Das Kreuz: Die Macht der Finsternis und die Gnade und Liebe Gottes
Galater 6,14

James Boyd

© SoundWords, online seit: 10.04.2001, aktualisiert: 15.04.2022

Leitvers: Galater 6,14

Gal 6,14: Von mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.

Einleitung

Jemand hat einmal gesagt: „Es gibt nichts, was man mit dem Kreuz vergleichen könnte.“ Es steht da und wird auch für immer dastehen in all seiner einzigartigen Größe, im Zentrum des Kreises der Ewigkeit; das Wunder für jedes intelligente Geschöpf und das Denkmal, auf dem unauslöschlich sowohl das Böse und der Hass des gefallenen Wesens als auch die Güte und Liebe Gottes eingeschrieben sind. Aus den undeutlichen Schatten der Vergangenheit heraus zeichnet es sich ab in all seiner Helligkeit und Schwärze, mit Wahrheit und Verrat, Sonnenschein und Schatten, Treue und Falschheit, Gerechtigkeit und Sünde, Gericht und Barmherzigkeit, Mitleid und Grausamkeit, Liebe und Hass. Durch sein Licht wird das Herz des Himmels offenbar, und die tiefsten Tiefen des Abgrunds des Bösen werden aufgedeckt. Der Segen und der Fluch erheben zusammen ihre Stimme.

Hier kocht stinkend die tiefschwarze See der menschlichen Schuld, und dort verschluckt der reine Ozean der göttlichen Gnade alles mit seinen aufschäumenden Fluten. Nichts aus der Vergangenheit kann sich damit vergleichen noch kann etwas in der Zukunft dazu in Konkurrenz treten.

Dort erscheint die größte Sünde, die das Geschöpf jemals begangen hat, und dort gibt es die mächtigste Entfaltung der unendlichen Barmherzigkeit aufseiten Gottes, die jemals ans Licht gekommen ist. Es ist der Ort, wo der Mensch in jeder Quelle seines moralischen Seins geprüft wurde, und es ist dort, wo die Gefühle Gottes bis zu ihren Tiefen ausgelotet wurden. Es ist der Ort, wo das feindliche, gefallene Geschöpf seine respektlose Hand erhob und auf seinen Schöpfer mit tödlicher Absicht schlug, und es ist der Ort, wo die Antwort des Schöpfers in unaussprechlicher und unendlicher Liebe gegeben wurde. Es ist ein Zeugnis von Bosheit, das der Mensch unmöglich übertreffen kann, und es ist ein Beweis von Gunst, den Gott selbst nie wiederholen könnte. Die Fülle an Zorn, Fluch, Gericht und Leid, die Golgatha umschließt, könnte selbst von den Bereichen der Verlorenen nicht erfasst werden; und der Himmel selbst wird nicht groß genug sein, die Liebe, die Gnade und die Barmherzigkeit zu umschreiben, die dort ausgedrückt wurde.

Dort ist die ganze Frage von Gut und Böse behandelt, gelöst und für immer erledigt worden. Dort waren alle Kräfte des Guten und Bösen versammelt. Dort erhob sich die Sünde in all ihrer Macht gegen Gott, und dort kam Gott hervor im Gericht gegen die Sünde. Niemals zuvor hatte das rebellische Geschöpf so viel gewagt. Niemals zuvor hatte sich die Sünde so benommen in Gottes Universum. Seine Gelegenheit war gekommen: Der Sohn Gottes war in den Händen der Sünder. Die ganze Hölle war in Bewegung. Der geeignete Moment war gekommen, die Zügel des Himmels abzuwerfen. Das Wüten der Nationen, die Verschwörung der Juden, die Bosheit der Welt, alle waren sie gegen Christus gerichtet. Sie wollten nicht, dass dieser Mensch über sie herrschte. Die Kräfte der Unterwelt hatten sich versammelt. Die Fürstentümer und Gewalten musterten ihre Heere für die Entscheidungsschlacht. Die Unterwelt schickte ihren letzten Krieger, und die ganze geschlossene Front der Bosheit bereitete sich auf dieses tollkühne Gefecht vor, bei der keine Schonung gewährt noch angenommen werden sollte und durch das der Sieg für Gut oder Böse endgültig entschieden werden sollte.

Die Stunde des Menschen

Jesus spricht von ihr als der „Stunde“ des Menschen (Lk 22,53). Von dem Sündenfall an bis zu dieser Stunde war der Mensch in Schach gehalten worden durch die Hand Gottes, die zurückhielt. Er war bisher aus Barmherzigkeit zurückgehalten worden, den vollen Gedanken seines Herzens auszuführen. Er hatte die Erde verderbt, angefüllt mit Gewalttat, unschuldiges Blut vergossen, das Gesetz gebrochen, die Dämonen angebetet, die Diener Gottes erschlagen und Christus gehasst, der in die Welt gekommen war in Gnade und Liebe. Aber seine Feindschaft war unter der Kontrolle Gottes gewesen, und er wurde gehindert, alles das zu tun, wozu er sich geneigt fühlte. Angetrieben durch den grundlosen Hass seines harten und gottlosen Herzens war er oft bereit gewesen, Jesus zu steinigen, aber irgendwie fand er sich selbst unfähig, seine mörderischen Absichten auszuführen. Aber nun war seine „Stunde“ gekommen; die Grenze, die seinem Zorn gesetzt war, wurde aufgehoben; die Tore, durch die sich seine böse Natur ergießen sollte, wurden offengerissen; Zaum und Zügel, die in einem gewissen Maß seine respektlosen Handlungen in Schach gehalten hatten, wurden abgeworfen. Er fühlte zum ersten Mal in seiner Geschichte seit dem Fall, was wahre Freiheit ist, so weit wie Freiheit vom Eingreifen Gottes geht. Von der göttlichen Kontrolle ist er frei und gelöst, und das Universum schaut zu, welchen Gebrauch er jetzt von seiner Freiheit macht. Ach, der arme Mensch! Seine Freiheit ist sein Ruin, wie kann es auch anders sein. Wie die Gardarener Schweineherde stürzt er einen Abhang hinab, kopflos, immer schneller ins Verderben. Es war dieselbe Macht, die beide zur Vernichtung trieb.

Was die „Stunde des Menschen“ kennzeichnete, war die „Macht der Finsternis“. Er musste entweder durch die Macht Gottes bewahrt werden oder er wurde durch den Teufel ins Verderben getrieben. Was nützte ihm seine Freiheit? In seiner Freiheit war er das Werkzeug des Teufels. Stolz, ehrgeizig, rebellisch und ohne jegliches Vertrauen in den, der seinen eingeborenen Sohn gesandt hatte, wollte er selbst für sein Glücklichsein sorgen. Dass Gott für ihn sorgen wollte, das passte ihm nicht. Er wollte seinen eigenen Weg gehen und für sich selbst sorgen. Schreckliche Unvernunft! In einem gewissen Sinn war es wahr, dass er niemals zuvor so frei gewesen war, aber in einem anderen Sinn war es genauso wahr, dass er niemals solch ein Sklave gewesen war. Seine Freiheit warf ihn vollständig in die Hände Satans.

Die Bosheit der Juden erstaunte den heidnischen Machthaber, und das Schwanken und die Feigheit des Pilatus erstaunte die Welt. Bei dem Verräter kommt die Treulosigkeit des menschlichen Herzens so schrecklich ans Licht, dass sogar die natürliche Selbstachtung die Tat verabscheut, und die Handlung war so verächtlich selbst für den Menschen, der sie vollbracht hat, dass, nachdem er diese Tat begangen hatte, seine eigene Existenz ihm selbst unerträglich wird, und in Verzweiflung geht er hinaus und erhängt sich.

Bevor die Stunde des Menschen anbrach, waren Leuchten und Fackeln und Waffen, die von starken, entschlossenen Männern getragen wurden, für Petrus nicht mehr als morsches Holz. Aber als die Stunde wirklich gekommen war, da erfüllte ihn die unschuldige Frage einer Magd, die zu dem Palast des Hohenpriesters gehörte, mit unbeschreiblichem Schrecken, obwohl es eine Frage war, die ihn in die richtige Verbindung zu Jesus hätte stellen können. Und dieser Sohn Jonas, der sonst so besonders mutig war und der seinen Herrn wirklich liebte, leugnet, dass er Ihn jemals gekannt habe, und das sogar mit Schwüren und Flüchen. Die anderen Jünger, die auch so prahlerisch auf dem Ölberg gewesen waren, sind jetzt überhaupt nicht zu sehen. Der Jünger, den Jesus liebte, ist bei seinem Meister auf dem Verhör, aber er ist da unter dem Schutz des Hohenpriesters (Joh 18,15). Es war die Stunde des Menschen und die Gewalt der Finsternis und keiner konnte stehen außer in der Kraft Gottes. Was für eine Stunde war das!

Jeder Menschentyp war da, und alle hatten den Verstand verloren in ihrer Feindschaft gegen den, der hier so demütig litt. Wir sehen, wie Pilatus Ihn dazu bestimmte, die Schande der Geißelung auf sich zu nehmen, obwohl er bekennen musste, dass er keine Schuld an Ihm gefunden hatte. Herodes mit seinen Kriegsleuten machte Ihn lächerlich, man krönte Ihn mit Dornen, beugte im Spott die Knie vor Ihm. Die Priester, deren Aufgabe eigentlich die Verteidigung des Angeklagten war, verurteilten Ihn und klagten Ihn an. Das Gesetz, das Er geehrt und großgemacht hatte, wurde gegen Ihn angewandt mit dem Ziel, Ihn zu vernichten. Ein Räuber wird dem vorgezogen, der mit verschwenderischer Gütigkeit sein Volk mit Wohltätigkeiten überschüttet hatte, und ein Mörder wird eher gewählt als der Fürst des Lebens. Für das Brot, womit Er sie gespeist hatte, bezahlten sie Ihn mit Schlägen. Für die Heilung ihrer Kranken belohnten sie Ihn mit einem qualvollen Tod am Kreuz; und für die Worte der Gnade, die über seine gesegneten Lippen gekommen waren, häuften sie Anathemas auf sein dornengekröntes Haupt. Was sollte das? Keiner von ihnen hätte eine vernünftige Antwort auf diese Frage geben können. In dieser Stunde war der Palast des Hohenpriesters wirklich ein Inferno, denn hier hatte sich das Konzil der Dämonen versammelt.

Der Mensch wurde kontrolliert von einer Macht, von der er nichts wusste. Er hatte Gott hinter sich geworfen, der ihn bisher zurückgehalten hatte zu seinem Guten; aber nun ist er unter der Kontrolle dessen, der ihn kopfüber ins Verderben treibt, aber auf einem Weg, der trotz allem ein Weg ist, den er gern geht. Gepeinigt durch seine Ängste, entbrannt durch seine Lüste, verblendet durch seinen Hass, irregeleitet durch seinen Stolz, verhärtet im Gewissen durch gute Bekanntschaft mit der Sünde, mitleidslos in seinen Handlungen mit allem Göttlichen und bezüglich aller seiner gefallenen, grausamen und verderbten Lüste und Leidenschaften, bearbeitet und hochgepeitscht durch die Einflüsse der Hölle – nichts wird ihn befriedigen als nur die Erniedrigung, das schreckliche Leid und der Tod dessen, der umhergegangen war, wohltuend und heilend alle, die vom Teufel überwältigt waren. Es war in der Tat die Stunde des Menschen, und es war eine Stunde von ungehinderter Bosheit.

Die Macht der Finsternis

Die geistliche Welt kommt in der materiellen Welt ans Licht. Wir hören keine Trompete, die von dem Fürsten der Finsternis geblasen wird, kein Artilleriefeuer weckt die Echos von Zion, kein Donner der dämonengesteuerten Kriegswagen erschüttert den Mitternachtshimmel, kein Stampfen von marschierenden Soldaten bewaffneter Truppen dröhnt in das Ohr: Und doch gab es seit Erschaffung der Welten keinen Moment, wo die geistlichen Mächte so beschäftigt waren. Der Abgrund des Bösen schüttete seine Myriaden aus, auf Golgatha wimmelte es nur so von unzähligen Mächten; aber es wurde nicht mehr Lärm gemacht wie durch die Planeten auf ihrer Umlaufbahn um ihr feuriges Zentrum. Das Dröhnen ihres Donners, wenn es überhaupt gehört wird, wird nur hörbar in den falschen und grundlosen Anschuldigungen, die die Führer Israels hervorbringen, und in dem Schreien des unwissenden und brutalen Pöbelhaufens, der den Palast des Hohenpriesters umgibt und schreit: „Hinweg mit ihm! Hinweg mit ihm! Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“, und in ihren obszönen Witzen und dem rüpelhaften Benehmen, als sie zum Hinrichtungsort eilen.

Man hat gesagt, dass die Hölle gelacht habe, aber das ist nicht ganz richtig. In der Wertschätzung der Mächte des Bösen war es ohne Zweifel ein Triumph, den Menschen so total verblendet zu haben gegenüber der Tatsache, dass er Selbstmord an seiner Seele beging, aber Lachen war in diesem Moment weit entfernt von dem Herzen dessen, der den Kampf gegen Gott und seinen Christus dirigierte. Die Hölle war noch nie fähig gewesen zu lachen und wird es niemals sein. Die Hölle war bisher zu beschäftigt gewesen, um Zeit zum Lachen zu haben, und sie ist niemals so siegessicher gewesen, dass sie den Feind derartig hätte verachten können. Gott lacht über die Ohnmacht des mit der Hölle verbundenen Menschen, denn Er ist allmächtig und kennt niemals eine Niederlage. Aber Satan hat zu oft erlebt, wie seine Pläne durcheinandergebracht, seine Weisheit mattgesetzt wurden und seine Macht wirkungslos war, um das Lachen Gottes haben zu können. Am Kreuz lachte niemand, nur der Mensch, das schuldige, leichtsinnige Werkzeug des Teufels, und seine Freude wurde befriedigt auf Kosten der unendlichen Leiden des Sohnes Gottes, seines Heilands und seines Freundes.

Die Leiden Jesu

Und wie groß waren seine Leiden! Es wird gesagt: Je höher man in der Schöpfung geht, desto größer wird die Schmerzempfindung, und je niedriger man geht, desto weniger deutlich wird der Schmerz gefühlt. Aber was muss es für den Erstgeborenen aller Schöpfung gewesen sein, für Ihn, der alles vollkommen empfand! Es gab nichts Hartes oder Gefühlloses in der gesegneten, empfindsamen Natur Jesu. Er fühlte bis zum Äußersten jede Schmach, die auf Ihn gehäuft wurde. Er war das Lied der Betrunkenen, verachtet und verlassen von den Menschen, ausgelacht, beschimpft und lächerlich gemacht von denen, für deren Nöte sein Mitgefühl keine Grenzen kannte. Sein Verrat durch Judas, die Verleugnung durch Petrus, das Verlassenwerden von seinen Jüngern verwundete Ihn bis in das Innerste seiner Seele. In solchen Nöten werden Menschen oft durch ihren Stolz aufrechterhalten. Undankbarkeit, Beschimpfung und Schläge werden oft ausgehalten mit einer scheinbaren Gleichmütigkeit, die einen überrascht. Es kann sein, dass innen drin das Herz wie ein Feuerofen ist, aber ein stolzer Sinn und ein unbezähmbarer Wille schlagen die Ausbrüche der inneren Erregung der Seele nieder, so dass es keinen Ausgang gibt für die Wut, die innen tobt. Aber in dem sanftmütigen und demütigen Jesus gab es keinen Raum für Stolz. Es mussten keine Rachegefühle unterdrückt werden; kein ärgerlicher Geist musste unter Kontrolle gehalten werden.

„Er wurde wie ein Schaf zur Schlachtung geführt, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7). Er sagt: „Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel“ (Jes 50,6). In Psalm 22 hören wir Ihn alle seine Feinde aufzählen und die Last seiner Schmerzen vor dem Ohr des Vaters ausschütten. „Stiere von Basan“ waren dort; „Hunde“ hatten Ihn umgeben; eine „Rotte von Übeltätern“ hatte Ihn umzingelt; da war der „Rachen des Löwen“ und dort waren auch die „Hörner der Büffel“.

Wie ich bereits angedeutet habe, hatte sich alles Böse des Universums gegen Ihn versammelt. Satan war da mit all seiner Macht, der Mensch war da als sein williges Instrument der Bosheit, Gott war da im Gericht gegenüber der Sünde, und der heilige Dulder war da, zur Sünde gemacht und von Gott behandelt, wie es die Sünde verdiente. Die Quelle der großen Tiefe des Gerichtes Gottes waren aufgebrochen, die Fenster des Himmels waren geöffnet und das mächtige Gewitter des Zorns und des Fluches und der Rache gegenüber der Sünde schlug über sein ergebenes Haupt. Er sank in tiefen Schlamm und es gab keinen Grund. Wie Jona, nur in geistlicher Weise, sank Er hinab zu den Gründen der Berge, die Erde mit ihren Riegeln war hinter Ihm auf ewig. Die Tiefe ruft der Tiefe zu beim Brausen der Wassergüsse Gottes, alle Wogen und Wellen gingen über Ihn hin, die Wasser reichten bis an seine Seele. Aber all die unendlichen und unaussprechbaren Nöte sind eingeschlossen in jenem Schrei, der sich herausquälte aus seinem Herzen in den drei Stunden tiefer Finsternis: „Eli, Eli, lama sabachthani?“

Aber dort und in diesem Moment wurde jedes böse Prinzip gerichtet. Satan wurde entlarvt als der Fürst und Gott dieser Welt, und seine Macht wurde für immer gebrochen. Es wurde offenbar, dass die Weisheit der Welt Torheit bei Gott war; sie war niemals zur Erkenntnis seiner Person gekommen, und als Er vor ihren Augen offenbart wurde, da erkannte sie Ihn nicht. Es wurde offenbar, dass der Mensch unverbesserlich böse war und im Grunde seines Herzens einer, der Gott hasst. Gott wurde offenbar in vollkommener Güte und Liebe dem Menschen gegenüber trotz all der Feindlichkeit, die ihr begegnete von denen, die sie als ihren Gegenstand erwählt hatte. Jesus war da, der Gehorsame, Gott verherrlichend, selbst als Er Ihn verlassen hatte. Er war gekommen, den Willen Gottes zu tun, und – koste es, was es wolle für Ihn – davon wollte Er nicht abweichen. Es ziemt sich nicht für das Geschöpf, mit dem Schöpfer zu rechten, und es gehört sich nicht für einen Sklaven, die Weisheit des Willens seines Herrn zu bestreiten, und es geziemt sich auch nicht für den Menschen, die Wege Gottes in Frage zu stellen: Und den Platz eines Geschöpfes, Sklaven und Menschen hatte Jesus eingenommen und Er war vollkommen in allem. Er sei ewig gepriesen!

Die Herrlichkeit des Herrn Jesus

An diesem Kreuz wurde der Sohn des Menschen verherrlicht (Joh 13,31). Da wurde das Opfer in seine Stücke zerlegt, die Quellen seiner moralischen Natur wurden offengelegt und nichts als unendliche Vollkommenheit wurde ans Licht gebracht. Es gab nicht einen Pulsschlag seines moralischen Wesens, der nicht für den geschlagen hätte, der Ihn gesandt hatte. In Ihm wurde keine selbstsüchtige Überlegung gefunden oder ein Einschätzen der Dinge in der Weise, wie sie Ihn selbst berührten. Bei Ihm wurde alles in Beziehung zu Gott betrachtet. Das Werk, das Ihm zu tun gegeben war, führte Er ohne Murren aus. Bei Ihm wurde kein Fragen und Diskutieren gefunden: „Aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh 14,31). Anbetungswürdiger, vollkommener Meister und Herr!

Bevor Er den Platz eines Knechtes einnahm, bevor ein Leib für Ihn bereitet wurde, wusste Er, was alles damit in Verbindung stehen würde. Er verstand voll das furchtbare Gewicht des Gerichtes, das Er sich selbst auflegte, bevor Er überhaupt in Gleichgestalt der Menschen gesandt wurde. Er war sich wohl bewusst, dass, wenn Er Knechtsgestalt annehmen würde, es auch bedeuten würde, dass Er jedem Gebot, das Er bekäme, ohne zu fragen gehorchen müsste. Aber koste es, was es wolle, der Wille Gottes musste getan werden, und dafür stellte Er sich bereit, „der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-8).

Wie hell erstrahlt die moralische Herrlichkeit und Schönheit des Herrn Jesus inmitten der Finsternis von Golgatha. Ich darf den Leser daran erinnern, dass Er, der dort hing, verraten, verleugnet, verlassen, umgeben von einer gesetzlosen Welt, die beeinflusst wurde von der Macht der Finsternis, verspottet, geschmäht und vor allem verlassen von Gott, hier absolut allein ist. Und in dieser Stunde, als Er absolut allein war, hob Er die Pfeiler des moralischen Universums in göttlicher Macht auf und legte eine Grundlage, auf die diese gestellt werden konnten, in einer solchen Weise, dass niemals mehr irgendein Feind Gottes die Möglichkeit hat, dieses zu erschüttern.

Und Gott wurde verherrlicht in Ihm

Seine Gerechtigkeit wurde aufgerichtet, seine Heiligkeit aufrechterhalten, seine Autorität geachtet, seine Wahrheit verteidigt und seine Liebe offenbart. Dieser schreckliche Kampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen wurde auf dem Kreuz jenes niedrigen, demütigen Heilands gekämpft, der sich selbst gab, damit alles behandelt und geregelt würde zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes, so dass sich nie mehr damit beschäftigt werden muss. Der Kampf ist vorbei, die Mächte des Bösen sind zerschmettert. Gott hat gesiegt.

Jeder Feind ist geschlagen. Gott hat Gerechtigkeit gewirkt und das Feld gehört Ihm. Der Teufel ist zunichtegemacht, der Tod zerstört, die Sünde gerichtet, unsere Sünden hinweggetan, unser alter Mensch mit Ihm gekreuzigt. Der Boden ist so vollständig gereinigt von jedem Feind, als wenn niemals einer existiert hätte. Die Reinigung der Himmel und der Erde von der Gegenwart des Bösen ist jetzt nur noch eine Detailangelegenheit. Um dies zu erledigen, reicht die Macht der Engel aus (Off 12,7-9; Mt 13,49.50). Die moralische Frage ist schon vollständig geklärt am Kreuz Jesu, und der Gläubige ist nun in Leben und Natur, Beziehung und Gunst einsgemacht mit dem, der in jener schrecklichen Stunde treu Gott gegenüber war.

Die Natur und der Charakter Gottes in Bezug auf das Böse sind gerechtfertigt und geklärt. Die Tatsache, dass das Geschöpf der Urheber des Bösen ist und dass es bei ihm zu finden ist, steht jetzt ohne Frage. Es ist jetzt klar, dass das Gute allein bei Gott ist, dass Er gut ist: Dass Er immer in Güte, Gnade und Liebe mit dem Menschen gehandelt hat, ist jetzt im Übermaß bewiesen. Aber genauso ist auch gezeigt worden, dass der Mensch nach dem Fleisch, nach der Ordnung Adams, das gefallene Haupt, Gott in keinem Charakter haben wollte, in welchem Er sich auch immer zeigen würde. Aber das Kreuz ist richterlich das Ende des Menschen vor Gott. Seine Erprobung kam dort zu einem Ende. Es wurde bewiesen, dass er seiner Natur nach Feindschaft ist gegen Gott, und nun ist der Mensch dieser Ordnung und in dieser Stellung nicht mehr länger in irgendeiner Beziehung zu Gott; er ist schon verurteilt und richterlich beiseitegesetzt.

Aber das Kreuz ist auch der Schmelztiegel gewesen, in dem der moralische Wert und die Vollkommenheiten des zweiten Menschen und des letzten Adams bis aufs Äußerste geprüft worden sind und wo unbestreitbar ans Licht gekommen ist, dass in Ihm keine Schlacke war und nichts, was Gott entgegen gewesen wäre, sondern wo alles in höchstem Maße annehmlich war. Von diesem Kreuz stieg so ein Wohlgeruch auf zu Gott, dass er von seiner Auswirkung her an die Stelle der ekelhaften Gerüche getreten ist, die aus dieser bösen Welt aufsteigen. Gott ist an der Stelle verherrlicht worden, wo Er verunehrt wurde, und der Gewinn durch das Kreuz seines Sohnes ist unendlich viel größer als der Verlust, den Er erlitten hatte sowohl durch das erste irrende Haupt als auch durch die Bosheit aller seiner Nachkommen.

Und unser Platz, unser Teil und unsere Beziehungen sind alle in und mit diesem erhöhten Christus, auferstanden aus den Toten. Er ist unser Leben. Wir sollen seinem Bild gleichförmig sein. Sein Vater ist unser Vater; sein Gott ist unser Gott. Wir stehen in derselben Liebe, Gnade und Gunst wie Er, denn wir sind begnadigt in Ihm. „Wie er ist, sind auch wir in dieser Welt“ (1Joh 4,17). Mögen wir folgen in den Fußspuren jenes Apostels und Jüngers, der so aufrichtig sagen konnte: „Was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben; um ihn zu erkennen“ (Phil 3,7-10). Und auch: „Von mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6,14). Für ihn waren die Person und das Kreuz Christi alles; mögen sie auch alles für uns sein!


Originaltitel: „The Cross“
übersetzt aus Scripture Truth, Jg. 1, 1909, S. 290–295

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