Ich darf dich nicht ärgern
Römer 14,13

Jacob Gerrit Fijnvandraat

© SoundWords, online seit: 28.01.2003, aktualisiert: 17.11.2022

Leitvers: Römer 14,13

Röm 14,13: Lasst uns nun nicht mehr einander richten, sondern richtet vielmehr dieses: dem Bruder nicht einen Anstoß oder ein Ärgernis zu geben.

Ich darf dich nicht ärgern

Als Gläubiger habe ich, was mein praktisches Leben betrifft, zuerst mit meinem Verhältnis zu Gott zu tun. Ich bin kein Sklave unter einem Gesetzessystem mehr, sondern stehe in der Freiheit. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich einfach tun und lassen kann, was ich will. Die Bibel sagt, dass wir so leben sollen, dass wir „Gott gefallen“ (1Thes 4,1). Gott muss mit Freude auf uns schauen und gleichsam sagen können: Okay, weiter so.

Wir haben im Leben jedoch nicht nur mit Gott zu tun, sondern auch mit unseren Mitchristen. Das Verhältnis zu ihnen muss durch das beherrscht werden, was die Bibel „Bruderliebe“ nennt (1Thes 4,9). Die Liebe zu Gott beinhaltet, dass wir nichts tun dürfen, worüber Gott sich nicht so sehr freut. Die Liebe zu den Brüdern beinhaltet, dass wir nichts tun dürfen, was unserem Bruder schadet.

Was das Erste betrifft, dürfen wir unseren Brüdern oder Schwestern sozusagen nicht „auf die Füße treten“. Wir müssen ihnen ihre Freiheit gönnen und dürfen ihnen nicht vorschreiben, was sie in ihrem Privatleben tun sollen oder nicht. Wir dürfen ihnen nicht unseren Lebensstil auferlegen und auch nicht beanspruchen, dass sie ihr Leben unseren Wünschen anpassen. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir nicht ständig bei jemand wegen einer Tasse Kaffee klingeln oder jemand, der eine sehr anstrengende Arbeit hat, regelmäßig bitten, etwas für uns zu erledigen. Wir kennen die Redensart „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“. Der Herr sagt dies allerdings viel positiver: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch“ (Mt 7,12).

Ärgern – was ist das?

Es geht jedoch um mehr. Wir dürfen unserem Bruder auch keinen Schaden zufügen. Ich meine natürlich nicht, dass wir seine Fensterscheiben nicht einwerfen oder nicht über sein Blumenbeet laufen dürfen. Nein, es geht mir darum, dass wir unserem Bruder oder unserer Schwester keinen geistlichen Schaden tun dürfen, indem wir unsere Freiheit ausnutzen. Wir müssen manchmal auf etwas verzichten, wozu wir selbst vor unserem Gewissen vollkommene Freiheit haben, wodurch wir ihm oder ihr aber geistlichen Schaden zufügen würden. Das ist gemeint, wenn es in der Elberfelder Bibel heißt: „… sondern richtet vielmehr dieses: dem Bruder nicht einen Anstoß oder ein Ärgernis zu geben“ (Röm 14,13).

Über diesen Punkt bestehen unter denen, die mit dieser Übersetzung aufgewachsen sind, hier und da Missverständnisse. Wir kennen das Wort „ärgern“ im normalen Sprachgebrauch nämlich nicht in der Bedeutung, die es hier hat. Wir verstehen darunter, dass wir jemand mit unserem Verhalten „ärgerlich machen“. Nun sollten wir auch das – soweit es in unserer Macht steht – zu vermeiden suchen, aber dieses „Ärgern“ ist in Römer 14,13 nicht gemeint. Die Neue Genfer Übersetzung gibt diesen Text besser wieder: „Achtet darauf, alles zu vermeiden, was ihm ein Hindernis in den Weg legen und ihn zu Fall bringen könnte.“

Schwache und Starke

In der Heidenwelt von damals konnte ein Gläubiger die richtige Erkenntnis haben, dass ein Götze nichts ist und dass an dem Fleisch von Opfertieren, das auf dem Fleischmarkt verkauft wurde, demnach nichts Schlimmes war. Vor seinem Gewissen konnte er dieses Fleisch also ruhig essen. [Das gilt nicht für das Essen des Opferfleischs als Teil des heidnischen Kults; siehe 1Kor 10,14-22.] Und wenn jemand daran Kritik übte, schreibt Paulus: „Denn warum wird meine Freiheit von einem anderen Gewissen beurteilt? Wenn ich mit Danksagung teilnehme, warum werde ich geschmäht für das, wofür ich danksage?“ (1Kor 10,29.30). Paulus ließ sich seine Freiheit also nicht von solchen Kritikern einschränken. Er warnt jedoch davor, ein Hindernis für Juden, Griechen oder die Gemeinde Gottes zu sein (1Kor 10,32). Dabei geht es nicht um „nicht ärgern“ und auch nicht um besserwisserische Kritiker. Nein, Paulus hat Gläubige im Auge, die schwach im Glauben sind und durch das Beispiel eines anderen zu Fall kommen könnten. Isst ein Starker im Glauben beispielsweise Opferfleisch in Gegenwart eines solchen schwachen Bruders, der vor seinem Gewissen keine Freiheit hat, Opferfleisch zu essen, durch das Beispiel des „starken“ Bruders aber sein Gewissen zum Schweigen bringt und Opferfleisch isst, so sündigt dieser „schwache“ Bruder, weil sein Handeln nicht auf Glauben gegründet ist. Er verschließt sein Gewissen und kommt zu Fall. Aber … der „starke“ Bruder ist dann mit die Ursache für diesen Fall.

Wenn ich mich nicht um meinen schwachen Bruder kümmere, weil ich für mich selbst die Freiheit sehe, von dem Opferfleisch zu essen, handele ich zwar nach meiner Erkenntnis, aber nicht nach der Liebe, und das ist falsch.

Nochmals: Es gibt eine Begrenzung meiner Freiheit in dem Sinne, dass ich versuchen muss zu vermeiden, etwas zu tun, was meinem Bruder zum geistlichen Schaden ist. Tatsächlich geht diese Einschränkung also weiter als der Gebrauch meiner Freiheit in der Gesellschaft.

Das Beispiel des Essens von Opferfleisch spielt in heidnischen Gebieten noch immer eine Rolle. In unserem Land haben wir (noch) nicht damit zu tun. Aber wir können es auf einem anderen Gebiet durchaus auf uns übertragen. Wenn jemand meint, dass der Genuss von Alkohol sündig ist, und ich weiß, dass er doch eine Schwäche dafür hat, darf ich ihm kein Glas Wein anbieten und muss in seiner Anwesenheit vielleicht auch selbst den Wein stehen lassen.

Verärgerung ist unvermeidlich; Ärgern im Sinne von „ärgerlich machen“ ist unvermeidlich, außer wenn man gar nichts tut. Die jüdischen Führer ärgerten sich darüber, dass der Herr Jesus mit Zöllnern und Sündern aß (Lk 15,1). Das hielt den Herrn jedoch nicht davon ab, weiter mit diesen „verlorenen“ Menschen Umgang zu haben.

Wie gesagt: Wir sollten versuchen, Verärgerung bei unseren Brüdern und Schwestern zu vermeiden, aber ihre Kritik darf uns niemals von Arbeiten abhalten, von der wir die Überzeugung haben, dass Gott sie uns aufgetragen hat, und mit der keine sündigen Praktiken verbunden sind. Hier gilt, dass jeder Arbeiter seinem eigenen Herrn steht und fällt.

Wenn jemand Kritik an uns übt, müssen wir immer versuchen festzustellen, was sein Motiv ist, und – wenn möglich – auf seine Kritik Rücksicht nehmen, aber wir brauchen unseren Lebensstil nicht von anderen bestimmen zu lassen.

Die, die draußen sind

Der Vollständigkeit halber bemerke ich noch, dass in 1. Thessalonicher 4,1-12 nicht nur von unserem Verhältnis zu Gott und zu den Brüdern gesprochen wird, sondern auch zu denen, die draußen sind. Die Anweisung ist, dass wir ihnen gegenüber anständig wandeln sollen.


Orginaltitel: „Ik mag jou niet ergeren“
aus Bode van het heil in Christus, Jg. 143, 2000/3, S. 8–9,
auch auf www.jaapfijnvandraat.nl

Übersetzung: Michael Schneider (www.schneid9.de)

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