Die Familie von Schaphan – leuchtende Sterne in einer finsteren Nacht

Simon Streuper

© SoundWords, online seit: 04.09.2012, aktualisiert: 13.12.2020

In einer Reihe von Ereignissen im Lauf von ungefähr fünfundfünfzig Jahren erscheinen sie auf der Bühne der Heilsgeschichte und spielen sie ihre Rolle: die Mitglieder der Familie Schaphans. Sie kämpfen, fallen, siegen und verlieren. Doch viele von ihnen sind eine direkte Herausforderung für dich und mich in unserer Zeit.

Im Winterpalast

Wir schreiben: Kislev, 604 vor Christus. Es ist der neunte Monat des israelischen Jahres. Die frühen, milden Regenschauer gehen langsam in ergiebige Regengüsse über. Die Kälte, die in den noch nicht ganz fertig renovierten Palast der Könige von Juda eingedrungen war (Jojakim, der zweite Sohn des frommen Königs Josia hatte weder Kosten noch Mühen gescheut), wurde vertrieben durch ein gemütlich knisterndes Kaminfeuer, in dem die Feuerzungen unersättlich nach weiterer Nahrung lecken. „Das Feuer sagt nie: Es ist genug“, hatte einst einer von Jojakims berühmtesten Vorgängern, Salomo, geschrieben. Doch die vielbezeichnende Wahrheit dringt in Gänze nicht zu Jojakim durch, der im Begriff steht, voll und ganz durch das unheilige Feuer verzehrt zu werden, das in seinem Herzen brennt und das unaufhörlich angereichert wird durch ein unersättliches Begehren nach unrechtmäßigem Gewinn, damit er seine ehrgeizigen Baupläne realisieren kann. In seiner Sehnsucht, dieses Ziel zu erreichen, steht er seinem frommen Vater Josia in nichts nach. Mit dem Unterschied, dass dessen Eifer nicht sein eigenes Haus, sondern das Haus des Herrn betraf …

Vor dem Kaminfeuer sitzend und nicht ahnend, dass der durchschlagendste und entscheidende Moment seines Lebens kurz bevorsteht, aalt Jojakim sich in der Wärme des Ofens und seiner selbstsüchtigen Wünsche. Doch diese Wünsche werden regelmäßig durch den Propheten Jeremia durchkreuzt. Jojakim hat – bis auf Jeremia – ein gutes Verhältnis zu den Propheten. Sie haben ein gutes Gefühl bei seinen Wünschen und Ambitionen. Aber Jeremia? Dieser Mann ist ein politischer Narr und hält alle positiven Entwicklungen mit seinen Unheil verkündenden Prophezeiungen auf, indem er einen Weg vorzeichnet, der unwiderruflich zu Jerusalems und Jojakims Untergang führen wird. Von seinen phantastischen Plänen wird kein Strich übrigbleiben! Er hat gut daran getan, findet er selbst, dass er jüngst den Propheten Urija mit dem Schwert töten ließ (Jer 26,23), als er für Jeremia im Vorhof des Hauses des Herrn Partei ergriff, wo er gegen ihn und das Volk prophezeit hatte. Jeremia wird, mit dieser Exekution im Hinterkopf, kaum das Bedürfnis haben, sich unter die Festgänger zu begeben, die heute zum Tempel kommen werden. Für heute war ja ein spezielles Fasten für den HERRN anberaumt.

Die Buchrolle verbrannt

Doch Jojakim kann sich ausrechnen, was er will; rechnen ohne Jahwe bringt immer unerwartete und nicht bedachte Ergebnisse! Auf einmal ist da das Geräusch herannahender Fußstapfen. Alle Fürsten betreten den Raum. Sie erzählen ihm, dass Baruch, der Freund und Sekretär Jeremias, all die Worte, die Gott zu Jeremia geredet hatte, in ein Buch aufgeschrieben und diese im Haus des Herrn vorgelesen hat, im Zimmer von Gemarja, dem Sohn Schaphans (der dem König Josia, dem Vater Jojakims gedient hatte), im obersten Vorhof, beim Eingang des neuen Tores des Hauses des Herrn (Jer 36,10). Jojakim befiehlt seinem Diener Jehudi, die Buchrolle zu holen und vorzulesen. Da stehen sie, die Fürsten von Juda, geschart um den sich am Kaminofen wärmenden König. Wort für Wort, Zeile für Zeile, Spalte für Spalte liest Jehudi dieselben Worte, die Baruch zunächst dem Volk und anschließend den Fürsten vorgelesen hatte. Nicht einfach nur „Worte“, sondern Worte, von denen Jeremia zu Baruch sagte: „was du aus meinem Mund aufgeschrieben hast, die Worte des Herrn“. Wenn Jehudi drei oder vier Spalten vorgelesen hat, nimmt Jojakim ein Schreibermesser, schneidet sie von der Rolle ab und wirft sie vor sich in das Feuer. Unbewegt und unerschrocken verbrennt er mit der größten Geringschätzung Spalte um Spalte, Zeile um Zeile, Wort für Wort die Worte des Herrn. Worte, vor denen sein Vater Josia gezittert haben würde, weil es die Worte des Herrn waren. Worte, die seinen Vater Josia dazu gebracht hätten, erneut seine Kleider zu zerreißen, wie er es tat, als Schaphan vor achtzehn Jahren König Josia aus dem Gesetzbuch vorlas, das Hilkija im Tempel wiedergefunden hatte (2Kön 22,10; 5Mo 31,26). Als Jojakims Vater Josia die Worte Gottes gehört hatte, wollte er Rat vom Herrn bekommen, weil er nicht von den Worten des Herrn abweichen wollte, weder zur Rechten noch zur Linken (2Kön 22,2). Während nun derselbe Gott seine Worte an Josias Sohn richtet, werden die Worte achtlos ins Feuer geworfen, um so den Herrn zu kränken. Da stehen sie nun, die Führer, die Edlen, die Ratgeber, um den König herum in seinem edlen Winterpalast. Ihr König, der sagt: „Ich will mir ein geräumiges Haus bauen und weite Obergemächer!“ Er „haut sich Fenster aus und deckt mit Zedern, und er streicht es an mit Zinnober“. Ironisch hat Jeremia ihn dann geschmäht: „Bist du ein König, weil du in Zedern wetteiferst?“ (Jer 22,14.15).

Feige Führer

Wie werden die Fürsten nun reagieren? Als sie die Worte Gottes zum ersten Mal aus dem Mund Baruchs hörten, schien es, als wenn sie in ihrem Gewissen getroffen gewesen wären. Sie hatten sich durch sie gefürchtet und zueinander gesagt, dass der König diese Worte ganz bestimmt hören sollte (Jer 36,16). Doch in der Gegenwart des Königs lösen sich alle ihre edlen Gefühle auf wie Nebel vor der Sonne. Wie der König, so der Knecht: „Und der König und alle seine Knechte, die alle diese Worte hörten, erschraken nicht und zerrissen ihre Kleider nicht“ (Jer 36,24). Ist es nicht tieftraurig, dass keiner reagiert? Dass es keinen mit gebrochenem Herzen und zerschlagenem Geist gibt? Anfänglich mögen sie von der Ankündigung des Gerichts und dem Aufruf, sich zu dem Herrn zu bekehren, leicht berührt gewesen sein, doch als es darauf ankam, ließen sie jede Reaktion vermissen.

Dennoch … Als der Hass gegenüber Gottes Wort so brutal von dem König demonstriert wurde, gab es glücklicherweise noch drei Männer, die sich trauten, geradewegs gegen den Strom zu schwimmen. Drei Männer, die es genauso wenig wie David im Terebinthental ertragen konnten, dass der Gott Israels auf diese Weise geschmäht wurde. Und sie taten das in einem Augenblick, in dem sicher besonders viel Mut dazugehörte. Doch bevor wir mit diesen Glaubenshelden Bekanntschaft machen, müssen wir zunächst sehen, was dem vorausging.

Die Sünden des Volkes

Ein Jahr zuvor hatte Jeremia die Judäer bezichtigt, dass sie ab dem dreizehnten Jahr der Regierung des Königs Josias (Jojakims Vater) dem Wort des HERRN kein Gehör geschenkt hatten, das Jeremia seitdem verkündigt hatte. Und nicht nur er! Im Gegenteil, trotz des gewaltigen Einsatzes des Reformers Josia, der im zwölften Jahr seiner Regierung angefangen hatte, Juda und Jerusalem von den Höhen, von den Bildsäulen und von den geschnitzten und gegossenen Bildern zu befreien (2Chr 34,4-7), hatten sie ihre Handlungen einfach fortgesetzt. Josia hatte schon alle Geräte, die für den Baal, die Aschera und das ganze Heer des Himmels gemacht worden waren, aus dem Tempel hinausgeschafft und auf den Feldern von Kidron verbrennen lassen und die Asche davon nach Bethel gebracht, dem Ort, wo Jerobeam bei der Teilung des Reiches sein goldenes Kalb aufgerichtet hatte. Die Aschera holte er aus dem Haus des Herrn und verbrannte sie ebenfalls im Kidrontal und verpulverte sie zu Staub. Den Staub warf er auf die Gräber des gemeinen Volkes, um die Toten posthum mit ihren eigenen Gräueltaten bekanntzumachen. Genauso zermahlte Mose damals das goldene Kalb, streute es ins Wasser und ließ das Volk das Wasser trinken.

Es ist abscheulich, zu sehen, welche Gräuel im Lauf der Jahre durch das Tor des Hauses des Herrn hineingebracht worden waren. In 2. Könige 23 lesen wir, wie Josia im Haus des HERRN, wo die Frauen Zelte für die Aschera webten, die Unterkünfte der der Unzucht geweihten Männer abriss. Er verunreinigte das Tophet im Tal Hinnom, damit niemand mehr seinen Sohn oder seine Tochter für den Molech durchs Feuer gehen lassen würde. Es ist nur wenig Phantasie nötig, um zu „sehen“, was sich dort alles im Tempel des Herrn und im Tal Hinnom abspielte. Gott klagt: „Ich hatte dich als Edelrebe gepflanzt, lauter echtes Gewächs; und wie hast du dich mir verwandelt in entartete Ranken eines fremden Weinstocks! Ja, wenn du dich mit Natron wüschest und viel Laugensalz nähmst: Schmutzig bleibt deine Ungerechtigkeit vor mir, spricht der Herr, HERR.“ Als Antwort auf diese Anklage wagte Juda zu behaupten: „Ich habe mich nicht verunreinigt, ich bin den Baalim nicht nachgegangen.“ Doch darauf antwortet Jeremia: „Sieh deinen Weg im Tal“ (Jer 2,21.22). Das Tal, in dem alle Götzen und Gräuel gesammelt und zu Staub und Asche zermalmt wurden, war ein schauderhaftes Zeugnis der Ausschweifungen, durch die Juda und Jerusalem unter der Leitung ihrer Könige und Priester Gott verlassen und anderen Göttern gedient und angebetet hatten — Göttern, die der Befriedigung ihrer fleischlichen Lüste dienten. Alles, was dort im Tal zusammengebracht worden war, zeugte unverblümt von ihrer Unzucht. Jeremia sagt, dass Juda einer flinken Kamelin gleicht, „die kreuz und quer umherläuft …, in ihrer Begierde nach Luft schnappt; ihre Brunst, wer wird sie hemmen? Alle, die dich suchen, brauchen sich nicht abzumühen [aufdringlich wie sie ist]: In ihrem Monat werden sie sie finden“ (Jer 2,23.24). „Aber“, so setzt der Prophet etwas später fort, „zur Zeit ihres Unglücks sprechen sie: ,Steh auf und rette uns!‘“ Jeremias Antwort hierauf ist: „Wo sind nun deine Götter, die du dir gemacht hast? Mögen sie aufstehen, ob sie dich retten können zur Zeit deines Unglücks! Denn so zahlreich wie deine Städte sind deine Götter geworden, Juda“ (Jer 2,28).

Eine unvollständige Erweckung

Ganz anders war es mit Josia selbst gewesen. Vor ihm war kein König gewesen, der sich mit seinem ganzen Herzen, seiner ganzen Seele und seiner ganzen Kraft zu dem Herrn kehrte, ganz nach dem Gesetz Moses; und nach ihm stand seinesgleichen nicht auf (2Kön 23,25). Doch im Volk existierten unter demselben Josia ganz andere Gefühle. In der Tat, Josia und das Volk hatten gemeinsam einen Bund mit dem Herrn geschlossen, dass man dem Herrn folgen sollte und mit ganzem Herzen und ganzer Seele seine Gebote, Zeugnisse und Einsetzungen halten sollte. Das ganze Volk war wie ein Mann in den Bund getreten, doch das war nur zum Schein. Ihr Geist war zwar willig, doch ihr Fleisch schwach. Der kennzeichnende Unterschied zwischen dem König und dem Volk ist, dass von Josia geschrieben steht, dass er dem Herrn mit seinem ganzen Herzen, mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft diente. Das fehlt beim Volk (2Kön 23,3). In 2. Chronika 34,32.34 heißt es dann auch von Josia, dass er alle zu dem Bund hinzutreten ließ und alle, die sich in Israel befanden, zum Dienst für den Herrn anhielt! Weil Josia seine Kleider zerrissen und sich gedemütigt hatte, sollte in seinen Tagen Frieden sein. Gott würde das Gericht aussetzen, doch das Volk ließ die Zeit ungenutzt verstreichen, dem Herrn zu dienen. Anstelle dessen diente es sich selbst und bereicherte  sich auf Kosten anderer. Auf diese Weise waren sie groß und reich geworden; und nun lebten sie in Wohlfahrt (Jer 5,23-31).

Die Erweckung unter Josia hatte daher auch nicht zu einer Veränderung des Herzens des Volkes geführt. Es strandete auf den Klippen seines Unwillens, sich mit Herz und Seele tatsächlich zu bekehren. Mögen die Ascherim durch den Eifer Josias zu Staub und Asche im Kidrontal verwest sein – dennoch sammeln die Kinder in den Städten Judas und auf den Straßen Jerusalems Holz, Väter zünden Feuer an, und die Frauen kneten Teig, um Opferkuchen für die Königin des Himmels zu bereiten. Trankopfer werden anderen Göttern gespendet. „Ich werde in den Städten Judas und auf den Straßen von Jerusalem aufhören lassen die Stimme der Wonne und die Stimme der Freude, die Stimme des Bräutigams und die Stimme der Braut; denn das Land soll zur Einöde werden“ (Jer 7,16-19.34). Er wird sogar ihre Säume aufstreifen über ihr Gesicht, so dass ihre Schande gesehen werden wird: ihr Ehebruch, ihr Wiehern und ihre schändliche Unzucht (Jer 13,16-27)! Und wenn der Prophet klagt, dass die Sünde Judas mit eisernem Griffel geschrieben steht, eingraviert mit diamantener Spitze in die Tafeln ihres Herzens und die Hörner ihrer Altäre, als Denkmal gegen sie in ihre heiligen Pfähle [Aschera] unter jedem grünen Baum und auf den hohen Hügeln und den Hügeln auf dem Feld, dann folgt daraus ohne Weiteres, dass Jojakim alles, was sein Vater Josia vernichtet hatte, wieder aufbaute.

Jeremias Prophezeiung

Jeremia erlebte dies alles von Anfang bis Ende. Nachdem Josia im achten Jahr seiner Regierung den Gott seines Vaters David zu suchen angefangen hatte – er war zu der Zeit sechzehn Jahre alt –, fing er vier Jahre später, im zwölften Jahr seiner Regierung, an, Juda und Jerusalem von den Götzen zu reinigen. Diese Aktivitäten Josias wurden ab dem dreizehnten Jahr seiner Regierung, also ein Jahr nachdem die Reinigung Judas begonnen war, durch das Auftreten Jeremias kräftig unterstützt (2Chr 34,1-3; Jer 1,2). Diese ganze Entwicklung, beginnend mit den ersten hoffnungsvollen Zeichen der Erweckung, fand seinen Höhepunkt in einer Passahfeier (2Kön 23,21), wie sie seit Samuel nicht mehr gefeiert worden war. Bis zu jenem Tag, an dem sich Jojakim gemütlich am Kaminfeuer in seinem Winterpalast zurückgezogen hatte, war Jeremia damit beschäftigt, die Untreue von König, Fürsten, Priester und Volk an den Pranger zu stellen. Er hatte Juda mit einem Rebhuhn verglichen, das die Eier, die ein anderes gelegt hat, ausbrütet und sich so auf unrechtmäßige Weise Reichtum erwirbt (Jer 17,11). In der Hälfte ihrer Tage, so hatte er angekündigt, würde dieser Reichtum sie verlassen; an ihrem Ende würden sie wie Toren sein.

Dieses Ende war jetzt ganz nahe gekommen. Vor nicht langer Zeit hatte Jeremia im Vorhof des Herrn gegen alle Städte Judas gepredigt, die zum Haus des Herrn kamen, um sich dort niederzubeugen vor den Götzen und vor dem Herrn. Gott hatte ihm ausdrücklich befohlen, kein Wort wegzulassen, in der Hoffnung, dass sie sich doch noch bekehren würden, und gedroht, ihre Stadt zu verderben wie damals Silo. Doch als Jeremia ausgeredet hatte, griffen die Priester, die Propheten und das ganze Volk ihn mit den Worten an: „Du musst gewiss sterben. Warum hast du im Namen des HERRN geweissagt und gesprochen: Dieses Haus wird wie Silo werden und diese Stadt verwüstet, ohne Bewohner?“ (Jer 26,8.9). Als den Fürsten von Juda dies zu Ohren kam, waren sie aus dem königlichen Palast zum Haus des Herrn gegangen und hatten sich am Eingang des neuen Tores hingesetzt. Nachdem Jeremia auch ihnen das Gericht im Namen Gottes angekündigt hatte, hören sie die Anklage der Priester, der Propheten und des Volkes, entscheiden jedoch, dass Jeremia nicht des Todes schuldig ist. Das Volk schließt sich daraufhin dem Urteil der Fürsten an, so dass nun das Volk gemeinsam mit den Fürsten den Priestern und Propheten entgegensteht. Einige Älteste des Landes stehen schließlich auf und sind für Jeremia. Sie erinnern das zusammengeströmte Volk an den Propheten Micha, der in den Tagen von Hiskia auch Gottes Gericht angekündigt hatte. Und so fragen sie: „Haben denn Hiskia, der König von Juda, und ganz Juda ihn getötet? Hat er nicht den HERRN gefürchtet und den HERRN angefleht, so dass der HERR sich des Übels gereuen ließ, das er über sie geredet hatte? Und wir wollen eine so große böse Tat gegen unsere Seelen begehen!“ (Jer 26,19). Nachdem die Ältesten des Landes diese warnenden Worte zu den Priestern und Propheten geredet haben, denkt Urija, dass er an der Reihe ist, genau wie Jeremia im Namen des Herrn zu prophezeien (Jer 26,20).

Urija und Elnathan

Inzwischen war offensichtlich der König Jojakim mit seinen Mächtigen auf dem Tempelplatz angekommen. Doch als König Jojakim und alle, die ihn umringten, die Worte Urijas hörten, begann die Stimmung, die sich langsam zum Vorteil Jeremias zu verändern schien, zu seinem Nachteil umzuschlagen. König Jojakim versuchte, Urija an Ort und Stelle zu töten. Niemand war da, der für Urija eintrat: das Volk nicht – obwohl sie gerade den Anschein erweckt hatten, ein gesundes Urteilsvermögen zu haben; die Ältesten des Landes nicht – während sie doch klar eingesehen hatten, dass sie eine große böse Tat begehen würden, wenn sie die Stimme des Propheten zum Schweigen bringen würden. Für Urija bleibt nur eine Möglichkeit übrig: Flucht! Die persönliche Anwesenheit von König Jojakim scheint schon ausreichend, um bei allen alle edlen Gefühle zu vertreiben. Alle sehen schuldig schweigend zu. Niemand protestiert gegenüber dem grimmigen König, der Urija töten wollte, weil er Gottes Wort verkündigt hatte. Und wir sehen hier, wie die Priester und die (falschen) Propheten gemeinsam mit dem König eine einige Front bilden: eins in der Seele und eins in Gedanken. Und wer kann so einer Front widerstehen, ohne in Lebensgefahr zu geraten? Wer hat hier noch den Mut, für die Rechte Gottes einzustehen? Wer diesen Mut aufbringt, bittet ja um Schwierigkeiten.

Wer auch immer gegen so viel Brutalität gewachsen sein mag, Elnathan, der Sohn Akbors jedenfalls nicht. Als Jojakim ihm aufträgt, mit einigen anderen Männern den nach Ägypten geflohenen Urija zurückzuholen, geht er folgsam los, wiewohl er an einer Hand abzählen kann, was das Los Urijas sein wird. Weder bemüht er sich, ihn nicht zu finden, noch bemüht er sich, ihn entkommen zu lassen. Er ist hier ein feiges und willenloses Werkzeug Jojakims, wie Wachs in seinen Händen, nicht bereit, auch nur das geringste Risiko zu nehmen. (Doch Vorsicht vor einem definitiven Urteil über ihn. Gleich werden wir ihn wiedertreffen.) Wenn sogar Akbors Sohn Elnathan versagt, wer bleibt dann noch übrig?

Achikam

Es gibt sage und schreibe einen! Jemand, dem bewusst wird, nachdem Urija mit knapper Not entkommen ist, dass Jeremia unwiderruflich das Opfer sein wird. Es ist Achikam, der Sohn von Schaphan. Achikam ging damals zusammen mit seinem Vater Schaphan und (u.a.) mit Akbor, dem Vater Elnathans hin, um den Herrn im Auftrag des Königs Josia zu befragen; sie hatten eine führende Rolle bei seinen Reformen. Seine Heldentat wird auf eine höchst schlichte Weise mitgeteilt: „Doch die Hand Achikams, des Sohnes Schaphans, war mit Jeremia, dass man ihn nicht in die Hand des Volkes gab, um ihn zu töten“ (Jer 26,24). Wie er es tat und was er tat, wird nicht mitgeteilt. Das bleibt eine Frage. Doch was fraglos ist, ist, warum er es tat. Achikam bedeutet „Mein Bruder hat sich erhoben, ist aufgestanden“ oder „Bruder des Beistands“. Und in der Tat, er überragt mit Kopf und Schulter die anderen Fürsten; er steht auf, um Jeremia, dem Propheten des Herrn, Beistand zu verleihen. Er macht das in einem höchst kritischen Augenblick und legt so sein Leben in die Waagschale für Gottes Knecht und Gottes Ehre angesichts des gefährlichsten Kämpfers gegen das Wort Gottes. Ein gewaltig ansprechendes Vorbild für jeden, der den Namen Christi trägt, dessen Name in seiner Bedeutung weit über den Achikams erhaben ist.

Wie der Vater so der Sohn?

Lasst uns mit diesen beiden, Elnathan und Achikam, etwas näher Bekanntschaft machen. Beide befinden sich im Kreis der Fürsten, die König Jojakim um sich versammelt hatte. Fangen wir mit Elnathan, dem Sohn Akbors, an. Er bekam von Jojakim den Auftrag, mit einigen Männern nach Ägypten zu ziehen, um Urija gefangen zu nehmen. Sie holten ihn von dort und brachten ihn zu dem König Jojakim, der ihn mit dem Schwert umbringen ließ und seinen Leichnam auf den Friedhof des gemeinen Volkes warf (ein Eselsbegräbnis, das gemäß Jeremias Prophezeiung auch Jojakim bekommen sollte: Jer 22,19; 36,30). Der Ort, wohin Jojakim den Leichnam Urijas wirft, ist derselbe Ort, wohin sein Vater Josia den Staub der verpulverten Aschera wegwarf, die er aus dem Haus des Herrn entfernt hatte (2Kön 23,6). Zweifellos war es ihre Absicht, bei Josia sowohl als auch bei Jojakim hierdurch die Geringschätzung des Gegenstands, den sie wegwarfen, zum Ausdruck zu bringen. Doch was für ein Unterschied in den Beweggründen zwischen Vater und Sohn! Der Vater wurde getrieben durch die Liebe zum Haus Gottes und seinem Wort, der Sohn durch Hass gegenüber dem Wort Gottes, das durch den Dienst Jeremias zu ihm kam. Hier ist alles anders als „wie der Vater so der Sohn“!

Ein gleichartiger Kontrast zeigt sich auch zwischen Elnathan und seinem Vater Akbor. Akbor war kein Unbekannter am Hof des Königs Josia. Gemeinsam mit Achikam, der sich hier auf dem Tempelplatz als Held entpuppte, und dessen Vater Schaphan machte auch Akbor Teil der Gesellschaft aus, die unter der Leitung von Hilkija, dem Hohenpriester, durch Josia losgeschickt wurde, um „den Herrn zu befragen“ (2Kön 22,13). Alle hier in dem Buch Könige genannten Männer hatten bei der Erweckung unter Josia wichtige Posten inne. Ihr Leben stand im Dienst des Königs und Gottes Israels, und darin waren sie standhaft. Jetzt, achtzehn Jahre später, taucht der Name des Sohnes Akbors, Elnathan, im Buch des Propheten Jeremia auf. Man sollte erwarten können, dass er in der Spur seines Vaters gehen und für Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten würde. Leider hält er dem moralischen Druck hier nicht stand. Er wählt den Weg des geringsten Widerstands und wird genau wie Jojakim eine Schande für seinen Vater. Doch wir begegnen Elnathan gleich noch einmal.

Noch ein Vater und ein Sohn

Wir richten jetzt den Suchscheinwerfer auf Achikam, den Sohn Schaphans, den wir schon aus dem zweiten Buch Könige kennen – auf den Sohn, der gemeinsam mit seinem Vater Teil der Gesellschaft ausmachte, die Josia aussandte, um den Herrn zu befragen. Das ist ein nie hinreichend wertzuschätzender Segen, wenn Väter mit ihren Söhnen Teil einer Gesellschaft sein dürfen, die darauf aus ist, Gottes Gedanken kennenzulernen – und nichts anderes als das. Das war vor achtzehn Jahren. Und hier, in Jeremias Prophezeiung, betritt Achikam plötzlich die Arena. Jojakim hat dem Wort Gottes den Krieg erklärt, und nichts und niemand wird er verschonen, um das Wort des Propheten und den Propheten selbst zu vernichten.

Doch gegen den gewaltigen Strom des Abfalls, der im König personifiziert ist, konnte Achikam standhaft bleiben. Gottes Wort, das er gewohnt war zu befragen und worin sein Vater ihm früher Vorbild gewesen war, hatte einen festen Platz in seinem Herzen erhalten. Hier auf dem Tempelplatz tritt das herrlich zutage. Schade, dass sein Vater Schaphan das nicht gesehen hatte! Doch was wäre es tief und tief schmerzhaft und tragisch für den frommen Josia und Akbor gewesen, hier Zeuge von dem Betragen ihrer Söhne geworden zu sein. Wie wahr ist es, dass Gnade kein Erbgut ist, sondern jeder persönlich verantwortlich ist, mit Gott seinen Weg zu gehen.

Der Fastentag

Dies alles ging dem Tag voraus, an dem das Volk Judas an einem speziell festgelegten Fastentag als gottesdienstliche Nation in großer Zahl zum Tempel in Jerusalem kommen sollte, und zwar im fünften Jahr und im neunten Monat der Regierung Jojakims, des Königs von Juda. Sie wurden Zeuge von dem Auftreten Baruchs, dem Freund und Sekretär Jeremias, der die Worte aus dem Mund des Propheten aufgeschrieben hatte und diese nun vorgelesen hatte in der Wohnung eines Priesters stehend, von wo aus er die zusammengeströmten Massen auf dem Tempelplatz in Hör-Reichweite hatte. Es war also mehr oder weniger eine Wiederholung dessen, was sich vor einiger Zeit abgespielt hatte, mit dem Unterschied, dass nicht Jeremia wie damals, sondern Baruch der Menge zusprach. Es war das zweite Mal, dass ein scharfer Protest auf dem Tempelplatz zu hören war, um das Volk und den König zur Reue und Bekehrung aufzurufen. Klar war, dass die Chance groß sein würde, dass sich noch mehr Zwischenfälle ereignen würden, wenn des Volk sich nicht bekehren würde. Damals hatten sie schon gerufen: „Du muss gewiss sterben. Warum hast du im Namen des Herrn geweissagt?“, und waren alle gegen ihn zusammengeströmt.

Doch jetzt ist er abwesend. Er war verhindert. Das weist darauf hin, dass Jojakim offensichtlich aus Vorsorge Jeremia das Verbot auferlegt hatte, an diesem Tag den Tempelplatz zu betreten, damit seine Unheilsprophezeiungen die Festfreude nicht stören würden. Übrigens ja ohne Erfolg, denn das Gerücht war schon bis in die angenehm erwärmte Wohnung des Königs durchgedrungen, wo dieser in der Gesellschaft der Fürsten mit seinem Messer von den Worten des Herrn nichts übriglässt und alles dem Feuer preisgibt. Die Fürsten stehen wie angewurzelt da. Sie schweigen. Doch dann wird auf einmal die unheilvolle Zeremonie gestört. Drei Männer, Elnathan, Delaja und Gemarja, treten nach vorn und haben den Mut, den König anzuflehen, die Rolle nicht zu verbrennen (Jer 36,25). Was für ein Risiko sie hier in Kauf nehmen, lässt sich nun leicht erraten. Doch vielleicht argumentierten sie: Wenn Gott Jeremia versichert hat, dass Er ihn zu einer befestigten Stadt, einer eisernen Säule und einer ehernen Mauer gegen das ganze Land macht, gegen die Könige von Juda, seine Fürsten, seine Priester und das Volk des Landes und dass, wenn diese gegen ihn kämpfen, sie ihn nicht besiegen können, weil der Herr mit ihm ist, um ihn zu befreien (Jer 1,18) – dann haben auch wir allen Grund, uns voll und ganz demselben Gott anzuvertrauen. Lasst es uns versuchen, jeden Einzelnen von ihnen näher zu betrachten.

Delaja

Sein Name hat eine herrliche Bedeutung: „Der Herr ist Erlöser.“ Schöner geht es kaum. Von ihm wissen wir nicht mehr als das, was wir hier lesen. In Vers 12 sitzt er im Palast, in der Wohnung des Schreibers des Königs Elischama. Er ist der Sohn eines gewissen Schemaja (nicht der Vater des Propheten Urija, denn der wohnte in Kirjath-Jearim). Doch Gottes Geist konnte ihn hier nicht unerwähnt lassen. Vielleicht schon deshalb nicht, weil er jemand ist, der ganz in Übereinstimmung mit der Bedeutung seines Namens ist und ganz praktisch Zeugnis ablegt, aus dem sonnenklar hervorgeht, dass sein Bekenntnis „Der Herr ist Erlöser“ nicht nur eine unverbindliche Aussage ist. Er zeigt den Glauben, der nicht wankt, wenngleich der Preis, der bezahlt werden muss, um für Gottes Sache einzutreten, zu hoch zu sein droht. Er glaubte, dass Gott derjenige ist, der Er versprochen hatte zu sein.

Elnathan

In der Tat, wir kennen ihn schon. Er ist der Sohn von Akbor, ein vornehmer Diener des Königs Josia; der Sohn, der seinem Vater während der vorigen Demonstration Jeremias auf dem Tempelplatz Schande bereitet hatte; der damals ohne jegliches Rückgrat Gottes Knecht Urija aus Ägypten holte, um ihn zur Schlachtbank Jojakims zu führen. Doch hier revanchiert er sich für seine niederschmetternde Niederlage von damals. Damals hatte er als Tor gehandelt. Er hatte nicht nur das Andenken seines Vaters besudelt, der sich für Gottes Sache eingesetzt hatte; schlimmer noch: Er hatte dadurch der Sache Gottes viel Schaden zugefügt und mit den Feinden des Wortes Gottes gemeinsame Sache gemacht. Dann Achikam! Er hatte sein Leben für Gottes Sache in die Waagschale geworfen. Er war vor dem drohenden Einfluss, der mit dem Kommen des Königs auf dem Tempelplatz verbunden war, nicht eingeknickt, sondern hatte Jeremia in Schutz genommen. Er hatte ganz auf der Linie seines Vaters Schaphan und seines Freundes und Mitstreiters Akbor für die Sache des Herrn während der Regierung Josias gehandelt.

Das ist vielleicht eine der schönsten Entdeckungen in diesem Bibelabschnitt, dass es für jemand, der sich hoffnungslos mit einem ausgesprochenen Feind Gottes einsgemacht hat, möglich ist, sich so fundamental wiederherzustellen. Das geht nur nach Bekehrung und Reue; nur nach Schulderkenntnis und Buße; nur wenn jemand Gottes Wort die Gelegenheit gibt, seine kraftvolle Wirkung auf Herz und Gewissen auszuüben. Was für ein „Comeback“ dieses Elnathan! Er, der damals unterlag, trotzt hier der Grimmigkeit des Königs im Beisein aller schweigenden Fürsten, die, als es wirklich darum ging, durchaus Sympathie für Jeremia hatten, denn sonst hätten sie Baruch nicht empfohlen, dass er und Jeremia sich besser verbergen sollten (Jer 36,20). Und sollte die Tatsache, dass sein Name hier als erster genannt wird, nicht bedeuten können, dass er als Erster hervortrat? Eine bessere Gelegenheit, sich klar und deutlich zu profilieren und zu rehabilitieren, konnte er sich unmöglich wünschen. Wenn er diese einzigartige Situation ungenutzt gelassen hätte, wäre er als Bundesgenosse eines gottlosen Jojakim in die Geschichte eingegangen. Übrigens hat Elnathan dies einzig der Gnade Gottes zu verdanken. Gott gab ihm noch eine neue Chance, nachdem er es total vermasselt hatte. Sein Name bedeutet „Gott hat gegeben“, „Gott ist der Geber“, „Gabe Gottes“. Nun, was Gott Elnathan gab, möchte Er jedem von uns geben: Gelegenheiten in den Umständen unseres Lebens und die Kraft, um gegenüber denen, die sich als Feinde Gottes zeigen, für die Ehre Gottes einzutreten.

Gemarja

Gemarja ist ein Bruder von Achikam, der Jeremia in Obhut nahm, und demnach ein Sohn des schon genannten Schaphan, dem Diener Josias. Dieser Gemarja wohnte in einer Unterkunft des Tempels. Sie hatten ihn nicht irgendwo im Hinterhof versteckt. Sein Zimmer befand sich auf einer oberen Etage: im obersten Vorhof, beim Eingang des neuen Tores. Das war schon ein besonderer Platz. Es war eine Wohnung, von der aus man eine gute Übersicht hatte über das, was sich auf dem Tempelplatz abspielte. Es gab freie Sicht auf das neue Tor. Das war ausgerechnet der Platz, auf dem während Jeremias erster Demonstration auf dem Tempelplatz die Menschen zusammengeströmt waren, die Jeremia töten wollten. Die Fürsten waren damals aus dem Palast zum Tempel gekommen und hatten sich am Eingang des neuen Tores niedergelassen, beim Haus des Herrn (Jer 26,10; 36,10). Gemarjas Zimmer befand sich also an einem sehr strategischen Punkt. Von dieser Unterkunft aus wurde die zweite Demonstration durch Baruch durchgeführt, der die Worte des Propheten hier vorlas. Wir können es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, weil die Schrift darüber schweigt, aber es ist doch nicht unwahrscheinlich, dass es Kontakte zwischen Jeremia und Baruch einerseits und Gemarja andrerseits gab. In dem Augenblick als Baruch Gottes Gerichte ankündigte, saß Gemarja ja bei dem Schreiber Elischama in dessen Wohnung im königlichen Palast (Jer 36,12). Das wirft die Frage auf, wie Baruch in Gemarjas Wohnung kommen konnte. Die Antwort auf diese Frage ist möglicherweise in Vers 11 zu finden, wo wir lesen, dass Mikaja, der Sohn Gemarjas, des Sohnes Schaphans, alle Worte des Herrn aus dem Buch hörte, als diese durch Baruch vorgelesen wurden.

Es ist interessant, hier wieder einen Nachkommen Schaphans zu finden: Mikaja, Schaphans Enkel. Noch schöner ist es, zu sehen, dass dieser Mikaja in den Dingen seines Vaters Gemarja zu Hause ist und, was dies betrifft, auch in der Spur seines Großvaters geht. Doch das Allerschönste ist doch wohl, dass die Worte, die er aus Baruchs Mund vernimmt, für ihn „die Worte des Herrn“ sind und dass er, nachdem er sie gehört hat, das unmittelbare Verlangen hat, das Wort Gottes an andere weiterzugeben. Unverzüglich geht er zum Palast des Königs hinab, zur Wohnung des Schreibers, um den Anwesenden, unter ihnen sein Vater, Bericht zu erstatten von den Ereignissen am Tempel. Diese Gesellschaft, die Mikaja in der Wohnung des Schreibers Elischama antrifft – Elischama, Delaja, Elnathan, Gemarja (sein Vater), Zedekia, den Sohn Hananjas (also nicht der spätere König) und die übrigen Fürsten –, schickt Jehudi los, um Baruch zu holen, damit auch sie die Botschaft, die Jeremia vonseiten Gottes weitergeben musste, von Anfang bis Ende zu hören.

Nachdem wir nun über die „Söhne von Schaphan“ geredet haben, wollen wir auch seine übrigen Söhne noch kurz aufzählen. Wir haben schon mit Achikam und Gemarja Bekanntschaft gemacht, jedoch noch nicht mit Elasa und Jaasanja. Und es gibt auch noch einen Enkel, der hier nicht unerwähnt bleiben darf: Gedalja, der Sohn von Achikam.

Elasa

Elasa, der Sohn Schaphans, erscheint auf der Bühne der Heilsgeschichte nach der zweiten Wegführung, unter denen Jekonja (= Jojakin), die Gebieterin (die Königin), die Hofbeamten, die Fürsten von Juda und Jerusalem, die Handwerker und die Schlosser Jerusalem Richtung Babel verlassen hatten, gemäß der Worte Jeremias, des Propheten, die er ausgesprochen hatte unter anderem bei der ersten und bei der zweiten großen Protestaktion im Tempel. Elasa wird gemeinsam mit einem gewissen Gemarja, dem Sohn Hilkijas (also nicht zu verwechseln mit seinem Bruder!), als eine Art Diplomat durch König Zedekia, dem Sohn Josias (Jer 29,3), nach Babel gesandt. Von dieser Gelegenheit macht Jeremia Gebrauch, und er gibt Elasa einen Brief mit, der adressiert ist an den Überrest der Ältesten der Wegführung, an die Priester, die Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar aus Jerusalem nach Babel weggeführt hatte. In diesem Brief ruft er das Volk auf, dort Fuß zu fassen, weil der Herr sich die ersten siebzig Jahre nicht nach ihnen umsehen wird. „Und sucht den Frieden der Stadt, wohin ich euch weggeführt habe, und betet für sie zu dem HERRN; denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben“, so ruft Jeremia den Weggeführten die Worte Gottes zu. So sehen wir in diesem Abschnitt wieder zwei Nachkommen von zwei treuen Kämpfern aus der letzten Reformationsperiode: Zedekia, der Sohn des frommen Josias, und Elasa, der Sohn seines Vertrauten Schaphan. Über den Ersten finden wir in der Schrift nicht ein gutes Wort. Von Elasa, dem Sohn Schaphans, scheint es, als wenn Jeremia ihm das Wort Gottes anvertrauen kann und dass er bereit ist, dies zu tun. Hierin zeigt er sich als wahrer Sohn von Schaphan. Dass das Wort Gottes bei der Familie Schaphans hoch im Kurs steht, zeigt sich auch unzweideutig in der Geschichte Gedaljas (Jer 40).

Gedalja

Er ist der Sohn Achikams, der, als alle passiv blieben, Jeremia in Schutz nahm. Gedalja zeigte, dass er aus demselben Holz geschnitzt war. Als Nebukadnezar Zedekia gedemütigt hatte und alle, bis auf die Armen, nach Babel deportiert hatte, stellte er Gedalja als „Statthalter“ über das an, was keine Stadt mehr genannt werden konnte: die Übriggebliebenen von Juda. Gedalja richtete sich in Mizpa ein und gebot, ganz in Übereinstimmung mit der Botschaft Jeremias, den Menschen, die Nebukadnezar unter seine Fittiche genommen hatte, dass sie in dem Land wohnen bleiben und den Chaldäern unterworfen bleiben sollten. Von ihnen brauchten sie nichts Böses zu fürchten. Weil Gedalja diese Haltung einnahm, die auf das Wort des Herrn fußte, wurde er durch einen gewissen Ismael getötet. Gedalja musste seine Treue dem Wort Gottes gegenüber mit dem Tod erkaufen. Die Bedeutung seines Namens ist „Groß ist der Herr“. Und in seinem Leben zeigte er, welche praktischen Konsequenzen er mit seinem Namen verband. Bis zum Märtyrertod machte er den Namen des Herrn groß. Auch wenn sein Name in der Liste der Glaubenshelden in Hebräer 11 nicht auftaucht, dürfen wir ihn doch unter all die Märtyrer einordnen, die der Schreiber dieses Briefes mit den Worten zusammenfasst: „Und diese alle, die durch den Glauben Zeugnis erlangten, haben die Verheißung nicht empfangen, da Gott für uns etwas Besseres vorgesehen hat“ (Heb 11,39).

Was wäre es schön, wenn wir es bei diesen treuen Nachkommen aus der Familie von Schaphan belassen könnten, der so unendlich reich in seinen Söhnen gesegnet war, die, koste es, was es wolle, den Fußspuren ihres Vaters nachgingen und in Zeiten, in denen das Wort Gottes kritisiert und heftig bestritten wurde, für die Wahrheit Gottes in die Bresche sprangen. Doch leider begegnen wir dem Zusatz „der Sohn Schaphans“ hinter dem Namen noch einmal. Es ist Jaasanja; er wird im Buch Hesekiel erwähnt (Hes 8,11). Sowohl der Ort als auch die Zeit, in denen wir ihm begegnen, machen klar, dass es kaum Gründe gibt, anzunehmen, dass das ein anderer Schaphan gewesen sein könnte.

Jaasanja

Hesekiel, der als Weggeführter in Babel an den Ufern des Flusses Kebar wohnt, sitzt mit den Ältesten von Juda in seinem Haus (Hes 1,2; 8,1). Es ist das sechste Jahr von Jojakims Wegführung, das gleichzeitig das sechste Jahr der Regierung Zedekias ist. Das ist immer noch die Zeit, in der die Söhne Schaphans eine Rolle spielen. Das Gebilde einer Hand ergreift Hesekiel beim Haarschopf, hebt ihn zwischen Himmel und Erde empor und bringt ihn in Gesichten Gottes nach Jerusalem. Dort entdeckt der Prophet alle Götzen, die seit Jojakims Regierung wieder neu eingesetzt wurden. Am Eingang des Vorhofs angekommen, bricht er durch die Mauer hindurch und kommt an eine Tür. Der Geist gibt ihm zu verstehen, dass an der anderen Seite der Tür böse Gräuel verübt werden. Die Schrift sagt: „Und ich ging hinein und sah: Und siehe, da waren allerlei Gebilde von scheußlichem Gewürm und Vieh und allerlei Götzen des Hauses Israel ringsumher an die Wand gezeichnet. Und siebzig Männer von den Ältesten des Hauses Israel standen davor, und Jaasanja, der Sohn Schaphans, stand in ihrer Mitte – jeder mit seinem Räucherfass in seiner Hand; und der Duft einer Weihrauchwolke stieg empor. Und er sprach zu mir: Hast du gesehen, Menschensohn, was die Ältesten des Hauses Israel im Finstern tun, jeder in seinen Bilderkammern? Denn sie sagen: Der HERR sieht uns nicht, der HERR hat das Land verlassen!“ (Hes 8,10-12). Schade, dass wir die Geschichte der Familie von Schaphan nicht mit Gedalja, seinem Enkel beschließen konnten! Die Geschichte hätte dann als Erfolgsstory eines respektablen und maßgeblichen Vaters in Israel enden können, vor dem jeder höflich „seinen Hut hätte ziehen müssen“. Erzieher und Lehrer hätten ihre Augen auf dieses makellose Vorbild gerichtet.

Doch es wäre nicht das wahre Bild der „normalen christlichen Familie“ gewesen. Daher darf Jaasanja nicht vergessen werden. Plötzlich und ganz unerwartet wird einer der Söhne Schaphans durch Gottes Geist in den Vordergrund geschoben. Wir hätten nicht im Geringsten damit gerechnet, diesem Jaasanja in Hesekiels Visionen zu begegnen. Doch es ist unmöglich, ihn hier zu übersehen. Er befindet sich ja auch noch „in ihrer Mitte“, das heißt als Führer der Ältesten Israels, die im Finstern ihre Gaben von Weihrauch den Götzen opferten. Was muss das jeden Tag wieder einen dunklen Schatten auf den Weg Schaphans geworfen haben! Was für eine Sorge für diesen Vater! Was für eine Traurigkeit, so einen Sohn, der sich radikal und vollständig von dem Weg abkehrte, auf dem er ihm vorangegangen war! In seiner Torheit dachte Jaasanja, dessen Name bedeutet „Der Herr vernimmt es“: „Der Herr sieht uns nicht“ (Hes 8,12). Falsch, Jaasanja, der Herr vernimmt es durchaus!

Die Söhne Josias

Die Traurigkeit Schaphans über diesen Sohn drängt sich uns auf, wenn wir über diesen Letzteren nachdenken. Doch wie traurig muss König Josia, dem Schaphan so viele Jahre diente, gewesen sein? Wir wissen nichts über das Betragen seiner Söhne während seines Lebens. Keine hundert Jahre alt, verlor Josia sein Leben auf dem Schlachtfeld in der Ebene von Megiddo, als er gegen Pharao Neko stritt, ohne vorher den Herrn befragt zu haben. Das Volk stellte Josias Sohn Joahas als König an. Nach drei Monaten Regentschaft wurde dieser durch Pharao Neko entthront. In diesen drei Monaten schaffte Joahas es, in die Geschichte einzugehen als König, „der tat, was böse war in den Augen des Herrn“ (2Kön 23,31). Und Jeremia prophezeit in Kapitel 22 über Schallum (= Joahas): „Weint nicht um den Toten, und beklagt ihn nicht; weint vielmehr um den Weggezogenen, denn er wird nicht mehr zurückkehren und das Land seiner Geburt sehen“ (Jer 22,10). Vielsagend bezeichnet der Prophet König Joahas als „den Toten“, und das, während er noch lebt! An seiner Stelle wird sein Bruder Eljakim König, dem Pharao Neko den Namen Jojakim gab. Doch auch von ihm sagt das Buch der Könige: „Er tat, was böse war in den Augen des Herrn“ (2Kön 23,37). (Wir haben seinen wahren Charakter schon am knisternden Kamin entdeckt.) Übrigens, was Jeremia über ihn gesagt und prophezeit hat, muss für Josia herzzerreißend gewesen sein, sollte er davon gewusst haben. „Darum, so spricht der HERR von Jojakim, dem Sohn Josias, dem König von Juda: Man wird nicht um ihn klagen: ,Wehe, mein Bruder!‘, und: ,Wehe, Schwester!‘ Man wird nicht um ihn klagen: ,Wehe, Herr!‘, und: ,Wehe, seine Herrlichkeit!‘ Mit dem Begräbnis eines Esels wird er begraben werden; man wird ihn fortschleifen und wegwerfen, weit weg von den Toren Jerusalems“ (Jer 22,18).

Nachdem Jojakim das Buch Jeremias verbrannt hatte, wurde die Prophezeiung sogar noch ausgedehnt: „Darum, so spricht der HERR über Jojakim, den König von Juda: Er wird niemand haben, der auf dem Thron Davids sitzt; und sein Leichnam wird hingeworfen sein der Hitze bei Tag und der Kälte bei Nacht“ (Jer 36,30). Jojakims Sohn Jojakin wurde an seiner Stelle König. Und genau wie sein Onkel Joahas schaffte er es in hundert Tagen, dasselbe Prädikat zu bekommen wie seine Vorgänger: „Er tat, was böse war in den Augen des Herrn.“ Das war also Josias Enkel. Mit ihm endete es aber leider noch nicht. Zedekia ist auch ein Sohn des frommen Josia und der Letzte in der Reihe der Könige von Juda. Er regierte elf Jahre. Er tat, was böse war in den Augen des Herrn, seines Gottes. Er demütigte sich nicht vor dem Propheten Jeremia, der im Auftrag des Herrn redete (2Chr 36,11).

Eltern und Kinder

Dies sind drei Söhne und ein Enkel des Reformerkönigs Josia. Er hatte vier Söhne; sein Erstgeborener hieß Jochanan. Von ihm teilt die Bibel uns nichts mit. Möglicherweise starb er schon früh. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Söhne Josias erst nach dem Tod ihres Vaters eine Kehrtwende machten, aber es ist ebenso gut denkbar, dass diese negative Entwicklung schon viel früher bei den Söhnen ans Licht kam. Deswegen scheint es mir nicht gewagt, zu behaupten, dass Josia in der Lage gewesen sein muss, etwas von dem Leid seines treuen Dieners Schaphan über dessen widerspenstigen Sohn Jaasanja verstanden zu haben. Doch dieses Leid konnte beide nicht davon abhalten, selbst in ihrer Berufung treu zu sein, und es machte sie nicht weniger fähig für die Aufgabe, die sie vonseiten Gottes bekommen hatten. Es möge uns lehren, betroffen zu sein von dem Leid derer, deren Kinder einen anderen Weg als den Weg Christi gewählt haben.

Doch die Belehrung ist auch diese: Wenn Kinder ihren Eltern in den Fußspuren ihres Herrn nachfolgen, ist der Grund dafür niemals der, dass sie bessere Vorbilder für ihre Kinder waren als andere Eltern. Der Grund, warum Kinder den Weg des Glaubens gehen, ist ganz einfach dieser: Sie haben sich durch die Wirkung des Geistes Gottes bekehrt und dienen Ihm in der Kraft dieses Geistes. Dies nimmt natürlich nichts davon weg, dass das Vorbild der Eltern dabei eine ganz wichtige Rolle spielt und manchmal auch eine durchschlagende Rolle, sowohl in positiver als in negativer Hinsicht. Doch das zweifellos nachfolgenswerte Vorbild Josias führte leider nicht dazu, dass seine Söhne sich bekehrten und seinen Spuren nachfolgten, genauso wenig wie das Vorbild Schaphans seinen Sohn Jaasanja zur Bekehrung führte. Das tut einzig die Gnade Gottes (Röm 2,4). Eltern mit bekehrten und gläubigen Kindern, die gemeinsam mit ihnen denselben Weg des Glaubens gehen, haben daher auch allen Grund, ganz tief unter dem Eindruck von Gottes Barmherzigkeit und Gnade zu sein, die ihre Kinder alle kennen dürfen. Mögen sie angesichts eines so großen Segens klein und still werden. Dennoch möchte dieselbe Gnade Eltern, bei denen es anders gelaufen ist, in die Lage versetzen, still und vertrauend ihren Weg mit Gott zu gehen. Die Geschichten von Josia und Schaphan enthalten ausreichend Elemente, die dies zeigen. Gott führt alle Dinge nach dem Rat seines Willens. Seine Gedanken sind höher als unsere Gedanken und seine Wege höher als unsere Wege. Und für uns alle gilt täglich, dass wir unsere Wege zu überprüfen haben, ob es wirklich die Wege des Herrn sind. Seine Gnade will jeden von uns in die Lage versetzen, diese Wege kennenzulernen und sie zu gehen.

Noch einmal: Im Winterpalast

Kehren wir nun noch einmal zum Winterpalast zurück, wo die gierigen Feuerzungen gerade die letzten Papyrusschnipsel mit Worten Gottes verzehren, die Jehudi dem König vorgelesen hat. Noch gieriger ist das Feuer des Zorns Jojakims. Die Worte des Propheten waren wie der Luftzug eines scharfen Windes, der das Feuer heftig angefeuert hat und der die Flammen in seiner Seele hat hoch auflodern lassen. Jojakim ist wütend und gibt Befehl, Jeremia und Baruch gefangen zu nehmen. Doch das klappt nicht, denn sie sind beide nicht aufzufinden. Auf Anraten der Fürsten hatten sie sich versteckt. Doch welchen Nutzen hätte das Verbergen gehabt, wenn „der Herr sie nicht verborgen hätte“ (Jer 36,26)? Als die Feindschaft gegen Gott und sein Wort zur Hochform auflief und sie versuchen mussten, zu entkommen, da wurde ihr Bergungsort ein Bergungsort des Allerhöchsten; da nächtigten sie im Schatten des Allmächtigen, weil Er seine Hand beschirmend über sie ausgestreckt hatte. Und sollte so ein protziger Pyromane den Gesandten des lebendigen Gottes etwas anhaben können? Sollte er wirklich meinen, dass sein eigenes Feuerchen im Ofen des Palastes, für den er so beeindruckende Baupläne hegte – mit üppigen Obersälen, Fenstern und Dächern von Zedernholz –, in der Lage ist, das Wort von Gottes Propheten zunichtezumachen? Sollte er sich wirklich einbilden, dass er mit dem Feuerchen, mit dem er die Kälte aus seinem Winterpalast zu vertreiben trachtete, mit Gott und seinem Wort abrechnen könnte?

Doch während der Rauch – mit der letzten Spur der Buchrolle – aus dem Kaminofen zum Himmel emporklettert, kommt das Wort Gottes schon wieder in das Herz seines Propheten hinab: „Nimm dir wieder eine andere Rolle und schreibe darauf alle vorigen Worte, die auf der vorigen Rolle waren, die Jojakim, der König von Juda, verbrannt hat. Und über Jojakim, den König von Juda, sollst du sprechen: So spricht der HERR: Du hast diese Rolle verbrannt und gesagt: ,Warum hast du darauf geschrieben: Der König von Babel wird gewiss kommen und dieses Land verderben und Menschen und Vieh daraus vertilgen?‘“ (Jer 36,28.29). Das war also der Kern des Inhalts von Jeremias Botschaft, die für das Volk und den König bestimmt war. Und Gott hatte ihm diese Prophezeiung mit dem ausdrücklichen Wunsch gegeben, ihre Herzen und Gewissen zu erreichen, damit sie sich bekehren und Er ihre Sünden vergeben könnte (Jer 36,3). Und genau dieses Verlangen kennzeichnete auch Jeremia selbst. Mit brennendem Verlangen hoffte er, dass das Volk seine flehentliche Bitte vor dem Angesicht des Herrn ausschütten würde (Jer 36,7). Doch ihre Antwort war ein klares „Nein“ gewesen. Sie hatten Gottes Aufruf abgelehnt und schmählich abgewiesen. Daher konnte es auch nicht ausbleiben, dass Jeremia nicht nur all die Worte der vorigen Rolle wieder aufschrieb, sondern dass noch viele Worte hinzufügt werden mussten, weil sie dem Wort Gottes kein Gehör geschenkt hatten (Jer 36,31.32).

Jeremias brennendes Feuer

Bis jetzt hatte Gottes Wort bei Jojakim keinen Widerhall gefunden. Was für einen Sinn kann es also noch haben, dass Jeremia eine neue Rolle schreiben soll? Was für eine Wirkung kann ein wiederholter Versuch haben, Jojakim zu besseren Gedanken zu bewegen, oder was bewirkt es für sein Herz und Gewissen und für das des Volkes? Doch wohl gar nichts? Denn Jojakim stürzt sich unaufhaltsam selbst ins Unglück und in seinem Sog das ganze Land. Entschlossen, sich durch nichts und niemand von seinen Plänen abbringen zu lassen, schreckt er vor nichts zurück. Durch das Wort Gottes und erblindet durch den eigenen Hochmut, donnert er wie eine durchdrehende Lokomotive vorwärts, die nicht mehr zu kontrollieren ist.

Was nützt es Jeremia, seinem Sekretär Baruch erneut die Worte Gottes zu diktieren? Ist Jojakim nicht deutlich genug gewesen? Was hat Jeremia mit all der Mühe erreicht, die er auf sich genommen hat? Was hat es ihm gebracht? Traurigkeit und noch einmal Traurigkeit. „Ach“, klagt er, „dass mein Haupt Wasser wäre und mein Auge ein Tränenquell, so wollte ich die Erschlagenen der Tochter meines Volkes Tag und Nacht beweinen! … Ich wollte mein Volk verlassen und von ihnen wegziehen! Denn sie sind allesamt Ehebrecher, eine Rotte Treuloser“ (Jer 8,23; 9,1). Nicht umsonst klagt dieser Prophet: „Ich bin der Mann, der Elend gesehen hat durch die Rute seines Grimmes. Mich hat er geleitet und geführt in Finsternis und Dunkel“ (Klgl 3,1). Das Unheil, das er ankündigen musste, hatte er sich nicht selbst ausgedacht. Die Worte Gottes, die er weitergeben musste, peinigten ihn zutiefst in seiner eigenen Seele, sie entsetzen und erschütterten ihn. Er spürt es wie sein eigenes Leid und sagt deswegen: „HERR, du hast mich beredet, und ich habe mich bereden lassen; du hast mich ergriffen und überwältigt. Ich bin zum Gelächter geworden den ganzen Tag, jeder spottet über mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien, Gewalttat und Zerstörung rufen; denn das Wort des HERRN ist mir zur Verhöhnung und zum Spott geworden den ganzen Tag. Und spreche ich: ,Ich will ihn nicht mehr erwähnen und nicht in seinem Namen reden‘, so ist es in meinem Herzen wie brennendes Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen; und ich werde müde, es auszuhalten, und vermag es nicht“ (Jer 20,7-9).

Ja klar, auch in Jeremia loderte ein Feuer; ein ganz anderes Feuer übrigens als in Jojakims Kaminofen und Herzen, aber dennoch ein Feuer. Die Glut einer leidenschaftlich brennenden Liebe zu dem Gott Israels und zu seinem Volk, stark wie der Tod, hart wie der Scheol; ihre Gluten sind Feuergluten, eine Feuerglut des Herrn, die viele Wasser nicht auslöschen können und Ströme nicht wegzuspülen vermögen. Es ist dasselbe Feuer, das auch in Paulus’ Herz brannte und ihn den Korinthern zurufen ließ: „Dass ihr doch ein wenig Torheit von mir ertragen könntet! Doch ertragt mich auch! Denn ich eifere um euch mit Gottes Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen“ (2Kor 11,1.2). Und wie sollte es anders sein? Beide Männer waren ja beseelt von dem Geist Christi, der in ihnen war! (Vgl. 1Pet 1,11.)

Welchen Sinn hat es?

Und doch gibt es, gemessen am sichtbaren Effekt ihrer Predigt, diesen Unterschied: Jeremias Worte prallen von den verhärteten Herzen des Königs und des Volkes ab, während dies bei Paulus’ Worten nicht der Fall war. Also noch einmal: Welchen Sinn hatte Jeremias Auftreten? Kann ein einziger vorzeigbarer Segen verbucht werden, der die Folge von Jeremias Predigt war? Oder hatten gar die Reformen von König Josia einen positiven Einfluss auf die geistliche Entwicklung des Volkes? Du wirst vergeblich danach suchen und dich fragen, welchen Sinn sowohl Josias als auch Jeremias Anstrengungen als auch die Anstrengungen Schaphans und seiner Söhne hatten. Sie kämpften, mutig und ausdauernd; sie weihten alle ihre Gaben und Kräfte der Ehre des Herrn, dem Gott Israels, der im Tempel zu Jerusalem thronte, zum Wohlsein des Königs, der Stadt und des Volkes – doch vergeblich. Sie hätten Paulus nachsprechen, das heißt wie Paulus sagen können, dass sie in keinerlei Hinsicht einen Stolperstein darstellten: „Wir geben in keiner Sache irgendeinen Anstoße …, sondern wir erweisen uns selbst in allem als Diener Gottes … in Ausharren, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten …, in der Kraft Gottes; durch die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken [d.h. in der rechten und linken Hand] … als Traurige, aber allezeit uns freuend“ (2Kor 6,1-10). Doch sie konnten nicht sagen wie Paulus: „als Arme, aber viele reich machend“ (2Kor 6,10). Sieh, das war der Schmerz von Josia, Jeremia sowie Schaphan und seinen Söhnen. Dennoch ruft Jeremia es den Getreuen zu, wenn er im Seelenkampf seine Klage ausschüttet und den Tag seiner Geburt verflucht: „Singt dem HERRN, preist den HERRN! Denn er hat die Seele des Armen errettet aus der Hand der Übeltäter“ (Jer 20,13). Eine Sache wusste er: „Der Herr ist mit mir wie ein gewaltiger Held“ (Jer 20,11).

Für die Treuen waren es schwere, finstere Zeiten. Vielleicht am besten mit der Zeit zu vergleichen, die in Offenbarung 22,10 als eine Zeit angekündigt wird, die „nahe“ ist. Eine Zeit, in der die Trennung zwischen Treue und Untreue immer klarer ans Licht kommen wird und in der die Kluft zwischen bibeltreuer und bibeluntreuer Auslegung des Wortes Gottes immer größer werden wird. Eine Zeit, in der von dem Gottlosen gesagt wird, dass er noch mehr Unrecht tut, und von dem Schmutzigen, dass er ermutigt wird, sich noch schmutziger zu machen. Doch auch eine Zeit, in der dem Gerechten befohlen wird, noch mehr Gerechtigkeit auszuüben, und die Heiligen angefeuert werden, sich noch mehr zu heiligen. Hierdurch wird einerseits die Finsternis zunehmen und andrerseits auch das Licht. Der Kontrast zwischen beiden wird dadurch umso stärker hervortreten, wie es auch in den Tagen von Jeremia war. Doch wenn das in unserem Leben Wirklichkeit werden soll, dann sind wir dazu aufgefordert, praktische Gerechtigkeit und Heiligkeit auszuüben, einzutreten für die Ehre Gottes, für die in die Bresche zu springen, die geschmäht werden wegen des Namens Gottes und Christi. Jeremia und die Familie von Schaphan sind dafür gute Beispiele.

Im Abendland des christlichen Westens brauchen wir keine Illusionen zu haben, dass große Erweckungen stattfinden werden, durch die Massen zum Glauben kommen werden. Auch während der Reformen unter Josia kam es nicht zu einer Massenerweckung. Josia rechnete mit dem Götzendienst gründlich ab. Sogar der Altar in Bethel wurde niedergerissen und das Haus des Herrn in Jerusalem wurde von Grund auf gereinigt. Es wurde wieder weiter Raum für den Dienst Jahwes gemacht. Das war alles gewaltig, und zweifellos wurde dadurch der Herr großgemacht und verherrlicht, doch Scheinheiligkeit war tonangebend. Die große Masse kehrte sich weiterhin von Gott ab, klammerte sich an die Götzen und machte keinen Gebrauch von dem Raum, der für den Herrn durch die Reformen entstanden war, um Ihm zu dienen. Am Vorabend der Wegführung nach Babel wurden die Toren noch törichter und die Weisen noch weiser, doch die Toren bekehrten sich nicht. Im Gegenteil, ihre Abkehr nahm immer weiter zu, so wie auch in unseren Tagen christliche Toren sich aufmachen, das Wort Gottes noch mehr zu verfälschen, um es auf diese Weise den eigenen Vorstellungen zu unterwerfen. Um, genau wie Jojakim, ihre eigenen phantastischen Bauwerke, die mit Gottes Bauwerk und seinen Plänen nichts zu tun haben, zu verwirklichen mittels der Befreiungstheologie und nach New Age duftenden konziliaren Prozessen, die nach menschlichen Denkmustern gestrickt sind; Hirngespinste des Abgrunds, zu dem sie selbst unterwegs sind. Die Lokomotive ihrer Träume donnert, genau wie die von Jojakim, immer schneller vorwärts. Unaufhaltsam rast sie in Richtung Offenbarung 18, wo Gott sie zum Stillstand bringen wird, wenn an einem Tag das Gericht an ihr vollzogen werden wird. Und ebenso wie der Leichnam von Jojakim die Israeliten mit Schauder und Entsetzen erfüllt haben wird, seine Feinde jedoch erfreute, werden an diesem Tag die Könige der Erde sich über das gefallene Babylon entsetzen und weinen und wehklagen; doch der Himmel und die Heiligen, die Apostel und die Propheten werden sich über sie freuen, weil Gott ihre Rechtssache ausgeführt hat.

Wo bleiben die Weisen?

Auf christliche Toren zu zeigen, ist eine Sache; aber auf christliche Weisen zu zeigen, ist eine andere Sache. Es wäre falsch, zu behaupten, dass gegenüber den Mächten der Finsternis, die sich in schnellem Tempo bewaffnen, keine vermehrte Aktivität feststellbar wäre bei denen, die die Waffen des Lichts führen. Es ist nicht schwierig, verschiedene positive christliche Aktivitäten zu nennen, mit denen christliche „Weisen“ beschäftigt sind, um „noch mehr Gerechtigkeit zu bewirken und sich noch mehr zu heiligen“. Es ist lediglich die Frage, ob das auch bei mir feststellbar ist; ob meine Lampe mehr Licht gibt; ob ich mehr Gerechtigkeit ausübe; ob ich mich geheiligt habe; ob ich in der Gnade und Erkenntnis des Herrn Jesus Christus gewachsen bin und ob das sichtbar geworden ist. Es ist Gottes Wille, dass hier auf der Erde inmitten der Gottesverfinsterung ein Zeugnis für Ihn vorhanden ist, das für seine Ehre kämpft. Die Gläubigen dürfen dabei nach seinem baldigen Kommen Ausschau halten: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist“, ruft er seinen Sklaven zu (Off 22,12). Diese Verheißung galt schon für die Treuen der alten Haushaltung (Jes 40,10; 62,11); wie viel mehr muss dieses Wort uns, die wir dem Tag seines Kommens schon so nah gekommen sind, ansprechen und ermutigen. Und das umso mehr, da wir sehen, dass alles um uns her zunehmend auf das baldige Kommen unseres Heilands hinweist.


Originaltitel: „De familie van Safan, stralende sterren in en duistere nacht“
übersetzt aus Bode des Heils in Christus, Jg. 134, 1991

Übersetzung: Stephan Winterhoff

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