Das Buch Nehemia (2)
Die Besichtigung der Mauer

Edward Henry Chater

© SoundWords, online seit: 11.07.2007, aktualisiert: 06.07.2023

Leitverse: Nehemia 2

Neh 2,1.2: Und es geschah im Monat Nisan, im zwanzigsten Jahr des Königs Artasasta, als Wein vor ihm war, da nahm ich den Wein und gab ihn dem König; ich war aber nie traurig vor ihm gewesen. Und der König sprach zu mir: Warum ist dein Angesicht traurig? Du bist doch nicht krank! Es ist nichts anderes als Traurigkeit des Herzens. Da fürchtetet ich mich sehr.

Der Herr erhörte Nehemias Gebet. Dieser wartete in ruhiger Abhängigkeit; er war sich völlig bewusst, dass er als armer Gefangener in einem fremden Land nichts tun konnte, dass aber bei Gott kein Ding unmöglich war. Und es geschah, als er seinen Dienst als Mundschenk vor dem Artasasta verrichtete, da bemerkte der König seine Traurigkeit, und er sprach zu Nehemia: „Warum ist dein Angesicht traurig? Du bist doch nicht krank! Es ist nichts anderes als Traurigkeit des Herzens“ (Neh 2,2).

Die erste Wirkung der Worte des Königs auf Nehemia war, dass er sich sehr fürchtete; er fühlte zweifellos, dass es zu einem entscheidenden Wendepunkte gekommen war und dass viel von ihm selbst wie auch von der Antwort des Königs abhing. So sprach er zu dem König:

Neh 2,3-5: Der König lebe ewig! Warum sollte mein Angesicht nicht traurig sein, da die Stadt, die Begräbnisstätte meiner Väter, wüst liegt und ihre Tore vom Feuer verzehrt sind? Und der König sprach zu mir: Um was bittest du denn? Da betete ich zu dem Gott des Himmels; und ich sprach zum König: Wenn es der König für gut hält und wenn dein Knecht wohlgefällig vor dir ist, so bitte ich , dass du mich nach Juda sendest zur Stadt der Begräbnisse meiner Väter, damit ich sie wieder aufbaue.

Der König spricht zu ihm: „Um was bittest du denn?“ Nehemia wagte nicht, ihm zu antworten, ohne sich zuvor an Gott zu wenden. Er wusste, dass die Herzen der Fürsten in der Hand des Herrn sind und dass Er sie lenken konnte nach seinem Wohlgefallen und sie zu seiner eigenen Herrlichkeit und zur Wohlfahrt seines Volkes gebrauchen konnte. „Da betete ich zu dem Gott des Himmels“ – der König war groß, aber Gott war noch größer und Nehemias Glaube war nicht vergeblich – „und ich sprach zum König: Wenn es der König für gut hält, und wenn dein Knecht wohlgefällig vor dir ist“ (er hatte also das Bewusstsein, in des Königs Haushalt das getan zu haben, was recht war), „so bitte ich, dass du mich nach Juda sendest, zu der Stadt der Begräbnisse meiner Väter, damit ich sie wieder aufbaue“ (Neh 2,5).

Das war eine ganz außerordentliche Bitte, eine, von der er es nach dem Urteil der Menschen am wenigsten hätte erwarten dürfen, dass sie ihm gewährt wurde. Doch der Glaube bringt immer Gott zwischen sich und die Umstände, wie widrig sie auch sein mögen; der Unglaube dagegen sieht nichts als die Umstände, sie stellen sich zwischen ihn und Gott. Gott und seine Macht, sein Allvermögen, füllte den Gesichtskreis der Seele Nehemias. Nichts konnte unwahrscheinlicher sein, als dass der König ihn, den Gefangenen, senden würde, eine Stadt aufzubauen, gegen die ein früherer König von Babel ein Heer sandte, um sie zu zerstören. Doch all diese Vernunftschlüsse galten diesem Mann des Glaubens nichts. Israel war Gottes Volk, Jerusalem war Gottes Stadt; Gott hatte seines Namens daselbst gedenken lassen und gesagt: „An jedem Ort, wo ich meines Namens werde gedenken lassen, werde ich zu dir kommen und dich segnen“ (2Mo 20,24). Das war genug für den Glaubenden. Nehemias Glaube erhob sich über den Kreis der irdischen Machthaber, wie groß und mächtig sie auch waren, und Gott antwortete dem stummen Schrei des Herzens seines Knechtes sofort:

Neh 2,6: Da sprach der König zu mir – und die Königin saß neben ihm –: Wie lange wird deine Reise dauern, und wann wirst zu zurückkehren? Und es gefiel dem König, mich zu senden; und ich gab ihm eine Frist an.

„Und ich gab ihm eine Frist an.“ Bedenken wir das. Anstatt dass der König dem Nehemia, dem Gefangenen, eine Zeit bestimmte, bestimmte Nehemia ihm eine Zeit! Und wie lange währte sie? Dass es sich um keine kurze Frist der Abwesenheit handelte, geht aus Nehemia 5,14 hervor, wonach er, wenn auch vielleicht mit kurzen Unterbrechungen, zwölf Jahre als Landpfleger von Juda im Land seiner Väter blieb. Nichts ist bei Gott unmöglich. Er wollte die Mauern und die Stadt Jerusalem ebenso gut wiederaufgebaut sehen wie seinen Altar und den Tempel (Dan 9,25); und der König, die Königin und alle mussten seinem gesegneten und allmächtigen Willen dienen.

Welch eine Unterweisung liegt in dieser anziehenden und lehrreichen Erzählung für einen jeden von uns heutzutage. Wir haben es mit demselben Gott wie Nehemia zu tun, mit einem, der unendlich erhaben über allen unseren Umständen ist, wie groß sie auch in unseren Augen scheinen mögen. Er will, dass wir uns den Zustand seines Volkes zu Herzen nehmen und dessen Wohl suchen. Und wenn wir uns, wie sein Knecht Nehemia, mit ihnen im Selbstgericht einsmachen und uns ihrer Segnung halber zu Ihm wenden, so wird Er sicherlich alles im Zaum halten und leiten, dass jeder nach seinem Maß zur Wiedererlangung der Wahrheit und zur Gewinnung seines Volkes für die Wahrheit beiträgt, zur Verherrlichung seines Namens. Wir mögen uns der Schwachheit und Unfähigkeit bewusst sein, irgendetwas ohne Ihn zu tun; doch es ist wunderbar, wie Er das Schwache benutzt, um Starke zuschanden zu machen. Er benutzt ergebene Diener, seinen Willen auszuführen, obschon ihr Dienst sehr gering und in den Augen der Menschen verachtet sein mag. Was Er verlangt, ist Treue und Ergebenheit seiner Herrlichkeit und seinem Werk gegenüber, was es auch koste, und dies in allen Einzelheiten. Er wird im Kleinen ebenso verherrlicht wie im Großen; und obwohl sein Werk unter seinem Volk von seinen Feinden sehr gering geachtet wird, so ist dieses von unendlich größerer Bedeutung als die vielgerühmten Fortschritte der großen Nationen der Erde.

Jenseits des Stromes

Nehemia redete dann weiter zu dem König:

Neh 2,7-9: Und ich sprach zum König: Wenn es der König für gut hält, so gebe man mir Briefe an die Landhalter jenseits des Stromes, dass sie mich durchziehen lassen, bis ich nach Juda komme; und einen Brief an Asaph, den Hüter des königlichen Forstes, dass er mir Holz gebe, um die Tore der Burg, die zum Haus gehört, mit Balken zu versehen und für die Mauer der Stadt, und für das Haus, in das ich ziehen werde. Und der König gab es mir, weil die gute Hand meines Gottes über mir war. Und ich kam zu den Landhaltern jenseits des Stromes und gab ihnen die Briefe des Königs. Der König hatte aber Heeroberste und Reiter mit mir gesandt.

Nehemia hatte erkannt, dass Gott ihm des Königs Herz zugeneigt hatte, und so bat er um alles, wonach sein Herz verlangte, für sich selbst aber begehrte er nichts, außer ein Haus, um darin zu wohnen. Der König gab ihm alles, und Nehemia schrieb es der guten Hand seines Gottes zu. Welch ein Vorbild ist er darin dem Volk Gottes aller Zeiten! Wir sind berufen, „durch Glauben, nicht durch Schauen“ zu wandeln (2Kor 5,7). Hätte Nehemia nach dem Fleisch geurteilt, so wäre ihm alles hoffnungslos erschienen; doch so wurde jedes Hindernis durch Vertrauen auf Gott und Gebet überwunden. Der König sandte sogar eine Schar Reiter zu seinem Schutz mit.

Nehemias Reise enthält eine wichtige Belehrung für die Christen heutzutage. In Vers 7 und 9 werden die Landpfleger jenseits des Stromes erwähnt. Dieser Strom war der Euphrat, und der Ausdruck „jenseits des Stromes“ bezog sich auf die Landschaften westlich des Euphrat (vgl. Esra 4,11). Das Werk, das Nehemia vorhatte zu tun, sollte in einem Land jenseits davon, im Lande Juda geschehen (Neh 2,7), nämlich in dem Land, das Gott seinem Volk verheißen hatte. Er erhob sich also, was das Volk Gottes betraf, zur Höhe der Gedanken Gottes. Als der Herr Josua befahl, Israel über den Jordan in das Land zu führen, das Er ihnen gegeben hatte, erwähnt Er das ganze Gebiet von der Wüste und dem Libanon bis zum großen Strom, dem Strom Phrat, als dazugehörig (Jos 1,1-4). Der Jordan ist ein Bild unseres Todes mit Christus, um uns in die himmlischen Segnungen einzuführen; Kanaan stellt den Himmel dar. Die Christen sind aus dieser gegenwärtigen bösen Welt nicht nur herausgerufen worden (Gal 1,4), um den Himmel am Ende ihres Pilgerpfades zu erreichen, sondern sie sollten durch den von einem verherrlichten Christus gegebenen Geist schon jetzt gleichsam himmlischen Boden betreten. Der Glaube nimmt das Zeugnis Gottes an, wonach Er uns nach seinem Ratschluss mit jeder geistlichen Segnung auf himmlischem Boden in Christus gesegnet hat (Eph 1,3). In der Kraft des Geistes ist es unser Vorrecht, dort einzugehen und diese Segnungen zu genießen, noch ehe wir für immer im Land wohnen. Viele geliebte Kinder Gottes kennen nichts davon und entsprechen so der hohen Berufung Gottes nicht.

Gottes erste Botschaft an Israel durch Mose war, dass Er sie aus Ägypten herausführen und in das Land Kanaan hineinbringen wollte. Aber ach, viele sind in der Wüste umgekommen; Gott jedoch erfüllte seine Verheißung und brachte sein auserwähltes Volk schließlich ins Land. Der Wunsch seines Herzens für einen jeden, der heute seinem Volk angehört, ist, dass er gleichfalls eingehen sollte. Er will nicht haben, dass wir uns mit der Vergebung unserer Sünden zufriedengeben sollten und mit der Kenntnis der Rechtfertigung aus Glauben und des Friedens mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus und mit der Befreiung von der Gewalt Satans und der Welt, was uns im Vorbild die Vernichtung der Heeresmacht des Pharao im Roten Meere darstellt. Er möchte, dass wir im Glauben erfassen, dass wir mit Christus in seinem Tod und seiner Auferstehung einsgemacht worden sind (Kol 2,12) und erfahrungsmäßig in unsere Befreiung und den Besitz des Landes in der Kraft des Heiligen Geistes eingehen, und so dem Grundsatz nach heute den Jordan überschreiten. Unser Teil liegt jenseits des Stromes, getrennt von Babel, dem religiösen Bösen, über dem Jordan, in dem verheißenen himmlischen Land.

Es gibt solche, die wie die zweieinhalb Stämme – Ruben, Gad und der halbe Stamm Manasse – ihr Erbteil nicht im Land einnehmen, sondern sich davor, im Land Gilead, niederlassen. Da sie viele Herden hatten, wurden sie von den grünen Weideplätzen dieses fruchtbaren Landstrichs angezogen, und obwohl sie mit über den Jordan gingen und an den Kämpfen des Heeres des Herrn teilnahmen, bestanden sie doch darauf, mit ihren Familien diesseits des Jordan zu wohnen. Sie waren infolgedessen den Angriffen ihrer Feinde weit mehr ausgesetzt und waren die ersten, die von den Assyrern hinweggeführt wurden, etwa zwanzig Jahre früher als die Übrigen. Alles das ist sehr lehrreich und sollte uns als Warnung dienen. Wenn wir unseren Herzen gestatten, nach irdischem Vorwärtskommen zu streben, angezogen durch die Annehmlichkeiten dieser Welt, und damit geistlich unseren Tod und unsere Auferstehung mit Christus nicht erfassen, uns also gleichsam weigern, über den Jordan zu gehen, so mögen wir wohl eine Zeitlang gute Tage haben; aber wir können uns darauf verlassen, dass der Feind, der diesen Vorteil über uns errungen hat, ihn auch ausnutzen wird. Viele haben zu ihrem eigenen Schaden aus Mangel an Glauben diesen irdischen Einflüssen Raum gegeben und sind so mehr oder weniger eine Beute des Feindes geworden. Einst standen sie voll Freude der ersten Liebe in der Tatkraft des Glaubens, aber dann unterwarfen sie sich dem Einfluss ihrer Umgebung, anstatt in der Kraft des Geistes zu überwinden, und so gerieten sie in einen kalten, sorglosen Zustand, ganz vom wahren Zeugnis für Gott weg. Bedenke das, geliebter Leser, damit du nicht hinter der Berufung Gottes zurückbleibst und dich nicht lediglich damit begnügst, Ägypten verlassen zu haben; gehe vielmehr wirklich über den Jordan in das Land, wo Milch und Honig fließt (Heb 4,1; 2Mo 3,8).

Die Besichtigung der Mauer

Sobald Nehemia nach Jerusalem gekommen war und noch ehe er irgendeinem Menschen mit einer Silbe verraten, was Gott ihm in sein Herz gegeben hatte (Neh 2,12), war der Feind darauf aufmerksam geworden:

Neh 2,10: Und als Sanballat, der Horoniter [Nach einigen stammte er aus Beth-Horon (Jos 16,3-5), nach anderen aus Horonaim in Moab (Jes 15,5).], und Tobija, der ammonitische Knecht, es hörten, verdross es sie sehr, dass ein Mensch gekommen war, das Wohl der Kinder Israel zu suchen.

Hunderte von Jahren (etwa 1550 Jahre) nach dem Fehlen und der Sünde Lots werden dessen Nachkommen, die Kinder Moab und Ammon, in Feindschaft wider die Kinder Abrahams, des Freundes Gottes, gefunden. Welch eine ernste Warnung an die Heiligen Gottes aller Zeiten, ihren Herzen nicht zu gestatten, nach den wohlbewässerten Ebenen dieser Sodom-Welt zu verlangen.

Neh 2,11-16: Und ich kam nach Jerusalem und war drei Tage dort. Und ich machte mich in der Nacht auf, ich und weinige Männer mit mir; ich hatte aber keinem Menschen mitgeteilt, was mein Gott mir ins Herz gegeben hatte, für Jerusalem zu tun; und kein Tier war bei mir, außer dem Tier, auf dem ich ritt. Und ich zog in der Nacht durchs Taltor hinaus auf die Drachen-Quelle zu und zum Misttor; und ich besichtigte die Mauern Jerusalems, die niedergerissen, und seine Tore, die vom Feuer verzehrt waren. Und ich zog hinüber zuim Quellentor und zum Königsteich, und es war kein Platz zum Durchkommen für das Tier, das unter mir war. Und ich zog in der Nacht das Tal hinauf und besichtigte die Mauer, und ich kam wieder durchs Taltor herein und kehrte zurück. Die Vorsteher wussten aber nicht, wohin gegangen war und was ich tat; denn ich hatte den Juden und den Priestern und den Edlen und den Vorstehern und den Übrigen, die das Werk taten, bis dahin nichts mitgeteilt.

Durch den Ärger des Feindes in keiner Weise entmutigt, hielt sich Nehemia zunächst drei Tage in Ruhe in Jerusalem auf (Neh 2,11). Dann lesen wir dreimal, dass er sich aufmachte und die niedergerissenen Mauern des Nachts besichtigte (Neh 2,12.13.15). Nehemia wahrte die völlige Ruhe eines Mannes, der mit Gott wandelte. Er ging nicht mit Fleisch und Blut zu Rate; er hatte sich schon zuvor niedergesetzt und die Kosten überschlagen. Nachdem er so drei Tage ruhig gewartet hatte, erhob er sich im Glauben, und obgleich der ganze Verfall und die Zerstörung manchen Mann entmutigt hätte, überwand doch sein Glaube jedes Hindernis. Erhaben über die Umstände, weil Gott in der Erfahrung seiner Seele zwischen ihnen und ihm stand, hatte er volles Vertrauen, dass die Mauer gebaut werde, denn es war Gottes Mauer. Und so wandte er sich an seine Brüder, die Juden, Priester und Edlen und Vorsteher und sagte:

Neh 2,17.18: Und ich sprach zu ihnen: Ihr seht das Unglück, in dem wir sind, dass Jerusalem wüst liegt und sein Tore mit Feuer verbrannt sind. Kommt und lasst uns die Mauer Jerusalems wieder aufbauen, damit wir nicht länger zum Hohn sind! Und ich teilte ihnen mit, dass die Hand meines Gottes gütig über mir gewesen war, und auch die Worte des Königs, die er zu mir geredet hatte. Da sprachen sie: Wir wollen uns aufmachen und bauen! Und sie stärkten ihre Hände zum Guten.

Er tat ihnen kund, wie gütig die Hand Gottes gegen ihn gewesen war, und auch die Worte des Königs; und sein Glaube fand einen Widerhall in den Seelen seiner Brüder. Sie sprachen: „Wir wollen uns aufmachen und bauen!“ Hohngelächter und Verachtung vonseiten der Feinde war die Folge, doch mit den verschiedenen Formen, die dieser Widerstand annahm, wollen wir uns erst später befassen.

Was für uns so überaus wichtig ist zu lernen, ist die geistliche Bedeutung des Wiederaufbaus der Mauer. Wir hatten gesehen, dass die Christen zu einer himmlischen Stellung und Segnung jenseits des Jordan berufen sind; doch da sie, wie Israel, mehr oder weniger gefehlt haben, von dem Besitz zu ergreifen und das zu genießen, was uns Gott in Christus, getrennt von der Welt, gegeben hat, so brach der Feind wie ein Strom herein (Jes 59,19). Die bekennende Kirche ist gleichsam gefangen nach Babel geführt worden. Statt einer auf einem Hügel gebauten Stadt zu gleichen, die mit Mauern der Rettung und Toren des Preises umgeben ist (Jes 60,18), hat sie ihren erhabenen Standort eingebüßt, ihre Mauern sind niedergerissen und ihre Tore überwältigt worden: Babylon hat sie niedergeworfen. Die große Masse derer, die sich zum Namen Christi bekennen, ist der Verwirrung anheimgefallen. Wenn man über den Zustand der Christenheit nachdenkt und ihn mit dem Wort Gottes vergleicht, so kann man unmöglich übersehen, wie weit die bekennende Kirche von der Wahrheit abgekommen ist. Die letzte Stufe des Abfalls wird in den prophetischen Gesichten der Offenbarung als „Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“ beschrieben (Off 17,5). Trotz alledem ist die Kirche Gottes auf dem Grundfelsen, dem Sohn Gottes aufgebaut, der einst starb und wiederauferstand und der von Gottes Seite aus gesehen dessen ewigem Ratschluss gemäß unversehrt bleibt. Die Pforten des Hades können sie nicht überwältigen (Mt 16,18). Sie wird als die „heilige Stadt, Jerusalem, die Braut, die Frau des Lammes“ in dem zukünftigen Zeitalter der Herrlichkeit hervorkommen (Off 21,9-11).

Doch Gott hat in seiner Gnade viele der Seinen wiederhergestellt. Er hat sie durch seinen Geist dahin geführt, die Schriften zu erforschen, um seine Gedanken inmitten der herrschenden Verwirrung kennenzulernen, und – gepriesen sei sein Name – Er hat uns darin nicht im Stich gelassen: Er hat eine geöffnete Tür gegeben. Durch die gute Hand Gottes wurde Nehemia von dem Druck der weltlichen Oberhoheit befreit, und der Weg wurde für ihn und seine Genossen frei, in das Land zurückkehren, wo der Altar Gottes schon aufgerichtet und der Tempel erbaut worden war, um die Mauern der Stadt zu besichtigen und wieder aufzubauen.

Und nun ist die gute Hand Gottes wiederum über seinem Volk, den Christen. Nichts hindert sie, zu dem wahren Mittelpunkt, zu Christus, zurückzukehren und zu der wahren Grundlage der Kirche Gottes in Absonderung vom Bösen. Jerusalem, der irdische Mittelpunkt, wo Gott seines Namens hatte gedenken lassen und den Segen verheißen hatte, steht dem Walten seiner Gerechtigkeit gemäß unter Zucht und die Juden sind zerstreut. Bis zu dem Augenblick nun, wo sie bei der Rückkehr Christi, des Erretters aus Zion (Ps 14,7; 53,6; Röm 11,26), wieder gesammelt werden, können wir uns an den gesegneten Grundsatz halten, den der Herr uns hinterlassen hat: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20), oder auch an die Worte: „Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn“ (1Kor 1,9). Mit diesen beiden Schriftworten ist, der vollen Offenbarung des Christentums gemäß, der große Grundsatz der Einheit verbunden, sowohl was den Leib Christi als auch den Tempel Gottes anlangt; und unser Vorrecht und unsere Verantwortlichkeit besteht darin, „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,1-3). Das schließt Absonderung vom Bösen ein und führt uns zur wahren Bedeutung der Mauern Jerusalems. Diese trennten Gottes irdisches Volk von dem Feind außerhalb. Obgleich nun heutzutage natürlich keine stoffliche Mauer um das Volk Gottes her ist, so kann doch nichts klarer sein, als dass wir allezeit verpflichtet sind, jedem Bösen fernzustehen, sei es solchem in der Welt oder in der bekennenden Kirche. Und wodurch wird diese gottgemäße Absonderung aufrechterhalten? Dadurch, dass unsere Seelen in der Kraft des Geistes in den Genuss der vollen Errettung Gottes eingehen und jeden falschen Grundsatz und Brauch von uns weisen, der das Bekenntnis des Christentums vonseiten einer Welt kennzeichnet, die Gott nicht kennt.

Zu Beginn der Geschichte der Kirche war die Grenzmauer zwischen ihr und der Welt noch klar zu erkennen (Apg 5,13). Nun, wo die Welt eingedrungen und die Mauer niedergerissen ist, ist es keineswegs leicht, der Wahrheit in den Seelen des Volkes Gottes, inmitten des religiösen Schuttes von Jahrhunderten, Eingang zu verschaffen. Die heilige Natur Gottes fordert, dass die Schranke der Heiligkeit zwischen seiner Kirche und der Welt auch heute aufrechterhalten wird. Die Welt bleibt immer die Welt, sie liegt im Bösen (1Joh 5,19) und ist immer böse. Vom Menschen ohne Gott aufgebaut, besteht sie aus Fleischeslust, Augenlust und dem Hochmut des Lebens (1Joh 2,16). Die Welt nimmt mancherlei Gestalt an; ihre religiöse Form ist die schlimmste, da sie die Entstellung des Besten auf Erden ist. Jeder Christ, der Gott verherrlichen und die Wahrheit in diesen bösen Tagen aufrechterhalten möchte, muss in Herz und Sinn gleichsam das Tor geschlossen und die Mauer der Heiligkeit aufrechterhalten, und zwar gegen das religiöse Böse sowie jede andere Art des Bösen. Nur so können die Heiligen als Gesamtheit in einem sittlichen und geistlichen Zustand bewahrt werden, wie er der Gegenwart Gottes und Christi entspricht. „Deinem Haus geziemt Heiligkeit, HERR, auf immerdar“ (Ps 93,5).

Der Wiederaufbau der Mauer

Neh 2,19.20: Als aber Sanballat, der Horoniter, und Tobija, der ammonitische Knecht, und Geschem, der Araber, es hörten, spotteten sie über uns und verachteten uns und sprachen: Was ist das für eine Sache, die ihr tun wollt? Wollt ihr euch gegen den König empören? Und ich gab ihnen Antwort und sprach zu ihnen: Der Gott des Himmels, er wird es uns gelingen lassen; und wir, seine Knechte, wollen uns aufmachen und bauen. Ihr aber habt weder Teil noch Recht noch Gedächtnis in Jerusalem.

Als Antwort auf den Hohn des Feindes sagte Nehemia: „Der Gott des Himmels, er wird es uns gelingen lassen; und wir, seine Knechte, wollen uns aufmachen und bauen. Ihr aber habt weder Teil noch Recht noch Gedächtnis in Jerusalem“, und sie machten sich auf und bauten.

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