Das Matthäusevangelium (2)
Kapitel 2

William Kelly

© J. Das, online seit: 05.06.2003, aktualisiert: 25.04.2022

Leitverse: Matthäus 2

Einleitung

Das zweite Kapitel zeigt uns ein weiteres Charakteristikum dieses Evangeliums. Das Ziel des ersten Kapitels bestand darin, uns Beweise von der wahren Herrlichkeit und dem Wesen des Messias zu geben im Gegensatz zu jüdischen Einschränkungen und ihrem Unglauben. Das zweite Kapitel zeigt uns die Aufnahme, die der Messias seitens Jerusalems, des Königs und des Volkes im Land Israel, verglichen mit den Weisen aus dem Osten, fand. Wenn Er wirklich vom königlichen Samen Davids war, wenn Seine Herrlichkeit jede menschliche Abstammung weit übertraf – welch einen Platz fand Er dann tatsächlich in Seinem Land und bei Seinem Volk? Sein Recht war unangreifbar. Welche Verhältnisse traf Er an, als Er schließlich in Israel gefunden wurde? Von Anfang an ist die Antwort: Er war der verworfene Messias. Er war verworfen, und zwar am nachdrücklichsten von denen, deren Verantwortlichkeit vor allem darin bestand, Ihn anzunehmen. Es waren nicht die Unwissenden; es waren nicht diejenigen, die durch üppiges Wohlleben betäubt waren. Es war Jerusalem; es waren die Schriftgelehrten und Pharisäer. Ja selbst das ganze Volk war schon durch den bloßen Gedanken an die Geburt des Messias bestürzt.

Der Stern leitete Magier

Was den Unglauben Israels so erschütternd herausstellte, war dies: Gott würde ein angemessenes Zeugnis in Bezug auf einen solchen Messias geben. Und wenn die Juden nicht dazu bereit waren, dann würde Er sogar von den Enden der Erde einige Herzen versammeln, um Jesus – Jesus-Jehova, den Messias Israels – zu begrüßen. Folglich finden wir jene Heiden, die aus dem Osten heranzogen und von dem Stern geleitet wurden, der zu ihren Herzen sprach. Schon immer war die Überlieferung von dem allgemeinen Inhalt der Prophezeiung Balaams unter den orientalischen Völkern, und nicht nur bei ihnen, lebendig, dass ein Stern erscheinen sollte – ein Stern in Verbindung mit Jakob (4Mo 24,17). Ich zweifle nicht, dass es Gottes Güte war, ein solches buchstäbliches Siegel zu dieser Prophetie zu geben, zusätzlich zu ihrer wahren symbolischen Bedeutung. In Seiner herablassenden Gnade würde Er Herzen leiten, die von Ihm zubereitet waren, den Messias zu erwarten und von den Enden der Erde zu kommen, um Ihn willkommen zu heißen. Und so geschah es. Die Weisen sahen den Stern und machten sich auf, das Königreich des Messias zu suchen. Der Stern zog nicht auf dem ganzen Weg vor ihnen her; er rüttelte sie auf und ließ sie losziehen. Sie bemerkten das Himmelsphänomen, als sie nach dem Stern Jakobs Ausschau hielten. Sie verknüpften – ich möchte sagen, instinktiv, wenn auch gewiss durch die gute Hand Gottes – den neuen Stern mit der göttlichen Verheißung. Aus ihrer weit entfernten Heimat machten sie sich auf nach Jerusalem; denn selbst die allumfassenden Erwartungen der Menschen jener Zeit wiesen auf diese Stadt hin. Aber als sie die Stadt erreichten – wo waren die gläubigen Seelen, die den Messias erwarteten? Sie fanden rührige Geister, und zwar nicht wenige, die ihnen genau sagen konnten, wo der Messias geboren werden sollte; denn in dieser Angelegenheit sollten die Weisen vom Wort Gottes abhängig sein. Nachdem sie Jerusalem erreicht hatten, sollten sie keine äußeren Zeichen mehr leiten. Sie lernten, was die Schriften darüber sagten. Sie lernten es von jenen, die sich weder um die Schriften noch um Den, den sie betrafen, kümmerten, sie aber nichtsdestoweniger dem Buchstaben nach mehr oder weniger kannten. Auf der Straße nach Bethlehem erschien, zu ihrer außerordentlich großen Freude, der Stern erneut und bestätigte, was sie gehört hatten. Zuletzt blieb er über dem Haus stehen, wo das Kindlein war. Und hier in der Gegenwart von Vater und Mutter bewiesen sie, wie sehr sie von Gott geleitet wurden; denn als Orientalen waren sie es gewohnt, großartige Huldigungen darzubringen. Doch weder Vater noch Mutter erhielten den geringsten Teil ihrer Huldigung. Alles war für Jesus reserviert; alles wurde zu den Füßen des kindlichen Messias ausgegossen. Was für eine vernichtende Zurechtweisung für die närrischen Menschen des Abendlandes! Was für eine Lehre für die selbstzufriedene Christenheit in Ost und West durch diese finsteren Heiden! Die Menschen in diesen stolzen Tagen mögen auf sie in Hochmut herabblicken, aber ihre Herzen waren wahrhaftig in ihrer Schlichtheit. Sie kamen nur um Jesus willen. Jesus brachten sie ihre Huldigung dar. Sie entfalteten ihre Schätze und huldigten allein dem kleinen Kind. Mochten auch die Eltern dabei stehen, mochten auch die natürlichen Empfindungen sie dazu antreiben, dennoch traten sie nichts von ihrer Huldigung für das Kind an Vater und Mutter ab.

Das ist umso bemerkenswerter, wenn wir bei Lukas denselben Jesus als kleines Kind in den Armen eines betagten Mannes mit weit mehr göttlichem Verständnis sehen, als sich diese Weisen aus dem Morgenland rühmen konnten (Lk 2). Wir wissen, was die Gegenwart eines Säuglings für Gefühle und gottgemäße Wünsche erzeugt. Doch der bejahrte Simeon segnet es nicht. Nichts wäre einfacher und natürlicher gewesen, hätte es sich hier nicht um einen Säugling von ganz anderer Art gehandelt. Doch das Kind war, was es war, und Simeon wusste es. Er sah in Ihm das Heil Gottes. Er konnte sich in Gott erfreuen, er konnte Gott preisen, er konnte die Eltern segnen; aber er maßte sich nicht an, das Kind zu segnen. Tatsächlich war es der Segen, den er von dem Säugling empfangen hatte, der ihn befähigte, Gott zu preisen und die Eltern zu segnen. Er segnete jedoch nicht das Kind, selbst wenn er die Eltern segnet. Gott selbst war da, nämlich der Sohn des Höchsten; und seine Seele beugte sich vor Gott. Wir haben hier bei Matthäus also die Orientalen, wie sie dem Kindlein huldigen, aber nicht den Eltern; und wir haben in dem anderen Bericht den gesegneten Mann Gottes, der die Eltern, aber nicht den Säugling, segnet. Ist das nicht ein treffendes Beispiel von den bemerkenswerten Unterschieden, die der Heilige Geist vor Augen hatte, als Er diese Berichte vom Herrn Jesus verfasste?

Im Folgenden finden wir, wie den Weisen von Gott ein Wink gegeben wird, so dass sie auf einem anderen Weg wieder zurückzogen. Auf diese Weise wurde die Absicht des verräterischen Herzens und grausamen Verstandes des edomitischen Königs vereitelt, der dennoch zum Schlächter der Unschuldigen wird.

Flucht nach Ägypten

Als Nächstes kommt die bemerkenswerte Prophezeiung hinsichtlich des Christus, zu der wir ein Wort sagen müssen, nämlich die Prophezeiung Hoseas. Unser Herr wird aus den Bereich des Sturmes nach Ägypten getragen. Das entsprach tatsächlich der ganzen Geschichte Seines Lebens. Es brachte Ihm beständig Leiden und war ein Weg der Schmerzen und der Schande. In dem Herrn Jesus lag kein Heldentum, sondern eher das Gegenteil. Nichtsdestoweniger war Er Gott, der Seine Majestät verhüllte. Er war Gott in der Person eines Menschen, in jenem Kind, das den niedrigsten Platz in dieser stolzen Welt einnahm. Deshalb finden wir hier keine Wolke, die Ihn verdeckte, keine Feuersäule, die Ihn schützte. Er beugte sich vor dem Sturm und wich zurück. Er wurde von Seinen Eltern nach Ägypten, jenem alten Schmelzofen der Leiden Seines Volkes, getragen. So musste unser Herr Jesus von Anfang an, schon als kleines Kind, den Hass der Welt schmecken. Er musste schon als Kind erfahren, was es heißt, vollständig gedemütigt zu werden. Die Prophezeiung wurde also erfüllt, und zwar in ihrer tiefsten Bedeutung. Gott rief nicht nur Israel aus Ägypten, sondern auch Seinen Sohn. Er war der wahre Israel. Jesus war der wahre Weinstock vor Gott (Ps 80,9). Er durchlief in eigener Person Israels Geschichte. Er ging nach Ägypten und wurde von dort herausgerufen.

Rückkehr nach Israel

Als sie zur gegebenen Zeit nach dem Tod Herodes des Großen in das Land Israel zurückkehren, erhalten, wie uns erzählt wird, Seine Eltern eine göttliche Weisung und wenden sich ab in die Gegenden Galiläas. Das ist eine weitere wichtige Wahrheit; denn auf diese Weise wurde nicht nur die Prophezeiung eines einzigen Propheten erfüllt, sondern aller. „Damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: Er wird Nazarener genannt werden“ (Mt 3,23). Es war ein Name der Verachtung seitens der Menschen; denn Nazareth war die verachtetste Stadt in dem verachteten Land Galiläa. Das war in der Vorsehung Gottes der rechte Ort für Jesus. So erfüllte sich die allgemeine Stimme der Propheten, die von Ihm zeugten als dem von den Menschen am meisten Verachteten und Verworfenen. Und das war Er auch. Das galt sogar von dem Ort, in dem Er lebte. „Damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: Er wird Nazarener genannt werden.“

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Aus Lectures Introductory to the Study of the Gospels
Winschoten (Heijkoop) 1970
(im Deutschen herausgegeben und übersetzt von J. Das)
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