Gottes Souveränität bei der Erlösung des Menschen
Vorwort

Roy A. Huebner

© SoundWords, online seit: 23.08.2007, aktualisiert: 15.03.2024

Hat man Sie gelehrt, der Mensch habe einen moralisch freien Willen Gott gegenüber? Hat man Sie gelehrt, Gott habe sich selbst beschränkt, um diesen angeblich moralisch freien Willen nicht zu beeinflussen? Und hat man Sie gelehrt, man werde durch einen Akt menschlichen Glaubens errettet, den man durch den eigenen Willen ausübe? Hat man Sie ebenfalls gelehrt, ein Christ könne, wenn er einmal errettet ist, durch Ausübung desselben moralisch freien Willens nicht wieder verlorengehen? Mit anderen Worten, Gott sage zum verlorenen Menschen: Wenn du deinen freien Willen gebrauchst, um zu glauben, was ich dir sage, das heißt, wenn du mich erwählst [choose], dann erwähle ich dich; und wenn ich dich erwähle, dann zwinge ich dir eine Unfähigkeit auf, mich „abzuwählen“ [un-choose]. Ist es letztlich das, was man Sie gelehrt hat?

Häufig glauben die Menschen gewisse unbiblische Lehren, weil sie denken, diese schützten oder ehrten das Wesen Gottes. So denken zum Beispiel diejenigen, die die Ansicht vom moralisch freien Willen des Menschen Gott gegenüber vertreten, es sei unmoralisch von Gott, vom Menschen Bezahlung zu erwarten, wenn der Mensch nicht die Fähigkeit besitze, zu bezahlen. Unfähigkeit, Gott zu bezahlen, bedeute, dass man keine Verantwortung habe, zu bezahlen. Sollten wir dergleichen annehmen, um jemand, der mir eine Million Dollar schuldet und nicht einen Cent zum Bezahlen besitzt, zu sagen: „Unfähigkeit, zu bezahlen, bedeutet, dass man keine Verantwortung hat, zu zahlen; deshalb schulden Sie mir nichts“?

Ebenso sagen viele, Gott gebiete dem Menschen nie, etwas zu tun, was der Mensch nicht erfüllen könne. Doch hat je ein Mensch, außer Christus, das Gesetz vollkommen gehalten? Nun, wir werden solche Themen betrachten. Die Souveränität und die Herrlichkeit Gottes haben einen Anspruch an jeden Gläubigen: Wir sollen Ihn in seiner Souveränität und Herrlichkeit ehren.

Wenn wir von Gottes Souveränität sprechen, so ist damit gemeint, dass sein Wille unangefochten ist und dass Er alles unter sich hat – wer und was auch immer es sein mag:

  • Dan 4,22: Du erkennst, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem er will.

  • Spr 21,1: Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des HERRN; wohin immer er will, neigt er es.

  • Ps 2,4: Der im Himmel thront, lacht; der Herr spottet ihrer.

  • Apg 4,26-28: Die Könige der Erde traten auf, und die Obersten versammelten sich miteinander gegen den Herrn und gegen seinen Christus, … zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvorbestimmt hat, dass es geschehen solle.

  • Apg 3,18: Gott aber hat so erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten zuvor verkündigt hat; dass sein Christus leiden sollte.

  • Jes 46,9.10: Erinnert euch …, dass ich Gott bin, und sonst ist keiner, dass ich Gott bin und gar keiner wie ich; der ich von Anfang an das Ende verkünde und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen und all mein Wohlgefallen werde ich tun.

Die Herrlichkeit Gottes scheint für Christen viel schwieriger zu begreifen zu sein. Das Wort „Herrlichkeit“ (doxa) bezeichnet eine Ehre, die erwiesen wird. Ich möchte dem Leser nahelegen, dass er die Herrlichkeit Gottes – das, was Gott von Natur aus ist – mit einbezieht. Gott ist zwei Dinge: Licht und Liebe (und zwar in dieser moralischen Reihenfolge, wie es in der Schrift offenbart ist). Gott handelt stets im Einklang mit dem, was Er ist. Demnach handelt Er auf all seinen Wegen in moralischer Vollkommenheit; sein Handeln stimmt überein mit dem, was Er als Licht und Liebe ist. Alles, was von Gott ausgeht, geht in moralischer Vortrefflichkeit aus und stimmt immer überein mit dem, was Er als Licht und Liebe ist. Seine Erwählung und Erlösung des verlorenen Menschen zeigen seine unendliche moralische Vollkommenheit. Wenn wir an das Kreuz denken, sehen wir dort Gott als das Licht, das die Sünde und Sünden richtet – die Wurzel und die Frucht. Dadurch schafft Er eine gerechte Grundlage, auf der seine Liebe zu den Verlorenen ausgehen kann. Auf dieser Grundlage kann Er auch gerecht sein, wenn Er den Sünder rechtfertigt, dessen Glaube in der Person und im Werk Christi ruht. Gott muss gerecht sein, wenn Er den Sünder rechtfertigt, sonst wäre dies böse und eine Schande anstatt Herrlichkeit.

Damit das Werk am Kreuz Gott verherrlichen kann – um die moralische Vollkommenheit dessen, was Er in seiner Natur als Licht und Liebe ist, auszudrücken und Ihn auf diese Weise verherrlichen zu können –, muss das Opfer am Kreuz von solch einer moralischen Natur, von solch moralischer Vollkommenheit sein, dass es der Herrlichkeit Gottes gerecht wird. Tatsächlich muss die Herrlichkeit des Opfers von einer Herrlichkeit sein, die der Herrlichkeit Gottes angemessen ist. Es ist die Person Christi als des Gott-Menschen, die von entsprechender Herrlichkeit ist und ein solches Werk, das Gott verherrlicht, vollbringen konnte. Warum das? Weil dem Werk die Herrlichkeit und Tugend seiner Person verliehen wurde. Christi gesamter Lebensweg hier auf Erden verherrlichte Gott, wie es auch sein Werk am Kreuz tat. Dies bezeugt Johannes 17,4. Diese Herrlichkeit wurde in 3. Mose 16 am großen Versöhnungstag vorgeschattet.

Wir wollen uns stets eine großartige Tatsache vor Augen halten: Jedes Wort, jeder Weg und jedes Werk des Herrn Jesus hatte einen göttlichen Ursprung. Sie haben einen göttlichen Ursprung, weil sich in Ihm das Menschliche und das Göttliche vereinigen – zwei Naturen, eine Person. Der Sohn Gottes nahm die menschliche Natur in seine Person hinein. Sein Tod war ein menschlicher Tod, doch es war kein Tod, den Er unabhängig von der Gottheit vollbracht hätte. Dass Christus diesen Tod vollbrachte, hatte einen göttlichen Ursprung, der diesem Tod den ganzen Wert seiner Person verlieh. Genauso war es bei den sühnenden Leiden und der Verlassenheit: Er trug sie zwar als Mensch, doch nicht als ein von der Gottheit getrennter Mensch. Der Wert seiner unendlichen Person verlieh den Leiden und der Verlassenheit unendlichen Wert. Das Blut und das Wasser, die aus seiner Seite flossen, enthalten den ganzen Wert seines Todes; und der Tod enthält den ganzen Wert seiner sühnenden Leiden und Verlassenheit während der drei Stunden der Finsternis.

Es ist alles ein großes Ganzes, das den unendlichen Wert seiner Person hat. Dies wird in 3. Mose 16 vorgeschattet, wo die Wolke von dem Räucherwerk auf den Feuerkohlen vom Altar zu Jahwe emporstieg – und diese Wolke bedeckte den Deckel auf der Lade mit dem Gesetz (3Mo 16,12.13). Bei diesem Ereignis war noch eine andere Wolke vorhanden: „Denn ich erscheine in der Wolke über dem Deckel“ (3Mo 16,2). Dies ist die Schechina [Gegenwart Gottes auf Erden] der Herrlichkeit, die auf die ganze Herrlichkeit Gottes hinweist.

Was könnte möglicherweise dieser Herrlichkeit entsprechen? Jemand hat zu Recht gesagt, dass Gerechtigkeit den Ansprüchen der Gerechtigkeit genügen kann, aber nur eine Wolke konnte einer Wolke entsprechen. Und hier trafen sich zwei Wolken. Eine Wolke[1] wurde vor die andere gebracht. Die Wolke, die ins Allerheiligste gebracht wurde, stieg von dem Räucherwerk auf den brennenden Kohlen auf. Sie bedeutet die Herrlichkeit unseres Geliebten, die von den brennenden Kohlen von Golgatha aufstieg vor den Gott der Herrlichkeit. Das Aufsteigen seiner Herrlichkeit vor die Schechina der Herrlichkeit sozusagen und das, was dem Blut entspricht, das gegen und vor den Deckel gesprengt wurde: All dies fand auf dem Kreuz statt. Das Werk beinhaltete die drei Stunden des Leidens, den freiwilligen Tod und das vergossene Blut (begleitet vom Wasser der Reinigung). Das Blut schließt den ganzen Wert dieses Werkes in seinem Wert ein – und der Wert des Blutes enthält notwendigerweise den Wert und die Herrlichkeit seiner Person. Das Blut zerriss sozusagen den Vorhang. Das Zerreißen des Vorhangs folgte auf die Vollendung jenes Werkes, das für Gott von unendlichem Wert war; es war die Antwort der Schechina der Herrlichkeit, denn Gott war unendlich verherrlicht worden. Herrlichkeit begegnete Herrlichkeit [s. Anm. oben].

  • Joh 17,4: Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tue.

Die Verlassenheit, die Er als Mensch erlebte, hatte also den ganzen Wert und die ganze Herrlichkeit seiner Person vor Gott. Als Folge dessen, dass Gott so verherrlicht worden war, ist es Gottes Herrlichkeit, die Sünder zu rechtfertigen, die der Person und dem vollendeten Werk dessen vertrauen, der Gott solch unendliche Herrlichkeit brachte. Es ist die Herrlichkeit Gottes, verlorene Menschen zu retten, die aus ihrem eigenen Willen heraus nicht zu Christus kommen wollen. Diese Rettung vollbringt Er auf eine Weise, die mit seiner Herrlichkeit übereinstimmt, und indem Er das tut, verherrlicht Er sich selbst.

Das erste Thema, das wir betrachten müssen, ist die Erprobung des Menschen vom Sündenfall Adams bis zum Kreuz – um zu sehen, ob der Mensch wiederherzustellen sei. Niemand verlangte von Gott, den Menschen zu erproben. Er übte seine Souveränität als eine Handlung seines eigenen Willens aus, um den gefallenen Menschen zu erproben. Dies hat wie alles andere die Darstellung seiner Herrlichkeit im Blick. Es ist wichtig, die Natur dieser Erprobung des gefallenen „ersten Menschen“ zu verstehen, ihr Ziel und die Schlussfolgerung, die sich aus der abgeschlossenen Prüfung ergibt. Also wird Kapitel 1 dieses Thema kurz untersuchen. Dann werden wir im zweiten Kapitel Lukas 13 und 14 betrachten, wo der Schwerpunkt auf dem Gleichnis vom großen Gastmahl liegt. Dieses Kapitel wird das moralische Wesen des Menschen in seiner Reaktion auf Gottes Einladung untersuchen sowie Gottes Souveränität angesichts des moralischen Charakters des Menschen. Das moralische Wesen des Menschen offenbart sich in seiner Weigerung, zu kommen. Wie sorgt Gott für Teilnehmer an seinem großen Gastmahl? Dies hilft uns, die Souveränität und Herrlichkeit Gottes bei der Erlösung von Sündern zu verstehen. Die folgenden Kapitel werden das Thema untersuchen, wie es in mehreren neutestamentlichen Büchern dargestellt wird.

Obwohl wir sowohl einige arminianische als auch calvinistische Ansichten[2] streifen werden, umfasst die Leserschaft, die wir beim Schreiben dieses Buches besonders im Blick haben, diejenigen, die zwar die Wahrheit von der ewigen Sicherheit anerkennen, gleichzeitig aber ebenfalls die Ansicht vertreten, der Mensch habe einen moralisch freien Willen Gott gegenüber, und die behaupten, der Glaube sei menschlichen Ursprungs und nicht ein von Gott eingepflanzter Glaube, sondern er sei menschlicher Wille, der kraft jenes angeblich moralisch freien Willens Gott gegenüber ausgeübt werde.

Diese Sicht wurde von Norman Geisler[3] in Chosen But Free (1999)[4] erneut dargelegt. Dieses Buch wurde 2001 mit einigen Ergänzungen neu aufgelegt. Wenn Seitenzahlen aus diesem Werk angegeben werden, steht die Seitenzahl der späteren Ausgabe in eckigen [ ] Klammern. Ich denke, dass Geislers Argumente für diese Sicht bei denen sehr weit verbreitet sein werden, die sowohl einen moralisch freien Willen Gott gegenüber als auch die ewige Sicherheit vertreten. Ich werde seine wichtigeren Argumente bezüglich verschiedener Schriftstellen bekanntmachen.

Die Wahrheit, die in unserem Buch dargelegt wird, ist, dass die Schrift die bedingungslose Erwählung der Heiligen lehrt und dass der Mensch völlig verloren ist. Das bedeutet: Sein Wille wird von der „Sünde im Fleisch“ (Röm 8,3) beherrscht, und deswegen kann der Mensch keinen moralisch freien Willen Gott gegenüber haben. Gleichzeitig verwerfen wir in unserem Buch die calvinistische Lehre eines ewigen Ratschlusses der Verdammnis. Dieser Lehre gehen wir im Hauptteil des Buches nach. Auch Anhang 1 widmet diesem Thema einige Aufmerksamkeit.

Anhang 2 legt Dr. Norman Geislers These des „gemäßigten Calvinismus“ (Moderate Calvinism) dar und enthält auch einige Bemerkungen dazu.

Anhang 7 diskutiert und verwirft die Vorstellung von der korporativen Erwählung der Gemeinde.

Andere Anhänge schneiden Themen an, die unsere Betrachtungen über Gott und seine Souveränität betreffen.

Einen Themenindex und einen Schriftstellenindex haben wir hinzugefügt, damit das Buch, wie wir hoffen, als Nachschlagewerk nützlich ist.

Unser Thema betrifft auch die Lehre der Versöhnung. Dieser Gegenstand wurde detailliert in einem vorhergehenden Band, The Work of Christ on the Cross and Some of Its Results, betrachtet.

Alles, was in geschweiften Klammern steht { }, wurde von mir hinzugefügt.

Die Bibelzitate stammen aus der Übersetzung von J.N. Darby [im Deutschen wurde der Bibeltext der Elberfelder Übersetzung 2003, 2. Auflage 2006, verwendet; Anm. d. Red.].

Schließlich schulde ich D. Ryan großen Dank für redaktionelle Arbeit an diesem Buch.


„Preface“
aus God’s Sovereignty and Glory in the Election and Salvation of Lost Men
Present Truth Publishers, Jackson, 2003

Übersetzung: S. Bauer

Nächster Teil

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Gemeint ist die Wolke der Herrlichkeit, die von dem Rauchwerk aufsteigt und dann die über der Bundeslade stehende Schechinawolke trifft.

[2] Anm. d. Red.: Siehe dazu unseren Artikel „Calvinismus/Arminianismus“.

[3] Anm. d. Red.: Norman Geisler: (1939–2019) Doktor der Philosophie, christlicher Apologetiker; Mitbegründer und Dekan der Southern Evangelical Seminary in Charlotte, North Carolina, USA, und dort 48 Jahre lang Lehrer.

[4] Sein Buch wurde vom calvinistischen Standpunkt her von James R. White beantwortet in The Potter’s Freedom, Amityville (Calvary Press publishing) 2000. Dr. Geislers Ausgabe von 2001 enthält einen neuen Anhang (13), der eine Antwort auf Dr. Whites Buch ist.


Hinweis der Redaktion:

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