Besonderheiten im Text der Heiligen Schrift – Übergeben
paratithemi – paradidomi

Christian Briem

© CSV, online seit: 07.03.2006, aktualisiert: 28.06.2023

Leitverse: Lukas 23,46; Johannes 19,30

Zwei der vier Evangelienschreiber im Neuen Testament geben uns eine Einzelheit über den Tod des Herrn, die unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Beide reden davon, dass der Herr den Geist aufgab. Obwohl die Worte im Deutschen praktisch gleich lauten, zeigt der Grundtext einen bedeutsamen Unterschied auf, auf den wir heute kurz eingehen möchten. Lukas berichtet uns, was das letzte der sieben Worte des Erlösers am Kreuz war:

Lk 23,46: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!

Johannes lässt uns das kurz zuvor gesprochene sechste Wort „Es ist vollbracht!“ hören und verbindet es direkt mit dem Tod des Herrn, den er, inspiriert vom Heiligen Geist, so beschreibt:

Joh 19,30: Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.

Lukas benutzt in seinem Bericht für „übergeben“ das griechische Wort paratithemi, das in dieser Verbindung „anvertrauen, anempfehlen“ bedeutet. Es ist ja die Hauptaufgabe dieses Evangelisten, den Herrn Jesus in seiner vollkommenen Menschheit vorzustellen. Wie angemessen ist es da, dass er uns als Erstes zeigt, dass das letzte Wort des Herrn (wie auch das erste) an sich schon ein Gebet an seinen Vater ist. Er, der vollkommen Abhängige, betet! Das war nicht nur am Kreuz so, sondern es kennzeichnete sein ganzes Leben auf der Erde. Und wenn es nun um sein Abscheiden aus dieser Welt, um sein tatsächliches Sterben als Mensch geht, erfahren wir als Nächstes, dass Er seinen Geist, seinen menschlichen Geist, den Händen seines Vaters anvertraut, wie man einen Schatz zur Aufbewahrung bei jemand niederlegt. Genau das bedeutet das griechische Wort. Wunderbarer Herr! Er erduldete den Tod am Kreuz freiwillig und in völliger Abhängigkeit von seinem Gott und Vater. So völlig war Er Ihm als wahrer Mensch unterworfen, dass Er Ihm direkt vor seinem Sterben seinen Geist anempfiehlt.

Es mag im Vorbeigehen bemerkt werden – und das unterstreicht, dass der Herr Jesus unendlich viel mehr als nur ein vollkommener Mensch ist –, dass sich Stephanus vor seinem Märtyrertod nicht derselben Worte bedienen kann wie sein großer Meister. Seine Bitte an den Herrn Jesus ist einfach: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (Apg 7,59). Das Wort, das er benutzt, ist „hinnehmen, aufnehmen“. Gewiss, solch eine Sprache führen zu können ist durchaus gesegnet. Aber seinen Geist den Händen seines Vaters anzuempfehlen war allein Sache des Sohnes Gottes.

Noch erhabener ist die Seite, die uns Johannes vorstellt. Er zeigt uns, dass dieser vollkommene abhängige Mensch Gott ist – Gott der Sohn. Er hatte die Vollmacht, die Autorität, sein Leben zu lassen, und Er hatte die Vollmacht, es wiederzunehmen. Er ließ es von sich selbst, niemand nahm es von Ihm (Joh 10,17.18). Und um das deutlich zu machen, gebraucht der Heilige Geist durch Johannes in Verbindung mit dem Sterben des Herrn ein anderes Wort für das Aufgeben des Geistes, nämlich paradidomi, das „übergeben, überliefern“ bedeutet. In eigener Machtvollkommenheit übergab der Sohn den Geist. Er blieb dabei der vollkommen Abhängige, denn Er tat nur, was sein Vater Ihm geboten hatte (Joh 10,18; 14,31). Dennoch ist es göttliche Handlung. Er selbst trennt seinen Geist von seinem Körper und übergibt ihn Gott, seinem Vater. Nur eine Person, die Gott ist, kann so handeln. Und obwohl der Herr Jesus wahrhaftiger Mensch war und ist, besaß Er die göttliche Machtvollkommenheit, so zu handeln. Dass Er bei alledem eben auch vollkommen gehorsam war, lässt Ihn uns umso mehr bewundern und anbeten.

So haben wir in Lukas die menschliche, in Johannes die göttliche Seite. Beide gehören zusammen, beide führen uns zur Anbetung unseres Herrn und Erlösers. Und wenn wir noch einmal zur menschlichen Seite zurückkehren dürfen, ist es nicht ergreifend, wenn wir zweimal, in Markus und Lukas, lesen: Er verschied? Das bedeutet wörtlich: Er hauchte (den Geist) aus. So wirklich war der Herr Jesus Mensch, dass dieser Ausdruck, der von jedem Menschen gebraucht werden kann, auch in Bezug auf Ihn benutzt wird. Ja, Er hauchte den Geist aus.

Lasst uns das tief ins Herz fassen, Geliebte! Denn Er tat das für dich und für mich.

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Aus Ermunterung und Ermahnung
Dieser Artikel und viele andere sind auch erschienen in dem Buch Antworten auf Fragen zu biblischen Themen
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