Die moralische Herrlichkeit des Herrn Jesus (4)
In der Weise, wie Er Menschen zurechtwies

John Gifford Bellett

© SoundWords, online seit: 02.01.2006, aktualisiert: 17.11.2022

Leitverse: Matthäus 8; 11; 20; Johannes 14; 2. Mose 2

Mit einer großartigen Vollkommenheit unterschied der Herr Jesus, wenn Er den Menschen antwortete, mit wem Er es zu tun hatte. Wenn Er sich zum Beispiel mit Leiden befasst, die, wenn ich so sagen darf, außerhalb des Kreises lagen, in dem Er sich normalerweise befand, so erblicken wir eine bewunderungswürdige Zärtlichkeit, verbunden mit der Macht zu heilen. Handelt es sich aber um die Probleme der Jünger, so finden wir ebenso treue Zurechtweisung wie Zärtlichkeit. So ist es zum Beispiel in Matthäus 8:

Mt 8,2.3: Und siehe, ein Aussätziger kam herzu und warf sich vor ihm nieder und sprach: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. Und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will; sei gereinigt! Und alsbald wurde sein Aussatz gereinigt.

Mt 8,23-26: Und als er in das Schiff gestiegen war, folgten ihm seine Jünger. Und siehe, es erhob sich ein großes Ungestüm auf dem See, so dass das Schiff von den Wellen bedeckt wurde; er aber schlief. Und die Jünger traten hinzu, weckten ihn auf und sprachen: Herr, rette uns, wir kommen um! Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige? Dann stand er auf und bedrohte die Winde und den See; und es ward eine große Stille.

Der Aussätzige hier war ein Fremder. Er kommt mit seinen Leiden zu Jesus und findet sofort Heilung. Im gleichen Kapitel wenden sich auch die Jünger in ihrer Not während des Sturms an Ihn. Aber sie empfangen mit der Hilfe auch einen Verweis: „Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige?“, sagt Er zu ihnen. Und doch hatte der Aussätzige einen ebenso kleinen Glauben wie die Jünger. Denn wenn diese schreien: „Herr, rette uns, wir kommen um!“, sagt jener: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen!“ Aber die Jünger wurden getadelt, der Aussätzige nicht, und zwar mit Recht, denn die beiden Fälle waren durchaus voneinander verschieden. In dem einen handelte es sich nur um das Leiden, in dem anderen neben dem Leiden auch um die Seele. Infolgedessen antwortete der Herr dem Aussätzigen durch eine unvermischte Liebe, während Er im Blick auf die Jünger mit der Zärtlichkeit die Treue verband. Die Verschiedenheit der Beziehungen zu Ihm (als Jünger oder als Fremde) erklärt die Verschiedenheit in der Handlungsweise des Herrn und zeigt uns, mit welcher Vollkommenheit Er Dinge unterschied, die zwar eine große Ähnlichkeit miteinander hatten, aber doch nicht gleich waren.

Doch betrachten wir diese Vollkommenheit des Herrn noch etwas näher. Obwohl Er selbst Tadel ausspricht, so erlaubt Er doch nicht, dass andere dies in leichtfertiger Weise tun. Ähnliches finden wir auch in früheren Tagen. Während Gott selbst seinen Knecht Mose demütigte, gestattete Er nicht, dass Mirjam und Aaron ihm Vorwürfe machten (4Mo 11–12). Und während Israel oftmals in der Wüste durch die Hand Gottes gezüchtigt wurde, trat Gott in Gegenwart Bileams und anderer Widersacher stets wie einer auf, der keine Ungerechtigkeit in Israel sah und nicht erlaubte, dass irgendwelche Zauberei gegen das Volk den Sieg davontrug.

Ebenso treffend und schön handelt Jesus, als die zehn Jünger unzufrieden über ihre zwei Gefährten murren.

Mt 20,20-28: Dann trat die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen zu ihm und warf sich nieder und erbat etwas von ihm. Er aber sprach zu ihr: Was willst du? Sie sagt zu ihm: Sprich, dass diese meine zwei Söhne einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen mögen in deinem Reiche. … Und als die Zehn es hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder. Jesus aber rief sie herzu und sprach: Ihr wisset, dass die Regenten der Nationen über dieselben herrschen und die Großen Gewalt über sie üben. Unter euch soll es nicht also sein; sondern wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein, und wer irgend unter euch der Erste sein will, soll euer Knecht sein; gleichwie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.

Auch sein Verhalten Johannes dem Täufer gegenüber ist von dieser moralischen Herrlichkeit geprägt:

Mt 11,2-11: Als aber Johannes im Gefängnis die Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger und ließ ihm sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird! Als diese aber hingingen, fing Jesus an, zu den Volksmengen zu reden über Johannes: Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? … Einen Propheten? Ja, sage ich euch, und mehr als einen Propheten. Denn dieser ist es, von dem geschrieben steht: „Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg vor dir bereiten wird.“ Wahrlich, ich sage euch, unter den von Frauen Geborenen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer.

Obwohl Er, im Verborgenen, ein Wort der Warnung und Zurechtweisung an diesen richtete (ein Wort, das wohl nur von dem Gewissen des Johannes verstanden werden konnte), wandte Er sich an die Menge ausschließlich mit Ausdrücken der höchsten Billigung und der Zufriedenheit über Johannes.

Es gibt noch viele andere Beispiele von dieser Gnade, die Dinge, die verschieden waren, auch unterschied. Selbst in seiner Handlungsweise seinen Jüngern gegenüber kam ein Augenblick, wo die Treue nicht länger am Platze war, sondern wo nur die Liebe ausströmen durfte; ich meine die Scheidestunde (Joh 14-16). Da war es zu spät, „treu zu sein“; der Augenblick erlaubte es nicht. In dieser Stunde ging es nur um das „Herz“; die Erziehung der Seele musste dieses Mal ganz außer Acht bleiben. Freilich offenbart der Herr seinen Jüngern neue Geheimnisse über die innigsten und vertrautesten Beziehungen zwischen ihnen und dem Vater. Aber in allen seinen Worten findet sich nichts, was einem Tadel ähnlich wäre. Jetzt sagt Er nicht: „Kleingläubige“!, oder: „Seid ihr noch unverständig?“

Joh 14,8.9: Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen, und wie sagst du: Zeige uns den Vater?

Das einzige Wort, das vielleicht wie ein Tadel klingen könnte, dient nur dazu, die Jünger eine Wunde erkennen zu lassen, die sein Herz erlitten hatte, damit sie so seine Liebe zu ihnen völliger verstehen würden. Das war also in den vollkommenen Gedanken und Zuneigungen des Herzens Jesu die Heiligkeit des Schmerzes der Scheidestunde. Und auch wir fühlen nach unserem geringen Maß wenigstens so viel davon, dass wir fähig sind, den vollen Ausdruck davon in Jesus würdigen und bewundern zu können. „Umarmen hat seine Zeit“, sagt der Prediger, „und sich vom Umarmen fernhalten hat seine Zeit.“ Das ist eine Verordnung im Gesetzbuch der Liebe, und Jesus beobachtete sie.

Jesus ließ sich allerdings niemals zur Milde verleiten, wenn die Gelegenheit Treue erforderte, obwohl Er an so vielen Umständen vorüberschritt, wo menschliche Empfindlichkeit sich geärgert haben würde und die nach dem sittlichen Gefühl des Menschen auch wirklich dazu angetan waren, sich zu ärgern. Er wollte seine Jünger nicht gewinnen durch eine liebenswürdige Natur. Das wäre zur armselig gewesen. Von den Feueropfern des HERRN war sowohl „Honig“ (menschliche Liebenswürdigkeit) als auch „Sauerteig“ (das Wirken des Bösen) ausgeschlossen. Die Speisopfer durften nichts davon haben:

3Mo 2,11: Alles Speisopfer, das ihr dem HERRN darbringt, soll nicht aus Gesäuertem gemacht werden; denn aller Sauerteig und aller Honig, davon sollt ihr kein Feueropfer dem HERRN räuchern.

Und so zeigte sich auch in Jesus, dem wahren Speisopfer, nichts von beidem. Es war nicht eine rein menschliche, natürliche Liebenswürdigkeit, die den Jüngern in ihrem Lehrer entgegentrat. Bei Ihm gab es nicht jene Höflichkeit, die stets den Geschmack anderer zu erraten und zu befriedigen trachtet. Er suchte nicht, sich angenehm zu machen, und doch zog Er die Herzen in der innigsten Weise an sich; und das ist Kraft. Es ist immer ein Beweis von sittlicher Kraft, wenn man das Vertrauen eines anderen erlangt, ohne es zu suchen; denn in diesem Fall hat das Herz die Wirklichkeit der Liebe erkannt. „Wir alle wissen“, sagt ein anderer Schreiber, „wahre Zuneigung von bloßer Aufmerksamkeit und Freundlichkeit wohl zu unterscheiden; das eine kann in großem Maße vorhanden sein, ohne dass sich von dem anderen auch nur eine Spur vorfindet. Manche mögen meinen, sich durch Aufmerksamkeiten das Vertrauen anderer erwerben zu können; aber wir wissen nur zu wohl, dass nichts anderes als Liebe dazu imstande ist.“

Wie wahr ist das! Eine bloß äußerliche Freundlichkeit ist Honig; und wie viel von diesem armseligen Material mag sich wohl unter uns finden! Wir streben vielleicht nach nichts Höherem, als den Sauerteig auszufegen und die Leere mit Honig anzufüllen, und denken so gern, dass dann alles in Ordnung sei. Wenn wir nur nett sind im Umgang und, indem wir anderen gefällig sein wollen und alles Mögliche tun, um mit jedem auf gutem Fuß zu leben, unseren Platz auf dem wohlgeordneten und glatten Boden der menschlichen Gesellschaft geziemend ausfüllen, so sind wir mit uns selbst zufrieden, und andere haben auch nichts an uns auszusetzen. Aber heißt das Gott dienen? Ist das ein Speisopfer? Glauben wir wirklich, dass das einen Teil der moralischen Herrlichkeit des vollkommenen Menschen ausmache? Bestimmt nicht! Vielleicht meinen manche, dass nichts besser dazu geeignet wäre, um jenes hohe Ziel zu erreichen. Aber dennoch bleibt es eins der Geheimnisse des Heiligtums, dass kein Honig angewendet werden durfte, um dem Opfer einen lieblichen Geruch zu verleihen.

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Aus The Moral Glory of the Lord Jesus Christ


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