Jos 1,9); und die Ansprache des Engels an Gideon lautete: „Der HERR ist mit dir, du tapferer Held!“

„Wenn“ und „Warum?“

Was für köstliche, ermutigende Worte! Und doch war es für Gideon nicht so einfach, sie sich zu eigen zu machen und sie anzunehmen in jenem einfältigen Glauben, der das Herz Gottes so sehr erfreut und seinen Namen verherrlicht. Wie oft ist das auch mit uns so! Wie selten können wir uns zur Höhe der gnädigen Ratschlüsse und Gedanken Gottes in Bezug auf uns erheben! Wir sind stets geneigt, nach uns und nach unseren Umgebungen zu urteilen, statt dem Worte Gottes zu glauben und in süßer Ruhe in seiner vollkommenen Liebe und unwandelbaren Treue zu ruhen.

Die göttliche Aussage war klar, eindeutig und ohne Bedingung: „Der HERR ist mit dir.“ Das ließ eigentlich keinen Zweifel übrig, und doch antwortete Gideon ihm:

Ri 6,15: Bitte, mein Herr! Wenn der HERR mit uns ist, warum hat denn dieses alles uns betroffen? Und wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben, indem sie sprachen: Hat der HERR uns nicht aus Ägypten heraufgeführt? Und nun hat uns der HERR verlassen und uns in die Hand Midians gegeben.

Gideon urteilt augenscheinlich nach den Umständen. Daher seine ungläubige Frage „Wenn der HERR mit uns ist, warum hat uns denn dieses alles betroffen?“ mit dem „Wenn“, dieses kleine Wörtchen des Unglaubens. Wenn wir auf uns selbst, die Menschen um uns herum oder die Umstände schauen, müssen wir unglücklich werden. Unsere einzige Kraft, Trost und Licht liegen darin, den Blick fest auf Jesus gerichtet zu halten. Sicher waren die Umstände rund um Gideon her von der traurigsten Art. Der Himmel war gleichsam mit dunklen, schweren Wolken behangen. Doch ein heller Lichtstrahl durchbrach das finstere Gewölk und fiel auf das verzagte Herz Gideons, ein Strahl, der von dem Herzen Gottes selbst ausging: „Der HERR ist mit dir.“ In diesen kurzen Worten gab es kein „Wenn“, keinen Zweifel, keine Schwierigkeit und keine Bedingung. Sie waren klar und bestimmt, und nur eine Sache war nötig, um sie in dem Herzen Gideons zu einer Quelle der Freude und der Kraft zu machen, und das war, sie mit dem Glauben zu vermischen. Aber ein wahrer Glaube antwortet Gott niemals mit einem „Wenn“, und zwar aus dem einfachsten aller Gründe: weil er auf Gott blickt, bei dem es nie ein „Wenn“ gibt. Der Glaube urteilt von Gott nach unten, nicht aber von dem Menschen nach oben. Der Glaube hat nur eine Schwierigkeit, und diese ist eingeschlossen in der Frage: „Wie sollte Gott nicht … ?“ Nie aber fragt er: „Wie wird Gott …?“ Das ist die Sprache des Unglaubens.

Man möchte jedoch versucht sein, zu fragen: Gab es denn für Gideon hatte wirklich keinen Grund zu seinem ungläubigen „Wenn“ und „Warum“? In Gott und in seinem Wort war sicherlich kein Grund dazu vorhanden. Wenn Gideon nur einen kurzen Rückblick auf die Geschichte seines Volkes geworfen hätte, würde er ohne Zweifel deutlich gesehen haben, warum es sich in einem so traurigen und demütigenden Zustand befand. Er würde eine völlig genügende Antwort auf seine Frage „Warum hat denn dieses alles uns betroffen?“ erhalten haben.

Aber waren die Handlungen Israels fähig, den Glanz der mächtigen „Wunder“ des HERRN auszulöschen? Für das Auge des Glaubens sicherlich nicht. Gott hatte große und herrliche Dinge für sein Volk getan; und die Erinnerung daran stand stets vor dem Auge des Glaubens. Ohne Zweifel hatte Israel gefehlt, auf traurige Weise gefehlt, und der Glaube erkannte die Untreue Israels ebenfalls an; sie gab eine ernste, feierliche Antwort auf die Frage Gideons. Der Glaube erkennt ebenso sehr die Regierung Gottes an wie seine Gnade und beugt sich in heiliger Ehrfurcht vor jedem Streich seiner Rute. Wir tun wohl, dies nicht aus dem Auge zu verlieren. Wir sind so leicht geneigt, es zu vergessen. Gott muss zuzeiten seine züchtigende Hand ausstrecken, weil Er nichts in und an uns ertragen kann, was nicht mit seiner Natur und mit seinem Namen im Einklang steht. Gideon hatte nötig, sich daran zu erinnern. Israel hatte gesündigt, und das war der Grund, weshalb sie unter der Zuchtrute standen.

Der Diener muss sich einsmachen mit der Not des Volkes Gottes

Gideon war, wir wiederholen es, berufen, praktisch in dieses alles einzugehen und sich mit seinem Volk in seinem Elend und seiner Not einszumachen. Dies war, wie wir wissen, das Teil und die Erfahrung von jedem treuen Diener Gottes in Israel. Alle hatten durch jene tiefen Übungen der Seele zu gehen, die eine Folge ihrer Verbindung mit dem Volk Gottes waren. Richter und Propheten, Priester und Könige, alle hatten die Leiden und Trübsale des Volkes Israel zu teilen. Andererseits konnte auch kein treues Herz, keins, das wirklich Gott und sein Volk liebte, wünschen, eine Ausnahme von solchen tiefen und heiligen Übungen zu machen. Dies war vor allen Dingen wahr bei dem einzigen vollkommenen Diener, der jemals auf dieser Erde gewandelt ist. Obgleich Er persönlich von all den Folgen der Sünde und der Untreue Israels ausgenommen war, obgleich Er rein und fleckenlos, göttlich heilig in seiner Natur und in seinem Leben war, machte Er sich dennoch freiwillig und in vollkommener Gnade eins mit dem Volk in seiner ganzen Erniedrigung und in seinem tiefen Elend. „In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt“ (Jes 63,9). So war es mit unserem gesegneten Herrn; und alle, die in irgendeinem Grad seinen Geist besaßen, hatten, je nach ihrem Maß, den gleichen Kelch zu trinken.

Nicht mit dem Volk, wohl aber mit Gideon

Wenn wir jetzt die Worte des Engels mit der Antwort Gideons vergleichen, dann bemerken wir einen interessanten Unterschied zwischen der Sprache beider, einen Unterschied, der den besonderen Charakter der Individualität des Buches der Richter von neuem treffend ans Licht stellt. Der Engel sagt: „Der HERR ist mit dir!“ Gideon antwortet: „Wenn der HERR mit uns ist …“ Diese Worte stehen in voller Übereinstimmung mit einer bereits angeführten Stelle aus dem 2. Kapitel: „Und wenn der HERR ihnen Richter erweckte, so war der HERR mit dem Richter“ – es heißt nicht: „Er war mit dem Volk“; wohl aber lesen wir weiter die lieblichen Worte:

Ri 6,18: Und er rettete sie aus der Hand ihrer Feinde alle Tage des Richters; denn der HERR ließ sich‘ ’s gereuen, wegen ihrer Wehklagen vor ihren Bedrückern und ihren Drängern.

Dies ist sehr schön und köstlich. Wenn der HERR sein Angesicht vor seinem Volk verbergen und es für eine Zeit in die Hand der Unbeschnittenen übergeben musste, so war sein liebendes Herz noch allezeit mit ihnen beschäftigt und stets bereit, die leisesten Spuren eines bußfertigen Geistes zu bemerken. „Wer ist ein Gott wie du, der die Ungerechtigkeit vergibt und die Übertretung des Überrestes seines Erbteils übersieht? Er behält seinen Zorn nicht auf immer, denn er hat Wohlgefallen an Güte. Er wird sich unser wieder erbarmen, er wird unsere Ungerechtigkeiten niedertreten; und du wirst alle ihre Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Du wirst an Jakob Wahrheit, an Abraham Güte erweisen, die du von den Tagen der Vorzeit her unseren Vätern geschworen hast“ (Mich 7,18-20).

Gott gebraucht gerade die Schwachheit, Anmaßung und Mutlosigkeit

[…] Gideon schloss also aus den Umständen, dass Gott sein Volk vergessen hatte. Er dachte nicht daran, dass Er den Verheißungen, die Er Abraham, Isaak und Jakob gemacht hatte, treu bleiben würde. Hätte er einen einfältigen Glauben gehabt, dann würde Er zu einem ganz anderen Schluss gekommen sein. Der Glaube rechnet auf Gott, und Gott – gepriesen sei sein Name! – ehrt den Glauben. Zuerst bringt Er ihn in uns hervor, und dann erkennt Er ihn an. Doch nicht allein das, Gott vertreibt auch unsere Furcht. Er erhebt sich über unseren Unglauben und bringt alle unsere törichten Überlegungen zum Schweigen. In s seinem Umgang mit Gideon, seinem auserwählten Knecht, scheint es, als ob Er sein „Wenn“ und „Warum“ gar nicht gehört hätte. Er beginnt, seine Gedanken vor ihm zu entfalten und die Seele seines Knechtes mit einem Vertrauen und einem Mut zu erfüllen, der ihn über alle niederdrückenden Einflüsse, die ihn umgaben, erheben sollte.

Ri 6,14: Und der HERR wandte sich zu ihm und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft, und rette Israel aus der Hand Midians! Habe ich dich nicht gesandt?

Welche erhebenden Worte! Aber ach! Gideon ist immer noch voller Fragen:

Ri 6,15: Und er sprach zu ihm: Bitte, mein Herr, womit soll ich Israel retten? Siehe, mein Tausend ist das ärmste in Manasse, und ich bin der Jüngste im Hause meines Vaters.

So ist es immer. Im Unglauben richten wir unseren Blick entweder auf die Umstände oder auf uns selbst. Der Unglaube bringt uns dazu, unsere sichtbaren Hilfsmittel mit dem Werk, zu dem Gott uns beruft, zu vergleichen.

Der HERR hatte gesagt: „Gehe hin in dieser deiner Kraft.“ Worin bestand diese Kraft? In einem großen Reichtum, einer erhabenen Stellung oder in einer gewaltigen Körperkraft? Nein, in nichts Derartigem. „Der HERR wandte sich zu ihm und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft, und rette Israel.“ Das waren bestimmte, unzweideutige Worte. Sie ließen keinen Raum für Gideons „Womit“. Sie machten es sehr klar, dass die Kraft, mit der Gideon Israel erretten sollte, nicht in ihm oder in seines Vaters Haus, sondern in dem Gott Israels lag. Es war nicht wichtig, ob seine Familie reich oder arm, ob er klein oder groß war. Gott war es, der ihn gebrauchen wollte. Und was war für Ihn Reichtum und Größe? Er konnte sich eines Gerstenbrotes oder eines zerbrochenen Kruges bedienen.

Es ist ein besonderes Merkmal des Buches der Richter, dass in der Auswahl der Werkzeuge gezeigt wird, dass sich in Gottes Gegenwart „kein Fleisch rühme“. Aber wir finden auch, das in dem Maße, wie die menschliche Herrlichkeit verschwindet, die göttliche Herrlichkeit umso heller erstrahlt. Was machte es für den allmächtigen Gott für einen Unterschied, ob sein Werkzeug linkshändig oder rechtshändig, ein Mann oder eine Frau, ein Riese oder ein Zwerg war? Das Werkzeug ist nichts. Gott ist alles in allem. Wohl gefällt es Ihm, Werkzeuge zu gebrauchen; aber alle Kraft ist sein. Ihm allein gebührt aller Ruhm von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gideon hatte dies zu lernen, und wir haben es nicht minder zu lernen. Es ist eine unschätzbare Lektion. Wir sind alle so geneigt, wenn irgendeine Arbeit oder ein Dienst uns zu vollbringen obliegt, an unsere Fähigkeit zu denken, während wir uns immer daran erinnern sollten, dass Gott es ist, der alles tun muss und tut. Er ist es, der uns zu allem fähig machen muss. Wir können nichts tun; und könnten wir es, so würde es sicher schlecht getan sein. Der menschliche Finger kann nur einen Flecken zurücklassen. Die Werke der Menschen vergehen wie ihre Gedanken. Das Werk Gottes bleibt für immer und ewig. Möchten wir uns allezeit daran erinnern, damit wir demütig wandeln und uns stets auf den mächtigen Arm des lebendigen Gottes stützen! So wird die Seele in einem guten Gleichgewichtszustand gehalten. Einerseits ist sie frei von Selbstvertrauen und fleischlicher Ereiferung und andererseits von Traurigkeit und Depression. Wenn wir nichts tun können, ist Selbstvertrauen der Gipfel der Anmaßung. Wenn Gott alles tun kann, ist Mutlosigkeit der Gipfel der Dummheit.

Der Diener: von Gott gesandt und unterstützt

In der Berufung Gideons finden wir zwei Dinge, die unsere ganze Aufmerksamkeit verdienen. Zunächst tritt uns in den bedeutungsvollen Worten „Habe ich dich nicht gesandt?“ der göttliche Auftrag an Gideon entgegen; und dann hören wir im Vers 16 aus dem Mund des HERRN die ermutigende Versicherung seiner Gegenwart:

Ri 6,16: Ich werde mit dir sein.

Das sind die beiden Hauptpunkte für alle, die Gott dienen wollen. Sie müssen zunächst wissen, dass der Weg, den sie betreten, ihnen durch die Hand Gottes bestimmt und vorgezeichnet ist, und dann, dass Er auf dem Weg mit ihnen sein wird. Diese beiden Dinge sind unumgänglich nötig. Ohne sie werden wir stets unentschlossen sein und hin und her schwanken. Wir werden von einer Art des Werkes zu einer anderen übergehen, heute vielleicht mit der größten Energie eine Tätigkeit aufnehmen, um sie morgen wieder mit einer anderen zu vertauschen. Unser Lauf wird unbeständig und unser Licht flackernd sein. Ohne Festigkeit und Beständigkeit werden wir alles anfangen wollen, aber nichts vollenden. So gibt es weder Sicherheit noch Stabilität noch Fortschritt.

Es ist unermesslich wichtig für jeden Diener Christi, für jedes Kind Gottes, zu wissen, dass er an dem ihm von Gott angewiesenen Platz steht und das ihm von Gott übertragene Werk vollbringt. Ein solches Bewusstsein wird uns Festigkeit und eine heilige Unabhängigkeit verleihen. Es wird uns davor bewahren, durch menschliche Gedanken und Meinungen umhergeschleudert oder durch das Urteil des einen oder anderen beeinflusst zu werden. Es ist unser Vorrecht, in dem Bewusstsein, dass wir gerade das Werk tun, das der Meister uns gegeben hat zu tun, so sicher zu sein, dass wir uns durch die Gedanken anderer nicht im geringsten darin beirren lassen.

Keine Unabhängigkeit, aber wohl persönliche Verantwortlichkeit

Es möchte jedoch scheinen, als ob wir einem Geist stolzer Unabhängigkeit das Wort reden wollten. Ein solcher Gedanke sei uns fern! In einem Sinne können wir, als Christen, niemals unabhängig voneinander sein. Wie wäre es auch möglich, da wir voneinander Glieder sind? Wir sind miteinander und mit unserem verherrlichten Haupt im Himmel verbunden, und zwar durch den einen Geist, der bei uns und in uns ist. Die intensivste Individualität – und unsere Individualität ist so groß wie unsere Einheit unauflöslich – kann die kostbare Wahrheit des einen Leibes und des einen Geistes nicht antasten. All das ist göttliche Wahrheit, und wir sind dafür sehr dankbar.

Doch zu gleicher Zeit müssen wir auf der Wahrheit unserer Individualität und unserer persönlichen Verantwortlichkeit bestehen. Sie muss mit aller Energie und Entschiedenheit aufrechtgehalten werden. Jeder Diener hat es mit seinem Herrn zu tun, und zwar in dem besonderen Wirkungskreis, in den er berufen ist. Und mehr noch: Jeder sollte seine Arbeit kennen und sich dem ihm übertragenen Werk mit allem Fleiß und aller Ausdauer unterziehen. Er sollte die heilige Gewissheit besitzen, die jene göttlichen und schwerwiegenden Worte der Seele verleihen: „Habe ich dich nicht gesandt?“ Vielleicht möchte jemand einwenden: Wir sind aber nicht alle Gideons und Josuas; wir sind nicht alle berufen, einen so hervorragenden Platz einzunehmen oder einen so herrlichen Pfad zu wandeln wie jene großen Männer.

Das ist wahr, aber wir sind alle berufen zu dienen, und es ist wichtig für jeden Diener, seinen Auftrag zu kennen, sein Werk zu verstehen und in seinem Herzen völlig überzeugt zu sein, dass er gerade das tut, was der Herr ihm aufgetragen hat, und dass er gerade auf dem Weg wandelt, der ihm von der Hand Gottes vorgezeichnet ist. Wenn hierüber irgendwelche Ungewissheit in der Seele besteht, können unmöglich Fortschritte gemacht werden. Wenn wir aber wirklich den uns von Gott vorgezeichneten Weg wandeln, so haben wir jedoch noch etwas anderes nötig. Wir müssen in unserer Erfahrung die Verheißung genießen, dass Er mit uns ist: „Ich werde mit dir sein.“ Und das ist alles, was wir nötig haben.

Sind wir von Gott beauftragt, und ist Er mit uns, so macht es nichts aus, wer, was oder wo wir sind. Der Unglaube mag vielleicht ausrufen: „Bitte mein Herr, womit soll ich Israel retten? Siehe, mein Tausend ist das ärmste in Manasse, und ich bin der Jüngste im Hause meines Vaters.“ Doch der Glaube kann erwidern: Was hat das alles zu bedeuten, wenn Gott für uns ist? Hat Er den Reichen oder den Edlen nötig? Was ist Reichtum und Größe für Ihn? Nichts! „Denn sehet eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind, sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, auf dass er die Weisen zu Schanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, auf dass er das Starke zu Schanden mache; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt, und das, was nicht ist, auf dass er das, was ist, zunichtemache, damit sich vor Gott kein Fleisch rühme“ (1Kor 1,26.29).

Diese Worte enthalten eine heilsame Lehre für uns alle. Es ist für jeden teuren Diener Gottes eine unaussprechliche Gnade, wenn er im vollen Bewusstsein seines gänzlichen Nichts erhalten bleibt und gelernt hat, die Tiefe und Kraft jener kurzen, aber bedeutungsvollen Worte „Außer mir könnt ihr nichts tun“ zu verstehen. Nur dann, wenn wir in Christus bleiben  ganz praktisch leben, bleiben in Ihm, durch den Glauben Tag für Tag –, kann der lebendige Saft des Weinstocks uns durchdringen und gesunde Triebe, grüne Blätter und gute Früchte hervorbringen. (Vgl. Joh 15.) Im Weinstock bleiben, das ist das große Geheimnis unserer Kraft. „Gesegnet ist der Mann, der auf den HERRN vertraut, und dessen Vertrauen der HERR ist! Und er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bache seine Wurzeln ausstreckt und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt. Und sein Laub ist grün, und im Jahre der Dürre ist er unbekümmert und er hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (Jer 17,7.8).

All diese Dinge sind ganz persönliche Dinge. Jeder von uns muss ganz allein für sich selbst Christus anhangen. Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit für den Christen, im Gedächtnis zu behalten, dass Christentum eine durch und durch individuelle Angelegenheit ist. Wir sind individuell in unserer Buße, in unserem Glauben, in unserer Errettung, in unserer Gemeinschaft, in unserem Dienst und in unserer Belohnung. Schau die Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3 an. Höre diese persönlichen Worte: „Wer ein Ohr hat höre“, „dem der überwindet“. Verkünden sie nicht in besonders eindrucksvoller Weise die Individualität, von der wir reden? Unzweifelhaft. Tasten sie die Einheit an? In keinster Weise. […] Die Schriften des Johannes sind in erster Linie individuell.

Die verborgene Zubereitung des Dieners in der Schule Gottes

Doch kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Je eingehender wir das Verfahren des Herrn mit Gideon betrachten, umso mehr müssen wir erstaunen über die wunderbare Weise, in der Er ihn für seine spätere Tätigkeit zubereitet. Gleich allen Dienern Gottes, zu welchen Zeiten sie auch gelebt haben mögen, hatte Gideon eine geheime Erziehung durchzumachen, ehe er fähig war, öffentlich aufzutreten. Der Charakter und die Dauer der Erziehung mag in den einzelnen Fällen verschieden sein; wir können aber mit Bestimmtheit behaupten, dass alle, die von Gott in einem öffentlichen Dienst gebraucht werden sollen, in der Zurückgezogenheit von Ihm belehrt sein müssen. Es ist ein verhängnisvoller Fehler, wenn jemand an die Öffentlichkeit tritt, ohne genügend dazu ausgerüstet zu sein; und solche Ausrüstung kann nur in dem Geheimnis der göttlichen Gegenwart gewonnen werden. Nur in der verborgenen Zurückgezogenheit mit Gott werden Gefäße gefüllt und Werkzeuge für seinen Dienst fähig gemacht.

Möchten wir dies nie vergessen! Mose musste vierzig Jahre „hinter der Wüste“ verbringen, ehe er für seine öffentliche Karriere geeignet war. David musste die Herde seines Vaters weiden, ehe er berufen wurde, das Volk Israel zu regieren. Ungekannt hat er den Löwen und den Bären erschlagen, ehe er in der Öffentlichkeit den Goliath erschlug. Der große Apostel der Nationen verbrachte drei Jahre in Arabien trotz seiner bemerkenswerten Bekehrung und Berufung. Die Apostel verbrachten dreieinhalb Jahre in Gemeinschaft mit ihrem Meister und mussten dann noch auf die Kraft aus der Höhe warten. So ist es bei all denen gewesen, die zu einem prominenten Platz im Werk des Herrn berufen wurden; und selbst der gepriesene Meister selbst – obwohl Er natürlich weder Training noch Zucht brauchte, da Er ja vollkommen war – hat, um uns ein Beispiel zu geben, dreißig Jahre in der Zurückgezogenheit verbracht, ehe Er in die Öffentlichkeit trat.

All das ist von außerordentlich wichtiger Belehrung für uns. Wir wollen das zu Herzen nehmen und davon profitieren. Niemand kann in einem öffentlichen Werk Fortschritte machen ohne diese geheime Unterweisung in der Schule Christi. Sie verleiht dem Charakter Tiefe, Festigkeit und doch Zartheit. Man wird stets finden, dass sich da, wo jemand ohne diese göttliche Vorbereitung ans Werk geht, Schwäche und Unbeständigkeit zeigt. Vielleicht mögen solche oberflächlichen Charaktere für eine Zeitlang einen scheinbar größeren Eifer an den Tag legen als jene, die in der Schule Christi erzogen worden sind; aber der Eifer wird bald vergehen. Nichts wird bestehen, was nicht das direkte Resultat persönlicher Gemeinschaft mit Gott und einer geheimen Erziehung in seiner Gegenwart ist. Wir finden hierfür ein treffendes Beispiel in der Geschichte Gideons. Er musste offenbar durch tiefe Seelenübungen gehen, ehe er den ersten Schritt in die Öffentlichkeit tat, ja ehe er das Banner des Zeugnisses im Haus seines Vaters aufrichtete. Er musste mit sich selbst, mit seinem persönlichen Zustand und mit seinem eigenen Herzen beginnen.

Ri 6,16-25: Und der HERR sprach zu ihm: Ich werde mit dir sein, und du wirst Midian schlagen wie einen Mann. Und er sprach zu Ihm: Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, so gib mir ein Zeichen, dass du es bist, der mit mir redet. Weiche doch nicht von hinnen, bis ich zu dir komme und meine Gabe herausbringe und dir vorsetze. Und Er sprach: Ich will bleiben, bis du wiederkommst. Da ging Gideon hinein und bereitete ein Ziegenböcklein zu und ungesäuerte Kuchen aus einen Epha Mehl; das Fleisch tat er in einen Korb, und die Brühe tat er in einen Topf, und er brachte es zu ihm heraus unter die Terebinthe und setzte es vor. Und der Engel des HERRN sprach zu ihm: Nimm das Fleisch und die ungesäuerten Kuchen und lege es hin auf diesen Felsen da, und die Brühe gieße aus. Und er tat also. Und der Engel des HERRN streckte das Ende des Stabes aus, der in seiner Hand war, und berührte das Fleisch und die ungesäuerten Kuchen; da stieg Feuer auf aus dem Felsen und verzehrte das Fleisch und die ungesäuerten Kuchen. Und der Engel des HERRN verschwand aus seinen Augen. Da sah Gideon, dass es der Engel des HERRN war, und Gideon sprach: Ach, Herr! Dieweil ich den Engel des HERRN gesehen habe von Angesicht zu Angesicht! Und der HERR sprach zu ihm: Friede dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben.

Wir haben hier einen Abschnitt in der Erziehung und Vorbereitung Gideons erreicht, der von tiefem Interesse ist. Er wird berufen, praktisch in jene große Wahrheit einzutreten, die für jeden Diener Gottes von großer Bedeutung ist und sich in den Worten ausgedrückt findet: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Dies ist eine schöne Wahrheit; sie bildet ein unerlässliches Element in der Erziehung aller Diener Christi. Niemand möge sich einbilden, dass er je im Werk des Herrn gebraucht werden oder Fortschritte im göttlichen Leben machen könne, wenn er nicht in geringerem oder größerem Maß in diesen unschätzbaren Grundsatz eingetreten ist. Da, wo er nicht gekannt und nicht verwirklicht wird, wird sich sicher Ungebeugtheit, Ungebrochenheit und eigene Tätigkeit in der einen oder anderen Form zeigen.

Wenn aber jemand in der Gegenwart Gottes gelernt hat zu sagen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ – wenn die Natur einmal auf der Waage des göttlichen Heiligtums gewogen ist, so wird sich immer mehr oder weniger Gebrochenheit, Demut und Sanftmut des Geistes finden; aber nicht nur das, ein solcher wird auch ein weites Herz besitzen, er wird zu jedem guten Werk bereit und fähig sein, sich über jene kleinlichen und selbstsüchtigen Überlegungen zu erheben, die das Werk Gottes oft in so trauriger Weise hindern. Kurz, das Herz muss zuerst gebrochen, dann wiederhergestellt und ungeteilt Christus und seinem gesegneten Dienst übergeben werden. Wenn wir unser Auge an der langen Reihe der Arbeiter Christi vorübergleiten lassen, werden wir die Wahrheit des Gesagten bestätigt finden. Mose, Josua, David, Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel in den Zeiten des Alten Testaments, Petrus, Paulus und Johannes in den neutestamentlichen Tagen, alle stehen vor uns als lebendige Beweise des Wertes gebrochener Werkzeuge. Alle diese treuen Knechte Gottes mussten gebrochen werden, um wiederhergestellt, und geleert, um wieder gefüllt werden zu können – sie mussten lernen, dass sie aus sich selbst nichts tun konnten, um dann in der Kraft Christi fähig zu sein, alles zu tun.

Auch Gideon musste die Wahrheit dieses Grundsatzes an sich erfahren. Seinem demütigen Ausruf: „Ach, Herr“!, folgten die Worte: „Friede dir! fürchte dich nicht!“, und jetzt war er fähig, mit seinem Werk zu beginnen. Er war dem Engel Gottes von Angesicht zu Angesicht gegenübergestellt worden, und er hatte gelernt, dass er nicht nur der Jüngste in der ärmsten Familie von Manasse war, sondern auch in sich selbst durchaus keine Kraft besaß und dass alle seine Quellen in Gott gefunden werden mussten. Welch eine Unterweisung für den Sohn Joas und für uns alle! Eine Unterweisung, die nicht in den Schulen und Hörsälen dieser Welt gelernt werden kann, sondern allein in der Stille des Heiligtums Gottes.

Durch tiefe Übungen zur Anbetung

Was war nun die erste Handlung Gideons, nachdem seine Befürchtungen zum Schweigen gebracht und seine Seele mit göttlichem Frieden erfüllt war? Er baute einen Altar.

Ri 6,24: Und Gideon baute daselbst dem HERRN einen Altar und nannte ihn: HERR Schalom. Bis auf diesen Tag ist er noch zu Ophra der Abieseriter.

Er nimmt den glücklichen Platz eines Anbeters ein, und seine Anbetung wird gekennzeichnet durch die Offenbarung des göttlichen Charakters. Er nennt seinen Altar: „HERR Schalom“ – „der Herr (ist) Friede“. Er war durch schmerzliche und tiefe Seelenübungen hindurchgegangen – Übungen, die nur solche verstehen können, die von Gott zu einem hervorragenden Platz unter den Seinen berufen sind. Er fühlte den Verfall von allem, was ihn umgab. Er fühlte den traurigen, demütigenden Zustand seines geliebten Volkes. Er fühlte seine eigene Kleinheit, ja sein völliges Nichts. Wie konnte er Israel erretten? Wer war fähig für so große Dinge? Wer in etwa die Mühen, die Sorgen und Kümmernisse kennt, die mit dem öffentlichen Dienst Christi und mit dem Zeugnis für seinen Namen in bösen Tagen verbunden sind, wird auch etwas verstehen von den schmerzlichen Übungen der Seele Gideons, von dem Druck, der auf seinem Herzen lastete, als er unter dem Schatten der Terebinthe seines Vaters stand und von dort aus die Gefahren und die Verantwortlichkeit betrachtete, die mit seinem Auftrage in Verbindung standen. Ein solcher wird auch in etwa die Bedeutung der Worte verstehen, die einst aus dem Mund eines Mannes kamen, der wohl am meisten in der Schule Christi erfahren war: „Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, auf dass unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt“ (2Kor 1,9).

Das sind wichtige Lektionen für alle Diener Christi; aber wir müssen wirklich seine Diener sein, um die tiefe Bedeutung verstehen zu können. Wenn wir zufrieden sind, ein bequemes Leben der Ruhe zu führen, ein Leben der Selbstsucht und des Sich-selbst-Vergnügens, ist es unmöglich, für uns solche Worte zu verstehen oder überhaupt einzugehen in die intensiven Übungen, durch die alle treuen Diener Christi und treuen Zeugen in allen Zeitaltern gehen mussten. Wir werden ohne Ausnahme feststellen, dass diejenigen, die von Gott am meisten in der Öffentlichkeit gebraucht werden, im persönlichen Bereich durch tiefe Wasser gegangen sind. Soweit wie das Urteil des Todes ganz praktisch auf das Ich geschrieben ist, soweit wird auch das Auferstehungsleben Christi sichtbar. So konnte Paulus zu den Korinthern sagen: „Der Tod wirkt in uns, das Leben aber in euch.“ Wunderbare Worte. Worte, die uns in die tiefsten Tiefen des Dienstes des Apostels einführen. Was für ein Dienst muss das gewesen sein, der auf einem solchen Grundsatz beruhte. Was für eine Kraft! Was für eine Energie! Der Tod wirkt in armen irdischen Gefäßen, aber Ströme des Lebens, himmlische Gnade und geistliche Kraft fließen in solche, denen der Dienst zu Nutze wird.

Wir können sicher sein, dass dies das wahre Geheimnis jeden effektiven Dienstes ist. Es ist sehr einfach, über Dienst zu sprechen, sich als Diener Christi dahinzustellen. Aber ach, wie ist die bekennende Kirche abgewichen,von der göttlichen Realität des Dienstes. Man wird schon verzweifelt, wenn man nur darüber nachdenkt. Wo sind die Pauluse, die Gideons und Josuas? Wo sind die tiefen herzerforschenden und gründlich Seelenübungen, die die Diener Christi damals geprägt haben? Wir sind leichtfertig und wortreich, hohl und leer, selbstzufrieden und selbstnachsichtig. Wundern wir uns da über die geringen Ergebnisse? Wie können wir erwarten, dass Leben wirken zu sehen in anderen, wenn wir so wenig davon kennen, den Tod in uns wirken zu sehen? Möge der ewige Geist uns alle aufwecken, und in uns ein mächtigeres Gespür für das bewirken, was es heißt, ein treuer, einfältiger hingegebener Diener Jesu Christi zu sein.

Wir werden jetzt betrachten, wie Gideon aktiv wird. Er hatte seine Sendung von dem HERRN empfangen, seine Fragen waren beantwortet, seine Ängste beseitigt, sein Herz beruhigt, und er ist befähigt, einen Altar zu bauen. All dies hatte mit seinem persönlichen Zustand zu tun, dem Zustand seiner eigenen Seele, der Haltung seines eigenen Herzens vor Gott.

So muss es immer gehen. Wir müssen alle auf diese Weise beginnen, wenn wir jemals von Gott gebraucht werden wollen, in Bezug auf andere zu handeln. Wir müssen in der ganz persönlichen Sphäre mit Gott zu tun gehabt haben, wenn wir nicht später armselige Arbeiter sein wollen. Alle die ausgehen in öffentliche Arbeit ohne dies geheime Training, werden sich sicher später als wackelig und oberflächlich erweisen. Das Ich muss in der göttlichen Gegenwart gemessen werden. Wir müssen lernen, dass die Natur nichts nützt im Werk des Herrn. „Nicht durch Macht, noch durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HERR der Heerscharen“ (Sach 4,6).

Das Zeugnis des Dieners muss zu Hause beginnen

Nachdem Gideon so in der Schule Gottes die völlige Ohnmacht seiner Natur kennengelernt hat, wird er in seinen Dienst eingeführt. Dabei ist es bemerkenswert, wo er ihn zu beginnen hatte.

Ri 6,25: Und es geschah in selbiger Nacht, da sprach der HERR zu ihm: Nimm den Farren deines Vaters, und zwar den zweiten Farren von sieben Jahren …

Der HERR wusste genau, wie viele Farren Joas hatte, und kannte auch das Alter eines jeden.

Ri 6,25.26: … und reiße nieder den Altar Baals, der deinem Vater gehört, und die Aschera, die bei demselben ist, haue um. Und baue dem HERRN, deinem Gott, einen Altar auf dem Gipfel dieser Feste mit der Zurüstung und nimm den zweiten Farren und opfere ein Brandopfer mit dem Holze der Aschera, die du umhauen wirst.

Wir sehen hier, dass Gideon seinen Dienst zu Hause zu beginnen hatte. Er wurde berufen, das Zeugnis in seiner Familie, in der Mitte des Hauses seines Vaters aufzurichten. Dies ist von höchstem Interesse und von großer praktischer Bedeutung. Wir empfangen eine Unterweisung, für die wir alle unsere Ohren öffnen und die wir auf unsere Herzen anwenden sollten. Ein Zeugnis muss zu Hause seinen Anfang nehmen. Es wird nie einen guten Erfolg haben, in ein öffentliches Werk einzutreten, wenn unsere persönlichen und häuslichen Wege anders sind, als sie sein sollten. Es ist ganz nutzlos, den Altar Baals vor der Öffentlichkeit niederzureißen, wenn ein gleicher Altar zu Hause stehen bleibt.

Wir alle sind berufen, zunächst in unserem häuslichen Kreis wahre Frömmigkeit und Treue zu offenbaren. Nichts ist trauriger, als Personen zu begegnen, die sich inmitten ihrer Mitarbeiter oder Mitchristen durch eine hohe, geistliche Sprache auszeichnen, durch eine Sprache, die einen dazu verleiten sollte, sie weit über den gewöhnlichen Zustand der Christen zu stellen, die aber in ihrem häuslichen Leben, in ihrem persönlichen Verhalten weit davon entfernt sind, denen gegenüber ein Zeugnis für Christus abzulegen, mit denen sie tagtäglich in Berührung kommen. Solches Verhalten ist beklagenswert. Es verunehrt den Herrn, betrübt den Heiligen Geist und dient jungen Gläubigen oft zum Anstoß und Ärgernis; es gibt dem Feind Gelegenheit, in schmähender Weise von uns zu sprechen, und muss in den Herzen unserer Brüder Ungewissheit und Zweifel, uns betreffend, hervorrufen.

Sicherlich sollte es in dieser Beziehung anders unter uns stehen. Gerade die, die uns am meisten sehen, sollten auch am meisten von Christus in uns entdecken; die uns am besten kennen, sollten auch am besten wissen, dass wir Christus angehören. Aber ach, wie oft ist das Gegenteil der Fall! Wie oft geschieht es, dass gerade der häusliche Kreis der Platz ist, wo wir am wenigsten die lieblichen Züge eines christlichen Charakters zur Schau tragen! Der Gatte oder die Gattin, die Eltern oder die Kinder, der Bruder oder die Schwester, der Herr oder der Knecht sind es gerade, vor deren Augen oft am wenigsten die Früchte eines göttlichen Lebens entfaltet werden. Gerade im Privatleben kommen alle unsere schwachen Seiten, unsere Sonderlichkeiten und Eigenheiten, unsere komischen Angewohnheiten und sündigen Leidenschaften zum Vorschein. Wir aber sollten gerade da die Gnade des Herrn am getreuesten erkennen lassen.

Mein lieber christlicher Leser, lassen wir uns nicht abwenden von dem Wort der Ermahnung! Es mag nicht angenehm sein, aber es ist sicher heilsam. Es mag dem Fleisch nicht gefallen, aber es ist gesund für die Seele. Wenn wir uns unseren Brüdern hilfreich erweisen oder den gemeinsamen Feind siegreich bekämpfen wollen, so müssen wir, wie Gideon, zu Hause beginnen. Ohne Zweifel ist ein solches Zeugnis im Hause mit Schwierigkeiten verknüpft. Es ist zum Beispiel für ein Kind oft sehr schwer, gegen die Weltlichkeit des Vaters oder der Mutter oder auch der ganzen Familie Zeugnis abzulegen. Wenn aber Demut des Herzens und einfache Abhängigkeit von Gott da sind, dann hält Er uns aufrecht und führt uns wunderbar hindurch. Jedoch ist vor allen Dingen Entschiedenheit erforderlich. Der ganze Kampf wird oft durch eine einzige treue Handlung, durch ein entschiedenes Wort gewonnen, wenn dieser Schlag in voller Gemeinschaft mit den Gedanken Christi geschieht.

Entschiedenheit ist zwingend notwendig

Wenn aber andererseits Schwäche und Unentschlossenheit im Herzen ist, wenn man mit der Wahrheit Gottes spielt, wenn man die möglichen Folgen ängstlich berechnet und die wahrscheinlichen Resultate abwägt, so bekommt sicher der Feind die Oberhand und das Zeugnis geht völlig verloren. Gott ist mit allen, die für Ihn tätig sind. Das ist das große Geheimnis ihrer Erfolge; doch wenn das Auge nicht einfältig ist, so kann es keinen wirklichen Fortschritt und keine göttlichen Resultate geben. Dies ist es, worin so viele von uns fehlen. Wir sind nicht ganz entschieden für Christus; unser Herz schlägt nicht allein für Ihn. Und daher gibt es kein Resultat für Gott und keinen Einfluss auf andere. Wir können uns nicht vorstellen, welche großen Dinge durch ein einziges unterwürfiges Herz, durch eine ernste und entschiedene Seele vollführt werden können. Ein solches Herz kann von Gott benutzt werden, um ein Banner des Zeugnisses aufzurichten, um das sich Tausende scharen, die selbst nie den Mut oder die Energie gehabt haben würden, ein solches Banner zu entfalten.

Blicken wir auf Gideon. Er war für Gott tätig, und Gott war mit Ihm.

Ri 6,27-30: Und Gideon nahm zehn Männer von seinen Knechten und tat, so wie der HERR zu ihm geredet hatte. Und es geschah, da er sich vor dem Hause seines Vaters und vor den Leuten der Stadt fürchtete, es bei Tage zu tun, so tat er es bei Nacht. Und als die Leute der Stadt des Morgens früh aufstanden, da war der Altar des Baal umgerissen und die Aschera, die bei demselben war, umgehauen, und der zweite Farren war als Brandopfer auf dem erbauten Altar geopfert. Und sie sprachen einer zum anderen: Wer hat diese Sache getan? Und sie forschten und fragten, und man sprach: Gideon, der Sohn des Joas, hat das getan. Da sprachen die Leute der Stadt zu Joas: Gib deinen Sohn heraus, dass er sterbe, weil er den Altar des Baal umgerissen, und weil er die Aschera, die bei demselben war, umgehauen hat!

Das war ein Schlag, der die ganze Anbetung des Baal mit vernichtender Gewalt traf und sie völlig zerstörte. Wir werden uns kaum eine Vorstellung davon machen können, was es den Sohn Joas gekostet haben mag, das Gebot des HERRN auszuführen; allein die Gnade Gottes befähigte ihn dazu. Sicher tat er es mit Furcht und Zittern, aber er tat es. Er führte einen mächtigen Hieb gegen das ganze götzendienerische System, und siehe da, es zerfiel in Staub vor seinen Füßen. Ein halbes Werk hätte nichts genützt. Es hätte nichts geholfen, wenn Gideon etwa hier und da einen Stein aus dem Götzenaltar herausgebrochen hätte; das ganze Bauwerk musste von Grund aus zerstört und der Götze selbst in den Staub geworfen werden. Es gibt nichts, wir wiederholen es, was einer völligen Entschiedenheit, einer unerschütterlichen Treue für Christus, koste es, was es wolle, gleichkäme. Wäre Gideon weniger entschieden gewesen, hätte er in seiner Handlungsweise nicht diese Festigkeit zur Schau getragen, so würde sein Vater wohl nie so völlig gewonnen worden sein. Ein solches Verfahren mit Baal war nötig, um einen einsichtsvollen Menschen zu überzeugen, dass die Anbetung eines solchen Götzen eine Schande und ein Betrug sei.

Ri 6,31.32: Und Joas sprach zu allen, die bei ihm standen: Wollt ihr für den Baal rechten, oder wollt ihr ihn retten? Wer für ihn rechtet, der soll getötet werden bis zum Morgen. Wenn er ein Gott ist, so rechte er für sich selbst, weil man seinen Altar umgerissen hat. Und man nannte ihn am selbigen Tage Jerub-Baal, indem man sprach: der Baal rechte mit ihm, weil er seinen Altar umgerissen hat.

Das war eine einfache Schlussfolgerung: „Wenn er ein Gott ist, so rechte er für sich selbst.“ Das kühne Vorgehen Gideons hatte die Sache zur Entscheidung gebracht. Entweder war Baal eine Wirklichkeit oder ein schändliches Trugbild. War er eine Wirklichkeit, so mochte er für sich selbst streiten. War er ein Trugbild, wer würde dann daran denken, für ihn zu streiten? Nichts konnte einfacher sein. Die Tat Gideons war von herrlichem Erfolg gekrönt. Die Anbetung Baals war vernichtet und stattdessen die Anbetung des HERRN Elohim aufgerichtet. Das Werk in der Seele Gideons nahm einen raschen, aber wirklichen Fortgang. Er wurde geführt von Kraft zu Kraft. Als zum ersten Mal die Stimme des HERRN an sein Ohr schlug, da hätte er gewiss nicht daran gedacht, dass er in so kurzer Zeit einen so entscheidenden Schritt tun würde.

Das Werk Gottes geschieht Schritt für Schritt

Wenn ihm jemand gesagt hätte: „In wenigen Stunden wirst du inmitten des Hauses deines Vaters den Baalsdienst vernichten“, so würde er es nicht geglaubt haben. Doch der Herr leitete ihn, Schritt für Schritt, gnädig, aber sicher vorwärts; und je mehr das himmlische Licht Eindruck auf seine Seele machte, desto größer wurde sein Mut und sein Vertrauen.

Der Herr handelt immer so mit seinen Dienern. Er erwartet nicht von ihnen, dass sie laufen sollen, bevor sie gehen gelernt haben. Aber wenn das Herz wahrhaftig und die Absichten aufrichtig sind, so gibt der Herr in seiner Gnade die nötige Kraft, wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist. Er räumt Berge von Schwierigkeiten hinweg, verjagt jede dunkle und schwere Wolke, befestigt das Herz und umgürtet die Lenden unserer Gesinnung, so dass der Schwächste mit Riesenkraft ausgerüstet und das furchtsame Herz mit Mut und mit Lob und Dank erfüllt wird. Zu diesem allem liefert die interessante Geschichte Gideons einen lebendigen Beweis. Kaum hatte er den Altar Baals umgerissen, so wurde er berufen, die Heere der Midianiter zu bekämpfen.

Ri 6,33-35: Und ganz Midian und Amalek und die Söhne des Ostens versammelten sich allzumal und zogen herüber und lagerten im Tal Jisreel. Und der Geist des HERRN kam über Gideon, und er stieß in die Posaune, und die Abieseriter wurden gerufen, ihm nachzufolgen. Und er sandte Boten durch ganz Manasse, und auch sie wurden gerufen, ihm nachzufolgen; und er sandte Boten durch Äser und durch Sebulon und durch Naphtali, und sie zogen herauf ihnen entgegen.

Ist uns das Wort Gottes eine genügende Zusage?

Mit einem Schlag ist alles wie umgewandelt. Das Werk, das im Herzen Gideons begonnen hatte, dehnte sich weit über die Länge und Breite des ganzen Landes aus. Der Geist des Herrn entfaltet seine mächtige Energie, und Hunderte und Tausende erwachen und scharen sich um das Banner, das die Hand des Glaubens entrollt hat. Jedoch scheint es, dass der Glaube Gideons in diesem Augenblick einer neuen Befestigung bedurfte. Vielleicht wurde sein Herz durch den Anblick der mächtigen Heere der Unbeschnittenen eingeschüchtert; sein Mut verließ ihn, und er forderte ein neues Zeichen von dem Herrn.

Ri 6,36: Und Gideon sprach zu Gott: Wenn du Israel durch meine Hand retten willst, wie du geredet hast …

Ach! das arme Herz setzte sein ungläubiges „Wenn“ dem Worte Gottes, der doch nicht lügen kann, gerade entgegen.

Ri 6,37: … Siehe, ich lege ein Wollvlies auf die Tenne; wenn Tau auf dem Vliese allein sein wird und auf dem ganzen Boden Trockenheit, so werde ich erkennen, dass du Israel durch meine Hand retten wirst, so wie du geredet hast.

Wie wunderbar! Und doch brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn wir unsere eigenen Herzen ein wenig kennen. Das arme menschliche Herz muss etwas haben außer dem bloßen Wort des lebendigen Gottes. Es begehrt ein Zeichen – etwas, was das Auge sehen kann. Das Wort Gottes ist nicht genügend für die ungläubige Natur. Doch wie unergründlich ist auf der anderen Seite die Gnade Gottes! Ohne ein Wort des Tadels begegnet Er der Schwachheit seines armen Dieners:

Ri 6,38: Und es geschah also. Und er stand am anderen Morgen früh auf und drückte das Vließ aus und presste Tau aus dem Vliese, eine Schale voll Wasser.

Welch eine herablassende Gnade! Statt das ungläubige „Wenn“ Gideons mit Strenge zu tadeln, befestigt Gott gnädiglich seinen wankenden Glauben. Jedoch dies genügte Gideon noch nicht. Er bittet noch um eine zweite Bestätigung:

Ri 6,39.40: Und Gideon sprach zu Gott: Dein Zorn entbrenne nicht wider mich, und ich will nur noch diesmal reden! Lass mich es doch nur noch diesmal mit dem Vliese versuchen. Möge doch Trockenheit sein auf dem Vliese allein, und auf dem ganzen Boden sei Tau. Und Gott tat also in selbiger Nacht, und es war Trockenheit auf dem Vliese allein, und auf dem ganzen Boden war Tau.

So handelt die überströmende Gnade und unermüdliche Geduld des Gottes, mit dem wir es zu tun haben. Ewig sei sein heiliger Name gepriesen! Wer wollte Ihm nicht vertrauen, Ihn nicht lieben und Ihm nicht dienen?

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Originaltitel: „Gideon and his companions“
aus Miscellaneous Writings, Buch 1

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