Einer, der unsere Nöte kennt
... der Mensch Christus Jesus

John Nelson Darby

© SoundWords, online seit: 20.12.2002, aktualisiert: 29.10.2022

Leitverse: Psalm 16; 22; 23

Was wir in den Psalmen geschrieben finden, bezieht sich in erster Linie auf die Juden oder auch auf den Herrn Jesus selbst, und zwar ganz besonders in seinem Charakter als Messias. Sie nehmen hauptsächlich Bezug auf den gläubigen Überrest der letzten Tage, und viele ihrer Ausdrücke sind durchaus jüdisch und können von der Kirche nicht benutzt werden. Dies ist der Schlüssel zu so vielen Stellen, die manchen Gläubigen, die dies nicht erkannten, so vielfach große Schwierigkeiten bereiteten. Die Gläubigen der Jetztzeit zum Beispiel können richtigerweise nicht die Vernichtung ihrer Feinde herbeiwünschen, um Trübsalen zu entgehen; während es in der kommenden Zeit der großen Drangsal für die Juden ganz richtig sein wird, ihre Befreiung durch Gerichte zu erwarten. Diese Gerichte hängen mit den Verheißungen Gottes zusammen, und jüdische Hoffnungen werden sich an einem späteren Tage darauf stützen. Allein die Erwartung der Kirche ist die Entrückung. Sie wird also dadurch aller Trübsal entfliehen, dass sie beim Herrn in den Himmeln sein wird. Sie erfährt sein Mitgefühl in ihren Leiden auf der Erde. Die Psalmen aber beschäftigen sich hauptsächlich mit den inneren und äußeren Leiden der gottseligen Juden und mit Gott, der durch Gericht einschreitet und sie befreit, indem Er ihren Feinden Vergeltung gibt. Christus wird in den Psalmen betrachtet als in inniger Verbindung mit Israel und in alle Leiden des gläubigen Überrestes eintretend.

Dann gibt es gewisse Psalmen, die sich persönlich auf Christus beziehen. Sie zeigen uns vorzugsweise den Charakter des Geistes Christi, wie die Evangelien uns Ihn vornehmlich in seinem Wandel und seinen Werken zeigen. Die Evangelien stellen uns denjenigen vor die Augen, in dem keine Selbstsucht war; sie zeigen uns das Herz, das für alle fühlte. So tief sein eigener Schmerz auch sein mochte, so dachte und sorgte Er doch immer für andere. Er konnte Petrus noch in Gethsemane warnen und den sterbenden Übeltäter am Kreuz trösten. Sein Herz war über die Umstände erhoben; Er ließ sich nie durch sie beherrschen, sondern handelte darin immer auf gottgemäße Weise. Wir sehen, dass Er sie stets tief empfand, und besonders in den Psalmen finden wir oft die Gefühle seines Herzens ausgedrückt: „Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz“ (Ps 22,15). Er war der geprüfte, von allen Seiten auf die Probe gestellte Mensch, und als solcher bin ich berufen, Ihm nachzufolgen. Ich sollte mich selbst und das, was mich angeht, vergessen können, um anderen Liebe zu erweisen. Eine Wirkung davon, dass ich mich nahe bei Christus aufhalte, ist, dass ich in Bezug auf andere Gemeinschaft mit Ihm habe und in seine Gedanken eintrete, anstatt dass ich unter dem Druck meiner eigenen Umstände liege. Wie kann mein Herz sich wirklich freuen mit den sich Freuenden und weinen mit den Weinenden, wenn ich nicht in inniger Verbindung mit Christus lebe und von Ihm erfüllt bin statt von mir selbst? In dem ganzen Leben Christi, wie die Evangelien es uns erzählen, finden wir auch nicht die geringste Spur von Selbstsucht, nicht das kleinste Handeln für sich selbst. Er konnte sich freuen mit den einen und innerlich bewegt sein und weinen mit den andern. Er wusste zu ermuntern, zu warnen oder zurechtzuweisen, je nachdem es nötig war. Was immer die Liebe verlangte, das tat Er.

In Psalm 22 sehen wir Ihn ganz allein unter der Hand Gottes leiden und den Zorn über die Sünde ertragen; aber immer bleibt Er der gerechte Mensch, der zu Gott ruft und Ihn rechtfertigt, selbst wenn Er von Ihm verlassen ist. Auch in Psalm 69, wo wir eher seine Leiden vonseiten der Menschen erzählt finden, sehen wir, dass Gott stets seine Zuflucht ist. Sein Herz nahm all das bittre Leid auf sich, das die Sünde auf denjenigen bringen musste, der den Platz des Sünders einnahm. Er ging durch die schwersten Übungen, die ein Herz erfahren konnte, aber Er bringt alles vor Gott. Es scheint uns oft schwierig, mit all unserem Kummer vor Gott zu kommen. Wie kann ich es tun, denkt vielleicht der eine oder andere, da ja meine Trübsal die Folge meiner Sünde ist? Ja, wenn ich um der Gerechtigkeit willen litte, aber wie kann ich in Aufrichtigkeit des Herzens mein Leid vor Gott bringen, wenn ich weiß, dass ich es verdient habe? Und doch können wir es, denn Christus ist deswegen vor Gott gewesen, und das ist die Grundlage, auf der ich nun gehen kann. Es ist völlige Sühnung für alle meine Sünden getan, indem Christus das Gericht über die Sünde getragen hat. Ich kann jetzt zu Gott gehen aufgrund der geschehenen Sühnung, und Er begegnet mir in meinem Kummer, weil das Werk Christi so vollkommen ist. Der größte Teil unseres Kummers ist eine Folge der Sünde und alle Hilfe ist auf das Sühnungswerk gegründet. Es gäbe für mich keine Möglichkeit, auf Gott zu vertrauen, wäre nicht ein anderer der Sündenfrage begegnet.

Gott konnte in Bezug auf die Sünde nicht gleichgültig sein. Petrus fühlte dies, als er ausrief: „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ Gott blieb bei dem Hinwegtun der Sünde seinem Charakter durchaus treu, denn Er handelte betreffs ihrer mit Christus gemäß all dem, was Er ist. Es mag zwar wohl sein, dass ich ihre bitteren Früchte zu schmecken bekomme und dass Gott mich ihre Wirkung fühlen lässt, auch wenn Er mich nicht mehr dafür richten wird, „damit, wie die Sünde geherrscht hat im Tod, so auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn“ (Röm 5,21). Allein mein Gewissen wird vollkommen gereinigt durch das in vollkommener Liebe vergossene Blut Christi. Die Gerechtigkeit dessen, der meine Sünden trug, gehört mir. Ich bin gerecht durch die Gerechtigkeit eines anderen. Mein Herz ist frei. Ich kann alles vor Gott bringen, meine Sünden, Betrübnis und Leid, die die Folgen meiner Sünden sind. Ich darf Ihm dieselben ja bekennen, ja noch mehr, ich kann sagen: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz! … Und siehe, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg“ (Ps 139,23.24). Durch die Gnade kann ich vor Gott den Platz einnehmen, den Christus einnimmt, denn jetzt beruht alles auf der Erlösung.

Wir finden in den Psalmen göttliche Äußerungen über jede Art von Trübsal, und es ist sehr gesegnet, sie von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten. Christus war in einem Ausmaß mit allen Folgen der Sünde bekannt, wie kein anderer es je sein kann, und als Er auf „den Hörnern der Büffel war“ – auf dem Weg des Todes – und mit Gott die ganze Frage in Bezug auf die Sünde erledigt hatte, konnte Er sagen: „Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben“ (Ps 22,23). Welch ein Trost, dass wir Ihn nie verlieren können als unseren Gefährten. Wir werden Ihm selbst in die Herrlichkeit folgen, ja ich werde dorthin gehen, um bei Ihm zu sein, und seine Gegenwart wird meine Seligkeit ausmachen. Oh, welch ein Platz gehört uns in Christus! Dort ist aller Kummer vorüber.

Was nun Psalm 16 betrifft, so finden wir darin Äußerungen der eigentlichen Freude des Herrn auf Erden, der Freude desjenigen, den Gott seinen Gefährten nannte. Als Petrus auf dem Berg der Verklärung Ihn in eine Linie mit Mose und Elia stellte, antwortete Gott auf eine Weise, als ob Er sagen wollte: Nein, Er ist mein Gefährte und nicht der Gefährte der Menschen. – Als der Jüngling im Evangelium Ihn als einen Menschen mit den Worten „guter Meister“ anredete, antwortete Er: „Was nennst du mich gut?“ Güte sollte im Menschen gar nicht vorausgesetzt werden, nicht einmal in Ihm, wenn Er nur als Mensch betrachtet wurde. Und dennoch sind die Heiligen vollständig die Wonne Christi (Ps 16,3), und der arme Sünder, der sein Vertrauen auf Gott setzt, hat den Herrn Jesus als seinen Tröster, der in allem versucht worden ist und daher wie kein anderer denen zu helfen weiß, die versucht werden.

In den Tagen Johannes des Täufers kamen alle, die Buße taten, zum Jordan, um getauft zu werden, und Jesus tat dies ebenso. Er konnte nicht Buße tun, aber doch wollte Er nicht von den Bußfertigen getrennt sein, indem Er sprach: „Also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Ich nehme meinen Platz mit euch ein, mit den Heiligen, die auf der Erde sind.

Welch reichen Trost gibt der Glaube dem von Gott abhängigen Menschen! „Ich habe Jahwe stets vor mich gestellt“ (Ps 16,8) konnte Christus sagen, als Er hier auf der Erde war. Sollte dies nicht auch die Sprache unserer Herzen sein? Brauchen wir Ihn nicht jeden Augenblick in den Einzelheiten des täglichen Lebens? Er allein kann mich stützen und auf dem rechten Weg erhalten inmitten all der Umstände, die mich sonst hin und her werfen würden. Christus nahm einst diese abhängige Stellung ein. Selbst seine Auferweckung (Ps 16,10) ging von dem Vater aus durch die Kraft des Heiligen Geistes, obwohl Er in eigener Kraft hätte auferstehen können, da der Tod keine Gewalt über Ihn hatte. Der Sohn war des Vaters Wonne, der Gegenstand seines Herzens, seine ganze Freude.

Und nun ist Christus in seiner Gegenwart, als Mensch für uns Menschen, zugleich unser Vorläufer und unser Weg zum Vater. Es erfreut und tröstet unsere Herzen und bringt Ihn uns so nahe, Ihn solcherweise zu betrachten, indem wir wissen, dass so gewiss wir an der Natur des ersten Adams und den Folgen seiner Sünde teilhaben, so gewiss wir auch als Gläubige Teil an dem zweiten Adam haben. Der Herr Jesus Christus ist für mich in der Gegenwart Gottes. Hier unten geht es durch manche Schwierigkeiten, aber einst werden wir dort bei Ihm sein, wo Fülle von Freude für immer ist. Gott wird als Gott verherrlicht werden, aber Er wird auch als Mensch dargestellt werden, und als in Christus werden wir die Herrlichkeit teilen. Wie gnädig und gesegnet sind diese Worte: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubt an Gott, glaubt auch an mich. In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben. Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, so werde ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seid“ (Joh 14,1-3). Er wird mit seinen Heiligen sein und seine Heiligen mit Ihm. Wir werden seinem Bild gleichförmig sein und dasselbe zur Schau tragen, wenn wir Ihn sehen; ja, jetzt schon werden wir in dem Maß, wie wir Ihn anschauen, in sein Bild verwandelt.

Das ist unser gesegnetes Teil, und in Gemeinschaft mit Ihm haben wir Anteil an dem, was Er ist. An den Heiligen ist „alle seine Wonne“. Er ließ sich herab zu ihrem tiefsten Elend, und sie werden dort, wo Er hoch erhoben ist, seine Freude und Herrlichkeit mit Ihm teilen.

Wie verhalte ich mich nun in dieser Zwischenzeit zu meinem Herrn? Bringe ich alle meine Anliegen vor Ihn? Ist Er stets mein erster Gedanke bei allen meinen Nöten, in meinen Seelenübungen und auch in Zeiten der Freude? Dies ist der Weg, Ihn und die Liebe, die in seinem Herzen ist, kennenzulernen.

Es gibt keinen Zustand und keine Lage, worin Er nicht mit mir fühlen könnte. Er ist in die tiefsten Tiefen meines Kummers gegangen. Er konnte sagen: „Tiefe ruft der Tiefe beim Brausen deiner Wassergüsse“ (Ps 42,8). Es gibt keinen Platz, worin der Glaube Christus nicht finden kann. „Das aber: Er ist hinaufgestiegen, was ist es anders, als dass er auch hinabgestiegen ist in die unteren Teile der Erde? Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er alles erfüllte“ (Eph 4,9.10). Die Frage ist nur die: Gehe ich meinen Weg in der Welt mit Ihm? Sind meine Freuden solche, die ich mit Ihm genießen kann? Wandle ich mit Ihm in meinem täglichen Leben? Ruhe ich so in Ihm, dass ich durch Ihn aus meinem Leid herausgehoben werde?

Das Herz, das auf Christus geworfen ist und nahe bei Ihm bleibt, findet beständigen Trost und wird durch nichts befriedigt, das es nicht mit Ihm teilen kann (siehe Ps 23). „Der Herr ist mein Hirte“ können wir im Blick auf alles sagen, was wir täglich nach innen und außen bedürfen. Lasst uns nicht fürchten, dass die „grünen Auen“ und „stillen Wasser“, die wir heute genießen, vielleicht bald für uns zu Ende gehen. O nein, wie könnte dies sein, wenn Er uns dort „lagert“ und zu denselben „leitet“! Aber wenn wir uns etwa von seiner Seite verirrt haben und infolgedessen unser Herz traurig und niedergeschlagen ist – „Er stellt meine Seele wieder her“. Er will bei mir sein und mich trösten im Tal des Todesschattens. Ja, selbst in Feindesland bereitet Er einen Tisch für mich und reicht mir einen überfließenden Becher. „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über. Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens; und ich werde wohnen im Haus des HERRN auf immerdar.“ Wie gesegnet ist es, in dieser Weise auf den Herrn zu schauen! Er ist unsere gegenwärtige und unsere ewige Freude. Die Zeit wird kommen, wo alles, was uns beschwert, vorüber sein wird, aber unser Freund wird bleiben. Er ist unser geprüfter und wahrer Freund. Er ist auf die tiefsten Schmerzen unserer Herzen eingegangen und will uns zu ewigen Teilhabern seiner Freude machen. Unsere Segnung, unsere Sicherheit, unsere Hoffnung, alles ist auf das Sühnungswerk gegründet. Gibt es jemand, der dieses liest, der sich nicht an Christus freuen kann und Ihn nicht kennt als sein gesegnetes Teil? Sagt jemand: Meine Sünde ist zu groß, um vergeben zu werden? Deine Sünde zu empfinden, ist richtig, aber deswegen verzweifelt zu sein, ist ganz verkehrt. Du sagst dann: Meine Sünde ist größer als die Gnade Gottes. Wenn du auf Christus blickst, wirst du nicht solche Worte sprechen. Ist Christus nicht groß genug? Ist die Gnade kleiner als deine Not oder ist sie größer? Christus ist das Teil jeder armen Seele, die an Ihn glaubt. Das Sühnungswerk wurde getan.

Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (1Joh 1,7).


Originaltitel: „Der Mensch Christus Jesus in den Psalmen“
aus Worte der Ermahnung und Ermunterung, Jg. 4, 1885, S. 133–141
(von SoundWords sprachlich leicht bearbeitet);
engl. Originaltitel: „The Man Christ Jesus“
aus The Collected Writings of J.N. Darby, Bd. 16, S. 311–315

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