Christ und Politik
Wie können Christen Politik machen?

Hans-Joachim Kuhley

© H.-J. Kuhley, online seit: 01.01.2001, aktualisiert: 13.11.2023

Einleitung

In diesem Jahr [1994] finden in Deutschland zahlreiche Wahlen statt. Auch um die Stimmen der Christen wird von verschiedenen Seiten mit einer Vielzahl von Argumenten geworben. Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, auf Einzelheiten einzugehen, sondern wir möchten nur auf einige biblische Gesichtspunkte zum Thema Politik hinweisen.

Von dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau – dem „Alten Dessauer“ – ist folgendes Gebet überliefert, das er im Zweiten Schlesischen Krieg vor der Schlacht bei Kesselsdorf (15.12.1745) öffentlich gesprochen hat:

Lieber Gott, stehe mir heute gnädig bei! Oder willst Du nicht, so hilf wenigstens die Schurken, die Feinde nicht, sondern siehe zu, wie es kommt![1]

Wir lachen vielleicht darüber. Aber welche Vorstellungen haben wir eigentlich von dem Einfluss Gottes und der Menschen auf das politische Geschehen; sind sie biblisch begründet? Das ist sicher eine notwendige Überlegung im Superwahljahr 1994. Teilen doch sogar manche Verlautbarungen von christlicher Seite – vielleicht unbewusst – Gott eine ähnliche Statistenrolle zu wie „der Alte Dessauer“! Jeder Gläubige sollte das Wahlgeschehen außerdem zum Anlass nehmen, sich erneut auf seine biblischen Aufgaben in dieser Welt und seinen Mitbürgern (Nächsten) gegenüber zu besinnen.

Die Problematik

Bei seinem Verhör sagt der Herr zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, so hätten meine Diener gekämpft“ (Joh 18,36). Sein Reich und die Welt unterscheiden sich demnach deutlich im Charakter und in den Methoden. „Welt“ ist hier offensichtlich nicht mit „Menschheit“ identisch; was ist sie dann?

Etwas später rühmt sich Pilatus seiner Machtbefugnisse. Der Herr erkennt sie als rechtmäßig an, erinnert ihn aber zugleich mit den Worten „Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; darum hat der, der mich dir überliefert hat, größere Sünde“ (Joh 19,11) an die Quelle jeder Autorität und daran, dass eigenmächtiger Umgang mit Regierungsgewalt Sünde ist. Wir hören hier schon äußerst wichtige Grundsätze zum Thema „Obrigkeit“ heraus, mit dem wir uns noch eingehender beschäftigen müssen.

Kurz darauf befiehlt dieser ungerechte Richter, einen Justizmord an dem Herrn zu begehen, Ihn zu kreuzigen. Petrus erklärt später, durch den Heiligen Geist geleitet, zu diesem Vorgang: „Gott aber hat so erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten vorher verkündigt hat, dass sein Christus leiden sollte“ (Apg 3,18). Gottes Allmacht lässt menschlichen Machtmissbrauch zu, ja benutzt ihn sogar für seine Pläne! Auch auf „Gottes Regierungswege“ wollen wir noch einmal zurückkommen.

Was ist die „Welt“?

Der Ausdruck „Welt“ (griech. kosmos) hat im NT verschiedene Bedeutungen. Manchmal ist das Weltall oder nur die Erde als Wohnbereich des Menschen und Schauplatz der Weltgeschichte gemeint (z.B. Joh 1,10; Apg 17,24; 1Kor 4,9), an anderen Stellen die Gesamtheit der Menschen (z.B. Joh 3,16). Aber „Welt“ kann in der Alltagssprache auch so etwas wie einen abgegrenzten geistigen oder kulturellen Bereich bedeuten, zum Beispiel Welt der Kunst oder Finanzwelt; jede dieser Welten hat ihre eigenen Maßstäbe und Entwicklungsgesetze. Auch das NT benutzt „Welt“ in diesem Sinn, nämlich zur Bezeichnung des von Satan beherrschten Bereichs, in dem sich das menschliche Dasein losgelöst von Gott, in Rebellion gegen Ihn, vollzieht. Kinder Gottes, Erlöste, gehören nicht mehr diesem gottlosen System „Welt“ an; sie sind von Gott „errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe“, wie wir in Kolosser 1,13 lesen.

Der Charakter der Welt

Mit dem Sündenfall begann die bewusste Abkehr des Menschengeschlechts von seinem Schöpfer und damit ein unheilvoller Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf Satans irdischer Herrschaftsbereich „Welt“ immer deutlicher Gestalt annahm. Die innere Einstellung und das Verhalten der meisten Menschen gerieten dabei immer krasser in Gegensatz zu Gottes Gedanken, ständig stärker unter Satans Einfluss – Gewalt, Götzendienst und moralischer Niedergang waren die Folgen.

Mit der Sendung seines Sohnes stellte Gott dann die Welt vor die endgültige Entscheidung – sie entschied sich gegen Ihn und ermordete seinen Sohn. „Wenn ich nicht die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen und gehasst sowohl mich als auch meinen Vater“ (Joh 15,24). Seit Golgatha unterliegt der wahre Charakter der Welt keinem Zweifel mehr:

  • Satan ist der Fürst (Joh 12,31; 16,11) und der Gott (2Kor 4,4) dieser Welt.
  • Die ganze Welt liegt in dem Bösen (1Joh 5,19).
  • Die ganze Welt ist dem Gericht Gottes verfallen (Röm 3,19).

Die Welt als Ganzes hat also nur noch Gericht zu erwarten. Unser Auftrag lautet daher nicht, die Welt wieder in Ordnung zu bringen (das hat sich der Herr für sein Friedensreich vorbehalten), sondern die Menschen vor diesem Gericht zu warnen. Das Evangelium wendet sich ausschließlich an Einzelpersonen, um sie aus der Welt herauszurufen. (Das griechische Wort für Versammlung, Gemeinde, ekklesia, bedeutet wörtlich „die Herausgerufene“.)

Der Christ in der Welt

Sobald jemand Christus, den die Welt ja hinausgeworfen hat, als seinen Herrn annimmt und Ihm treu nachfolgt, wird er automatisch zu einem Fremden und Fremdkörper für seine Umgebung. Er befindet sich vielleicht noch unter den gleichen Verwandten, Nachbarn und Kollegen, aber beide Seiten spüren zunehmend, dass er innerlich nicht mehr dazugehört. In dem Maß, wie ein Erlöster beim Bibellesen Gottes Gedanken erfasst und den Charakter der Welt durchschaut, wird er sich in seiner Einstellung und seinem Verhalten mehr und mehr von diesem System lösen. Das bringt oft Spott oder Hass mit sich: „Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieb haben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh 15,19). Diese Sachlage kommt sehr klar in dem bekannten Lied zum Ausdruck:

Ich bin entschieden, zu folgen Jesus. Niemals zurück.
Ob niemand mit mir geht, doch will ich folgen. Niemals zurück.
Die Welt liegt hinter mir, das Kreuz steht vor mir. Niemals zurück.{{Liederbuch Jesu Name nie verklinget, Bd. 1, Nr. 183. Text: Sadhu Sundar Singh.}

Biblisches Verhalten zur Welt

Es ist also klar: Christen sollten bezüglich der Grundsätze, die sie ihren Auffassungen, Handlungen und Bestrebungen zugrunde legen, nichts mehr mit der Welt gemeinsam haben. Das heißt aber keineswegs, dass sie den Menschen der Welt gegenüber – die Gott liebt (Joh 3,16) – keine Aufgaben mehr hätten. Gottes Wort weist ihnen zwei Pflichten zu:

  • Unter einem verdrehten und verkehrten Geschlecht wie Himmelslichter zu sein (Phil 2,15), das Böse zu meiden und Stellung dagegen zu beziehen:
    Eph 5,11: Habt nichts gemein mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern stellt sie vielmehr bloß (Rev. Elb).

  • Den Dienst der Versöhnung, das heißt, die Mitmenschen als Gesandte Christi zu bitten:
    2Kor 5,18.20: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Beides können wir nur insoweit, als wir die ungöttlichen Merkmale und Verhaltensweisen der Welt selbst abgelegt haben.

Was bedeutet „Obrigkeit“?

Das unter anderem in Römer 13 mit „Obrigkeit“ übersetzte Wort (griech. exousia) wird häufig auch mit „Gewalt“ (nicht im Sinn von Zwangsanwendung) wiedergegeben. „Obrigkeit“ soll mehr den Inhaber von Regierungsgewalt oder Amtsbefugnissen (Behörden oder Einzelpersonen) bezeichnen; „Gewalt“ dagegen die Fähigkeit bzw. Autorität, etwas zu tun oder zu befehlen, sodann auch den Herrschaftsbereich. Als normale Aufgabe der Obrigkeit könnte man die Organisation, die Aufrechterhaltung, den Schutz und (notfalls) das Erzwingen der Ordnung im menschlichen Zusammenleben bezeichnen.

Sie ist eine göttliche Einrichtung

Seitdem die Sünde in die Welt gekommen war, zerstörten Egoismus, Gewalt und Unterdrückung mehr und mehr das Zusammenleben der Menschen: „Die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat“ (1Mo 6,11). Da Gott sich die Todesstrafe bis dahin selbst vorbehalten hatte (das Blut Abels schrie zu Ihm), antwortete Er mit der Sintflut. Aber die menschliche Natur blieb unverändert. Deshalb traf Gott Vorkehrungen, um die Auswüchse menschlicher Bosheit zu begrenzen, insbesondere das Leben des Menschen vor seinem Nächsten zu schützen. (Die Lawine der Gewalt hatte mit der Ermordung Abels begonnen.) Gott verlieh zunächst Noah und seinen Söhnen (aber nicht auf sie beschränkt) die Berechtigung und die Pflicht, bei Mord die Todesstrafe zu vollziehen: „Wer Menschenblut vergießt, durch Menschen soll sein Blut vergossen werden; denn im Bild Gottes hat er den Menschen gemacht“ (1Mo 9,6). Mit dieser Anordnung wird die Obrigkeit als göttliche Einrichtung eingeführt und ihre äußerste Grenze abgesteckt. Gott hat diesen Auftrag nie widerrufen. Paulus schrieb deshalb an die Römer: „Jede Seele sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan; denn es gibt keine Obrigkeit, außer von Gott, diejenigen aber, die bestehen, sind von Gott eingesetzt. Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes“ (Röm 13,1.2).

Der Christ und die Obrigkeit

Für einen Christen ist es bei Beachtung der vorstehenden Verse und ähnlicher Schriftstellen wie Titus 3,1.2 und 1. Petrus 2,13-17 ziemlich einfach, sein Verhältnis zur Obrigkeit richtig zu gestalten: Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott ist; er hat keine andere Pflicht, als ihr bzw. ihren Repräsentanten Gehorsam zu leisten. Er tut es nicht nur aus Furcht vor Strafen, sondern um des Herrn (1Pet 2,13) und um des Gewissens willen (Röm 13,5). Denn in der Obrigkeit respektiert er Gott, der ihr Autorität verliehen hat.

Damit kommen wir zu der einzigen Ausnahme: Ein Christ muss der Obrigkeit den Gehorsam verweigern, wenn sie die Übertretung eines göttlichen Gebotes von ihm verlangen sollte. In diesem Fall hätte er Gott mehr zu gehorchen als Menschen (Apg 5,29), wie es schon Daniel und seine drei Gefährten taten, was oft Nachteile, Leiden, im Extremfall den Tod bedeutet.

Sind nur gute Obrigkeiten von Gott?

Eine besondere Versuchung für uns, den schuldigen Gehorsam zu verweigern, liegt im Machtmissbrauch einer Obrigkeit. Da alle irdischen Machthaber sündige Menschen sind, besteht immer die Gefahr, dass Regierungsgewalt oder andere rechtmäßige Autorität missbraucht bzw. fehlerhaft gehandhabt wird. Bibel und Geschichte wissen unzählige Fälle zu berichten. Dennoch erlaubt die Schrift uns nicht, ungerechter Obrigkeit (sofern nicht die oben genannte einzige Ausnahme vorliegt) den Gehorsam zu verweigern (vgl. 1Pet 2,18.19). Sie ist nicht uns, sondern Gott Rechenschaft schuldig, der ihr die Macht verliehen hat. Wir erinnerten uns bereits daran, wie ungerecht der Herr am Ende seines Lebens behandelt wurde; von Ihm heißt es: „Der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der recht richtet“ (1Pet 2,23). So müssen auch wir es Gott überlassen, wen Er zur Erfüllung seiner Pläne über uns stellt und wie lange. – Das leitet zur Betrachtung von Gottes Regierungswegen über.

Wer bestimmt den Lauf der Geschichte?

Vordergründig handeln Menschen – sie erobern, machen Revolutionen oder wählen; von ihnen berichten die Geschichtsbücher. Für den Bibelleser gibt es dennoch keinen Zweifel: Gott hält alle Fäden in seiner Hand. „Der HERR hat in den Himmeln festgestellt seinen Thron, und sein Reich herrscht über alles“ (Ps 103,19). „Unser Gott ist in den Himmeln; alles, was ihm wohlgefällt, tut er“ (Ps 115,3). Er allein lenkt die Geschichte, und zwar nach einem feststehenden Plan (Eph 1,9.10). Er sagt in Jesaja 46,10.11 von sich: „Der ich von Anfang an das Ende verkünde und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun; der ich einen Raubvogel rufe von Osten her, aus fernem Land den Mann meines Ratschlusses. Ich habe geredet, und werde es auch kommen lassen; ich habe entworfen und werde es auch ausführen.“

Andernfalls wäre jede Art biblischer Prophetie ganz undenkbar. Denken wir nur an die präzisen Vorhersagen über das Leben und Sterben unseres Herrn, die Jahrhunderte vor seiner Geburt geschrieben wurden! Man könnte fast ein Evangelium daraus zusammenstellen. Übrigens wäre auch die Aussage, dass jede Obrigkeit von Gott ist, nicht gut möglich, wenn Gott in seinem geschichtlichen Handeln nicht absolut unumschränkt wäre. Er brauchte also in der Schlacht bei Kesselsdorf nicht „zusehen, wie es kommt“; Er braucht die Wahlergebnisse des Superwahljahres nicht abzuwarten – Er hat sie festgelegt. Ohne seinen Willen fällt kein Sperling vom Dach, kein Haar von unserem Haupt.

Bezüglich der Mächtigen aller Schattierungen sagte schon Hiob von Gott: „Bei ihm ist Kraft und vollkommenes Wissen; sein ist der Irrende und der Irreführende. Er führt Ratgeber beraubt hinweg, und Richter macht er zu Narren. Die Herrschaft der Könige löst er auf und schlingt eine Fessel um ihre Hüften. Er führt Priester beraubt hinweg, und Feststehende stürzt er um. … Er vergrößert Nationen, und er vernichtet sie … Er entzieht den Häuptern der Völker der Erde den Verstand und macht sie umherirren in pfadloser Einöde“ (Hiob 12,16-24). Haben wir nicht genau das in jüngster Zeit erleben dürfen?

Die andere Macht in der Geschichte

Trotz des soeben Gesagten lässt die Weltgeschichte durchaus nicht nur die Handschrift Gottes erkennen. Wir können mühelos feststellen, dass seit frühester Zeit zwei geistliche Mächte mit gegensätzlicher Zielsetzung in der Geschichte wirksam waren und sind: die Macht Gottes und die „Weltbeherrscher dieser Finsternis“, „die geistlichen Mächte der Bosheit“ (Eph 6,10-12). Wir fanden bereits, dass der Mensch Gott schon sehr zeitig den Gehorsam kündigte und den Einflüsterungen Satans Gehör schenkte, „dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams“ (Eph 2,2). Die entscheidende Frage ist, ob diese Mächte die Pläne Gottes mit dieser Erde stören oder gar durchkreuzen können. Das können wir verneinen, denn sowohl der Verführer wie die Verführten sind Geschöpfe; Gott benutzt sie als Werkzeuge, bis Er sie richtet. Am deutlichsten wird das bei der Tötung unseres Herrn, wo sich böse Menschen und die Macht der Finsternis vereinten: „Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis“ (Lk 22,53). Der scheinbar größte Sieg des Feindes war seine endgültige Niederlage: „damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel“ (Heb 2,14). Zu seinen Brüdern sagt Joseph: „Ihr zwar, ihr hattet Böses gegen mich im Sinn; Gott aber hatte im Sinn, es gut zu machen …, um ein großes Volk am Leben zu erhalten“ (1Mo 50,20). Bei den gewaltigen Endereignissen der Offenbarung wird sich ein letztes Mal bewahrheiten: „Der Grimm des Menschen wird dich preisen; mit dem Rest des Grimmes wirst du dich gürten“ (Ps 76,11), das heißt, auch gottfeindliche Aktivitäten tragen ungewollt zur Erfüllung seiner Pläne und damit zu Gottes Ruhm bei.

Wie macht Gott Geschichte?

Gott stehen also alle Dinge und alle Wesen unumschränkt zur Verfügung. Er wirkt durch seine Engel (Ps 103,20.21; Heb 1,14), durch Kriege, Epidemien, Hungersnöte oder Naturereignisse wie Fluten, Erdbeben usw. „Der ich … den Frieden mache und das Unglück schaffe – ich, der HERR, bin es, der dies alles wirkt“ (Jes 45,7). Er lenkt die Geschichte ebenso durch Einsetzen und Hinwegtun von Herrschern oder Regierungen: „Er ändert Zeiten und Zeitpunkte, setzt Könige ab und setzt Könige ein“ (Dan 2,21). „Ich gab dir einen König in meinem Zorn und nahm ihn weg in meinem Grimm“ (Hos 13,11). Außerdem beeinflusst Gott politische Strömungen und Konzepte: „Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des HERRN; wohin immer er will, neigt er es“ (Spr 21,1). Das machen die folgenden zwei Verse besonders deutlich: „Er wandelte ihr Herz, sein Volk zu hassen, Arglist an seinen Knechten zu verüben“ (Ps 105,25), und: „Er ließ sie Erbarmen finden vor allen, die sie gefangen weggeführt hatten“ (Ps 106,46).

Gottes Handeln und die Verantwortung der Regierenden

Wenn Gott Herrscher als Werkzeuge zur Ausführung seiner Pläne gebraucht, sind diese dann überhaupt für ihr Vorgehen verantwortlich zu machen? Darüber besteht kein Zweifel. Gottes unumschränktes Handeln enthebt niemand der Verantwortung für sein persönliches Verhalten (Pred 12,13.14; Off 20,12). Das wird zum Beispiel im Zusammenhang mit der Kreuzigung des Herrn sehr klar: „Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, so wie auch eure Obersten. Gott aber hat so erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten zuvor verkündigt hat, dass sein Christus leiden sollte. So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden“ (Apg 3,17-19; vgl. zu „Sünden“ Apg 5,30; 7,52). – Es bleibt bestehen: „Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7).

Wie kann man Gottes Handeln beeinflussen?

Wenn wir die Schrift daraufhin untersuchen, stellen wir fest, dass es im Gegensatz zu allerlei Vorstellungen nur zwei reale Möglichkeiten dazu gibt: Gebet bzw. Fürbitte und Umkehr (Buße). Eigentlich ist das nach allem, was wir vorher betrachtet haben, völlig logisch. Salomo bittet Gott anlässlich der Tempeleinweihung ausdrücklich, doch stets auf Umkehr und Gebet zu reagieren, und Er sagt es ihm zu. „Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel“ (Jak 5,16). Als Beweis wird Elias zur Zeit der Diktatur Ahabs angeführt. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, weitere Beispiele anzuführen, aber jeder Bibelleser könnte sicher Dutzende davon nennen, wie Gott auf Gebet und Buße hin in erstaunlichem Umfang in die Geschichte eingegriffen hat. Buße und Gebet stehen auch Ungläubigen offen, wie zum Beispiel die Berichte über den König und das Volk von Ninive in Jona 3 oder den König Manasse (2Chr 33,12.13) belegen.

Aber wenn Gottes Geduld nach vielen Aufrufen zur Umkehr erschöpft ist und das Gericht unabänderlich feststeht, dann sagt Er: „Bitte nicht für dieses Volk und erhebe weder Flehen noch Gebet für sie, und dringe nicht in mich; denn ich werde nicht auf dich hören“ (Jer 7,16). Für Jeremia war das schwer zu fassen. Deshalb wird ihm noch einmal ganz deutlich gesagt: „Wenn auch Mose und Samuel vor mir ständen, so würde meine Seele sich nicht zu diesem Volk wenden“ (Jer 15,1).

Wie konnten und können Gläubige im Blick auf Gottes Absichten das Richtige erbitten? Er sagt doch: „Wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ (Jes 55,9). Die Antwort gibt Amos 3,7, wo wir lesen, dass Er nichts tut, „es sei denn, dass er sein Geheimnis seinen Knechten, den Propheten, offenbart habe“. – Auch den Christen hat Gott im Neuen Testament verlässliche Informationen übermittelt, was der Welt und den einzelnen Verlorenen bevorsteht. Sie kennen den Schrecken des Herrn, aber auch seine Rettungsabsichten; somit können sie ganz gezielt beten bzw. ihre Kräfte einsetzen.

Schlussgedanken

Wie können wir uns in einer vom Gericht bedrohten Welt (im biblischen Sinn) „zeitgemäß“ verhalten und betätigen? – Zunächst müssen wir sicher unserer Aufgabe als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ gerecht werden (ich verweise auf den Artikel „Salz und Licht“ im vorigen Heft). Dann erwartet unser Herr, dass wir wie Er ein Herz für die Not unserer Mitgeschwister und unseres Nächsten haben (Gal 6,10; Eph 2,10; Kol 1,10; Tit 2,14; 1Pet 2,12 u.a.). Aber vor allem sind wir Gesandte für Christus (2Kor 5,20). Die Schaffung und Aufrechterhaltung von Voraussetzungen für eine ungestörte Botschaftertätigkeit ist Angelegenheit seiner Regierung, nicht des Botschafters. Das trifft auch für uns Christen zu (Apg 4,23-31). Wir müssen uns nicht selbst aktiv in die Angelegenheiten dieser Welt einmischen.

Den Weggeführten in Babylon ließ Gott sagen: „Sucht den Frieden der Stadt, wohin ich euch weggeführt habe“ – durch welche Form von Engagement? „Betet für sie zum HERRN; denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben“ (Jer 29,7). So werden wir Christen „vor allen Dingen“ – es berührt unsere wichtigste irdische Aufgabe – ermahnt, „dass Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen getan werden für alle Menschen, für Könige und alle, die in Hoheit sind, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst. Denn dies ist gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1Tim 2,1-4). Wir haben durch die Gnade freien Zugang zu unserem himmlischen Vater. Lasst uns nicht diese einzigartige Möglichkeit, „Politik zu machen“, geringschätzen oder versäumen. Unsere Zeit braucht nichts nötiger als Beter.

Ist dir das zu wenig? Lass dich durch Lots Geschichte warnen. – Sodom war reif zum Gericht. Dennoch meinte Lot, dort im Tore (wo die öffentlichen Angelegenheiten erledigt wurden) sitzen zu müssen, damit wenigstens ein Gerechter positiven Einfluss auf die Stadtpolitik nähme. Die Welt empfand das Unpassende dieses Verhaltens (1Mo 19,9), er selbst leider nicht. „Fünf Minuten vor Zwölf“ trieben ihn die beiden Engel an seine eigentliche Aufgabe: seinen Nächsten das Evangelium zu sagen. Diese konnten es aus seinem Mund nur für einen Scherz halten und kamen um. – Armer Lot! Er selbst wurde zwar gerettet, aber nur weil Gott an den Beter Abraham dachte (1Mo 19,29).


Originaltitel: „Wie können Christen Politik machen“
aus Folge mir nach, 3/1994, S. 23–29

Anmerkungen

[1] Zitiert aus: Karl Otmar Freiherr von Aretin u.a., Friedrich der Große. Herrscher zwischen Tradition und Fortschritt, München (Orbis) 1991, S. 81.

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