Allem entsagen
Aus dem Buch „Wahre Jüngerschaft“

William MacDonald

© Hänssler-Verlag, online seit: 01.01.2001, aktualisiert: 24.10.2022

Leitvers: Lukas 14,33

Lk 14,33: Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht absagt allem, was er hat, kann nicht mein Jünger sein.

Um ein Jünger des Herrn Jesus sein zu können, muss man allem absagen. Das ist die unmissverständliche Bedeutung dieser Worte des Heilands. Es spielt keine Rolle, wie sehr wir einer solchen „übertriebenen“ Forderung widerstreben mögen; gleichgültig, wie wir aufbegehren gegen solch eine „unmögliche“ und „unkluge“ Forderung; die Tatsache bleibt bestehen, dass es ein Wort des Herrn ist, und er meint genau das, was er sagt.

Zunächst sollten wir die nachstehenden, unverrückbaren Wahrheiten ins Auge fassen:

  1. Jesus stellte diese Forderung nicht einer bestimmten auserwählten Gruppe christlicher Arbeiter. Er sagte: „Ein jeglicher unter euch …“
  2. Er sagte auch nicht, dass wir nur den guten Willen zu haben brauchen, allem zu entsagen. Er sagte: „Ein jeglicher unter euch, der nicht absagt …“
  3. Er sagte auch nicht, dass wir nur einem Teil unseres Besitzes entsagen sollen. Er sagte: „Ein jeglicher unter euch, der nicht absagt allem, was er hat …“
  4. Er sagte auch nicht, dass eine weniger entschiedene Form der Jüngerschaft für denjenigen möglich ist, der an seinem Besitz festhält. Jesus sagte: „… der kann nicht mein Jünger sein.“

Wir sollten über diese strikte Forderung nicht so erstaunt sein. Sie ist nicht die einzige ihrer Art in der Bibel.

Sagte Jesus nicht auch: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel“ (Mt 6,19.20a)?

Wie Wesley ganz richtig sagte: „Schätze auf Erden zu sammeln, ist vom Herrn genauso klar verboten worden wie Ehebruch und Mord.“

Sagte Jesus nicht: „Verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen“ (Lk 12,33)? Wies Er nicht den reichen Mann an: „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach“ (Lk 18,22)? Wenn Er nicht genau das meinte, was Er sagte, was hat Er denn dann gemeint?

Traf es nicht zu für die Gläubigen der Urgemeinde, dass sie „ihre Güter und Habe verkauften und sie austeilten unter alle, nach dem jedermann not war“ (Apg 2,45)?

Ist es nicht so, dass viele der Heiligen Gottes durch die Jahrhunderte hindurch buchstäblich allem entsagten, um Jesus zu folgen?

Antony Norris Grove und seine Frau, unter den ersten Missionaren in Bagdad, kamen zu der Überzeugung, dass sie „aufhören müssten, Schätze auf Erden zu sammeln, und dass sie ihr gesamtes beträchtliches Einkommen ganz dem Herrn weihen sollten – zu seinem Dienst“.

C.T. Studd „entschloss sich, Christus sein ganzes Vermögen hinzugeben und die wunderbare Gelegenheit zu ergreifen, die der reiche Jüngling versäumt hatte … Es war schlichter Gehorsam gegenüber den schwarz auf weiß dargelegten Geboten des Wortes Gottes.“ Nachdem er Tausende für das Werk des Herrn gegeben hatte, legte er einen Betrag von 9588 Dollar, das sind etwa 38.350 DM, für seine Braut zurück. Diese wollte sich nicht von ihrem Manne übertreffen lassen. „Karl“, fragte sie ihn, „was gebot der Herr dem reichen Jüngling?“ – „Verkaufe alles.“ – „Nun, so wollen wir gleich bei unserer Hochzeit ganz klar mit dem Herrn anfangen.“ Und fort ging das Geld an christliche Missionen.

Derselbe Geist der Hingabe bewegte Jim Elliot. Er schrieb in sein Tagebuch:

Vater, lass mich schwach sein, auf dass ich die Kraft verliere zum Umklammern von weltlichen Dingen. Mein Leben, mein Ansehen, mein Besitz – Herr, nimm von mir die Neigung meiner Hand zum Ergreifen und Festhalten. Ach, Vater, dass doch von mir wiche das Verlangen schon nach dem bloßen Streicheln. Wie oft habe ich den festen Griff gelockert, nur um mir das zu erhalten, was ich in „harmlosem“ Verlangen so sehr schätzte – das liebkosende Berühren. Nein, öffne vielmehr meine Hand zum Aufnehmen des Kreuzigungsnagels, Vater, wie die Hand Jesu Christi – auf dass ich, indem ich alles loslasse, selber losgelassen werde, los von allem, was mich jetzt noch bindet. Auch bei Jesus war das Sehnen und Trachten auf den Himmel gerichtet, ja, auf die Einheit mit dir, Vater, nicht auf Dinge, die man umklammert. So gib denn, Vater, dass ich loslasse. (Aus Im Schatten des Allmächtigen von Elisabeth Elliot)

Unser ungläubiges Herz will uns weismachen, dass es unmöglich sein würde, die Worte des Herrn wörtlich zu nehmen. Wenn wir allem entsagten, würden wir verhungern. Schließlich müssen wir doch eine gewisse Vorsorge für unsere eigene und die Zukunft unserer Lieben treffen. Wenn jeder Christ allem entsagte, wer sollte dann das Werk des Herrn finanzieren? Und wenn es nicht einige reiche Christen gäbe, wie könnten je die höhergestellten Leute erreicht werden? Und so ergießen sich in schneller Folge die Gründe dafür über uns, dass der Herr gar nicht gemeint haben könne, was Er sagte.

Tatsächlich ist es aber so, dass Gehorsam gegenüber den Befehlen des Herrn die vernünftigste und richtigste Art zu leben ist und gleichzeitig diejenige, welche die größte Freude hervorbringt. Das Zeugnis der Schrift und die Erfahrung lehren, dass niemand, der hingegeben für Christus lebt, jemals Mangel leidet. Wenn ein Mensch Gott gehorcht, sorgt der Herr für ihn. Der Mann, der allem entsagt, um Christus nachzufolgen, ist kein hilfloser Armer, der von seinen Mitchristen erwartet, dass sie ihn erhalten.

  1. Er ist arbeitsam. Er schafft fleißig für seine eigenen Bedürfnisse und die seiner Familie.

  2. Er ist mäßig. Er lebt so sparsam wie möglich, so dass alles, was über die wirklich notwendigen Bedürfnisse hinausgeht, für des Herrn Sache gegeben werden kann.

  3. Er beweist Voraussicht. Anstatt auf Erden Reichtümer zu häufen, legt er sich einen Schatz im Himmel an.

  4. Er vertraut Gott für die Zukunft. Anstatt die beste Zeit seines Lebens dazu zu verwenden, reichliche Rücklagen für die Zeit seines Alters zu schaffen, gibt er das Beste für den Dienst Christi und vertraut ihm für die Zukunft. Er glaubt daran, dass, wenn er am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachtet, es ihm niemals an Nahrung und Kleidung mangeln wird (Mt 6,33). Es ist für ihn einfach unvernünftig, Reichtümer für schlechte Tage zu sammeln. Er würde das folgendermaßen begründen:

    1. Wie könnte ich mit gutem Gewissen besondere Gelder zur Seite legen, wenn die Mittel gerade jetzt zur Errettung von Seelen benutzt werden könnten?“ – „Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu – wie bleibt die Liebe Gottes bei ihm?“ (1Joh 3,17).
      „Betrachte dies wichtige Gebot: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ (3Mo 19,18). Kann von uns wirklich gesagt werden, dass wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben, den wir doch verhungern lassen, obwohl wir genug, ja, noch übrighaben? Ich möchte alle die aufrufen, welche die Freude erfahren haben, die unaussprechliche Gabe Gottes zu kennen, und fragen: ‚Würdet ihr dieses Wissen eintauschen – gegen tausend Welten?‘ So wollen wir denn auch nicht die Mittel zurückhalten, durch welche andere dieses wunderbare Wissen und himmlischen Trost erlangen können“ (A.N. Groves).

    2. Wenn wir wirklich glauben, dass die Wiederkunft Christi bevorsteht, dann wünschen wir auch, dass unser Geld sofort nutzbringend verwendet wird. Andernfalls gehen wir das Risiko ein, dass es in die Hand des Teufels fällt – Geld, das doch zu ewigem Segen hätte benutzt werden können.

    3. Wie können wir den Herrn mit gutem Gewissen bitten, Mittel für christliche Arbeit zu beschaffen, wenn wir selbst Geld besitzen, das wir nicht für diesen Zweck hergeben wollen? Alles für Christus hinzugeben, bewahrt uns vor Heuchelei im Gebet.

    4. Wie können wir anderen den Ratschluss Gottes predigen, wenn darin bestimmte Wahrheiten – wie diese – enthalten sind, denen wir selbst nicht gehorcht haben? In einem solchen Fall würde unser Tun unsere Lippen verschließen.

    5. Die Klugen dieser Welt legen reichliche Rücklagen für die Zukunft beiseite. Dies bedeutet, nicht im Glauben, sondern im Schauen zu wandeln. Der Christ ist aber zu einem Leben der Abhängigkeit von Gott berufen. Wenn er auf Erden Schätze anlegt – wie unterscheidet er sich dann von der Welt und ihrer Weise?

Sehr häufig ist der Einwand zu hören, dass wir für die Zukunft unserer Familie sorgen müssen; andernfalls wären wir schlechter als die Ungläubigen. Die beiden nachstehenden Verse werden zur Bestätigung dieser Ansicht benutzt:

  • 2Kor 12,14: Denn es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern.

  • 1Tim 5,8: So aber jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger als ein Heide.

Das sorgfältige Studium dieser Verse zeigt uns, dass sie mit den laufenden Bedürfnissen zu tun haben und nicht mit zukünftigen Ausgaben. Den ersten Vers gebraucht Paulus ironisch. Er stellt sich als Elternteil dar, und die Korinther sind seine Kinder. Er hat sie finanziell nicht belastet, obwohl er als Diener Gottes das Recht dazu gehabt hätte. Er war jedoch ihr Vater im Glauben, und im Allgemeinen sorgen die Eltern für ihre Kinder und nicht umgekehrt. Es geht hier überhaupt nicht um die Sorge der Eltern für die Zukunft ihrer Kinder. Der ganze Abschnitt befasst sich lediglich mit der Befriedigung der augenblicklichen Bedürfnisse des Paulus, nicht seiner eventuellen zukünftigen Nöte. In 1. Timotheus 5,8 bringt der Apostel die Versorgung armer Witwen zur Sprache. Er besteht darauf, dass deren Angehörige für diese Versorgung verantwortlich sind. Wenn keine Verwandten da sind oder wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, dann soll die örtliche Gemeinde für die gläubigen Witwen sorgen. Auch hier geht es nur um gegenwärtige, nicht um zukünftige Bedürfnisse. Gottes Wille ist, dass die Glieder am Leibe Christi für die augenblicklichen Bedürfnisse ihrer Mitgläubigen sorgen sollten: „Es ist allein eine Sache des Mitteilens. So diene jetzt euer Überfluss ihrem Mangel, und später diene ihr Überfluss eurem Mangel. So teilen wir uns gegenseitig mit, wie die Schrift sagt: Der viel sammelte, hatte nicht Überfluss, und der wenig sammelte, hatte nicht Mangel“ (2Kor 8,15).

Ein Christ, der meint, er müsse für die Zukunft sorgen, sieht sich dem schwierigen Problem gegenüber, zu wissen wie viel denn nun genug sei. Deshalb bringt er sein Leben damit zu, nach einem Vermögen unbestimmter Höhe zu streben, und versäumt dabei das Vorrecht, sein Bestes für den Herrn Jesus Christus zu geben. Schließlich gelangt er an das Ende eines vergeudeten Lebens und muss erkennen, dass alle seine Bedürfnisse sowieso befriedigt worden wären, wenn er einfach von ganzem Herzen für den Herrn gelebt hätte.

Wenn die Christen die Worte des Herrn Jesus buchstäblich nähmen, gäbe es keinen Geldmangel im Werk des Herrn. Das Evangelium würde mit steigender Macht hinausgehen und in wachsendem Umfang gepredigt werden. Wenn irgendein Jünger in Not geriete, würde es den anderen Jüngern Freude und Vorrecht sein, mit ihm zu teilen, was sie haben.

Der Einwand, dass es wohlhabende Christen geben müsse, um die Reichen in dieser Welt zu erreichen, ist absurd. Paulus erreichte des Kaisers Haushalt, als er ein Gefangener war (Phil 4,22). Wenn wir Gott gehorchen, können wir Ihm auch vertrauen, dass Er die Verhältnisse ordnet.

Das Beispiel des Herrn Jesus sollte in dieser Sache ausschlaggebend sein! Der Knecht steht nicht über seinem Meister:

Es steht dem Knecht nicht gut, danach zu trachten, reich, groß und geehrt zu sein in dieser Welt, in der sein Meister arm, gering und verachtet war (Georg Müller).

Die Leiden Christi schlossen Armut ein (2Kor 8,9). Natürlich muss Armut nicht Lumpen und Schmutz bedeuten, aber es schließt den Mangel an Reserven ein und das Fehlen der Mittel, um luxuriös zu leben. Vor etwa dreißig Jahren wies Andrew Murray darauf hin, dass der Herr und seine Apostel niemals das Werk, das ihnen aufgetragen war, hätten vollenden können, wenn sie nicht ganz arm gewesen wären. Wer andere emporheben will, muss sich selbst niederbeugen wie der Samariter – und weitaus die Mehrzahl der Menschheit ist immer arm gewesen und ist es heute noch (Anthony Norris Groves).

Die Leute wenden ein, dass es gewisse materielle Besitztümer gibt, die für das häusliche Leben notwendig sind. Das stimmt. Manche Leute führen an, dass christliche Geschäftsleute eine bestimmte Menge Kapital haben müssen, um heutzutage ein Geschäft zu führen. Das ist wahr. Andere Leute wenden ein, dass es Besitztümer gibt, wie zum Beispiel ein Auto, die sehr wohl zur Verherrlichung Gottes benutzt werden können. Das stimmt ebenfalls. Über diese gerechtfertigten Notwendigkeiten hinaus sollte ein Christ aber genügsam und opferfreudig leben, um der Ausbreitung des Evangeliums willen. Sein Wahlspruch sollte sein:

Arbeite schwer, verbrauche wenig, gib viel – und das alles für den Herrn (A.N. Groves).

Jeder von uns steht verantwortlich vor Gott für das, was für ihn „allem entsagen“ bedeutet. Der eine Gläubige kann das nicht einem anderen übertragen; jeder Einzelne muss so handeln, wie es ihm nach persönlicher Prüfung vor dem Herrn klarwird. Es ist eine ausgesprochen persönliche Angelegenheit.

Es ist möglich, dass der Herr jemanden als Ergebnis einer solchen Prüfung in eine Haltung der Hingabe hineinführt, wie sie demjenigen bis dahin nicht bekannt war. Trotzdem ist kein Raum für persönlichen Stolz vorhanden; unsere Opfer sind in Wirklichkeit gar keine Opfer, wenn wir sie im Licht von Golgatha betrachten. Abgesehen davon geben wir dem Herrn nur das hin, was wir sowieso nicht halten können und was wir aufgegeben haben zu lieben.

Der ist kein Narr, der hingibt, was er nicht behalten kann, um damit zu gewinnen, was er nicht verlieren kann (Jim Elliot).

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Aus dem Buch Wahre Jüngerschaft, Neuhausen-Stuttgart (Hänssler) 1971, S. 16–24

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