Der Prophet Obadja (2)
Edom: seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft

Henri Louis Rossier

© SoundWords, online seit: 25.04.2011, aktualisiert: 28.07.2023

„Esau, das ist Edom“ – das wird in 1. Mose 36 dreimal wiederholt. Der Charakter dieses Volkes wurde unauslöschlich geprägt von seinem Stammvater. Wir wollen sehen, worin diese Eigenschaften bestehen.

Esau erhielt den Namen Edom nicht schon bei seiner Geburt. Gott wollte an ihm, dem Erstgeborenen der Zwillinge Rebekkas, den Grundsatz seiner Regierung zeigen: den Grundsatz der freien Gnadenwahl Gottes. Deshalb gab Gott, als der unumschränkte HERR, das Erstgeburtsrecht nicht dem Erstgeborenen, sondern verlieh es nach seinem festgesetzten Plan und souveränen Willen Jakob. Die Offenbarung der Wahl Gottes wurde weder Jakob noch Esau gegeben, ja nicht einmal Isaak, ihrem Vater, sondern Rebekka, die vor der Geburt ihrer Söhne zum HERRN gegangen war, um Ihn um Rat zu fragen (1Mo 25,22). Damals hatte Gott ihr gesagt: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“ In diesem Ausspruch geht es auf keinen Fall um einen Fluch gegen Esau, denn noch bevor sie geboren waren, hatten sie weder Gutes noch Böses tun können (Röm 9,11); aber Gott beanspruchte damit sein Recht, die Erben der Verheißung zu wählen.

Der Fluch gegen Esau wurde erst ausgesprochen, nachdem er im Verlauf seiner langen Geschichte alle Rufe der Gnade abgelehnt hatte (Mal 1,3). Zu Beginn nahm Gott ihm nur die Autorität über seinen Bruder und das Recht des Erbes; nicht einmal nach seiner schändlichen Tat nahm Er ihm das Recht auf zusätzliche Segnungen. Deshalb sprach Isaak, ganz gegen seinen Wunsch und Willen, das Vorrecht des Erstgeborenen dem Jakob zu und segnete auch Esau, seinen Bruder: „Durch Glauben segnete Isaak in Bezug auf zukünftige Dinge Jakob und Esau“ (Heb 11,20). Es blieb also für Esau ein reeller Segen, wenn auch von bedeutend geringerem Wert als der seines Bruders: „Siehe, fern von der Fettigkeit der Erde wird dein Wohnsitz sein und ohne den Tau des Himmels von oben her. Und von deinem Schwert wirst du leben, und deinem Bruder wirst du dienen“ (1Mo 27,39.40), denn was Jakob zugesagt worden war: „Sei Herr über deine Brüder“, konnte nicht widerrufen werden. Einzig fügte der Patriarch bei: „Und es wird geschehen, wenn du umherschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Hals“ (1Mo 27,40).

Diese Prophezeiung von Isaak erfüllte sich. In der Geschichte Edoms dominierte das Schwert immer. Durchs Schwert eroberte er das Gebirge Seir; durchs Schwert rottete er die Horiter aus, die vor ihm dort wohnten (1Mo 36,21). Er kämpfte fortwährend mit den Söhnen Israels, sogar mit den unmittelbaren Nachbarn wie Moab. Durchs Schwert brach er schließlich das Joch von Juda und befreite sich von ihm „bis auf diesen Tag“ (2Kön 8,20-22); mit dem Schwert plünderte er später Jerusalem und nahm Gefangene aus Juda (Ps 137,7; Amos 1,11); durchs Schwert erweiterte er zuletzt sein Territorium auf Kosten von Juda und Simeon. Getrieben von seinem Hass und seinem Ehrgeiz, wollte er sich das Land, das Gott gehört, aneignen: „So spricht der Herr, HERR … gegen ganz Edom, die sich mein Land zum Besitz gemacht haben“ (Hes 36,5). Von daher rührt der Name Idumea, das Land, das sich weit jenseits vom Berg Seir erstreckt (Mk 3,8).

Das verwerfliche Verhalten Esaus

Esau ist also Edom, aber nicht schon seit dem Beginn seiner Geschichte. Er erhielt diesen Namen erst, als er sein Erstgeburtsrecht verkaufte (Heb 12,16), auf das er ein Recht zu haben meinte – denn, ich wiederhole, die Verordnung Gottes über das Erstgeburtsrecht war nur Rebekka offenbart worden – und das ihm noch nicht durch die List Jakobs genommen worden war.

„Für eine Speise“ (Heb 12,17) verkaufte Esau sein Erstgeburtsrecht, verachtete die Gabe Gottes und bevorzugte die momentane Befriedigung eines fleischlichen Bedürfnisses. Auf diese Weise beraubte er sich selbst des Segens und wurde verworfen, nicht aufgrund seiner Geburt, sondern weil er die göttliche Gabe missachtete. Dann erhielt er den Namen Edom wegen seines Ausspruchs: „Lass mich doch essen von dem Roten, dem Roten da“ (1Mo 25,30).

Von diesem Moment an charakterisierte das unheilige Verhalten Esaus die Nation, die von ihm abstammte, eine Nation, die die Kinder Israel und den Gott verachtete, der Israel zum Gegenstand seiner Verheißungen gemacht hatte.

Ein anderer Charakterzug machte sich noch bemerkbar. Die Wut Esaus entflammte gegen Jakob, der durch seine List von der Gleichgültigkeit Esaus gegenüber der Gabe Gottes profitierte. Diese Wut entfesselte sich zu einem mörderischen Hass: „Esau feindete Jakob an wegen des Segens, womit sein Vater ihn gesegnet hatte; und Esau sprach in seinem Herzen: Es nahen die Tage der Trauer um meinen Vater, dann werde ich meinen Bruder Jakob erschlagen“ (1Mo 27,41). Diese Absicht vorsätzlicher Tötung, die an Kain und Abel erinnert, konnte er nicht ausführen wegen der langen Lebenszeit Isaaks, denn er wollte seine Rache bis zum Tod des Vaters aufschieben. Dies erklärt, warum der Hass Esaus gegenüber seinem Bruder Jakob auch noch nicht aufhörte, als die zwei Brüder sich am Jabbok begegneten und als er ihn mit großzügigen Angeboten betören wollte; jedoch zeugte das Heer von vierhundert Kriegern, die er bei sich hatte, vom Gegenteil (1Mo 32,6; 33,15).

Die beiden Brüder waren 120 Jahre alt, als sie ihren Vater zu Grabe trugen, der im Alter von 180 Jahren gestorben war (1Mo 35,27-29). Von da an konnten sie wegen der Größe ihrer Herden nicht mehr zusammenbleiben – wieder ein Beweis der gütigen Vorsehung Gottes, der dadurch Jakob von dauernder Bedrohung befreite. Esau musste sich fern von seinem Bruder Jakob ins Land Seir begeben (1Mo 36,8). Jedoch wohnte er schon vor dieser Zeit in dem Flachland, das auf vielen Seiten bis in die Wüste führte (1Mo 14,6) und das den Namen hatte „Land Seir, das Gebiet von Edom“ (1Mo 32,4; 33,1). Die Söhne Esaus bemächtigten sich des Berges Seir, von wo sie das Urvolk, die Horiter, entweder ausrotteten oder sich dienstbar machten (1Mo 36,20; 14,6). Das Volk der Horiter, dessen Name bekanntlich von Hor (Höhle) abgeleitet ist, waren Höhlenbewohner. Die Edomiter benutzten dann diese in Felsen gegrabenen Höhlen, die heute noch existieren, und wohnten darin (Jer 49,16; Obad 3). Der Berg Seir wird in Obadja (8,9,19,21) als Gebirge Esaus bezeichnet und lag zwischen Elath an der östlichen Meereszunge vom Roten Meer sowie dem südlichen Punkt des Toten Meeres und wurde Hauptsitz sowie Heimat Edoms.

Amalek, der Nachkomme Esaus

Die Eifersucht, der Hass und die Rachsucht Esaus vererbten sich auf seine Nachkommen. Amalek war ein direkter Nachkomme Esaus, sein Enkel durch Eliphas (1Mo 36,12). Seine gnadenlose Feindschaft gegen Israel brach aus, als diese Ägypten verließen, um Kanaan einzunehmen. Amalek ist in seinem Hass gegen das Volk Gottes der schreckliche Prototyp Satans. In 2. Mose 17,16 heißt es, dass Gott, der HERR, von Generation zu Generation Krieg mit Amalek führt. Bei seinem ersten Angriff besetzte Amalek einen Teil der Wüsten Paran und Schur, die den südlichen Zugang zu Palästina schließen.

Als Israel das von Gott als Erbe versprochene Land eingenommen hatte, wartete der HERR, bis Saul zum König gesalbt war, um ihm den Auftrag zu geben, die Amalekiter auszurotten; aber Saul verschonte Agag und die besten Tiere vom Groß- und Kleinvieh, so dass Gott ihm durch Samuel sagen ließ: „Weil du das Wort des HERRN verworfen hast, so hat er dich verworfen, dass du nicht mehr König sein sollst“ (1Sam 15,9.23). Dagegen kämpfte David, sogar bevor er zur Königsherrschaft kam, gegen Amalek und rottete es aus (1Sam 27,8-12; 30,1-20). Dieses Volk wurde also vernichtet. Zur Zeit Hiskias besetzte der Stamm Simeon das Land sowie einen Teil des Gebirges von Seir (1Chr 4,42); es wurde später aber zurückerobert von den Edomitern und als Idumäa unter die Herrschaft der Römer gestellt (Mk 3,8). Im Buch Esther erfahren wir, wie durch Haman, den unerbittlichen Feind der Juden, Amalek einen letzten Versuch unternahm, Gottes Volk zu vernichten. Dieses Buch ist ein Bild der geschichtlichen Prophetie für Israel in der Endzeit. Deshalb begegnen wir Amalek nochmals in dem Bund der Nationen, die sich für den Endkampf gegen Israel vereinen (Ps 83,7). Die Edomiter hatten auch Führer, auch „Könige, die im Land Edom regiert haben, ehe ein König über die Kinder Israel regierte“ (1Mo 36,31-39). Es war ein edomitischer König, der den Durchzug des Volkes Gottes durch sein Land verhinderte (Ri 11,17).

Der streitsüchtige Charakter Edoms, zusammen mit seinem eingefleischten Hass, brachte es in dauernden Konflikt mit Israel. Die Siege Israels steigerten noch seinen Rachedurst und seine Mordlust. Diese andauernde Bosheit fand ihre Vergeltung: Saul forderte Edom heraus (1Sam 14,47); dann schlug David es im Salztal (1Kön 11,15.16; 2Sam 8,13.14) und besetzte sein Land mit Garnisonen. Ein einziges Mal verband sich Edom mit Israel und Juda, unter Joram und Josaphat, um gemeinsam gegen Moab in den Krieg zu ziehen – eine widernatürliche Vereinigung, wodurch Israel gewiss nicht profitierte. Dieselben Edomiter – die Meuniter vom Gebirge Seir – gemeinsam mit Moab und Ammon, erhoben sich später gegen Juda, ihren ehemaligen Verbündeten und wurden vor Josaphat vom HERRN im Tal Beraka geschlagen (2Chr 20,1.10.22). Unter der Regierung König Jorams wurden die Edomiter ebenso geschlagen, jedoch erhoben sie sich gegen ihn und wählten erneut einen König (2Kön 8,20). Während eines halben Jahrhunderts konnten sie ihre Unabhängigkeit aufrechterhalten (2Chr 21,8), wurden dann wieder vom treuen König Amazja geschlagen (2Kön 14,7; 2Chr 25,11.12), erhoben sich – unter der Herrschaft des gottlosen Ahas – erneut gegen Juda und wurden von Gott als Rute gegen ihn benutzt (2Chr 28,17).

Schließlich, um das Maß seines unaufhörlichen Hasses voll zu machen, verbindet es sich mit Babylon und den Feinden der Juden in den Tagen des Unheils von Juda und Jerusalem (Jer 49; Hes 25 und 35; Ps 137,7). Als Folge dieses letzten Ungehorsams sprechen die Propheten einen Fluch über Edom aus (Jes 34,9-11; 63,1-6; Jer 49; Klgl 4,21; Hes 25,12-14; Amos 1), und es wird nun seinerseits das Opfer des babylonischen Verwüsters Nebukadnezar (Jer 49,22; vgl 48,8.32.40). So verhält sich nach der Schrift die Vergangenheit Edoms.

Heute kann man diese Geschichte in wenigen Worten zusammenfassen. Edom ist von der Szene verschwunden, man findet keine einzige Spur mehr von ihm. Den Historikern zufolge wurde es ersetzt durch die Nabatäer, bei welchen einige vermuten, dass es die Nebajot seien, Nachkommen Ismaels und Verwandte Edoms (1Mo 25,13; 36,3). Trotz aller wissenschaftlichen Abhandlungen und aller Recherchen „bleiben einige Punkte in den Annalen des antiken Orients eingehüllt in dichtes Dunkel“ (nach Lenormant; franz. Archäologe). Wir erwähnen diese Worte, um die Unsicherheit der vielgerühmten wissenschaftlichen Geschichtsforschung zu unterstreichen, gegenüber der absoluten Sicherheit biblischer Aussagen. Wenn es Gott gefällt, zu schweigen, kann menschliche Weisheit irren. Die Geschichte vor der Erschaffung des Menschen ist ein Beweis von tausend; die Geschichte Edoms – die in seinem so beschränkten Rahmen mit einem Blick erfassbar zu sein scheint – ist ein anderer. Wir sind nicht kompetent, um diese Fragen zu behandeln, so interessant sie auch für neugierige Menschen sein mögen. Unser einziges Ziel ist es, Kindern Gottes die Allgenügsamkeit der heiligen Schrift zu bezeugen, damit begnügen wir uns.

Gottes Wort lehrt uns, dass – in vergangener Zeit und zu verschiedenen Epochen – durch schreckliche Ereignisse zuerst die zehn Stämme aufgehört haben zu existieren, dann alle Völker, die die Grenzen zu Palästina bildeten: Edomiter, Amalekiter, Moabiter, Ammoniter und Philister. Die drei Letzteren wurden durch Nebukadnezar vernichtet. Ihre Gebiete wurden damals, und sind eventuell auch heute noch, besiedelt von den „Söhnen des Orients“, den Benei-Kedem, das heißt Araber, Nachkommen Ismaels (Hes 25,1-11; 1Mo 29,1; Ri 6,3.33; 7,12; 8,10), die von Nebukadnezar erobert worden waren (Jer 49,28). All diese erwähnten Völker spielen keine Rolle mehr in der Welt. Aber wir werden durch Gottes Wort erfahren, dass sie den Tag ihrer nationalen Auferstehung und das endgültige Gericht erwarten, obwohl sie jetzt noch in Schlaf und Schweigen gehüllt sind. Wir haben bis jetzt nur wenig darüber erfahren, aber dieser Tag wird kommen. Um dies zu beweisen, werden wir die verlässlichen, göttlichen Dokumente untersuchen, die die Geschichte Edoms zur Endzeit betreffen und die wir im Buch Obadja finden.

Nationale Auferstehung von Völkern und Reichen

Wir haben gerade festgestellt, dass der Gläubige über die Vergangenheit Edoms ein sicheres Dokument besitzt, das Wort Gottes, und dass Gott mit Absicht schweigt in Bezug auf die gegenwärtige Existenz dieses Volkes. In Anbetracht dessen müssen wir uns mit der Unsicherheit menschlicher Weisheit damit zufriedengeben. Deshalb erkennt der einfache Gläubige, dass es weise ist, sich nicht mit der gegenwärtigen Situation Edoms zu befassen – über die Gott schweigt –, sondern im Wort Gottes zu suchen, was es uns über dessen Zukunft offenbart.

Wie sieht also die Zukunft Edoms aus nach der Schrift? Beachtenswertes Detail: Alle prophetischen Ereignisse der letzten Tage befassen sich mit einer nationalen Auferstehung der Völker und Königreiche, so dass man fast wie Paulus sagen könnte: „Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt?“ (Apg 26,8). Das Wiedererscheinen dieser Völker bereitet das endgültige Gericht vor im Hinblick auf die Einführung des Reiches Jesu Christi auf Erden, dem einzigen Reich, das nie erschüttert wird. Die Prophetie betrifft immer dieses Reich auf Erden; das himmlische Reich, in das die vollendeten Heiligen und die Gemeinde eingehen werden, ist nicht eigentlich im Bereich der Prophetie, ohne jedoch ganz davon ausgeklammert zu sein (siehe Off 4,5; 19–21), denn die beiden Sphären des Königreiches – die irdische und die himmlische – sind in ständiger Verbindung untereinander.

Im irdischen Bereich der Prophetie stoßen wir auf: die Wiederherstellung des Römischen Reiches, das bereits totgesagt worden war (Off 13,3; 17,8); die Wiedererstehung Israels (Hes 37), Assyriens (Dan 11,40-45 und ganz Jesaja); die Wiedererstehung aller heute ausgelöschten Nationen und deren endgültiges Gericht im Tal Josaphat (Ps 83; Joel 4) sowie des Gerichts Edoms (Joel 4,19).

Viele Bibelausleger betrachten die Auferstehung der Nationen als Irrtum einer gewissen Lehrmeinung und verwerfen sie. Ihrer Ansicht nach werden die Prophezeiungen zu wörtlich genommen, da sie dem gesunden Menschenverstand entgegenstehen. In der Tat entspricht ihr Widerstand der ganzen Art, wie sie die Bibel betrachten, nämlich als eine „Serie von Dokumenten“, die kritisch beurteilt werden müssten wie eine „Geschichtswissenschaft“. Dies ist eine gefährliche Behauptung, die die absolute göttliche Autorität der Heiligen Schrift im Voraus untergraben will. Wenn „alle Schrift von Gott eingegeben ist“ und Teil ist von Gottes wahrhaftigem Wort, so befindet sich die Wahrheit niemals bei jenen, die sich anmaßen, diese Inspiration zu kritisieren.

Für den Gläubigen löst sich die Frage, die uns beschäftigt, folgendermaßen: Was sagt die Heilige Schrift? Redet sie klar von der Zukunft der Welt und der der Nationen? Wenn es sich so verhält, so unterstellt sich der Gläubige der Autorität von Gottes Wort. Aber diese Autorität genügt der heutigen Theologie nicht, weil sie davon überzeugt ist, dass die Bibel von der Autorität einer sogenannten Wissenschaft kontrolliert werden müsse. Damit maßen sie sich an, Gottes Gedanken beurteilen zu können. Diese monströse Selbstüberschätzung teilt der Gläubige keinesfalls; er hat im Wort Gottes das ewige Leben gefunden, er bezweifelt Gottes Wort nicht, das sich in seinem Leben als Wahrheit erweist und ihn täglich stärkt und geistlich ernährt.

Die Rückkehr der zehn Stämme

Das Wiedererscheinen der Nationen in der letzten Zeit ist eng verbunden mit der Wiederherstellung der zehn Stämme Israels, was genauso unmöglich scheinen mag, wenn nicht noch mehr, wie die Wiederherstellung von Edom. Was den riesigen Stamm Juda betrifft, der heute unter allen Völkern der Erde als integraler Bestandteil gilt, so gibt es unzählbare, prophetische Hinweise in der Heiligen Schrift, dass dieses Volk wieder in sein Land kommen wird. Aber was wurde aus den zehn Stämmen seit der Verschleppung durch Salmanasser, König von Assyrien (721 v.Chr.)? Verschwunden! Wohin? In welche Länder? Unter welche Völker? Absolute Dunkelheit! Es fehlt nicht an Nachforschungen; wie oft rechnete man mit Erfolg, aber die Hoffnung wurde immer enttäuscht. Nicht einmal in China, auch nicht in den Ländern, von denen Gott gesagt hat, dass Er sie heraushole, fand man die geringste Spur. Aber Gott weiß, wo sie versteckt sind; Er sieht sie und wird sie finden; dies genügt uns.

Biblische Beweise

Die Wiederherstellung der zehn Stämme Israels, die am Ende der Zeiten in ihr Erbe eintreten werden, können wir in sehr vielen Passagen der Bibel finden. Wir werden nur einige davon erwähnen.

Der Prophet Jeremia spricht von Ephraim und Israel, wenn die zehn Stämme gemeint sind: „Du wirst wieder Weinberge pflanzen auf den Bergen Samarias … Denn es wird einen Tag geben, an dem die Wächter auf dem Gebirge Ephraim rufen werden: Macht euch auf und lasst uns nach Zion hinaufziehen zu dem HERRN, unserem Gott! Rette dein Volk, HERR, den Überrest Israels! Siehe, ich bringe sie aus dem Land des Nordens und sammle sie vom äußersten Ende der Erde, … in großer Versammlung kehren sie hierher zurück. Mit Weinen kommen sie und unter Flehen leite ich sie; ich führe sie zu Wasserbächen auf einem ebenen Weg, auf dem sie nicht straucheln werden. Denn ich bin Israel zum Vater geworden, und Ephraim ist mein Erstgeborener“ (Jer 31,5-9). „Und es gibt Hoffnung für dein Ende {o. deine Zukunft}, spricht der HERR“ – zu Rahel, Josephs Mutter – „und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren“ (Jer 31,17). „Wohl habe ich Ephraim klagen hören: Du hast mich gezüchtigt, und ich bin gezüchtigt worden wie ein nicht ans Joch gewöhntes Kalb; bekehre mich, damit ich mich bekehre, denn du bist der HERR, mein Gott“ (Jer 31,18). Die Verse Jeremia 31,21-26 zeigen die Wiederherstellung der Gefangenen Judas; dann die Wiedervereinigung Israels mit dem Haus Juda und den neuen Bund mit dem ganzen Volk.

In Jesaja 49 sagt der HERR zum Messias: „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen.“ Dann kommt die bewegende Beschreibung der Rückkehr zu ihrem Erbreich: „Siehe, diese werden von fern her kommen, und siehe, diese von Norden und von Westen, und diese aus dem Land der Siniter“ (Jes 49,6-13.22-26).

Hesekiel 20,34-38 beschreibt die Rückkehr der zehn Stämme, die ganz anders geschieht als die von Juda, das in seinem Land gerichtet wird, im Gegensatz zu den Rebellischen von Israel, die auf dem Weg gerichtet werden so wie damals das Volk, das von Ägypten in die Wüste kam und nicht in das gelobte Land einziehen konnte.

In Hesekiel 37 wird uns ein frappantes Bild gezeigt von der zukünftigen, nationalen Auferstehung des Volkes Gottes: „Diese Gebeine sind das ganze Haus Israel“ (Hes 37,11), also auch die zehn Stämme, das heißt Ephraim, das Gott von überall her versammelt und in sein Land führt, damit Juda und Joseph nur noch ein Volk bilden (Hes 37,16.17.21.22).

In Sacharja 10 wird uns gesagt: „Ich werde das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten und werde sie wohnen lassen … Und Ephraim wird sein wie ein Held … Ich will sie herbeizischen und sie sammeln … Ich werde sie zurückführen aus dem Land Ägypten, und sie sammeln aus Assyrien und sie ins Land Gilead und auf den Libanon bringen; und es wird nicht Raum genug für sie gefunden werden“ (Sach 10,6-10).

Wir wollen diese Zitate beenden mit der bemerkenswerten Stelle aus Jesaja 11, die uns als Übergang dient für das Wiedererscheinen Edoms auf der prophetischen Szene zur Endzeit. In Jesaja 11,1-10 finden wir das Bild des Messias, der in der Fülle des Geistes Gottes sein tausendjähriges Friedensreich auf Erden antritt: „Es wird geschehen an jenem Tag, da wird der HERR noch ein zweites Mal seine Hand ausstrecken, um den Überrest seines Volkes, der übrigbleiben wird, loszukaufen aus Assyrien und aus Ägypten und aus Patros und aus Äthiopien und aus Elam und aus Sinear und aus Hamat und von den Inseln des Meeres. Und er wird den Nationen ein Banner erheben und die Vertriebenen Israels zusammenbringen, und die Verstreuten Judas wird er sammeln von den vier Enden der Erde“ (Jes 11,11.12). So werden die zwei Nationen vereint sein wie zu Beginn ihrer Geschichte: „Der Neid Ephraims wird weichen, und die Bedränger Judas werden ausgerottet werden“ (Jes 11,13). Dies ist also eine Szene der Zukunft. Aber mit dem Erwachen Judas und der zehn Stämme und ihrer Vereinigung sind ihre einstigen Gegner auch erwacht: „Sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen nach Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein“ (Jes 11,14).

Ankündigung der Wiederherstellung Edoms

Dieser Abschnitt führt uns zur Wiedererscheinung Edoms in der letzten Zeit; dazu folgende Bibelstellen:

4. Mose 24,17.18: Bileam kündet an: „Ein Stern tritt hervor aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel.“
Diese Prophezeiung hätte sich – nach Matthäus 2,2.7-10 – erfüllt, wenn das Volk seinen Messias nicht gekreuzigt hätte. Sie wird sich aber später erfüllen, wenn der einst verworfene Christus sich dem Volk Israel wieder zuwenden und sein Reich auf Erden einnehmen wird. Dann wird geschehen, was weiter gesagt wird (4Mo 24,17.18): „Ein Zepter … zerschlägt die Seiten (o. Schläfen) Moabs und zerschmettert alle Söhne des Getümmels. Und Edom wird ein Besitz sein und Seir ein Besitz, sie, seine Feinde; und Israel wird Mächtiges tun.“ Solches ist bis heute nicht geschehen. Das Zepter Christi hat sich bis jetzt noch nicht erhoben; Israel hat noch nicht Mächtiges getan und hat sich Edoms noch nicht bemächtigt. So muss also Edom wieder in Erscheinung treten, um in die Hände Israels zu fallen.

Psalm 108,7-11: Dieses Triumphlied kann man gut sowohl dem Messias als auch dem wiederhergestellten und völlig wiedervereinten Israel zuordnen. Der Psalmist ruft aus (Ps 108,10): „Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, über Philistäa will ich jauchzen …, wer wird mich bis nach Edom leiten?“ Die Antwort ist: Der HERR wird es sein, der das Volk verworfen hatte und mit den Heerscharen des Volkes nicht ausgezogen war. Bei der Wiederherstellung Israels – nach seiner langen, noch heute bestehenden Verwerfung – wird das Volk Gottes Edom sowie alle Nachbarländer erobern.

Psalm 83,6-8: Wie übrigens alle Psalmen, ist auch dieser prophetisch. Der Zusammenschluss der Völker, von dem hier die Rede ist und bei dem Edom die Führung übernehmen wollte, fand nie statt.[1] Diese Koalition, deren Ziel ist, „die Wohnungen Gottes zu erobern“ (Ps 83,13), wird von Edom angeführt. Assur schließt sich ihnen an, mehr als dass er sie anführt, denn dieser Assyrer der Endzeit scheint nicht persönlich die Attacke gegen Jerusalem zu leiten, die erste zukünftige Belagerung dieser Stadt; der Assyrer wartet bis zur endgültigen Invasion bei seiner Rückkehr aus Ägypten, und dann wird er zu seinem Ende kommen (Dan 11,45). Nichts Ähnliches, was die erste Belagerung betrifft, hat je in der Geschichte stattgefunden. Wir haben dies an anderer Stelle bereits erklärt.[2] Was wir hier festhalten wollen, ist, dass am Ende der Zeiten Edom wieder auftreten wird zusammen mit Nationen, die heute zerstört sind wie es selbst, um Jerusalem zu erobern; denn außer der Gegenwart Edoms hat die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar keinerlei Zusammenhang mit dem hier Gesagten.

Jesaja 34,1-8: „Der Zorn des HERRN ergeht gegen alle Nationen, und sein Grimm gegen ihr ganzes Heer.“
Es ist die Endzeit, das Gericht, das der Herrschaft Jesu vorangeht (vgl. Jes 34,4 mit Off 6,13.14); es ist im Besonderen das Schwert, das auf Edom fällt und „das Opfer von Bozra“, die Zerstörung des Heeres des großen westlichen Staatenbundes in Edom, eine Umgestaltung in den Zustand wie den beschrieben in 1. Mose 1 (vgl. Jes 34,11 mit 1Mo 1,2).

Jesaja 63,1: „Wer ist dieser, der von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern, dieser, prächtig in seinem Gewand, der einherzieht in der Größe seiner Kraft? – Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten.“
Das sagt der Messias, der von Edom, von Bozra herkommt. Er ist es, der Vergeltung übt: „Von den Völkern war niemand bei mir“ (Jes 63,3). (Bemerkung: Nur Israel ist davon ausgeschlossen.) Könnte diese Stelle etwa verglichen werden mit etwas aus der Vergangenheit Edoms? Die Gerichte über diese Nation wurden immer „durch die Völker“ vollzogen; hier sind sie durch den HERRN selbst geschehen. Diese Szene geistlich zu deuten, zeigt nur die Unfähigkeit, sich einfach von Gottes Wort unterweisen zu lassen. Wenn zur Endzeit der HERR das schreckliche Gericht vollstrecken und die Zügel des Königreiches in seine Hände nehmen wird, wird Edom wieder da sein.

Jeremia 49,7: In Jeremia 48,47 spricht der HERR: „Aber ich werde die Gefangenschaft Moabs wenden am Ende der Tage.“
Das Gleiche wird über die Kinder Ammon gesagt in Jeremia 49,6. Aber Edom wird keine Nachlese haben, denn wie wir in Obadja sehen werden, heißt es von Edom: „Das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben“ (Obad 1,18). So werden also die drei Völker existieren für das Gericht am Ende der Zeiten, jedoch werden die beiden ersten nicht vollständig ausgetilgt werden; nur für Esau trifft dies zu.

Klagelieder 4,21.22: Die Tochter Edom wird den Becher trinken und ihre Schuld wird aufgedeckt, wenn die Schuld der Tochter Zion zu Ende sein wird. Diese beiden Ereignisse sind gleichzeitig, und man müsste blind sein, um nicht zu erkennen, dass es sich um Zukünftiges handelt und dass Jerusalem noch heute seine Schuld trägt und von den Füßen der Völker zertreten wird.

Hesekiel 25,12-24: Ammon und Moab werden den Söhnen des Ostens ausgeliefert werden (wie wir in ihrer vergangenen Geschichte sahen). Edom dagegen, der sich am Haus Juda grausam gerächt hat und äußerst schuldig geworden ist, wird durch die Hand Israels unter die Vergeltung des HERRN fallen. Da diese Ereignisse unmöglich vergangener Geschichte zuzuordnen sind, schreiben gewisse Bibelausleger zu dieser Prophezeiung: „In der Endzeit wird man die Kraft des Paganismus zusammenbrechen sehen, versinnbildlicht durch Edom, unter der Herrschaft des Christus aus Juda.“ (!) Solch eine Bibelauslegung verurteilt sich selbst. In Jesaja 34 und 63 kann man sehen, wie der HERR, ohne jegliches Mitwirken der Nationen, an den vereinten Heeren in Edom Rache übt. Jedoch wird es ganz anders sein, als Er dies in der Vergangenheit getan hatte. Er wird dann Israel benutzen, um sich an Edom zu rächen.

Hesekiel 35 ist besonders interessant für unser Thema: das Wiedererscheinen Edoms in der Endzeit. Hier handelt es sich um die „Zeit der Gesetzlosigkeit der letzten Tage“, wenn die Kinder Israel „der Gewalt des Schwertes“ preisgegeben sein werden, „zur Zeit ihrer Not“ (Hes 35,5). So belehrt uns die Prophezeiung über die Apostasie der in ihr Land zurückgekehrten Juden in der Endzeit und die dort unter die Herrschaft des Antichristen kommen werden. Dann wird Edom, wie wir in Psalm 83 sehen, sich an die Spitze des Völkerbundes begeben, begünstigt von dem zukünftigen Assyrer, um von den „Wohnungen Gottes“ Besitz zu ergreifen (Ps 83,13). So sagt Edom: „Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen“ (Hes 35,10); „Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben!“ (Hes 35,12). Wir wissen auch, dass bei diesem letzten Kraftakt der Feinde Israels der HERR wie ein Vorgeschmack seiner kommenden Herrschaft dem schwachen Rest Jerusalems seine Herrlichkeit zeigen wird (Sach 14,4). So sagt der Prophet Hesekiel zu Edom: „Weil du sprachst: ,Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein …, da doch der HERR dort war“ (Hes 35,10). Dies verdoppelt die fortwährende Schuld Edoms und deshalb wird es für immer zerstört werden: „Wenn die ganze Erde sich freut, werde ich dir Verwüstung bereiten“ (Hes 35,14).

Daniel 11,41: Wenn der König des Nordens, der Assyrer der Zukunft, in Israel einfallen und mit Ägypten (dem König des Südens) im Konflikt sein wird, werden „Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ seiner Hand entrinnen. Diese Prophezeiung betrifft keinesfalls heutige Ereignisse. Es genügt, sie hier zu zitieren ohne weitere Erklärungen. Wir wollen beweisen, dass diese Nationen existieren werden bei der Zerstörung des Assyrers, dem letzten Akt vor dem Aufrichten der Herrschaft Christi (Dan 11,45). Dies wird einer problematischen Expedition des Antiochus Epiphanes gegen Ptolemäus Philometor zugeordnet – von den Theologen, die in der Prophetie einzig die Erfüllung geschichtlicher Ereignisse sehen.

Joel, dessen Prophezeiungen nur den „Tag des HERRN“ – die Endzeit – behandeln, sagt: „Edom wird zu einer öden Wüste werden wegen der Gewalttat an den Kindern Judas, weil sie in ihrem Land unschuldiges Blut vergossen haben. Aber Juda soll in Ewigkeit bewohnt werden und Jerusalem von Geschlecht zu Geschlecht“ (Joel 4,19.20). Diese prophetische Vision betrifft die Errichtung der Königsherrschaft, die dem nationalen Gericht der Völker im Tal Josaphat folgen wird.

Maleachi 1,3-5: Hier kommen wir zum Ende der Geschichte Edoms. Wenn alle Versuche Gottes, es zurückzuführen, nur seinen Hass geschürt haben, sagt der HERR: „Esau aber habe ich gehasst.“ Dann wird Gott Edom endgültig richten. In seiner immerwährenden Rebellion ruft Edom aus: „Wir sind zerschmettert, werden aber die Trümmer wieder aufbauen.“ Dann wird die Geduld Gottes endgültig zu Ende sein und Er sagt durch den letzten der Propheten: „Sie werden bauen, ich aber werde niederreißen“ (Mal 1,4).

Die göttliche Inspiration der Schrift

All diese zitierten Stellen haben vielleicht die Geduld unserer Leser strapaziert, aber sie waren notwendig, um die zukünftige Wiedererstehung Edoms nachdrücklich zu beweisen. Die prophetischen Ereignisse sind gebunden an das Prinzip der Wiedererstehung der seit langer Zeit verschwundenen Nationen am Ende der Zeit. Mögen diese Erläuterungen genügen, um ein ganzes Interpretationssystem von Prophezeiungen zu zerstören: Es verfälscht das Wort Gottes, anerkennt nicht seine Autorität, spricht ihm jegliche Tragweite ab bezüglich der Endzeitereignisse und dient nur dazu, die Augen abzuwenden von Christus und seiner Herrlichkeit, indem es die Prophezeiungen interpretiert als vergangene Begebenheiten ohne moralische Bedeutung für Herz und Gewissen.

Ich richte diese Zeilen an meine Brüder in Christus, die dem Einfluss dieser Denkweise ausgesetzt sind – nicht an rationalistische, ungläubige Gelehrte. Ich bitte die Brüder eindringlich, zu vergessen, was sie von dieser [falschen] Theologie gelernt haben, und zurückzukommen zur Einfachheit des Glaubens an die absolute Autorität der Bibel. Wenn sie klar sehen in Dingen, die wir hier behandeln und die als zweitrangig erscheinen, werden sie auch offene Augen haben für wichtigere Dinge. Sie werden die Gefahr ermessen können, die die bibelkritische Schule bringt. Leider gibt es unter ihnen bereits Bedeutende, die sich nicht scheuen, sich damit zu brüsten, dass „in den theologischen Kreisen die wörtliche Inspiration bereits eines natürlichen Todes gestorben“ sei. (Die Bezeichnung „wörtlich“ ist nur „Augenwischerei“.) Wir antworten diesen Brüdern, dass, nachdem sie die uneingeschränkte Inspiration der Schrift verlassen haben, sie mit all ihrer Frömmigkeit nicht fähig sind, den Angriffen des modernen Unglaubens wirksam zu begegnen. Darüber beklagen sie sich; jedoch wenn auf solche Weise die Klinge ihres Schwertes, das Wort Gottes, stumpf geworden ist, anstatt zweischneidig zu sein, ist es nur noch eine unnütze Waffe.

Obadjas Themen

Nach diesem sehr langen Vorwort können wir die Auslegung des Propheten Obadja in Angriff nehmen. Die Einleitung ist wie ein Bild, dem Rahmen angepasst, über das Geschick Edoms zur letzten Zeit. Wenn wir vieles vorausgenommen haben von dem, was es noch zu sagen gibt, so werden die Verse aus dem Buch Obadja uns in mancherlei Hinsicht erlauben, das Gesagte zu prüfen.

Obadjas Thema sind die Gerichte über Edom und die Nationen. Wir wollen die bedeutende Wichtigkeit dieser Gerichte für die Zukunft Israels nicht vergessen. Wenn die Gemeinde heute durch Gnade gerettet ist, so wird Israel in der Zukunft durch Gerichte befreit. Deshalb stehen in den Psalmen so oft flehentliche Gebete für den treuen Überrest Israels.

Die von den Propheten immer wieder erwähnten Analogien zwischen den Gerichten der Vergangenheit und denen der Zukunft helfen, die Art der letzteren besser zu verstehen. Die zukünftigen Gerichte lenken unsere Blicke immer auf die Person des Richters. Der Überrest Israels wird in IHM den gütigen Menschen erkennen, den sie verworfen haben: das Lamm Gottes, das für die Sünden seines Volkes dahingegeben worden ist. Mit welchem Entzücken werden dann die Treuen in dieser erhabenen Person die Majestät und die Gnade, die Güte und die Gerechtigkeit erkennen: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit. Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät! Und in deiner Majestät zieh glücklich hin um der Wahrheit und der Sanftmut und der Gerechtigkeit willen; und Furchtbares wird dich lehren deine Rechte. Deine Pfeile sind scharf – Völker fallen unter dir –, sie dringen den Feinden des Königs ins Herz“ (Ps 45,3-6).

H. Rossier
Der Prophet Obadja
Daniel-Verlag
4,00 €
Taschenbuch
96 Seiten

Originaltitel: „Le Prophète Abdias“, 1915
Quelle: www.bibliquest.org

Übersetzung: Heidy Seitzinger

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Anmerkungen

[1] Um eine Ahnung zu bekommen von den Schwierigkeiten, denen bibeltreue Bibelausleger begegnen, wenn sie nicht den prophetischen Charakter der Psalmen erkennen, zitiere ich einen von ihnen in Bezug auf unseren Text:

Wann fand je ein so universeller Zusammenschluss statt? Man kann zwischen zwei Epochen schwanken, derjenigen von Josaphat (2Chr 20) und derjenigen der Makkabäer (1Mak 5). Unter Judas Makkabäus hatten die Juden tatsächlich gegen alle umliegenden Völker zu kämpfen, inbegriffen die Tyrer, die sonst nirgends als Feinde Israels genannt werden (?). Andererseits waren die Amalekiter zu jener Epoche schon seit langem vernichtet (1Chr 4,42.43). Moab existierte nicht als Nation, so wäre es merkwürdig, zu diesem Zeitpunkt Assyrien zu erwähnen, denn das Reich Ninive war schon seit langem gefallen. Wenn man Assur als Königreich von Syrien bezeichnen wollte, dann wäre es nicht verständlich, weshalb es an letzter Stelle und als eines der unbedeutendsten erwähnt wird (Ps 83,9). Wir nehmen daher eher an, dass es sich um die gewaltige Invasion handelt, die in 2. Chronika 20 erwähnt wird. Diese Erzählung handelt allerdings nur von Moabitern und Ammonitern, an die sich Edom angeschlossen hatte. Es sind diese in unserem Psalm erwähnten Völker, die beschlossen hatten, sich aufzulehnen (Ps 83,9). Es ist anzunehmen, dass es in ihrem Heer Abteilungen ismaelitischer und amalekitischer Nomaden gab und dass die Philister und Tyrer sich ihrem Bund anschließen wollten, ohne noch zu den Waffen gegriffen zu haben.

Diese Ausführungen scheinen uns auszureichen, um ein ganzes Interpretationssystem zu verwerfen, das die Bedeutung der Prophetie nicht erkennt und das die Prophezeiungen vergangenen Ereignissen zuzuordnen versucht und dabei das Endziel vergisst, nämlich die Errichtung des mächtigen Reiches der Herrschaft Christi durch die Gerichte.

[2] Henri Rossier, Die prophetische Geschichte der Endzeit und die Stufenpsalmen (S. 31) – L’histoire prophétique des derniers jours et les Cantiques des degrés.


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