Wenn Betrüger Christus kennenlernen
Lukas 5,27-32; 18,9-14; 19,1-10

David Willoughby Gooding

© SoundWords, online seit: 10.03.2005, aktualisiert: 30.10.2022

Leitverse: Lukas 5,27-32; 18,9-14; 19,1-10

Errettung eines Betrügers

Finanzbeamte sind wohl kaum die beliebtesten Menschen. Sie sind im Allgemeinen die Zielscheibe unseres sarkastischen Humors und manchmal auch das Zentrum einiger nicht so netter Gedanken, wenn wir dann unseren Steuerbescheid erhalten. Natürlich sehen wir in Momenten völliger gedanklicher Klarheit ein, dass sie ehrenwerte Menschen sind, die einen wenn auch unpopulären, dennoch notwendigen Job erledigen.

Der Steuereintreiber des alten Palästinas war jedoch ein Mensch völlig anderer Natur. In erster Linie trieb er Steuern ein, die von der gehassten römischen Oberherrschaft festgesetzt wurden. Für gewöhnlich machte ihn dies in den Augen der Juden zu so etwas wie einem Kollaborateur, wogegen er für die extrem rechte Partei, die sich über die Römer nicht nur wegen der Besetzung, sondern auch wegen religiöser Dinge sehr ärgerte, sowohl ein Abtrünniger als auch ein Verräter war. In zweiter Linie machten ihn die Versuchungen, die das von Rom gewählte System beinhaltete, allzu oft zu einem Betrüger. Die Römer trieben die Steuern nie selbst ein. Sie vergaben die Aufträge an Unternehmer, und wer immer die Berechtigung der Eintreibung kaufte, durfte, so viel er konnte, über den eigentlichen Betrag hinaus für seine eigene Tasche einholen, solange er den Römern die für sein Gebiet verlangte Steuer abgab. Darüber hinaus konnte dieser, wenn er wollte, für sich gewinnbringend die Rechte an einen Subunternehmer weitergeben, der wiederum für sich selbst eine beträchtliche Summe des Geldes der Bevölkerung einstreichen konnte. Viele Steuereintreiber waren völlig rücksichtslos und wurden extrem wohlhabend. Es ist also kaum verwunderlich, dass die Juden den ganzen Stand als verabscheuungswürdiges Übel ansahen und die Rabbiner sie aus den Synagogen aussperrten. Und wenn einige von ihnen unter der Predigt von Johannes dem Täufer Buße taten, wurden sie von Johannes gewarnt, dass sie keine Hoffnung hatten, als aufrichtig anerkannt zu werden, wenn sie nicht umgehend und dauerhaft mit ihrer schmutzigen und ungerechten Erpressung aufhören würden (Lk 3,12.13).

Wenn Christus also häufig in der Gesellschaft von Steuereintreibern gesehen wurde, so nahmen die Pharisäer großen Anstoß daran. Sie waren selbstverständlich nicht besonders enthusiastisch, was irgendeine Art der Evangelisation anging, aber wenn Christus schon missionieren musste, so gab es da doch reichlich respektable arme Menschen, die Er versuchsweise hätte unterrichten können. Warum musste Er immer die Gefühle aller anständigen Menschen missachten und offen mit den verachtenswerten und ungerechten Eintreibern verkehren? Für sie war das nichts anderes als das Verzeihen und stillschweigende Dulden eines offenen Verbrechens – ein sehr einfacher Weg, um Unterstützung zu gewinnen.

Lk 5,27-32: Nach diesem ging er hinaus und sah einen Zöllner, mit Namen Levi, am Zollhause sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach. Und alles verlassend, stand er auf und folgte ihm nach. Und Levi machte ihm ein großes Mahl in seinem Hause; und daselbst war eine große Menge Zöllner und anderer, die mit ihnen zu Tische lagen. Und die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murrten gegen seine Jünger und sprachen: Warum esset und trinket ihr mit den Zöllnern und Sündern? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Die Gesunden bedürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken; ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße.

In gewisser Weise wählte Christus damals sogar einen Steuereintreiber namens Levi als einen seiner zwölf besonderen Nachfolger. Levi gab daraufhin seinerseits ein großes Fest in seinem Haus, zu dem er Christus und eine Anzahl von anderen Steuereintreibern einlud (Lk 5,27-32). Zu versuchen, einem Steuereintreiber zu predigen, war in den Augen der Pharisäer nutzlos. Mit ihnen gesellschaftlich zu essen war das absolute Extrem von fragwürdigem Verhalten. „Warum esst und trinkt ihr mit Steuereintreibern und Sündern?“, forderten sie von den Jüngern in einer Mischung von verbitterter Kritik und verärgerter Verstörtheit zu wissen.

Sünder brauchen einen Retter

Menschen empfinden heute noch genauso, und es ist leicht, sie als „Separatisten“ (was die Bedeutung für Pharisäer ist) zu bezeichnen und von den überheblichen Gipfeln einer liberalen Ansicht deren Engstirnigkeit mit Verachtung zu strafen. Doch wir sollten es besser machen und versuchen, ihre Gefühle zu verstehen.

Es ist zumindest verständlich, warum die, die zum Beispiel aus erster Hand miterlebten, welches Leid und Elend ganzen Familien durch Alkohol zuteilwurde, etwas dagegen haben, wenn ein Prediger in eine Kneipe geht, sei es, um auch dort das Evangelium zu predigen. Oder nehmen wir ein weiteres Beispiel: Gesellschaftlich geachtete Versammlungen mögen wohl dagegen sein, wenn Drogenabhängige und Außenseiter von begeisterten Gemeindemitarbeitern mit in ihre Versammlung gebracht würden. Nicht nur weil ihr scheußlicher und schmutziger Zustand und die vollkommen aus dem Rahmen fallende Kleidung Probleme für den Geschmack (und auch die Nasen) der Versammlung geben würde; sondern auch, weil die anwesenden Eltern ernsthaft besorgt sein würden, dass, anstatt sich die Außenseiter verbesserten, ihre eigenen jungen Leute von deren Einstellungen angesteckt würden und verführt werden könnten, selbst Drogen zu nehmen.

Darüber hinaus werden die Gemeindemitglieder sicherlich befürchten, dass – wenn ihre Gemeinde in der Nachbarschaft den Ruf erhält, dass sich dort alle möglichen unerwünschten Charaktere aufhalten – kein anständiger Nicht-Christ jemals daran denken würde, auch nur einen Fuß in die Nähe dieses Ortes zu setzen, egal, wie sehr er auch das Bedürfnisses nach geistlicher Hilfe haben mag. Es gibt einige Sünden, die so offensichtlich asozial sind, dass sich jede religiöse Gemeinschaft verpflichtet fühlt, offen jedes Mitglied, das solcher Sünden schuldig ist, auszuschließen, weil sie sonst jede Glaubwürdigkeit vor der Öffentlichkeit vollkommen verlieren würden.

Genau aus diesem Grund verbannten die Pharisäer die Steuereintreiber aus ihren Synagogen. Genau deswegen wurde christlichen Gemeinden durch den Apostel Paulus geboten, jeden auszuschließen, der bekennt, ein Christ zu sein, aber sich gewisser asozialer Sünden schuldig macht (1Kor 5,1-13). Es liegt auch nicht an dieser Art der Disziplin, dass im Großen und Ganzen die Verbreitung des Evangeliums aufgehalten wird; sondern es ist im Gegenteil der Mangel derselben. Im Lauf der Geschichte geriet die Gemeinde in schlechten Ruf, indem sie praktisch mit der herrschenden Gesellschaftsschicht identifiziert wurde, die schändlich die Armen unterdrückte und indem sie Menschen als Mitglieder tolerierte, deren Unsittlichkeit öffentlich allgemein bekannt war.

Ein neues Leben

Somit ist es wichtig, in diesem Zusammenhang zu sehen, was Christus nicht tat. Obwohl Er Freund von Steuereintreibern und Prostituierten war, versuchte Er niemals, die Disziplin der Synagoge zu brechen, indem Er Gruppen von Steuereintreibern wie ein fünftes Rad am Wagen mit in den Gottesdienst der Synagoge brachte, genauso wenig, wie Er versuchte, besondere Gottesdienste für Prostituierte oder die Aufführung von abscheulich unmoralischen Vorstellungen im Tempel zu organisieren, wie es die Art von einigen modernen Geistlichen ist.

Levi, einer seiner Apostel war zugegebenermaßen ein Steuereintreiber, bevor er Christ wurde, doch danach hörte er damit auf. Als Christus ihn rief, saß er in seinem Zollhaus und scheffelte seine Wucherprofite. Aber er verließ seinen Posten, um dem Ruf Christi zu folgen, und kehrte nie wieder zurück. Christus teilte nicht die Ansicht, dass es egal war, wie das Geld verdient wurde, solange etwas von dem Geld dazu benutzt wurde, um die christliche Gemeinde zu unterstützen. Und als Levi nach seiner Bekehrung einen Empfang gab, damit viele seiner ehemaligen Kollegen aus der Steuerbranche Christus kennenlernen konnten, wusste jeder Steuereintreiber in dem Raum spätestens am Ende des Empfangs, worum es Levi und Christus ging: Es ging ihnen darum, die Steuereintreiber zu bekehren, ihre Liebe zum Geld zu brechen und sie dazu zu bewegen, für immer mit ihren Wucherpraktiken aufzuhören. Doch um diese Männer zu bekehren, war Christus bereit, sie zu treffen, mit ihnen zu essen und zu trinken; und auch dagegen waren die Pharisäer. Die Antwort Christi auf ihren Einspruch war meisterhaft und aufschlussreich: „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Die Gesunden bedürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken; ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße“ (Lk 5,31.32). Sünde ist per Definition widerlich. Einige Arten sind äußerst ansteckend, und einige Sünder sind gemeine und durch und durch verdorbene Menschen. Doch Christus kam um der Sünder willen, um diese zu erretten.

Was für ein Arzt wäre Er, wenn Er sich weigern würde, sich den Kranken auch nur im Entferntesten zu nähern? Wenn zum Beispiel jemand Gehirnhautentzündung bekommt, wäre es einerseits falsche Freundlichkeit, ihn nicht zu isolieren, und schlichtweg kriminell, einfach jedem zu erlauben, ihn zu besuchen. Wenn sich andererseits die Ärzte und Krankenschwestern von ihm fernhielten, so würde der Mann sterben. Nicht jeder Christ ist berufen oder geistlich reif genug, um ein Missionar für jede Art von Sünder zu sein. Doch selbst die, die unter den allerabscheulichsten Sünden leiden, sind immer noch von Gott geliebte Menschen und nicht als hoffnungslos abzustempeln. Einer muss dahin gehen und dort sitzen, wo sie sitzen, und sie finden, um ihnen das Evangelium zu bringen.

Tatsächlich ist es so, dass einige Menschen dieser Art eher bereit sind, das Evangelium anzunehmen als augenscheinlich anständige und respektable Kirchgänger. Und das ist es, worauf es unserm Herrn in dem nächsten Verweis auf Steuereintreiber im Lukasevangelium ankommt: „Das ganze Volk, das zuhörte, und die Zöllner rechtfertigten Gott, indem sie mit der Taufe des Johannes getauft worden waren; die Pharisäer aber und die Gesetzesgelehrten machten in Bezug auf sich selbst den Ratschluss Gottes wirkungslos, indem sie nicht von ihm getauft worden waren“ (Lk 7,29.30).

Gott verkündigte durch Johannes den Täufer, dass Menschen eine radikale Buße brauchten, ein Geständnis ihrer derzeitig absoluten Unwürdigkeit, um sich auf das Kommen Christi vorzubereiten, und dies musste durch die Taufe mit Wasser symbolisiert werden. Den Steuereintreibern fiel es vergleichsweise leicht, die Gerechtigkeit der Bewertung Gottes einzugestehen. Sie waren totale Sünder und sie wussten es. Doch die Pharisäer waren bedrückt und fühlten sich beleidigt. Sie waren bereit, hier und da einen Kavaliersdelikt oder ein bis zwei gelegentliche Sünden zu bekennen. Doch das Beharren des Johannes des Täufers, dass sie trotz ihrer religiösen Disziplin in sich selbst immer noch unwürdig waren und der Errettung bedurften, kam ihnen wie eine absurd ungerechte Übertreibung vor. Sie hatten das Gefühl, sie waren aufrichtige Männer, die sich selbst hingegeben hatten, um Gottes Gebote zu erfüllen, so gut sie eben dazu in der Lage waren. Vielleicht wurden sie hier und da nicht ganz den Erwartungen gerecht; aber nicht mit Absicht. Sie als moralische Versager zu beschreiben und darauf zu bestehen, dass sie zu den gleichen Bedingungen wie die Steuereintreiber getauft werden sollten, war laut ihrer Behauptung moralisch grotesk.

So beschlossen sie, dass Johannes einen Dämon hätte und emotional labil sei, und verweigerten seine Taufe. Doch was sie ablehnten, war, laut Christus, der Ratschluss Gottes. Nach seinen Maßstäben von Gerechtigkeit waren sie Versager. Indem sie den Ratschluss Gottes ablehnten, fügten sie darüber hinaus zu ihrem derzeitigen Versagen auch noch eindeutig Rebellion hinzu, und sie veranschaulichten, dass das religiöse Herz grundsätzlich, abgesehen von der erfahrenen Umwandlung, genauso in Feindschaft mit Gott ist wie das des Irreligiösen (s. Röm 8,6-8). Tatsächlich standen sie sogar in größerer geistlicher Gefahr als die Steuereintreiber, weil ihre religiöse Disziplin die Tatsache verschleierte, dass sie genauso eigenwillig und unabhängig von Gott waren wie die Menschen, deren Eigenwille sich in Kriminalität äußert.

Ein Gleichnis

Dies ist die immer gegenwärtige Gefahr eines religiös Gesinnten, und um dies zu bekämpfen, erzählte unser Herr das Gleichnis von dem Pharisäer und dem Steuereintreiber (Lk 18,9-14).

Lk 18,9-14: Er sprach aber auch zu etlichen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien, und die Übrigen für nichts achteten, dieses Gleichnis: Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer und der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die Übrigen der Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe {o. besitze}. Und der Zöllner, von ferne stehend, wollte sogar die Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus vor {o. gegenüber, d.i. im Gegensatz zu} jenem; denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

Auf den ersten Blick ist das Gleichnis schockierend: Es scheint einen Bonus für eine böse Lebensart zu geben. „Der Steuereintreiber ging gerechtfertigt nach Hause.“ Und um moralische Bemühungen niederzumachen und davor abzuschrecken, wurde eher der Steuereintreiber gerechtfertigt als der Pharisäer. Doch natürlich war das Gleichnis nicht dazu gedacht, gute Taten abzuwerten, sondern den Missbrauch guter Taten zu stoppen. Es war an Bestimmte gerichtet, die in ihrem Selbstvertrauen glaubten, gerecht zu sein, und alle anderen verachteten.

Zwei Übel lauern in der Einstellung solcher Menschen. Erstens vertrauen sie auf sich selbst und auf ihre gerechten Taten. Sie kommen sogar zu Gott und erwarten von Ihm, dass Er sie aufgrund ihrer Leistung und Fertigkeiten akzeptiert. Und zweitens verachten sie andere, die keine so guten Leistungen erbracht haben wie sie selbst. Achten Sie auf das Gebet des Pharisäers: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin, wie der Rest der Menschen, den Wucherern, den Ungerechten und den Ehebrechern oder sogar wie dieser Steuereintreiber. Ich faste zweimal in der Woche. Ich gebe den Zehnten von allem, was ich bekomme.“

Nun, für einen Athleten, der kurz vor dem Beginn eines 1000-Meter-Rennens steht, wäre solch eine Einstellung verständlich. Mal von Prahlerei abgesehen – wenn der Athlet ernsthaft trainiert hat und in absoluter Hochform ist und sein Gegner nicht trainiert hat, sondern geraucht, getrunken, lange Nächte durchgefeiert, massives Gewicht zugelegt hat, kurzatmig und plattfüßig ist, so wäre der Athlet mehr als unaufrichtig zu sich selbst, wenn er nicht an seine Fähigkeit glauben würde, den Gegner zu schlagen. Und wenn es um die Arbeit geht, von der erwartet wird, dass die echten Christen sie für Gott tun, drängt uns Paulus dazu, die gleiche Einstellung anzunehmen, wie ein Athlet im Training sie hat. Es gibt ewige Belohnungen, die wir durch sorgfältige Disziplin und treue Arbeit gewinnen können, wogegen Unachtsamkeit durchaus zur Disqualifizierung vom Dienst führen kann (1Kor 9,24-27).

Belohnung oder Geschenk?

Belohnungen für gut geleistete Arbeit, so wichtig und ewiglich sie auch sein mögen, gehören zu einer vollkommen anderen Kategorie als die Errettung und die Akzeptanz Gottes (s. 1Kor 3,10-15, besonders V. 15). Von Gott akzeptiert zu sein, kann niemals von unseren Werken abhängen, genauso wenig, wie die Errettung ein Wettlauf ist, bei dem die besten Läufer die ersten Preise erhalten. Unsere allerbeste Leistung ist weit entfernt von Gottes Niveau, was Perfektion angeht, und Gott wird nie so tun, als ob es gut genug wäre, dass wir uns seine Akzeptanz verdienen. Andererseits ist Er, wenn wir denn wollen, bereit, alles zu geben, was keiner von uns jemals verdienen könnte: die Akzeptanz Gottes und Errettung als Geschenk, einzig und allein gewährt auf der Grundlage von Reue und Glauben.

Achten Sie auf den Steuereintreiber und den Kommentar, den Christus dazu macht: Doch der Steuereintreiber, der weit weg stand, traute sich nicht, die Augen gen Himmel zu heben, sondern schlug sich auf die Brust und sagte: „Gott sei mir Sünder gnädig.“ Ich sage euch, dieser Mann ging gerechtfertigt nach Hause, nicht der andere. Und daraus folgt, dass, wenn ein vergleichsweise guter Mensch ausschließlich aufgrund von Reue und Glauben und alles in allem nur durch die Gnade Gottes gerechtfertigt werden kann, er in dieser Hinsicht keineswegs besser ist als der niederträchtigste Mensch und keine Basis hat, diesen zu verachten oder seiner selbst zu prahlen. Er wird aufhören, darauf zu vertrauen, dass er in sich selbst gerecht ist, sondern wird eher lernen, die Einstellung Abrahams anzunehmen, der Gott glaubte, was ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde (Röm 4,3-5).

Hier stoßen die meisten Menschen jedoch auf eine Schwierigkeit, die es ihnen fast unmöglich macht, die Lehre zu akzeptieren, dass der Mensch – wie Paulus es ausdrücken würde – durch Glauben, ohne und unabhängig von Gesetzeswerken, gerettet werden kann (Röm 3,28). Die Schwierigkeit liegt hier: Wenn die Errettung eines Menschen nicht davon abhängt, Gottes Gebote zu halten, und der Mensch die Erlösung als ein Geschenk bekommt und er sich selbst von Gott akzeptiert weiß, dann – so die Argumentation – wird er Gottes Gnade ausnutzen und sorglos und sündhaft leben. Dies war eine Schwierigkeit, die Menschen, die Paulus predigten hörten, diesem offenbar entgegenbrachten, und er beantwortet dies in seinem Brief an die Römer (Röm 6,1-4). Doch auch sein Reisegefährte Lukas kann uns genauso über diese Schwierigkeit hinweghelfen, wenn wir über eine weitere Geschichte über einen Steuereintreiber und Christus nachdenken.

Lk 19,1-10: Jesus zog durch Jericho. Und siehe, da war ein Mann, mit Namen Zachäus, und selbiger war ein Oberzöllner, und er war reich. Und er suchte Jesus zu sehen, wer er wäre; und er vermochte es nicht vor der Volksmenge, denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, auf dass er ihn sähe; denn er sollte daselbst durchkommen. Und als er an den Ort kam, sah Jesus auf und erblickte ihn und sprach zu ihm: Zachäus, steige eilends hernieder, denn heute muss ich in deinem Hause bleiben. Und er stieg eilends hernieder und nahm ihn auf mit Freuden. Und als sie es sahen, murrten alle und sagten: Er ist eingekehrt, um bei einem sündigen Manne zu herbergen. Zachäus aber stand und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand etwas durch falsche Anklage genommen habe, so erstatte ich es vierfältig. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, dieweil auch er ein Sohn Abrahams ist; denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist.

Zachäus war nicht nur einfach ein Steuereintreiber. Er war der Oberste der Steuereintreiber in der Gegend. Er war dementsprechend besonders rücksichtslos und reich. Für die Leute gab es kein Entkommen, was seine erpresserischen Steuerforderungen anging; aber sie ließen ihn genau wissen, was sie von ihm hielten. Jeder hasste ihn. Er war aus der Synagoge ausgeschlossen, und kein gewöhnlicher Mensch hätte sich jemals im Traum einfallen lassen, irgendwelchen gesellschaftlichen Umgang mit ihm zu pflegen. Als dann also Christus sich selbst bei Zachäus zum Essen einlädt, murmelt die Menschenmenge böse ihre Missachtung vor sich hin. Sie meinten, wenn man einen solchen Mann gesellschaftlich akzeptierte, so würde man ihm den Eindruck vermitteln, dass sein skrupelloses Verhalten akzeptabel wäre, und ihn ermuntern, mit seinem Tun fortzufahren.

Doch zur Verwunderung der Masse war Christus kaum zwei Schritte auf dem Weg zu Zachäus Haus gegangen, als ein Wunder geschah. Zachäus blieb plötzlich stehen und sagte: Schau, Herr, ich werde die Hälfte meines Vermögens den Armen geben. Und wenn ich irgendwie fälschlicherweise von irgendjemand mehr gefordert habe, werde ich es ihm vierfach zurückzahlen. Und so bewirkte die Akzeptanz Christi in Minuten, was jahrelanges Predigen und gesellschaftliches Ächten in dem Mann zu erreichen nicht geschafft hatte. Wie konnte das passieren?

Gute Werke

Wir können natürlich nicht wissen, was alles in dem Herzen des Mannes vor sich ging. Doch Lukas hat uns einige offensichtliche Hinweise gegeben. Obwohl Christus ihn angenommen hatte, wie er war, nahm Er ihn vor allem nicht ohne Anzeichen von Reue an. Als Christus ihn traf, war Zachäus an einem der ungewöhnlichsten Orte: auf einem Baum. Und Christus, der in sein Herz sehen konnte, wusste genau, warum er in dieser seltsamen Position war: Er wollte Jesus sehen. All seine Geldscheffelei, all seine Gefühle, Macht über Menschen zu haben, hatten versagt, ihn zu befriedigen. Er versuchte nun herauszufinden, wer Jesus war. Er hatte zweifellos von der moralischen einwandfreien Lehre Christi gehört, und er wusste in der tiefsten Tiefe seines Herzens, dass sie richtig war. Doch nun wollte er sehen, was für eine Art von Mensch Jesus war. Zachäus selbst war ein klein gewachsener Mann. Deshalb war er auf dem Baum, um über die Köpfe der Menschen hinwegsehen zu können. Doch er war ein kleiner Mensch in mehr als nur in einer Hinsicht. Sonst hätte es ihm nicht so viel Freude bereitet, von Menschen, die kaum wussten, wie sie überleben sollten, solche Wuchersteuern zu verlangen. Vielleicht hatte er ja tatsächlich in seiner Kindheit, weil er so klein war, tiefsitzende Minderwertigkeitskomplexe entwickelt und das Gefühl gehabt, verachtet zu werden, was ihn nun beständig dazu brachte, zu versuchen, seine Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Er fing an, Geld zu machen mit der vielleicht nur im Unterbewusstsein herrschenden Idee, dass, wenn er extrem reich würde, er die Menschen dazu brächte, ihn zu respektieren. Tatsächlich führte es nur dazu, dass sie ihn verachteten und seine Gesellschaft mieden. Dies wiederum verstärkte nur sein Gefühl, abgelehnt zu sein und machte ihn nur umso entschlossener, seinen Anteil zu bekommen und seine Überlegenheit zu demonstrieren, indem er Menschen weh tat und sogar noch mehr Steuern von ihnen forderte, während er sein eigenes Haus mit extravaganten, wertvollen Möbeln füllte, die dazu gedacht waren, jeden mit seinem Reichtum zu beeindrucken, zu provozieren und Neid zu produzieren.

Es war ein endloser Teufelskreis. Wie konnte er gebrochen werden? Nicht durch noch mehr Moralpredigten. Zachäus wusste ja schon, dass sein Verhalten falsch war; doch er konnte, ganz nüchtern betrachtet, einfach nichts dagegen tun. Er wurde durch einen Drang getrieben, den er nicht verstand und auch nicht kontrollieren konnte. Und gesellschaftliches Ächtung machte diesen Drang nur noch stärker. Christus, der in Zachäus das Verlangen sah, Ihn zu treffen, die beginnenden Anzeichen der Buße und den Hilferuf eines Schafes, das in einem Dickicht festsaß und nicht mehr wusste, wie es dort hinauskommen sollte, durchbrach all die Verwicklungen, indem Er den Mann akzeptierte, wie er war, und dadurch, dass Er öffentlich diese Akzeptanz zum Ausdruck brachte, indem Er ihn vom Baum rief und ihm eröffnete, dass Er in sein Haus einkehren würde.

Endlich hatte Zachäus durch die unverdiente Gnade Gottes gefunden, was Jahre seiner eigenen fehlgeleiteten Bemühungen niemals hatten erreichen können: das Gefühl, nicht nur von Menschen, sondern auf dem höchsten Level – von seinem Schöpfer selbst – akzeptiert zu sein. Und die Auswirkung bei Zachäus? Weitere Erpressung und endloses Ausnutzen der Gnade Gottes? Nein! Er hörte sofort mit der Erpressung auf und kündigte ein großartiges Programm reiner Menschenfreundlichkeit an, nicht, um Christus dazu zu überreden, ihn zu akzeptieren, sondern einfach weil Christus ihn akzeptiert hatte. „Heute ist diesem Haus Rettung widerfahren“, bemerkte Christus, „genauso wie er auch ein Kind Abrahams ist“ (Lk 19,9).

Um den Inhalt der Bemerkung Christi verstehen zu können, sollte man vielleicht ausführlich die Schriften von Paulus und Jakobus lesen, die darauf aufmerksam machen, wie Abrahams Rechtfertigung durch Glauben zu derartigen Taten führte, durch die gezeigt wurde, dass sein Glaube aufrichtig war. Das wäre jedoch eine sehr lange Bibelarbeit. Deshalb soll uns hier nun das Beispiel eines großen Bewunderers Abrahams, Paulus, genügen. Bevor er sich bekehrte, also während er noch dachte, dass die Erlösung von seinem eigenen Verdienst und dem Halten der Gesetze Gottes abhängig sei, war er einer der größten hasserfüllten, von Stolz besessenen Frömmler aller Zeiten. Als er entdeckte, dass die Errettung nicht von seinem eigenen Verdienst abhängig war, sondern ausschließlich von der Gnade Gottes, hörte er mit der Verfolgung auf, überwand seine enge jüdische Exklusivität, umarmte die ganze Welt der Heiden mit seiner Zuneigung und unter Aufopferung von Komfort, Karriere, sozialem Stand und sogar seinem eigenen Leben, gab er sich ganz dem Dienst an seinen Mitmenschen hin, mit einem Lebensstil und einer Botschaft der Liebe, die den Verlauf Europas, ja sogar der Welt geschichtlich für immer veränderte.

Fragen zum Studieren und Diskutieren:

  1. Wer sind die „anständigen“ Menschen, heute und damals?
  2. Was war das Resultat der Reaktion Levis auf Christus?
  3. Wer brauchte Christus mehr: die Pharisäer oder die Steuereintreiber? Warum ging Er zu den Steuereintreibern?
  4. Was sagt das Gleichnis von dem Pharisäer und dem Steuereintreiber über gute Werke?
  5. Was ist der Unterschied zwischen der Errettung und der Belohnung für Werke, die wir auf dieser Erde tun?
  6. Was hat Christus zu Zachäus gesagt, dass einen Wandel bei ihm bewirkte, wie ihn jahrelanges Predigen der Gemeinde nicht hatte ausrichten können?

Originaltitel: „Redeeming a Swindler“
in Windows on Paradise. 14 Studies in the Gospel of Luke


Hinweis der Redaktion:

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