Das Buch Hiob (3)
Ist Gott ungerecht?

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 25.07.2008, aktualisiert: 13.01.2021

Einleitung

Ich möchte euch einige Verse vorlesen. Zunächst aus Kapitel 16 und 17 aus dem Buch Hiob. Danach noch etwas aus Kapitel 19.

„Sogar jetzt, siehe, im Himmel ist mein Zeuge, und der mir Zeugnis gibt, ist in den Höhen. Meine Freunde sind meine Spötter: Zu Gott tränt mein Auge, dass er schiedsrichterlich entscheide Gott gegenüber für einen Mann, und für einen Menschensohn hinsichtlich seines Freundes. Denn die zählbaren Jahre gehen vorüber, und ich werde einen Weg gehen, auf dem ich nicht wiederkehren werde“ (Hiob 16,19-22). „Mein Geist ist verstört, meine Tage erlöschen, die Gräber sind für mich. Sind nicht Spöttereien um mich her, und muss nicht mein Auge weilen auf ihren Beleidigungen? Setze doch ein Pfand ein, leiste Bürgschaft für mich bei dir selbst! Wer ist es sonst, der in meine Hand einschlagen wird?“ (Hiob 17,1-3).

Aus Hiob 19 die bekannten, vielleicht sogar bekanntesten Verse des ganzen Buches: „Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, ihr meine Freunde, denn die Hand Gottes hat mich angetastet! Warum verfolgt ihr mich wie Gott {El} und werdet meines Fleisches nicht satt? O dass doch meine Worte aufgeschrieben würden, dass sie in ein Buch gezeichnet würden, mit eisernem Griffel und Blei in den Felsen eingehauen auf ewig! Und ich, ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er auf der Erde stehen ; und ist nach meiner Haut dies da zerstört, so werde {o. und nach meiner Haut, die also zerstört ist, werde …} ich aus meinem Fleisch Gott anschauen, den ich selbst mir {eig. für mich (zu meinen Gunsten)} anschauen und den meine Augen sehen werden, und kein anderer: Meine Nieren verschmachten in meinem Innern“ (Hiob 19,21-27).

So wie der Bruder bereits sagte, liebe Freunde, liebe Geschwister, schien es mir bei näherem Hinsehen besser zu sein, nicht eigenmächtig eine andere Einteilung des Buches vorzunehmen – wiewohl sie mir zunächst einfacher erschien –, sondern dem Buch chronologisch zu folgen.

Wir haben uns in der Tat das letzte Mal mit der ersten Gesprächsrunde zwischen Hiob und seinen Freunden beschäftigt. Jetzt haben wir die zweite und dritte Gesprächsrunde vor uns.

Rückblick

Die Freunde Hiobs

Ich denke, dass es gut ist, uns einige Dinge über die Freunde Hiobs in Erinnerung zu rufen, damit wir verstehen, um was es geht. Wir haben gesehen – und am Ende des Buches zeigt sich das –, dass Gott den Freunden sehr übel nimmt, dass sie nicht recht geredet hatten: „Nicht geziemend habt ihr von mir geredet, wie mein Knecht Hiob“ (Hiob 42,7). Diese Freunde sagen Hiob viele Dinge, die an sich richtig, gut und wertvoll sind. Wenn man sie aus dem Zusammenhang nehmen würde, was man getrost tun darf, kann man aus dem, was die Freunde sagen, sehr viel lernen und herrliche Evangeliumsbotschaften entnehmen. Das sind Botschaften, die in der Verkündigung große Bedeutung haben. Das ist die eine Seite. Daraus könnte man sogar gut schlussfolgern, dass diese Freunde nur schwerlich unbekehrte Menschen gewesen sein können, wenn man sieht, wie viele weise, richtige und wahre Dinge sie anzumerken haben. Das ist aber nur die eine Hälfte der Geschichte. Wenn das alles wäre, wäre Gott am Ende des Buches über sie nicht so erzürnt gewesen.

Die andere Hälfte der Geschichte ist die, dass diese Freunde all diese Worte zum verkehrten Zeitpunkt und der falschen Person gegenüber ausgesprochen haben. Wir haben gesehen, dass sie die großen Weisheiten an die falsche Adresse richten. Wer das tut, macht die größte Weisheit zur größten Torheit. Ganz einfach: Wenn ich jemanden ernstlich als Gottlosen ermahne, dann können diese Worte richtig sein, mit denen ich ihn als Gottlosen bezeichne. Ich weise ihn darauf hin, wie schrecklich es ist, gottlos zu leben, wo die Gottlosigkeit schlussendlich enden wird und wie es mit dem Gottlosen in dieser Welt zu Ende gehen wird. In der Evangeliumsverkündigung kann das eine wichtige, schöne und gute Botschaft sein, den Menschen vor Augen zu stellen, wo der Weg der Gottlosigkeit endet.

Wenn ich das aber jemandem als eine Ermahnung zukommen lasse, der vollständig unschuldig ist und als Unschuldiger leidet, weil er aufgrund eines göttlichen Geheimnisses leidet – Gott sagt uns eben nicht immer, warum seine Kinder leiden müssen –, dann werden meine weisen Worte zur Torheit. Ich tue dann nicht nur diesem Unrecht, sondern auch Gott selbst. Das ist das Wichtige, was wir in Hiob 42,7 lasen. Ich tue Gott Unrecht. Denn Gott ist der Gott des Gerechten. Das haben wir das letzte Mal gesehen.

Thema Leid

Wir haben auch gesehen, dass Leid nicht so einfach zu erklären ist, wie die Freunde das versucht haben. Leid ist längst nicht immer die Folge von Gottes züchtigender Hand, aufgrund von Sünden, die wir begangen haben. Leid kann auch über Gläubige kommen, um den Glauben auf die Probe zu stellen. Bei Abraham war das ganz deutlich der Fall. Leid kann auch die Schule Gottes sein, um seine Kinder zu formen und zu erziehen – wie wir das in Lied 113 singen: „… der uns durch Leiden erzieht.“ Das ist vielleicht sogar immer der Fall.

Die Rhetorik der Freunde eskaliert

Wenn wir nun die drei Gesprächsrunden näher besehen, stellen wir in der ersten Runde zunächst fest, dass die drei Freunde noch ziemlich scharfsinnig, zurückhaltend und zuvorkommend sind, so wie es Freunden geziemt. Sie lassen zwischen den Zeilen durchschimmern, dass Hiob sich fragen sollte, ob er Gott gegenüber rein ist, wenn Gott ihn so schrecklich strafen muss. Wir sehen dann, wie Hiob seinerseits sehr empört darauf reagiert und sehr bald Gott scharf anklagt.

Als ich die Entwicklung von der einen Runde zur anderen besah, war das mein Hauptgrund, die Reihenfolge der Betrachtung des Buches doch wieder zu verändern und sie der Chronologie des Buches selbst anzupassen. Denn was passiert in der zweiten und dritten Runde, die wir jetzt vor uns haben? Die Freunde Hiobs haben gemerkt, dass sie in der ersten Runde nicht viel Erfolg bei ihm hatten und dass Hiob ihre verdeckten Anklagen nicht ernst nahm und im Gegenteil sogar sehr empört auf sie reagierte. Jetzt klagen sie ihn viel offener an. Sogar der Älteste von Hiobs Freunden, Eliphas, der offensichtlich auch viel älter als Hiob gewesen sein muss, verleumdet seinen Freund viel offener. Menschlich gesprochen ist das verständlich. Ihre Worte hatten überhaupt keinen Erfolg und prallten von Hiob ab, weshalb ihre Sprache immer krasser wird.

Hiob schwankt zwischen Klagen und Glauben

Inzwischen geschieht aber auch etwas bei Hiob selbst, was eigentlich noch viel wichtiger ist. Bei Hiob ist es nicht so, dass seine Sprache sich immer mehr verhärtet. In der zweiten und dritten Runde klagt Hiob Gott nicht nur an, sondern er beruhigt sich und klammert sich an Gott fest. Schließlich findet sich sogar Hoffnung und Glaube. Während die Sprache der Freunde immer härter und schärfer und sogar lästerlich wird, wird die Sprache Hiobs sanfter. Seine Hoffnung und sein Glaube treten immer mehr in den Vordergrund. Auch das ist verständlich. In den vorigen Kapiteln sehen wir bei Hiob anfänglich die schreckliche Taubheit, als er unter die schlagende Hand Gottes kommt und mit seinen Warums zum Himmel schreit. Hiob hat nämlich auch keine andere Theorie für das Leid als seine eigenen Freunde. Er geht auch davon aus, dass Gott nur über die Gottlosen Leid bringen kann und dass es ungerecht von Gott ist, Leid über seine Kinder zu bringen. Und weil Hiob weiß, dass er unschuldig ist, klagt er Gott an, weil Gott ihn trotz seiner Unschuld straft. Hiob kann das nicht anders sehen, als dass Er Strafe, Züchtigung und Kasteiung über einen Unschuldigen bringt. Seinen Empfindungen nach ist Gott darin ungerecht.

Im Prinzip hat er die gleiche Theorie wie seine Freunde, nur aus einem anderen Blickwinkel. Er geht dabei von seiner eigenen Unschuld, seiner eigenen Aufrichtigkeit aus. Aber nach dieser ersten Taubheit sehen wir, dass sich in seinem Herzen etwas verändert. Darin zeigt sich, dass Leid erzieht. Wir sehen das speziell in den Versen, die ich vorgelesen habe, und auch in den Abschnitten, die darauf folgen. Bei Hiob verändert sich etwas. Ich möchte es so sagen, wie man es im täglichen Leben schon mal sagt: Sein besseres Ich wacht auf. Eigentlich müsste ich es anders sagen: Der Heilige Geist hat im Leid Hiobs, ja, durch das Leid hindurch – nicht trotz des Leids, sondern mittels des Leidens –, Gelegenheit, Gott im Herzen Hiobs vorzustellen, damit Hiob lernt, sich mit all seinen Warum-Fragen an Gott, an den Erlöser festzuklammern. Er lebt und Er hat das letzte Wort und Er setzt schließlich allen Warums ein Ende und bringt Hiob die Erlösung. Das heißt noch nicht, dass Hiob da ist, wo er sein soll. Das werden wir auch gleich sehen.

Zwei Erziehungsphasen

Der Erziehungsprozess hat zwei große Phasen. Die eine Phase werden wir heute Abend besehen. Für die andere Phase ist noch etwas anderes notwendig. Diese erreicht Hiob auch nicht in dieser zweiten und dritten Runde. Die erste Phase ist, dass sein Glaube aufwacht oder zumindest vertieft wird und dass er sich nicht nur in den günstigen Umständen, in denen er sich früher befunden hat, an Gott festklammert, sondern dies auch im Leid, in den Prüfungen und in den Schmerzen lernt. Der Glaube wächst an den Warum-Fragen. Das ist die erste Phase.

Das Zweite erreicht Hiob hier noch nicht. Was ist das? Das ist Demütigung. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Hiob in dieser zweiten und dritten Runde zwar lernt, auf Gott zu vertrauen, jedoch gleichzeitig auf dem Amboss seiner Unschuld und Aufrichtigkeit weiterhämmert. Er bezeugt Gott gegenüber weiterhin, dass es eigentlich nicht ehrlich ist, dass Gott ihn so behandelt. An sich ist das verständlich, denn Hiob war unschuldig. In gewisser Hinsicht sind seine Anklagen berechtigt. In einer ganz anderen Hinsicht jedoch nicht. Was Hiob noch lernen musste, war nicht nur, dass Gott sein Erlöser ist, der lebt und ihm Ausgang verschafft, sondern auch, dass Gott Gott ist. Er ist der heilige Gott, der große und der mächtige Gott. Er ist weit erhaben über das kleine, nichtige Menschenkind Hiob.

Es ist eine gewaltige Entdeckung, dass Hiob trotz all seiner ausgerufenen „Warums“, sich im Glauben an Gott festklammert. Aber das Zweite ist noch größer, wenn Hiob später sagen wird, dass er sich selbst in Staub und Asche verabscheut, weil er dann seine Kleinheit erkennt. Das werden wir erst am Ende sehen. Dann erst legt er die Hand auf den Mund und wagt es nicht länger, Gott gegenüber aufzutreten. Dazu muss mehr geschehen, als dass diese drei Freunde ihre Reden halten. Dazu muss Elihu kommen, der vierte Freund, der einen besonderen Platz einnimmt. Darüber hinaus ist noch viel wichtiger, dass Gott selbst zu Hiob spricht. Gott selbst muss Hiob zur Verantwortung rufen. In diesen Kapiteln ist es Hiob, der Gott bis zu dem Augenblick zur Verantwortung ruft, in dem Er sich in Majestät und Herrlichkeit offenbart. Hiob sinkt dann vollständig in sich zusammen und es bleibt nichts von ihm übrig als ein kleines, nichtiges Menschenkind dem großen Gott gegenüber. Gott gibt ihm dann keine Antworten auf seine Fragen. Das Einzige, was da erreicht wird, ist, dass Hiob lernt, seine Hand auf den Mund zu legen, und dass er sieht, wer Gott wirklich ist. Das ist das Allerhöchste und das Allergrößte. Er hat mit einem heiligen und zu fürchtenden Gott zu tun, aber auch mit einem Gott voller Liebe, den er hier schon erkennen darf.

Das ist der Erziehungsprozess im Überblick. Man fürchtet sich fast davor, alles in Schemata zu pressen, wie ich das schon mehrfach gesagt habe. Es geht hier nicht darum, die Frage des Leidens zu beantworten. Dies ist kein theoretisches Buch. Es ist ein Buch der Praxis eines bestimmten Menschenlebens, das in gewisser Hinsicht jedem Menschenleben gleicht. Es geht hier nicht um die Problematik des Leidens, sondern um diesen einen leidenden Menschen und Gottes konkreten Weg mit ihm. Genauso geht Gott mit dir und mir seinen Weg und liebt und führt uns, auch wenn Er unsere Fragen nicht immer beantwortet.

Kapitel 15 – Eliphas beginnt die 2. Gesprächsrunde

Lasst uns nun die einzelnen Kapitel betrachten. Die lange Einleitung war meines Erachtens notwendig, um dies im Hinterkopf zu haben, wenn wir nun näher besehen, wie sich die Gespräche zwischen Hiob und seinen Freunden entwickeln.

In Hiob 15, zu Beginn der zweiten Runde, ergreift der offensichtlich Älteste der Gruppe, Eliphas, als Erster das Wort. Er kommt jetzt mit viel schärferem Ton und sagt von Hiob: „Ja, du vernichtest die Gottesfurcht und schmälerst die Andacht vor Gott“ (Hiob 15,4). In der dritten Runde wird er später noch viel krasser sprechen. Jedenfalls spricht er jetzt nicht mehr mit verdeckter Sprache, sondern bringt eine regelrechte Anschuldigung hervor. Allerdings bleibt er von den drei Freunden immer der Höflichste.

Hier haben wir aber nun doch einen regelrechten Verweis Hiob gegenüber: „Denn deine Ungerechtigkeit belehrt deinen Mund, und du wählst die Sprache der Listigen. Dein Mund verdammt dich, und nicht ich; und deine Lippen zeugen gegen dich. Bist du als Erster zum Menschen gezeugt und vor den Hügeln du geboren? Hast du im Rat {eig. im geheimen Rat} Gottes zugehört und die Weisheit an dich gerissen? Was weißt du, das wir nicht wüssten, was verstehst du, das uns nicht bekannt wäre? Unter uns sind auch Alte, auch Greise, reicher an Tagen als dein Vater“ (Hiob 15,5-10).

Wie schon gesagt, sind diese Freunde und mit Sicherheit Eliphas viel älter als Hiob und gebrauchen hier ein Argument, das viele ältere Menschen gebrauchen, oft zu Recht, natürlich. Eliphas sagt: Ich kann auf viel mehr Lebenserfahrung zurückgreifen als du, Hiob. Wie willst du uns Weisheit vorhalten, Hiob? – Hiob hatte in der Tat in Hiob 12,2 sarkastisch gesagt: „Wirklich, ihr seid die Leute, und mit euch wird die Weisheit aussterben!“ Nun, Eliphas ist pikiert und kommt genau auf diesen Punkt zurück. Allerdings bringt er keinen neuen Argumente hervor. In Vers 14 und 15 sehen wir, dass er genau dieselben Argumente wählt, die er auch schon in Kapitel 4 vorgetragen hatte. Eigentlich ist es eine Wiederholung des Inhalts der Vision, die er in Kapitel 4 beschrieben hatte. Eliphas ist der Mann der Erfahrung; nicht nur der Mann, der als Älterer die Lebenserfahrung hat, sondern auch die Erfahrung mit übernatürlichen, sogar religiösen Offenbarungen. Darauf kommt er in Vers 14 noch einmal zurück: „Was ist der Mensch, dass er rein sein sollte, und der von der Frau Geborene, dass er gerecht wäre? Siehe, auf seine Heiligen vertraut er nicht, und die Himmel sind nicht rein in seinen Augen“ (Hiob 15,14). Es klingt so ähnlich wie die schreckliche Redensart, die viele Menschen von sich geben: An dem (schlechten) Gerücht wird schon etwas dran sein. – So ist es hier auch: Willst du sagen, dass du unschuldig bist? Kein Mensch auf Erden ist unschuldig. – Nun, so kann man jeden schuldig reden. Dann steigert er das Ganze noch, indem er Hiob ungerecht nennt.

In Vers 18 schließt er sich der Argumentation von Bildad an. Bildad, der zweite Freund, ist der Mann, der sich auf die Tradition beruft, auf die frühere Generation und auf die Geschichte. Er zieht Lehren aus der Vergangenheit. Eliphas sagt jetzt auch in Vers 17: „Ich will es dir berichten, höre mir zu; und was ich gesehen habe, will ich erzählen, was die Weisen verkündigt und nicht verhehlt haben von ihren Vätern her“ (Hiob 15,17).

Eliphas beschreibt im Rest des Kapitels, auf das ich im Detail nicht eingehen will, den Gottlosen. Diese Beschreibung werden wir noch etliche Male finden. Das fängt in Vers 20 an: „Alle seine Tage wird der Gesetzlose gequält, und eine kleine Zahl von Jahren ist dem Gewalttätigen aufgespart“ (Hiob 15,20). Ihr könnt das selbst nachlesen. Jeder der drei Freunde tut das jetzt. Sie beschuldigen Hiob viel direkter der Gottlosigkeit und führen anschließend ausgedehnt aus, wie es um den Gottlosen bestellt ist und wie sein Ende aussieht. Wie gesagt, könnte man jeden dieser Abschnitte in einer Evangelisations-Verkündigung gebrauchen. Hiob gegenüber waren diese Worte jedoch vollkommen fehl am Platz. Lest den Abschnitt Vers 20-35 mal für euch selbst durch.

Kapitel 16 – Hiob beruft sich auf Gott gegen Gott

Beachtet jetzt die Kapitel 16 und 17, in denen wir die Antwort Hiobs finden. Die NBG-Übersetzung[1] hat als Überschrift über Kapitel 16: Hiob beruft sich auf Gott gegen Gott. Darüber muss man mal nachdenken. Das macht dieses Kapitel besonders beeindruckend, um nicht zu sagen, ergreifend. Bis jetzt hat Hiob Gott eigentlich als Ankläger und auch als Richter angesehen. Jetzt sieht er in Gott auch noch seinen Rechtsanwalt. In Vers 19 nennt er Ihn Fürsprecher und Entlastungszeuge, der für ihn die Verteidigung übernimmt. Nach den vorsichtigen Fragen aus Kapitel 14, mit dem wir beim letzten Mal endeten, ist dies eigentlich das erste positive Glaubenszeugnis Hiobs in diesem Buch. Gleichzeitig ist es ein sehr sonderbares Zeugnis. Er denkt hier sehr zwiespältig über Gott. Man darf das aber auch nicht zu theoretisch besehen. Hier ist jemand, der mit den schwierigsten Fragen kämpft, die im Leben eines Menschen auftreten können. Er sieht Gott als den unbarmherzigen Richter, der das Urteil über ihn gefällt hat, und gleichzeitig sieht sein Glaube in demselben Gott seinen Rechtsanwalt, einen Fürsprecher, der die Sache für ihn übernimmt und der seine Bedürfnisse beim Richter, also bei Gott selbst vertritt. Beachte, wie es dort in Vers 20.21 steht: „Zu Gott tränt mein Auge“ – das betrifft den Rechtsanwalt – „dass er schiedsrichterlich entscheide Gott gegenüber“ – Gott dem Richter, dem unbarmherzigen Ankläger, dem unbarmherzigen Beurteiler gegenüber.

Das ist Hiobs Glaube. Der glaubende Hiob kämpft hier gegen den anklagenden Hiob, der Gott wegen seines schrecklichen Gerichts über sein Leben anklagt. Im ersten Teil dieses Kapitels sagt Hiob noch einmal: „Leidige Tröster seid ihr alle“ (Hiob 16,2). Ich kann das sogar verstehen, sagt er: „Auch ich könnte reden wir ihr. Wenn eure Seele an der Stelle meiner Seele wäre, könnte ich Worte gegen euch zusammenreihen und mein Haupt über euch schütteln; ich wollte euch stärken mit meinem Mund, und das Beileid meiner Lippen würde euch Linderung bringen“ (Hiob 16,4.5). Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde es Trost geben. Aber ihr bringt keinen Trost, ihr reibt Salz in die Wunden. Ihr seid nur damit beschäftigt, mich falsch anzuschuldigen.

Dann richtet er das auch an Gott: „Ja, er hat mich bereits erschöpft“ (Hiob 16,7a). Danach spricht er Gott direkt an: „Du hast meinen ganzen Hausstand verwüstet“ (Hiob 16,7b). Hiob geht von seinen drei Freunden einfach auf Gott über. Die Verweise an seine Freunde richten sich dann direkt an Gott.

Hiob erinnert an den Herrn Jesus

Wisst ihr, was in diesem Kapitel auch so schön ist? Wenn Hiob in den folgenden Versen zu Gott spricht, sieht man in Hiob etwas, was uns an den Herrn Jesus erinnert. Das geschieht noch öfter in diesem Buch, besonders in den Kapiteln, die jetzt kommen, mehr noch als in den ersten Kapiteln. Ich will vorsichtig sein und noch nicht von einem Bild reden. Aber wenn Hiob aufzählt, wie ungerecht er durch seine Freunde, durch die Menschen um ihn her behandelt wird; wenn wir sehen, wie Gott über ihn, den Unschuldigen so viel Leid bringt, denkt man an die Sprache der Psalmen, in denen wir so oft den leidenden Knecht des Herrn reden hören. Wenn man an Vers 10 denkt, wird man direkt an Psalm 22,14 erinnert. „Sie haben ihr Maul gegen mich aufgesperrt, mit Hohn meine Backen geschlagen; allzumal verstärken sie sich wider mich. Gott gab mich preis dem Ungerechten, und in die Hände der Gesetzlosen stürzte er mich. Ich war in Ruhe, und er hat mich zerrüttelt, und er packte mich beim Nacken und zerschmetterte mich.“ So geht es in Vers 17 weiter: „… obwohl keine Gewalttat in meinen Händen und mein Gebet lauter ist.“ Das sind Worte, die auch der wahrhaft Unschuldige, der Gerechte ein ums andere Mal durch den Heiligen Geist im Buch der Psalmen ausspricht. Wie schon gesagt, will ich mit dem Wort „Bild“ vorsichtig sein, weil hier ein großer Unterschied existiert: Der Herr Jesus hat bei all seinen Klagen, bei all seinen schrecklichen Schmerzen Gott nie wirklich Vorhaltungen gemacht oder Ihn angeklagt. Was Hiob hier noch nicht gelernt hat, ist, demütig zu sein und sich vor seinem Gott zu demütigen. Das finden wir aber auf vollkommene Weise bei Ihm, der sagen konnte: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Dennoch, am Ende steht das herrliche Glaubenszeugnis: „Zu Gott tränt mein Auge“ (Hiob 16,20).

Auf der einen Seite sehen wir in diesem Kapitel, dass er Gott auf dieselbe Stufe stellt wie seine Freunde, weil er seinen Freunden und Gott Vorhaltungen macht. Doch dann sagt er auf einmal: Wenn meine Freunde Spötter sind, kann ich mich an Gott festklammern (Hiob 16,20). Gott ist mein Fürsprecher, mein Sachwalter, derjenige, der für meine Sache eintritt, der mich Gott gegenüber verteidigt. – Versuche das nicht aufzudröseln. Versuche es nicht zu theoretisieren. Das ist die Sprache, die nur durch den Gläubigen verstanden wird, der aus der Kraft des Glaubens leben darf, auch wenn er nicht auf alle seine Fragen eine Antwort erhält. Diese Fragen können so tief gehen, dass das Herz voll von Vorhaltungen Gott gegenüber ist und man sich dennoch gleichzeitig durch den Glauben an Gott festklammert.

Kapitel 17 – Hiob verlangt zu sterben

In Kapitel 17 geht es noch etwas weiter; es ist einfach die Fortsetzung von Kapitel 16. „Setze doch ein Pfand ein, leiste Bürgschaft für mich bei dir selbst!“ (Hiob 17,3). Das ist dasselbe wundersame Paradoxon. Er sagt zu Gott: Stelle dich selbst als Mittler zwischen mir und Gott! Stelle dich vor mich als Bürge! Nimm meine Sache auf dich! Wisst ihr, wenn man in die Tiefe dieses Verses hinabsteigt, geht das Licht über so einen Vers erst im Neuen Testament auf: wenn Gott der Sohn bei Gott dem Vater Bürge für uns wird, wenn der Mensch Jesus Christus – denn Er ist Gottes Sohn – Bürge wird zwischen uns und Gott. Denn es gibt „einen Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus“, der gleichzeitig Gott selbst ist. Dann erst kann man die Tiefe dieses Verses, die Hiob nur ansatzweise empfunden hat, ergründen und empfinden. Dann sieht man die Tiefe des Einen, der als Mittler zwischen uns und Gott steht und der auch selbst Gott ist. Das ist das Wunderbare, das in den Tiefen dieser Verse eingeschlossen ist.

Im Weiteren des 17. Kapitels, sehen wir, wie unheilvoll Hiob dran ist und nach dem Tod verlangt. In Vers 13-15 kann er sagen: „Wenn ich hoffe, so ist der Scheol mein Haus, in der Finsternis bette ich mein Lager. Zur Grube rufe ich: Du bist mein Vater!, zum Gewürm: Meine Mutter und meine Schwester! Wo denn also ist meine Hoffnung? – ja, meine Hoffnung, wer wird sie schauen?“ (Hiob 17,13-15). Hiob verlangt nach dem Tod. An sich ist das ein Beweis und ein Hinweis auf seine Unschuld. Ein Mann mit einem schlechten Gewissen verlangt nicht nach dem Tod. Wenn sein Gewissen sich regt, hat er Angst vor dem Tod. Beides geht Hand in Hand. Wenn sein Gewissen sich nicht regt, kann es sein, dass er unschuldig ist oder sogar schwer schuldig ist, sein Gewissen aber abgetötet ist. Auch im letzten Fall kann es sein, dass er keine Angst vor dem Tod hat. Hiobs Freunde wollen ihm klarmachen, dass er ein schlechtes Gewissen haben muss. Aber sein Verlangen nach dem Tod, das an sich verkehrt ist, weil es aus Verzweiflung entstanden ist (Verzweiflung und Hoffnung vermischen sich hier miteinander), zeigt, dass er keine Angst vor dem Tod hat, weil er ein gutes Gewissen hat.

Kapitel 18 – Bildads harte Worte

Nun, jetzt kommt Bildad zu Wort, der sich demaskiert. War er beim ersten Mal noch vorsichtig, spricht er jetzt knallharte Sprache – härter noch als der einigermaßen höfliche Eliphas. „Bis wann wollt ihr auf Worte Jagd machen? Warum werden wir für Vieh gehalten, sind dumm in euren Augen?“ (Hiob 18,2.3). In Vers 5 sagt er dann knallhart und geradewegs in Hiobs Gesicht: „Doch das Licht der Gottlosen wird erlöschen“ (Hiob 18,5). Wir würden auf holländisch sagen: Hiob, du kannst erzählen, was du willst, die Gottlosen werden zugrunde gehen. – Das ist eine sehr deutliche Anspielung, die sich auch in der ganzen Fortsetzung seiner Ausführungen wiederfindet. Eigentlich hatten die Freunde alles, was sie zu sagen hatten, schon in der ersten Runde mitgeteilt. Das Einzige, was sie in der zweiten und dritten Runde tun können, ist, dasselbe noch einmal sagen, jedoch dicker aufgetragen, direkter und geradewegs in das Gesicht Hiobs.

Der Rest ist wieder so eine Beschreibung des Weges des Gottlosen, genau so, wie es Eliphas getan hat. Eine Beschreibung, die an sich zu Recht und für die wirklich Gottlosen sehr warnend ist. Wir haben vorhin für diejenigen in unserer Mitte gebetet, die vielleicht den Herrn Jesus noch nicht kennen und die, wenn sie diese Abschnitte lesen, feststellen könnten, dass diese auf sie selbst anwendbar sind. Da zeigt sich, dass die Worte nicht umsonst in der Bibel stehen. Sie waren bei Hiob an der falschen Adresse. Aber es könnte sein, dass sie bei dir heute Abend genau an der richtigen Adresse sind. Es könnte gut sein, dass du jemand bist, an den Eliphas, Bildad oder Zophar sich besser gewandt hätten, als sie den Weg des Gottlosen und dessen verhängnisvolles Ende erörterten. Dieses Ende erreicht diejenigen, die nicht die Zuflucht zu dem Herrn Jesus nehmen und die sein Werk nicht annehmen, um dadurch für ewig gerettet zu werden.

Kapitel 19 – Hiobs Reaktion auf Bildad

Hiob gibt Bildad Antwort. Man findet das in Kapitel 19. In den ersten zwanzig Versen dieses Kapitels sehen wir, wie Hiob anfängt, sich selbst erneut zu verteidigen. Er verteidigt sich seinen Freunden gegenüber: „So wisst denn, dass Gott mich in meinem Recht gebeugt und mich umstellt hat mit seinem Netz. Siehe, ich schreie über Gewalttat und werde nicht erhört; ich rufe um Hilfe, und da ist kein Recht“ (Hiob 19,67). Das sind übrigens auch wieder Worte, die uns an Psalm 22,3 erinnern. Dort können wir auch der Klage zuhören, die in ihrer Tiefe den Herrn Jesus selbst betrifft.

Aber dann, in 21-24, appelliert Hiob an die Barmherzigkeit seiner Freunde: „Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner“ (Hiob 19,21-24). Habt doch Mitleid mit mir! Was seid ihr für Tröster? – Das hatte er auch schon zu Eliphas gesagt. – Wie könnt ihr solche Worte an mich richten? Habt ihr denn kein bisschen Mitleid mit meiner Seele? „Warum verfolgt ihr mich wie Gott?“ Es ist, als wenn er sagen wollte: Ihr seid nicht besser als Gott. Er hat es auch auf mich abgesehen. Anstatt dass ihr mich in meiner Traurigkeit tröstet, habt ihr es auch auf mich abgesehen!

Er sagt dann: „O dass doch meine Worte aufgeschrieben würden, dass sie in ein Buch gezeichnet würden“ (Hiob 19,23). Nun, dieses Gebet ist erhört worden. Wir haben das hier im Buch Hiob vor uns. Tausende, Hunderttausende, Millionen Menschen aller, vielleicht vierzig Jahrhunderte haben die Klage Hiobs gelesen und viel von sich selbst in diesem wunderbaren Buch wiedererkannt.

Anschließend kommt Hiob zu einem besseren Gedanken. Die eine Sache ist, dass seine Klage aufgezeichnet wird. Aber was nützt ihm das? Es gab mehr als das. Er wollte seine Klage sogar in einen Felsen eingemeißelt bekommen (Hiob 19,24). Aber was würde ihm das nützen?

Der Erlöser lebt

In den nächsten Versen steigt er aus dieser Anklage aus und steigt über den Ruf an seine Freunde nach Erbarmen hinaus. Er richtet ein direktes Glaubenszeugnis Gott selbst gegenüber, das jetzt nicht mehr in einem Ruf nach Gott gegen Gott vermischt ist. Er spricht Worte aus, die durch die Jahrhunderte Menschen auf ihrem Kranken- und Sterbebett in ihren letzten Augenblicken Trost und Kraft gegeben haben.

Ich las kürzlich von einem Rabbi, der im Zweiten Weltkrieg im Konzentrationslager auf dem Weg zur Gaskammer war. Kurz bevor er den Tod sehen würde, sprach er sein Gebet, das aufbewahrt wurde, weil andere es gehört haben. Wenn man diesem Gebet zuhört, ist es, als ob man Hiob zuhört. Es ist die Sprache Hiobs. Vielleicht ist sie sogar noch schärfer als die Hiobs. Es sind Worte, die euch vielleicht erschrecken. Er sagte zu Gott: Du hast alles getan, um mich von dir zu entfremden. Du hast alles getan, dass ich dir abschwöre. Du hast alles getan, um dich selbst mir stinkend zu machen. Du hast alles getan, damit ich dich verwerfe. Du hast alles getan, damit ich dich verleugne. Du hast das schrecklichste Leid über mich gebracht. Dennoch sage ich in den letzten Augenblicken meines Lebens: Höre Israel, der Herr euer Gott ist ein einiger Gott. – Das sind die heiligsten Worte aus dem Judentum, die der Jude nur auf dem Höhepunkt seines Lebens ausspricht; das Glaubensbekenntnis eines Juden schlechthin.

Hiob sagt hier: „Ich weiß!“ (Hiob 19,25) Nicht: Ich hoffe, nicht: Ich vertraue darauf, oder: Ich rechne damit, oder: Vielleicht wird es so sein, dass … Nein! „Ich weiß.“ Das ist die tiefste Überzeugung, die aus dem Herzen des Menschen hervorkommen kann: Wissen. Glauben heißt nicht: Verstehen, sondern Glauben heißt: Wissen. Das ist etwas ganz anderes. Glaube bedeutet nicht, mit dem Verstand zu ergründen, wer Gott ist und was Gott ist, was Gott tut und was Gott über einen Menschen bringt. Glaube bedeutet wissen, dass Gott unser Erlöser ist, unabhängig davon, wer Er ist, was Er tut und was Er bringt. Das ist das Erste.

Darüber hinaus weiß Hiob nicht nur, dass sein Erlöser lebt, sondern auch, dass Er sein Erlöser ist. Hier steht das herrliche hebräische Wort go-el Das ist der go-el, den man im dritten Buch Mose findet. Dort musste man für seinen verarmten Bruder Löser werden, das heißt den Bruder von seiner Armut freikaufen. So ist Gott der Löser durch den Herrn Jesus geworden ist, um uns von der Armut der Sünde loszukaufen. Der Israelit hatte auch auch einen Löser nötig, wenn er selbst an einen Mit-Israeliten verkauft worden war. Genauso sind wir alle an die Sünde und Sklaverei verkauft. Der Löser ist der Herr Jesus Christus, der uns loskauft aus dieser Sklaverei. Der Löser ist der, der uns den Besitz für zurückkauft. Der Löser ist der, der uns in unseren Rechten wiederherstellt. Der Löser ist der, der die Braut heiratete, die an ein Erbe gebunden war. Schließlich ist der Löser auch der Bluträcher. Er tötet und rächt den Feind, der es auf unser Leben abgesehen hat.

Das alles kannte Hiob noch nicht. Das ist unser großer Löser und unser Bruder. Das ist der, der uns selbst seinen Bruder nennt, einer unseres Geschlechts. Er ist der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus. Er ist der Löser, der uns aus der Sklaverei freikauft, der uns in unseren Rechten und Besitztümern wiederherstellt. Er ist unser Bluträcher, der unsere Feinde getötet hat, und derjenige, der nicht nur das Erbteil gekauft hat, das heißt die ganze Erde, sondern der sich auch eine Braut aus dieser Welt erworben hat. Das sind alles die Aufgaben des go-el, des Lösers.

Das ist ein lebender Löser. Welch einen tiefen Sinn erhalten die Worte im Licht des Neuen Testaments! Hier steht wörtlich: Ich weiß, mein Löser ist der Lebende (Hiob 19,25). – Welch eine Tiefe erhalten diese Worte vor dem Hintergrund dessen, was der Herr Jesus zu Johannes auf Patmos sagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 1,18). Er ist durch den Tod und die Auferstehung hindurch unser Löser geworden.

Der Erlöser als Letzter auf dem Erdboden

Nur so kann man den zweiten Teil von Vers 25 verstehen. Darüber wurde schon viel spekuliert. Ich will keinen Überblick aller Auslegungen geben, die diesem Wort schon gegeben wurden. Ich werde mich darauf beschränken, was ich denke, das es ist. Als der Letzte wird Er auf dem Staub, das heißt auf diesem Erdboden als der Lebende auftreten. Er wird das zum Schluss tun, eben als der Letzte. Er ist der Letzte, der auf diesem Erdboden auftreten wird. Er ist derjenige, der das letzte Wort über diese Erde hat. Wenn jeder Mensch und jede Macht und auch Satan selbst jedes Wort gesprochen haben wird, wird Er als Letzter auftreten. Er sagt: „Ich bin der Erste und der Letzte.“ Er hat das erste Wort in 1. Mose 1 und Er hat das letzte Wort am Ende der Zeiten. Der Letzte wird auf diesem Erdboden auftreten. Er ist nicht nur der Lebende, der aus den Toten auferweckt worden ist und zur Rechten Gottes sitzt, sondern Er ist auch derjenige, der als Letzter auf diesem Erdboden auftreten wird. Er wird in Macht und Majestät alle Dinge wiederherstellen und die Körper all der seinen aus den Gräbern zurückrufen und in einem Auferstehungskörper wiederherstellen.

Hiob glaubt an die Auferstehung

Das ist das, was Hiob in Kapitel 14 noch als zweifelhafte Frage aufgeworfen hat: „Wenn ein Mann stirbt, wird er wieder leben?“ (Hiob 14,14). Das ist keine theoretische Frage. Das ist eine ringende Frage: Ist das denkbar? Darf ich das hoffen?

Dies Buch ist so alt, dass all das Licht, das wir über die Auferstehung haben, damals noch gar nicht existierte. Genau wie Abraham, der von einer Auferstehung noch nichts gehört hatte, erwog, dass Gott mächtig sein würde, Isaak aus den Toten aufzuerwecken. Das war damals noch nie geschehen. Welch ein Glaubenszeugnis von Hiob! Er rechnete nicht mehr damit, dass Gott in seinem Leben den Tod noch einmal abwenden sollte, obwohl das geschehen ist. Er rechnete jedoch damit, dass wenn er durch den Tod gehen muss und den Weg gehen muss, von dem noch kein Mensch je zurückkehrt ist (s. Schluss von Kapitel 16), dann ist es damit nicht aus, sondern es wird weitergehen Richtung Auferstehung. In Vers 26 sagt er: „Und ist nach meiner Haut dies da zerstört, so werde ich aus meinem Fleisch [ich denke, dass das in der Tat die richtige Übersetzung ist – von meinem Fleisch aus] Gott anschauen“ (Hiob 19,26). Nicht von diesem zerstörten Fleisch aus, nicht jetzt vor dem Tod, auch nicht außerhalb des Körpers, das heißt nach dem Tod und vor der Auferstehung, sondern nach der Auferstehung, von diesem Fleisch aus, und zwar von erneuertem, unzerstörtem Fleisch aus, aus einem verherrlichten Körper. Von diesem Körper aus werde ich Gott anschauen, „den ich selbst mir {zu meinen Gunsten} anschauen und den meine Augen sehen werden, und kein anderer“ (Hiob 19,27). Dort kommt uns kein fremder Gott entgegen – singen wir in einem Lied –, sondern es ist dein Vater, dein Gott. „Meine Nieren verschmachten in meinem Innern“ (Hiob 19,27b).

Hier ist Hiob auf dem Höhepunkt seiner ersten geistlichen Phase seiner Entwicklung während seines Leidens. Hier klammert sich sein Glaubensvertrauen an Gott fest. Hier festigt sich die Hoffnung genau wie die Hoffnung Jakobs auf seinem Sterbebett. Er hoffte auch nicht auf Genesung oder einem Bewahrt-Bleiben vor dem leiblichen Tod. „Auf deine Rettung harre ich, Herr“ richtet sich auf den Tag der Auferstehung (1Mo 49,18). Das zielt nicht auf den Himmel ab. Jakob wusste von keinem Himmel. Das ist alles neutestamentlich. Durch Glauben wusste Jakob um die Auferstehung. Wenn Christus erscheinen würde, wollte er dabei sein. Deshalb ließ er seine Gebeine nach Israel, nach Palästina bringen.

So hält der Heilige des Altertums ebenso wie der Heilige der Neuzeit Ausschau nach dem Tag der Auferstehung, nach dem großen Tag, an dem Christus unsere Körper der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Körper der Herrlichkeit. Der Körper unserer Niedrigkeit wird seinem verherrlichten Körper gleichförmig sein.

Kapitel 20 – Zophars Darstellung des Gottlosen

Der dritte Freund Zophar kommt zu Wort. Wie schon gesagt, kann ich nicht viel über die Freunde sagen, weil sie nicht viel Neues zu erzählen haben, außer wenn es um die Evangeliumsverkündigung geht. Ich muss sagen, dass Zophar derjenige ist, der das am meisten zutreffende, das eindringlichste und ausführlichste Bild des Gottlosen skizziert – ein korrektes und herrliches Bild, sofern man dabei von herrlich reden kann. Das Bild ist scharf, korrekt und wahrheitsgetreu sowie eindringlich, jedoch falsch platziert und an die falsche Adresse gerichtet. Er fördert jetzt genauso knallhart und ungeschminkt seine Anschuldigungen zutage. Vers 5: „Der Jubel der Gottlosen [ist] kurz.“ Du kannst zwar jetzt schön reden, Hiob … – Nachdem Hiob gerade so ein Glaubenszeugnis hervorgebracht hat, muss man sich diese Anschuldigung mal vorstellen! Solche Freunde muss man erst einmal haben. Nach diesem Glaubenszeugnis kommt dein guter Freund und sagt zu dir: Du kannst schön reden, Hiob, aber es wird nicht lange dauern, denn der Jubel der Gottlosen ist nur von kurzer Dauer. – Über solche Freunde würden wir kein Wort mehr verlieren. Anschließend bringt auch er sein eindringliches Wissen über den Gottlosen hervor.

Kapitel 21 – Antwort Hiobs: Gott regiert indirekt

In Kapitel 21 sehen wir die dann die Antwort Hiobs an Zophar. Das Merkwürdige dabei ist, dass man zunächst eine Veränderung bei Hiob feststellt. Sein Glaube und die Hoffnung auf Gott, die sich neu in ihm gefestigt haben, haben Auswirkungen. Ob jemand ein Glaubenszeugnis bringt, das wirklich ein Glaubenszeugnis seines Herzens ist, kann man erkennen, wenn man auf seine Taten und seine Worte sieht. Es darf nicht nur ein schönes Lippenbekenntnis sein, sondern muss sich im ganzen Leben auswirken. Das stellt man hier an der sanften Antwort Hiobs fest. In dem Maß, in dem der scharfe Ton seiner Freunde zunimmt, nimmt er bei Hiob ab. Er sagt: „Ertragt mich, und ich will reden, und nachdem ich geredet habe, magst du spotten. Richtet sich meine Klage an einen Menschen? Oder warum sollte ich nicht ungeduldig sein?“ (Hiob 21,3).

Anschließend kann man erkennen, dass Hiob derjenige ist, der durch den Glauben jetzt viel besser begreift (er hatte das bislang auch noch nicht so gut verstanden), wie sich das mit der Regierung Gottes eigentlich verhält. Beim letzten Mal hatte ich das schon erläutert: Unter einer direkten Regierung Gottes straft Gott das Böse sofort und belohnt das Gute auch sofort. Unter solch einer Regierung, wie das im Tausendjährigen Reich der Fall sein wird und in gewissem Sinn auch unter David und Salomo so war, weiß man genau, woran man ist. Dem Gläubigen geht es gut und der Gottlose wird gestraft und gezüchtigt. Sie kommen um, es sei denn, dass sie sich heuchlerisch dem Herrn unterwerfen. Man weiß genau, woran man ist. Aber unter einer indirekten Regierung Gottes ist es oft genau umgekehrt. Hier müssen die Gläubigen leiden und werden erst am Ende herausgerettet, und den Gottlosen geht es häufig bestens. Sie werden erst am Ende ihres Weges ihren Lohn empfangen.

Das ist das, was Hiob jetzt verstanden hat. In Vers 7 dieses Kapitels sagt er: „Warum leben die Gottlosen?“ Sie werden ja gar nicht gezüchtigt und ausgerottet. Wenn es nur so einfach wäre. Tatsächlich werden sie alt, nehmen sogar an Macht zu. „Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, mit ihnen, und ihre Sprösslinge vor ihren Augen. Ihre Häuser haben Frieden, ohne Furcht“ (Hiob 21,8.9). Aha! Das ist die Sprache, die man zum Beispiel von Asaph aus Psalm 73 kennt, der dasselbe festgestellt hat und das auch nicht verstand. Das war für ihn eine große Qual genau wie bei Hiob, bis das er in Gottes Heiligtümer hineinging und feststellte, dass man auf das Ende der Gottlosen sehen muss. Die Strafe kommt, jedoch nicht immer sofort. Beachte das Ende. Gottes Kinder leiden zwar, sie gehen jedoch in die Herrlichkeit. Denke an den armen Lazarus, der ins Paradies ging. Denke an den reichen Mann, der im Hades landet. Betrachte das Ende der Gottlosen.

Hier sehen wir, dass Hiob jetzt versteht, dass das alles nicht so einfach ist. Es ist durchaus so, dass Gottlose es gut haben können. Obwohl jeder von außen sieht, dass es Gottlose sind, werden sie nicht einfach so bestraft. Deshalb, sagt er sozusagen, darf man die Sache auch nicht umkehren. Wenn jemand gestraft wird, ist das noch kein Beweis dafür, dass er ein Gottloser ist, weil Gott die Gottlosen sehr oft laufen lässt. Oft geht es ihnen sogar sehr gut.

Manche Teile dieses Kapitels sind schwer zu verstehen, weil nicht immer klar ist, ob Hiob das wirklich alles gesagt haben kann. Man sieht in der NBG-Übersetzung in Vers 1619 die Worte eingefügt „Ihr sagtet“, und in Vers 19 „Ich sage.“ Die Frage ist, ob das so korrekt ist. Es lässt die Schwierigkeit des Kapitels erkennen. Ab und zu zitiert er Worte seiner Freunde und versieht diese dann mit eigenen Kommentaren. Der Inhalt dieses Kapitels ist aber klar: Nein, meine Freunde, die Gottlosen haben es manchmal sehr gut und kommen erst am Ende um. Ihr dürft nicht einfach sagen, dass Gott das Böse sofort bestraft und das Gute belohnt, denn dann scheint es, als ob die Gottlosen die Guten sind.

Kapitel 22 – Eliphas: Straft Gott deine Gottesfurcht, Hiob?

Nun, in Kapitel 22 kommt Eliphas zu seiner dritten Rede und kommt jetzt zur öffentlichen Anklage. Was blieb ihm anders übrig. Hiob hat auch in der zweiten Runde seine Freunde vollständig widerlegt, besonders durch Letzteres, durch die indirekte Regierung Gottes, in der die Gläubigen oft leiden müssen und es den Gottlosen gut geht. Eliphas sagt hier nun ganz direkt zu Hiob: „Ist es wegen deiner Gottesfurcht, dass er dich straft, mit dir ins Gericht geht?“ (Hiob 22,4). Er sagt sozusagen: Komm Hiob! Wenn Gott dich so straft, willst du uns dann einreden, dass das deiner Gottesfurcht wegen ist? Straft Gott Gottesfurcht? – Wir verstehen natürlich den Trugschluss bei Eliphas: Leiden ist nicht dasselbe wie Bestrafung, jedenfalls lange nicht immer. Leiden kann Bestrafung sein, braucht es aber nicht zu sein. Klar, wenn es Bestrafung wäre, könnte Eliphas sagen: Bestraft Gott Gottesfurcht? Nein! Natürlich nicht!

Aber Leiden und Bestrafung ist nicht per se dasselbe. Das ist der große Denkfehler, den auch heute noch zahllose Christen machen, die, wenn Gläubige schweres Leid zu ertragen haben, einfach zu ihnen sagen: Das wird wohl die Strafe Gottes sein. – Oft wissen sie dann auch noch anzufügen, wofür die Strafe ist. Das ist dann besonders schrecklich! Es geht hier aber nicht um Bestrafung. In Vers 5 sagt er dann: „Sind nicht deine Bosheiten groß und deine Ungerechtigkeiten ohne Ende?“ Danach kommt er dann mit seinen scharfen Warnungen an Hiobs Adresse. Er sieht ihn ja als einen Gottlosen. Ich wiederhole – mein Vortrag beginnt eintönig zu werden –: Welch eine herrliche Evangelisationspredigt ist das! Lest mit mir bekannte Worte: „Verkehre doch freundlich mit ihm und halte Frieden; dadurch wird Gutes über dich kommen. Empfange doch Belehrung aus seinem Mund, und nimm dir seine Worte zu Herzen. Wenn du zu dem Allmächtigen umkehrst, so wirst du wieder aufgebaut werden, wenn du Unrecht aus deinen Zelten entfernst … Denn dann wirst du dich an dem Allmächtigen ergötzen und zu Gott dein Angesicht erheben. Du wirst zu ihm beten, und er wird dich erhören; und deine Gelübde wirst du bezahlen“ (Hiob 22,21-23.26).

So würde ich heute Abend zu einem Menschen sprechen, der noch nicht mit Gott ins Reine gekommen ist. Ich würde die Worte einfach aus dem Zusammenhang nehmen und sie euch vorlegen als Botschaft, die auch in euer Gewissen und euer Herz eindringen soll, um euch zu Gott zu bekehren und den Herrn Jesus als Erlöser anzunehmen; um euch an Gott zu gewöhnen und zu Frieden zu bringen, damit ihr euch an Gott ergötzen könnt und Ihm die Anbetung bringen und eure Gelübde bezahlen könnt. Aber Hiob gegenüber waren diese Worte wie Perlen vor die Säue und an die falsche Adresse gerichtet. Das ist das Traurige. Für Hiob war es abscheulich schmerzhaft, wie Salz in der Wunde, solche Worte hören zu müssen.

Kapitel 23 – Hiobs Schmerz lehnt sich gegen Gott auf

In Kapitel 23 sieht man, wie schmerzlich das für Hiob war. Gerade Kapitel 23 ist eine treffende Illustration dessen, was ich schon sagte: Einerseits ist Hiob dahin gekommen, sich an Gott festzuklammern. Andrerseits ist er noch nicht gedemütigt. Beachte zum Beispiel Verse 3-4: „O dass ich ihn zu finden wüsste, dass ich kommen könnte bis zu seiner Wohnstätte! Ich würde meine Rechtssache vor ihm darlegen und meinen Mund mit Beweisgründen füllen.“ Ihr seht die Vorsicht. Er sagt: Wenn ich wirklich mal zu Gottes Thron kommen könnte oder wenn ich vor dem Richter stehen könnte, wenn ich es nur selbst darlegen könnte … – Manche Menschen reden auch so, wenn sie sagen: Wenn ich mal selbst zur Königin kommen könnte … Die Königin wird übrigens jeden Tag durch Privatpersonen mit ihren persönlichen Problemen belästigt – Hunderte gleichzeitig. Wenn ich es ihr selbst erzählen könnte …

Wenn ich einfach so zu Gott zu Besuch kommen könnte und ganz ruhig erzählen könnte … Ich übertreibe jetzt etwas, um klarzumachen, was gemeint ist. Wenn ich einmal mit Gott am Tisch sitzen könnte und sagen könnte: Gott, wie kannst du das machen? – So spricht Hiob. Daraus geht hervor, dass sein Glaube an Gott zwar groß sein mag, er Gott aber noch nicht kennt. Denn in dem Moment, in dem er wirklich vor Gott steht, sind all diese Sprüche – denn nichts anderes sind es – verschwunden. Das sollte noch kommen. Dazu konnte nichts minder geschehen, als dass Gott selbst sich Hiob offenbaren würde. Wenn das geschieht, traut Hiob sich nicht mehr das zu sagen, was hier noch in Vers 10 steht: „Denn er kennt den Weg, der bei mir ist; prüfte er mich, wie Gold würde ich hervorgehen.“ Welcher Mensch, der Gott ein bisschen kennt, der Gott wirklich begegnet ist, würde solche Worte sagen? Welcher Mensch, der sich grober Schlechtigkeit bewusst ist, würde solche Worte sprechen? Hiob ist ein Gläubiger mit wenig Gotteserkenntnis. Er hat zwar großen Glauben an Gott, aber wenig Wissen über Gott. Das sollte noch kommen.

Kapitel 24 – Hiob klagt Gott allgemein an

Über Kapitel 24 will ich nicht so viel sagen. In der Überschrift dieses Kapitels ist es gut wiedergegeben: Hat Gott acht auf das Los der Bedrückten? Es ist trotz seines Glaubens erneut eine lange Anklage Gott gegenüber, der sich nicht zu kümmern scheint. Nicht nur nicht um Hiob. Er ist nicht nur egoistisch und egozentrisch mit sich selbst beschäftigt, sondern er denkt an so viele. In Kapitel 21 beschrieb er, wie erfolgreich die Gottlosen sind. In diesem Kapitel beschreibt er, wie viele es gibt, die unterdrückt und verfolgt werden, obwohl sie unschuldig sind. Es geht nicht nur um ihn selbst, sondern um die vielen, vielen anderen. Am Ende von Vers 12 steht: „Und Gott rechnet es nicht als Ungebühr an“ [oder: Gott beachtet das Gebet nicht, Gott kümmert sich nicht um sie]. Der Glaube Hiobs mildert seine Worte in gewisser Hinsicht ab, aber die Anklage bleibt und wird bleiben, bis dass Hiob Gott selbst Auge in Auge gegenübersteht.

Kapitel 25 – Bildads letzter Versuch, Hiob Schuld einzureden

Der letzte der Freunde, der zu Wort kommt, ist Bildad. Zophar ist gar nicht mehr zu Wort gekommen, weil Hiob anschließend eigens eine lange Rede hält. Man sieht in Kapitel 25, dass es nur aus 6 Vers besteht. Es ist ein kurzes Kapitel, weil die Freunde wirklich alles gesagt haben. Das Einzige, was sie machen können, ist, ihre eigenen Argumente zu wiederholen. Das findet in immer schärferem Ton und lästerlich statt. Ich wiederhole: Aus Kapitel 25 kann man eine herrliche Evangelisationspredigt machen. Bildad liegt mit seiner knallharten Sprache völlig daneben. Aber wenn man das aus dem Zusammenhang nimmt, stehen hier fünf Fragen, die sich jeder Ungläubige in seinem Gewissen gründlich zu Herzen nehmen muss:

  1. „Sind seine Scharen zu zählen?“ (Hiob 25,3).
    Das beschreibt die Macht Gottes mit seinen mächtigen Engelheeren. Was ist ein Mensch im Vergleich zu all den Heerscharen Gottes, Gott selbst außen vor gelassen?
  2. „Und über wem erhebt sich nicht sein Licht?“ (Hiob 25,3).
    Das ist hier nicht das heilende Licht, sondern das prüfende, beurteilende Licht Gottes. Es ist das Suchlicht gemeint, das auf das Leben der Menschen scheint und ihre bösen Werke ans Licht bringt. Welcher Mensch kann diesem suchenden Licht Gottes entkommen, das seine Sünden ans Licht bringt?

  3. Wenn das geschieht (Frage 2), „wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?“ (Hiob 25,4a).
    Welcher Mensch ist da, der unbeschmutzt in diesem Licht zum Vorschein kommt? Oder:

  4. „Wie könnte ein von einer Frau Geborener rein sein?“ (Hiob 25,4b).
    Schon aufgrund deiner Geburt und der Abstammung deiner Eltern bist du unrein. Selbst wenn du dir keiner Sünde bewusst bist, bist du dennoch von Natur aus unrein. „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch“, sagt der Herr Jesus zu Nikodemus.

  5. „Siehe, sogar der Mond scheint nicht hell, und die Sterne sind nicht rein in seinen Augen: wie viel weniger der Mensch, der Wurm, und das Menschenkind, die Made!“ (Hiob 25,5.6).
    Für eine Evangelisation herrliche Worte, für Hiob Salz in die Wunde. Was ist Hiobs Antwort?

Kapitel 26 – Hiob kennt die Größe Gottes besser als seine Freunde

Hiobs Antwort in Kapitel 26 geht über in die sogenannten letzten Reden Hiobs. So steht das als Überschrift über Kapitel 27 und zieht sich bis Kapitel 31. Wir sind zum Schluss unserer Überlegungen gekommen, die an sich nicht viel Erklärungen erforderten. Jetzt kommt Hiobs letzte lange Rede.

In Hiobs Antwort an die Adresse von Bildad in Kapitel 26 sagt er zunächst noch traurig: „Wie [gut] hast du dem Ohnmächtigen geholfen („gut“ ist natürlich sarkastisch gemeint), den kraftlosen Arm gerettet!“ (Hiob 26,2). In den nachfolgenden Versen beschreibt Hiob auf seine Weise die Größe Gottes, wie seine Freunde das auch getan haben. Er tut das eigentlich noch zutreffender und eindringlicher, als die Freunde das getan haben. Darin liegt eigentlich der Vorwurf, der ein sehr wichtiger Vorwurf ist: Was wisst ihr eigentlich von Gott? Es ist, als ob die Freunde mit einer simplen Argumentation dachten, Gott in die Tasce stecken zu können. Sie meinten genau zu wissen, wie Gott denkt, fühlt und wirkt. Heutzutage gibt es diese Leute auch. Die wissen alles über Gott. Sie wissen genau, wie Gott in dieser oder jener Situation handelt. Sie haben Gott vollständig kategorisiert. Darauf gibt es hier eine schöne Antwort Hiobs. Vom Verstand her gesprochen, ist es jedenfalls eine schöne Antwort, indem er sagt: Gott ist viel größer als ihr sagt. Gott kann nicht so einfach kategorisiert werden. – Ich nenne das eine verstandesgemäße Antwort, weil Hiob selbst zwar die Größe Gottes mit seinem Verstand erkennt, bisher aber nur wenig mit dem Herzen davon wahrgenommen hat. Das wird dann geschehen, wenn er selbst mit der Größe Gottes konfrontiert wird.

Kapitel 27 – Hiob kennt das Ende der Gottlosen besser als seine Freunde

In Kapitel 27 spricht Hiob erneut über etwas, was im Prinzip schon von den Freunden Hiobs ausgesprochen worden war. Hiob beschreibt das aber viel nachdrücklicher, ausführlicher und tiefer, als die Freunde es getan haben. In den ersten Versen stellt er in seiner Unschuld noch fest: „Bis ich verscheide, werde ich meine Unsträflichkeit nicht von mir weichen lassen. An meiner Gerechtigkeit halte ich fest“ (Hiob 27,5.6). Aber dann, ab Vers 8 bis 23 beschreibt er jetzt auch den Weg der Gottlosen, nachdem alle drei Freunde das getan haben. „Denn was ist die Hoffnung des Ruchlosen, wenn Gott abschneidet, wenn er seine Seele herauszieht?“ (Hiob 27,8). Hier findet man auch wieder, wie es am Ende mit den Gottlosen schiefgehen wird. Hiob weiß, darum. Er macht seinen Freunden klar: Ich weiß, wie es um die Gottlosen bestellt ist. Ich kann es noch schriller darlegen, als ihr es getan habt. Erzählt mir nichts! Ich weiß, wer der Gottlose ist und ich weiß, wo sein Weg endet. Ich weiß es besser als ihr.

In Kapitel 26 zeigt er, dass er mindestens genauso gut oder sogar noch besser als seine Freunde die Größe Gottes kennt. In Kapitel 27 zeigt er, dass er mindestens so gut wie seine Freunde weiß, wer der Gottlose ist und wo der Weg der Gottlosen endet.

Kapitel 28 – Hiob weiß besser als seine Freunde, was Weisheit ist

In dem herrlichen Kaptitel 28 zeigt er drittens, dass er besser noch als seine Freunde weiß, was wahre Weisheit ist. Es ist ein herrliches Kapitel. Manche Menschen haben gedacht, dass dies einfach in das Buch eingefügt wurde, weil es so auf sich allein gestellt ist. Aber dieser Gedanke ist gar nicht nötig. Das kann sehr wohl durch Hiob ausgesprochen worden sein. Es ist das Kapitel über die Weisheit.

Die Weisheit der Freunde ist eine billige Weisheit. Die kann man sich leicht besorgen. Diese Weisheit ist aus Vorrat lieferbar. Das ist aber nicht die wahre, göttliche Weisheit. Die Überschrift sagt: Die für den Menschen unauffindbare Weisheit. Hiob sagt zu seinen Freunden: Die wahre Weisheit Gottes ist nicht von der billigen Art, wie ihr sie an mich herantragt. Für die Weisheit Gottes muss man tief in das Wesen Gottes selbst eindringen. Er gebraucht dafür eine schöne Bildersprache über den Minenbau. Das Kapitel ist deswegen so interessant für uns, weil es etwas wiedergibt vom Minenbau aus alten Zeiten. Er erzählt, wie Menschen tiefe Minenschächte in den Boden bohren, um mit sehr viel Mühe und den primitiven Mitteln damaliger Zeit Gold, Silber und Edelsteine aus der Erde nach oben zu holen. Welch eine Mühe muss sich der Mensch machen, um tief in der Erde die herrlichen Güter Gold, Silber und Edelsteine zum Vorschein zu holen.

Aber, sagt er, mit der Weisheit ist es noch schwieriger. In Vers 12 sagt er: „Aber die Weisheit, wo wird sie gefunden, und wo ist die Stätte des Verstandes?“ Vers 7: „Ein Pfad, den der Raubvogel nicht kennt und den das Auge des Habichts nicht erblickt hat.“ Vers 13: „Kein Mensch kennt ihren Wert, und im Land der Lebendigen wird sie nicht gefunden. Die Tiefe spricht: Sie ist nicht in mir.“ Man kann sie nicht kaufen. Man kann kein Geschäft dafür aufsuchen. Auch wenn man Gold und Silber für sie gäbe, könnte man sie dafür nicht bekommen. Man könnte nicht einmal alle die Kostbarkeiten, die man aus der Erde ausgegraben hat, im Tausch für sie geben. Für all die Schätze, die in Vers 15-19 aufgezählt werden, kann man die Weisheit nicht kaufen. Die Weisheit ist nicht käuflich erwerbbar, weil die Weisheit nicht billig ist. Vers 20 sagt: „Die Weisheit nun, woher kommt sie, und wo ist die Stätte des Verstandes? Denn sie ist verborgen vor den Augen aller Lebendigen, und vor den Vögeln des Himmels ist sie verhüllt. Der Abgrund und der Tod sagen: Mit unseren Ohren haben wir ein Gerücht von ihr gehört. Gott versteht ihren Weg, und er kennt ihre Stätte.“ Wenn man wahre Weisheit kennenlernen will, muss man zu Gott kommen.

Welch eine Sehnsucht gibt es nach Weisheit in der Welt. Zu allen Zeiten gab es sie; auch heute, wo der Mensch zerrüttet ist, weil er mit so gewaltigen Problemen konfrontiert wird. Die Macht, die der Mensch selbst entfesselt hat, steigt ihm über den Kopf. Er weiß keinen Rat mehr. Der Mensch ist auf der Suche nach Weisheit, losgelöst von seinen Wurzeln.

Aber was sagt Hiob: Weisheit? Dazu musst du zu Gott kommen. – Leider ist gerade dem Menschen des 20. Jahrhunderts Gott auf jämmerliche Weise verlorengegangen. Weisheit gibt es bei Gott: „Gott versteht ihren Weg, und er kennt ihre Stätte. Denn er schaut bis zu den Enden der Erde; unter dem ganzen Himmel sieht er. Als er dem Wind ein Gewicht bestimmte und die Wasser mit einem Maß abwog, als er dem Regen ein Gesetz bestimmte und eine Bahn dem Donnerstrahl, da sah er sie und tat sie kund, er setzte sie ein und durchforschte sie auch. Und zum Menschen sprach er – endlich, im 28. Vers des 28. Kapitels kommt die Antwort –: „Siehe, die Furcht des Herrn ist Weisheit, und vom Bösen weichen ist Verstand.“

Wenn ich viel Zeit zur Verfügung hätte, würde ich mit euch Stück für Stück ein paar der schwierigsten Fragen unserer Zeit hervorholen. Du kannst sie selbst hervorholen, weil die Titelseiten fast jeden Tag voll davon sind. Der Mensch hat keine Antworten mehr auf die großen Fragen unserer Zeit, weil sie ihm völlig aus der Hand geglitten sind: das Wettrüsten, die Arbeitslosigkeit, AIDS, die schreckliche Krankheit usw. Ich könnte euch das klarmachen, aber ihr wisst es genauso gut wie ich … Die Furcht des Herrn würde all diese Probleme verändern. Ich weiß, dass das billig klingt. Aber wenn man sich vorstellt, die Menschheit wäre von der Furcht des Herrn befangen, wie das bei der Wiederkunft des Herrn der Fall sein wird, würden all die Probleme wie Schnee vor der Sonne wegschmelzen. Später wird die Erde von der Furcht und der Erkenntnis der Herrn erfüllt sein.

„Vom Bösen weichen ist Verstand“ (Hiob 28,28b). Das ist Weisheit. Das bedeutet, Erkenntnis im praktischen Leben anzuwenden. Das ist Weisheit und praktische Erkenntnis. Dies ist Erkenntnis: Das Gute tun und das Böse lassen. Das ist das ganze Geheimnis des Menschenlebens. Das Gute zu tun, bedeutet, nach Gottes Willen zu leben; das Böse zu lassen, bedeutet, nach Gottes Willen zu leben. Hier zeigt Hiob an, dass er tiefer als seine Freunde, die so viel über die Weisheit Gottes zum Besten zu geben wussten, geschmeckt, gefühlt und betastet hat, was Weisheit ist.

Kapitel 29 – Hiobs Gedanken an das frühere Wohlleben

Nun, ich habe euch schon gesagt, dass ich über die letzten Kapitel nicht viel zu sagen habe. Ich würde euch viel lieber den Rat geben, heute Abend oder Morgen die Kapitel für euch selbst zu lesen. Sie sind nicht schwierig zu verstehen, aber umso ergreifender zu lesen.

Über Kapitel 29 steht: Die früheren Tage von Wohlstand und Ehre. Jedem Menschen, der sich im Elend befindet, überkommt Heimweh nach den früheren Tagen, als er noch gesund und reich war, als seine Ehe noch in Ordnung und seine Kinder noch da waren. Er träumt sozusagen von den geliebten Erinnerungen. Kapitel 29 ist voll davon. Wie schon gesagt, wir können das nicht alles behandeln – lest das mal für euch selbst.

Kapitel 30 – Der Rechtschaffene leidet

In Kapitel 30 ist Hiob auf einmal wieder in der harten Realität des Jetzt zurück. Dieses Kapitel fängt mit einem „aber“ an: „Und nun lachen über mich Jüngere als ich an Jahren, deren Väter ich verschmähte, den Hunden meiner Herde beizugesellen“ (Hiob 30,1). Vers 9: „Und nun bin ich ihr Spottlied geworden und wurde ihnen zum Gerede. Sie verabscheuen mich, treten fern von mir weg, und sie verschonen mein Angesicht nicht mit Speichel.“

Nochmals: Wer kann solche Worte lesen, ohne an den Herrn Jesus zu denken. Deutlicher als je zuvor sehen wir in diesen letzten Kapiteln in Hiob das Bild eines anderen erscheinen, dem wir erst im Neuen Testament begegnen: Das Bild des wahrhaft Unschuldigen, der durch Gott geläutert wurde und bei dem nur Gold, feines Gold zum Vorschein kam. Er wurde durch Gott geläutert und alles war gerecht. Der Gerechte musste für Ungerechte zur Sünde gemacht werden. Beachte die Sprache Hiobs in Vers 20: „Ich schreie zu dir, und du antwortest mir nicht (das ist die Sprache der Psalmen), ich stehe da, und du starrst mich an. In einen Grausamen verwandelst du dich mir, mit der Stärke deiner Hand befeindest du mich.“ Vers 23: „Denn ich weiß es, du willst mich in den Tod zurückführen und in das Versammlungshaus aller Lebendigen.“

Kapitel 31 – Hiobs letzte Unschuldsbekundung

Schließlich verschwimmt das Bild des Herrn Jesus in Kapitel 31 wieder etwas. Zwar nicht ganz, weil der Herr Jesus auch seine Unschuld bezeugen konnte. Bei Hiob können wir uns das jedoch nur mit gemischten Gefühlen anhören. Bei Hiob vernimmt man noch keine Demut. Das sollte erst noch kommen.

In Kapitel 30 sehen wir einen der hellsten Momente, in welchem wir in Hiob ein Bild des Herrn Jesus mit allen Einschränkungen wahrnehmen, die wir bereits berührt haben. In Kapitel 31 dagegen haben wir das letzte Zeugnis seiner Unschuld. Es ist das letzte Mal, dass er sich Gott gegenüber erklärt. Ich weise nur auf Vers 37: „Ich würde ihm die Zahl meiner Schritte mitteilen, würde ihm nahen wie ein Fürst.“ Auf diesen Vers möchte ich speziell hinweisen, weil er das wiedergibt, was ich vorhin sagte. Wie klein ist Gott hier in den Augen Hiobs, wenn er so spricht: Wenn ich Gott einmal sehen werde, werde ich als Fürst zu Ihm kommen. Dann werde ich Ihm gerade in die Augen schauen. Ich werde meinen Rücken gerade machen und meine Brust rausstrecken …

Die nächsten Male werden wir sehen, was noch mit Hiob geschehen muss. Heute Abend haben wir bei ihm das Wunderbare feststellen können, dass sein Glaube, der im Elend zu ersticken drohte, erwachte und sich wieder vollständig Gott anvertraute. Bei den nächsten Malen – so der Herr will – hoffen wir das, was mit Hiob auch noch geschehen musste, bevor Gottes Weg mit ihm zu Ende war, zu behandeln. Hiob wird dann die Größe Gottes offenbart. Dabei wird Hiob so klein, dass nichts mehr von dem Fürsten übrigbleibt und von dem Mann, der so pochend und auf die Brust schlagend zu Gott kommt und nur pures Gold meint anbieten zu können. Dann werden wir einen Mann hören, der sagt: Ich bin nur Staub und Asche. Das ist das, was der Mensch ist. Wie viel Mühe kostet es Gott manchmal, uns dahin zu bringen, dass wir wirklich mit unserem ganzen Herzen und mit jeder Faser unseres Daseins zu dieser Einsicht kommen.


Übersetzung: Stephan Winterhoff

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Anmerkungen

[1] NBG-Übersetzung: Niederländische Bibelübersetzung von 1951, der Statenvertaling ähnlich; bislang noch die Standardübersetzung der meisten niederländischen Protestanten.

Statenvertaling: Eine der ältesten niederländischen Bibelübersetzungen, von 1637, vergleichbar mit der englischen King-James-Bibel. Sie hatte, ebenso wie die Luther-Bibel die deutsche Sprache formte, großen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache in den Niederlanden und wird vor allem in den konservativen reformatorischen Kirchen, den Versammlungen der Brüder und den unabhängigen Baptistengemeinden gelesen.

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