Du wirst nicht untergehen!
Markus 4,35-41

Charles Henry Mackintosh

© SoundWords, online seit: 28.06.2008, aktualisiert: 06.01.2024

Leitverse: Markus 4,35-41

Die Not des Menschen bietet Gott Gelegenheit zur Hilfe. Das ist eine Wahrheit, an der wir alle gewiss nicht zweifeln. Und doch sind wir oft, wenn wir in Trübsal und Not kommen, so wenig vorbereitet, auf die Hilfe Gottes zu rechnen. Eine Wahrheit auszusprechen oder zu hören, ist etwas ganz anderes, als die Macht dieser Wahrheit zu verwirklichen. Bei ruhiger See darüber zu sprechen, dass Gott mächtig ist, uns in einem Sturm zu bewahren, ist ganz etwas anderes, als den Glauben an diese Macht zu zeigen, wenn ein entfesselter Sturm um uns wütet. Und doch ist Gott immer derselbe, derselbe im Sturm und bei Windstille, in Krankheit und Gesundheit, in Beschwerden und Ruhe, in Armut und Überfluss – „derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8) –, derselbe, an den der Glaube sich unter allen Umständen und zu allen Zeiten anlehnen und klammern und auf den er sich stützen kann.

Aber wir befinden uns leider oft im Unglauben. Darin liegt die Ursache für unsere Schwachheit und unser Versagen. Wir sind bestürzt und erregt, wenn wir ruhig und voll Vertrauen sein sollten; wir blicken auf die Umstände, wenn wir auf Gott blicken sollen; wir „winken unseren Genossen“ (vgl. Lk 5,7), damit sie uns helfen, wenn wir „auf Jesus blicken“ sollten. So verlieren wir unendlich viel und verunehren den Herrn auf unseren Wegen. Ohne Zweifel gibt es nur wenig, worüber wir uns tiefer zu demütigen haben als über unsere Neigung, dem Herrn zu misstrauen, wenn wir Schwierigkeiten und Versuchungen begegnen. Durch dieses Misstrauen gegen den Herrn Jesus betrüben wir sein Herz; denn Misstrauen muss ein liebendes Herz stets verwunden. 

Denken wir zum Beispiel an die Szene zwischen Joseph und seinen Brüdern in 1. Mose 50,15-18: „Und als die Brüder Josephs sahen, dass ihr Vater gestorben war, da sprachen sie: Wenn nun Joseph uns anfeindete und uns all das Böse vergelten würde, das wir ihm angetan haben! Und sie sandten zu Joseph und ließen ihm sagen: Dein Vater hat vor seinem Tod befohlen und gesagt: So sollt ihr zu Joseph sprechen: Ach, vergib doch die Übertretung deiner Brüder und ihre Sünde! Denn sie haben dir Böses angetan. Und nun vergib doch die Übertretung der Knechte des Gottes deines Vaters! Und Joseph weinte, als sie zu ihm redeten.“

Das war eine traurige Vergeltung für all die Liebe und Gnade und zärtliche Sorge, die der beleidigte Joseph gegen sie geübt hatte. Wie konnten sie voraussetzen, dass der, der ihnen so freiwillig und völlig vergeben und ihr Leben geschont hatte, als sie ganz in seiner Macht waren, nach so vielen Jahren der Güte sich rachsüchtig gegen sie erweisen würde? Es war ein schmerzliches Unrecht, und es war daher kein Wunder, dass „Joseph weinte, als sie zu ihm redeten“. Welch eine Antwort auf ihre Furcht und ihren unwürdigen Verdacht! Eine Flut von Tränen – doch so ist die Liebe. „Da sprach Joseph zu ihnen: Fürchtet euch nicht; denn bin ich an Gottes statt? Ihr zwar hattet Böses gegen mich im Sinn, Gott aber hatte im Sinn, es gut zu machen, damit er täte, wie es an diesem Tag ist, um ein großes Volk am Leben zu erhalten. Und nun, fürchtet euch nicht; ich werde euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete zu ihrem Herzen“ (1Mo 50,19-21).

So war es mit den Jüngern, wie wir sehen werden:

Mk 4,35-38: Und an jenem Tag, als es Abend geworden war, spricht er zu ihnen: Lasst uns übersetzen an das jenseitige Ufer. Und sie entlassen die Volksmenge und nehmen ihn, wie er war, in dem Schiff mit. Und andere Schiffe waren bei ihm. Und es erhebt sich ein heftiger Sturm, und die Wellen schlugen in das Schiff, so dass das Schiff sich schon füllte. Und er war im hinteren Teil und schlief auf dem Kopfkissen.

Hier haben wir eine sehr anziehende Szene. Die armen Jünger sind in äußerste Not geraten. Ihr Verstand weiß nicht mehr aus noch ein. Ein heftiger Sturm – das Schiff voll Wasser – der Herr eingeschlafen. Das war in der Tat ein Augenblick, der sie auf die Probe stellte, und wenn wir uns selbst sehen, brauchen wir uns über die Furcht und Unruhe der Jünger nicht zu verwundern. Es ist nicht anzunehmen, dass wir es an ihrer Stelle besser gemacht hätten. Dennoch können wir sehen, wo es bei ihnen fehlte. Die Geschichte ist zu unserer Belehrung niedergeschrieben worden, und wir müssen sie studieren, um das zu finden, was darin für uns enthalten ist.

In Ruhe betrachtet, ist nichts ungereimter und unvernünftiger als Unglauben. In der Szene, die wir hier betrachten, ist diese Ungereimtheit augenscheinlich; denn was war unvernünftiger, als zu glauben, das Schiff könne womöglich mit dem Sohn Gottes an Bord sinken? Dennoch war es gerade das, was sie fürchteten. Vielleicht dachten sie in diesem Augenblick nicht an den Sohn Gottes. Sie dachten an den Sturm, die Wogen, das gefüllte Schiff, und nach menschlichem Ermessen waren sie hoffnungslos verloren. So ist das ungläubige Herz, das immer nach Vernunftschlüssen sucht. Es blickt immer auf die Umstände und schließt Gott aus. Der Glaube dagegen sieht nur auf Gott und schließt die Umstände aus.

Welch ein Unterschied! Der Glaube ist auch in der größten Not glücklich, und zwar einfach deshalb, weil er weiß, dass Gott eine solche Gelegenheit benutzt, um zu trösten und zu helfen. Es ist seine Freude, still zu sein in Gott, und er freut sich, dass Gott Gelegenheit findet, seine Herrlichkeit entfalten zu können. So ist der Glaube. Wir können ruhig sagen, dass er die Jünger fähig gemacht hätte, sich mitten im Sturm neben den Herrn zu legen und zu schlafen. Der Unglaube machte sie dagegen unruhig; sie konnten nicht ruhen und weckten wegen ihrer ungläubigen Befürchtungen sogar den gesegneten Herrn aus seinem Schlaf auf! Ermüdet von unaufhörlicher Arbeit, hatte Er, als das Schiff den See überquerte, wenige Augenblicke, um auszuruhen. Er wusste, was Müdigkeit war; Er war in alle unsere Umstände herabgekommen. Er lernte unsere Gefühle und alle unsere Schwachheiten kennen. Er, „der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15), wurde in jeder Hinsicht als Mensch erfunden, und als solcher schlief Er auf einem Kopfkissen und wurde von den Wellen des Sees geschüttelt. Der Sturm peitschte das Schiff und die Wogen rollten darüber hin, obgleich der Schöpfer in der Person jenes müden und schlafenden Menschen an Bord war.

Tiefes Geheimnis! Er, der den See gemacht und die Winde in seiner allmächtigen Hand halten konnte, lag schlafend im Hinterteil des Schiffes und erlaubte dem See und dem Wind, Ihn so rau zu behandeln, als wenn Er nur ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre. Das war die Verwirklichung der menschlichen Natur unseres Herrn. Er war müde. Er schlief, und Er wurde hin und her geworfen auf den Wellen des Sees, den seine Hände gemacht hatten. Lieber Leser, bleibe stehen und denke über diese wunderbare Tatsache nach! Keine Sprache, keine Feder kann eine solche Szene richtig wiedergeben. Wir können sie nicht genügend erklären; wir können nur staunen und anbeten.

Aber wie gesagt, der Unglaube weckte den Herrn aus seinem Schlaf auf:

Mk 4,38: Und sie wecken ihn auf und sprechen zu ihm: Lehrer, liegt dir nichts daran, dass wir umkommen?

Welch eine Frage! „Liegt dir nichts daran?“ Wie muss dies das gefühlvolle Herz des Herrn Jesus verwundet haben! Wie konnten sie nur denken, dass Er bei ihrer Unruhe und Gefahr gleichgültig blieb? Wie vollständig hatten sie seine Liebe – von seiner Macht ganz zu schweigen – aus dem Auge verloren, wenn sie sagen konnten: „Liegt dir nichts daran?“

Sehen wir darin nicht unser eigenes Spiegelbild? Wie oft seufzen unsere Herzen in Augenblicken der Bedrückung und der Trübsal, wenn unsere Lippen auch nicht aussprechen: „Liegt dir nichts daran?“ Vielleicht sind wir durch Krankheit und Schmerzen ans Bett gefesselt und wissen, dass ein Wort von dem Gott der Macht uns vollständig gesund machen kann – und doch wird dieses Wort nicht ausgesprochen. Oder wir sind vielleicht in Not wegen der täglichen Nahrung und wissen, dass Silber und Gold und alles Vieh auf der Erde Gott gehört – ja, dass die Schätze des Weltalls in seiner Hand sind –, und doch geht ein Tag nach dem anderen dahin, ohne dass unsere Not behoben wird. Mit anderen Worten, wir fahren hier über tiefe Wasser, der Sturm wütet, Woge auf Woge rollt über unser winziges Schiff, wir sind in äußerste Not geraten, unser Wissen reicht nicht aus zu helfen und unsere Herzen sind oft bereit, die schreckliche Frage zu stellen: „Liegt dir nichts daran?“ Dieser Gedanke ist sehr demütigend. Der Gedanke, dass wir so oft das liebende Herz Jesu durch unseren Unglauben und unser mangelndes Vertrauen kränken, sollte uns mit der tiefsten Zerknirschung erfüllen.

Und dann das Unvernünftige des Unglaubens! Wie könnte Er, der sein Leben für uns gab, der seine Herrlichkeit verließ und herabkam in diese Welt voll Mühsal und Elend und den schimpflichen Tod am Kreuz starb, um uns vom ewigen Zorn zu befreien, je versäumen, für uns zu sorgen? Und doch neigen wir dazu zu zweifeln und werden so leicht ungeduldig bei einer kleinen Trübsal, wobei wir vergessen, dass die wahre Trübsal, vor der wir so zurückschrecken und unter der wir so seufzen, weit kostbarer ist als Gold. Je mehr der wahre Glaube erprobt wird, desto heller leuchtet er, und folglich ist die Versuchung, wenn auch hart, doch sehr geeignet, ihn in Lob und Preis ausbrechen zu lassen gegen den, der nicht nur den Glauben einpflanzt, sondern ihn auch durch den Schmelzofen der Trübsal gehen lässt, in dem Er ihn unaufhörlich und unermüdlich bewacht.

Aber die armen Jünger versagten in diesem Augenblick der Versuchung. Ihr Vertrauen war fort, und sie weckten ihren Herrn mit der unwürdigen Frage: „Liegt dir nichts daran, dass wir umkommen?“ Ach, was für Geschöpfe sind wir Menschen! Wir sind geneigt, bei einer einzigen Schwierigkeit, die sich uns entgegenstellt, zehntausend Liebesbezeigungen zu vergessen. – David sagte: „Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen“ (1Sam 27,1), und doch, wie ganz anders ging es aus! Saul fiel auf dem Berg Gilboa und David wurde auf den Thron Israels erhoben. Elia floh vor den Anschlägen Isebels, und was geschah? Isebel wurde auf dem Steinpflaster in Stücke zerschmettert und Elia wurde in einem feurigen Wagen in den Himmel aufgenommen. So auch hier: Die Jünger glaubten, verloren zu sein mit dem Sohn Gottes an Bord, und was war das Ergebnis? Der Sturm verstummte, und der See wurde ruhig durch die Stimme, die im Anfang die Wellen hervorgerufen hatte.

Mk 4,39: Und er wachte auf, schalt den Wind und sprach zu dem See: Schweig, verstumme! Und der Wind legte sich, und es trat eine große Stille ein.

Welch eine Fülle von Gnade und Majestät! Anstatt diejenigen zu bedrohen, die Ihn in seiner Ruhe gestört hatten, bedrohte Er den Wind und den See, die sie erschreckt hatten. So beantwortete Er ihre Frage: „Liegt dir nichts daran?“ Gesegneter Herr! Wer wollte Dir nicht trauen? Wer wollte Dich nicht anbeten für Deine langmütige Gnade und Deine nie tadelnde Liebe?

Es liegt etwas vollkommen Schönes in der Art, wie unser Herr ohne eine Anstrengung aus der Ruhe der vollkommenen Menschheit in die Tätigkeit der wahren Gottheit übertritt. Als Mensch schlief Er ermüdet von der Arbeit auf einem Kopfkissen ein, und als Gott erhebt Er sich und stillt mit seiner allmächtigen Stimme den Sturm und beruhigt den See.

So war Jesus wahrhaftig Gott und wahrhaftig Mensch, und so ist Er noch jetzt immer bereit, die Not seines Volkes zu lindern, die Niedergeschlagenen aufzurichten und die Furchtsamen zu trösten. Möchten wir Ihm nur immer einfach und kindlich vertrauen. Wir haben kaum eine Ahnung davon, wie viel wir verlieren, wenn wir uns nicht täglich auf den Arm Jesu stützen und nicht bei Ihm Rat und Hilfe holen. – Wir sind so leicht erschreckt. Jeder Windstoß, jede Woge, jede Wolke beunruhigt und beängstigt uns. Anstatt uns ruhig niederzulegen und neben unserem Herrn zu ruhen, sind wir voll Schrecken und Bestürzung. Anstatt den Sturm als eine Gelegenheit zu benutzen, unser Vertrauen gegen Ihn zu zeigen, nehmen wir ihn zum Anlass, Ihn durch unsere Zweifel zu betrüben. Sobald irgendeine unbedeutende Schwierigkeit sich zeigt, fürchten wir umzukommen, obgleich Er uns versichert hat, dass ohne seinen Willen kein Haar auf unserem Haupt gekrümmt werden solle. Auch zu uns kann Er sagen, wie Er zu den Jüngern gesagt hat:

Mk 4,40: Was seid ihr furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?

Manchmal scheint es wirklich, als ob wir keinen Glauben hätten. Aber dennoch ist Er immer bereit, uns zu bewahren und zu helfen, während wir so leicht zweifeln. Welch eine zärtliche Liebe! Er verfährt nicht mit uns nach unseren niedrigen Gedanken über Ihn, sondern gemäß seiner eigenen vollkommenen Liebe gegen uns. Das ist der Trost und die Stütze unserer Seele auf dem Weg durch den stürmischen Ozean zur ewigen Ruhe. Christus ist im Schiff. Möge uns das genug sein! Lasst uns ruhig auf Ihn vertrauen. Möge in unseren Herzen immer jene tiefe Ruhe sein, die aus dem wahren Glauben an Jesus entspringt. Dann werden wir, wenn auch der Sturm wütet und die Wasser des Sees sich bergehoch auftürmen, nicht versucht sein zu fragen: „Liegt dir nichts daran, dass wir umkommen?“ Wir können unmöglich umkommen mit Christus an Bord, auch können wir nicht so denken mit Christus in unserem Herzen. Möge der Heilige Geist uns lehren, einen völligen und freien Gebrauch von Christus zu machen. Christus muss durch den Glauben ergriffen und im Herzen genossen werden. Möchte es doch so sein zu seinem Preis und zum bleibenden Frieden und Genuss für uns!


Originaltitel: „Christus im Schiff“
aus Botschafter des Heils in Christo, 1871, S. 115–120

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