Bibelstudium (3)
Ziele

Willem Johannes Ouweneel

© EPV, online seit: 24.01.2006, aktualisiert: 17.11.2022

Ziel des Bibelstudiums

Nachdem wir nun einigermaßen untersucht haben, welche Erfordernisse und welche Beschränkungen ein Bibelstudium mit sich bringt, müssen wir uns jetzt zunächst mit der wichtigen Frage beschäftigen: Welche Ziele sollte, gemäß der Bibel selbst, ein gesundes Bibelstudium verfolgen? Beachte: Bibelstudium ist nicht dasselbe wie Theologie. Die Theologie nennt sich oft die Königin der Wissenschaften und läuft damit Gefahr, ihr Studium innerhalb der Grenzen des natürlichen Verstandes zu betreiben. Die Wissenschaft an sich hat ja keine moralischen Methoden und keine moralischen Zielsetzungen, aber für das Bibelstudium sind sie nun doch gerade kennzeichnend. Aus diesem Grunde ist der Gläubige als solcher nicht zum Theologiestudium berufen (sondern der Wissenschaftler), wohl aber zum Bibelstudium. Durch die Jahrhunderte hin bestand die große Gefahr, dass Gläubige das Studieren der Bibel den Theologen überließen, und das auch im Protestantismus als traurige Folge davon, dass man leider die Trennung in Geistliche und Laien aufrechterhielt. Das Ergebnis ist, dass auch heute viele wirklich Gläubige nur ein Minimum an Bibelkenntnis haben, nur wenige Schriftstellen auswendig können, kaum wissen, wo bestimmte Schriftworte und -themen in der Bibel zu finden sind, und manchmal sogar Mühe haben, ein bestimmtes Bibelbuch auf Anhieb zu finden. Ist es da verwunderlich, dass in Zeiten des Verfalls so viele die Spur verlieren, falschen Leitern blindlings nachlaufen, sich aufs Glatteis begeben und schließlich in völliger Dunkelheit landen …?

1. Ziel: Erkenntnis Christi

Persönliches und gemeinschaftliches Bibelstudium ist für den Gläubigen lebensnotwendig. So wie er an regelmäßige Mahlzeiten für den Leib gewöhnt ist, muss er sich noch mehr an regelmäßiges Untersuchen der Schrift gewöhnen, um Nahrung für seine Seele aufzunehmen. „Wie neugeborene Kindlein seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch [des Wortes], damit ihr durch diese wachst zur Errettung“ (1Pet 2,2). Und was wird der Gläubige zuerst im Wort suchen? Wird er, der durch das Liebeswerk Christi an das liebende Herz Gottes gebracht ist, in der Schrift nicht zuerst und vor allem den Geliebten suchen? Sind die Bücher der Bibel für ihn nicht vor allem Briefe Christi, in denen alle Besonderheiten ihn in erster Linie deshalb interessieren, weil sie ihm von der Herrlichkeit des Geliebten erzählen? „Ihr erforscht die Schriften …, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39). Ich komme im Artikel „Bibelstudium (6) – Hauptthema“ darauf zurück, weise aber hier auf diesen Punkt hin, weil unser höchstes Ziel beim Bibelstudium sein muss, „ihn zu erkennen“ (vgl. Phil 3,8-10). Wie selbstverständlich ist das doch für jedes Herz, das wirklich dankbar und glücklich im Herrn ist.

2. Ziel: Gottes Wünsche für mein Leben

Der Gläubige, der den Herrn liebt, wird auch das Verlangen haben, Ihm zu dienen und zu gehorchen. Wir sollten jedoch gehorchen in aller Weisheit und in geistlicher Einsicht, um würdig des Herrn zu wandeln, in allem Ihm wohlzugefallen, um in jedem guten Werk Frucht zu tragen und zu wachsen durch die Erkenntnis Gottes (Kol 1,9.10). Dabei entstehen jedoch Fragen wie: Was erwartet der Herr denn von uns? Was ist ein würdiger Wandel? Was sind gute Werke? Auf solche Fragen gibt die Bibel gewöhnlich nicht direkt Antwort, und deshalb ist gründliches Bibelstudium notwendig, um den Geist der Schrift verstehen zu lernen. So wird das Wort Gottes ein „Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens“ (Heb 4,12). „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt“ (2Tim 3,16). Das ist, denke ich, auch das, worauf der Herr Jesus hinweist: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt … Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“ (Joh 14,21.23). Es kommt nicht allein darauf an, seine Gebote zu halten, sondern sie zuerst einmal zu „haben“; und das ist nicht so einfach, denn die Gebote Christi stehen nicht der Reihe nach aufgezählt in der Bibel. Wir lernen sie nur in dem verborgenen Umgang mit Ihm kennen. Dieser Umgang geht Hand in Hand mit einem gründlichen Studium der Bibel unter der Leitung des Heiligen Geistes.

3. Ziel: Anbetung

Ein weiteres Ziel richtigen Bibelstudiums ist auch äußerst wichtig. Wir kennen viele Menschen, die eine gute verstandesmäßige Kenntnis bestimmter biblischer Wahrheiten haben; das sehen wir vor allem bei jungen Gläubigen. Doch solche Kenntnis ist halbe Kenntnis, die noch nicht von dem Grundsatz weiß: „Denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben“ (1Chr 29,14). Wahre Erkenntnis ist die Erkenntnis, die in Anbetung zu Gott zurückkehrt. Der Vater sucht solche, die Ihn in Geist und Wahrheit anbeten (Joh 4,23.24), das heißt auf geistliche (also nicht judaistisch-liturgische) Weise und in Übereinstimmung mit der vollen geoffenbarten Wahrheit. Diese Wahrheit sollten wir dann aber auch gründlich untersuchen; dann haben wir auch reichlich Anlass zu einer einsichtsvollen Anbetung. Gesundes Bibelstudium wird immer zur Anbetung des Vaters und des Sohnes führen; geschieht das nicht, dann ist das ein Zeichen für ein nur verstandesmäßiges Bibelstudium, und das ist ungesund. Einige Beispiele aus den Vorbildern: Der Israelit, der dem HERRN ein freiwilliges Brandopfer brachte (ein wunderschönes Bild von der Anbetung), tat nach dem Schlachten des Opfertieres zwei Dinge (3Mo 1,5-9): Das Tier wurde in seine Stücke zerlegt, die teilweise auch gewaschen wurden. Das war das Erste: das Untersuchen all der kostbaren Teile des Brandopfers, die Prüfung ihrer Reinheit. Aber das war nicht genug! Nun musste man auch alle diese Teile auf dem Altar räuchern, dem HERRN zu einem lieblichen Geruch. Erst bei diesem Höhepunkt wurden alle Handlungen des Opfernden und des Priesters wohlgefällig für Gott. So war es auch mit dem Israeliten, der zu Hause seinen Korb mit den Erstlingen aller Früchte des Landes füllen durfte (5Mo 26,1-11); doch die Schönheit dieser Handlung lag darin, dass er das alles sammelte, um es Gott dankbar darbringen zu können.

4. Ziel: Hilfe für andere

Schließlich wird uns vielleicht gutes Bibelstudium auch in die Lage versetzen, anderen mit dem zu dienen, was Gott uns aus seinem Wort anvertraut hat. Das gilt natürlich im Besonderen, wenn der Herr uns eine Gabe gegeben hat, das Wort zu lehren; „dem einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist“ (1Kor 12,8). Doch alle Gläubigen können, wenn sie geistlich gesinnt sind, bisweilen für diese Aufgabe gebraucht werden (vgl. Apg 18,26). Es ist ein großes Vorrecht, wenn der Herr jemanden so zum Austeilen seines Wortes gebraucht. Christus sagt: „Darum ist jeder Schriftgelehrte, der im Reich der Himmel unterrichtet ist, gleich einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorbringt“ (Mt 13,52). Das ist nicht einfach Weitergabe der Kenntnis, sondern das ist das liebevolle Zeigen und Erstrahlen-Lassen von Juwelen. Wie schnell wird beim Unterweisen offenbar, ob der Lehrer selbst sich der drei oben genannten Zielsetzungen wahren Bibelstudiums bewusst ist; das Unterweisen anderer wird diesen Stempel tragen. Hören wir einmal die Worte aus 2. Timotheus 2,2: „Was du [Timotheus] von mir [Paulus] in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue [nicht: doziere, lehre] treuen [nicht: intelligenten, begabten!] Leuten an, die tüchtig sein werden [gerade wegen ihrer Treue], auch andere zu lehren.“ So entsteht auf der Grundlage des wirklich gesunden Bibelstudiums eine Kette von Unterweisung.

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Originaltitel: „Gesundes Bibelstudium“
aus Hilfe und Nahrung, Ernst-Paulus-Verlag, 1977, S. 326–329.
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