Der Prediger (5)
Prediger 5

Henri Louis Rossier

© RM Hückeswagen, online seit: 12.03.2006, aktualisiert: 04.01.2023

Leitverse:  Prediger 5

Der jetzt beginnende sprichwörtliche Teil des Predigers fängt, genau genommen, im fünften Vers des 4. Kapitels an und findet seine volle Entfaltung im 10. und 11. Kapitel. Er scheint auf den ersten Blick einen Mangel an Zusammenhang in dem Aufbau dieses Buches zu verraten, aber um sich von dem Gegenteil zu überzeugen, genügt es, zu bemerken, dass auch dieser Teil, wie anfangs die zusammenhängende Rede, von dem Wort „Eitelkeit“ beherrscht wird. Alle Sprüche des Predigers laufen in der Tat auf dieses eine Wort hinaus.

Verse 1-7

Pred 5,1-7: Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst; und nahen, um zu hören, ist besser, als wenn die Toren Schlachtopfer geben: denn sie haben keine Erkenntnis, so dass sie Böses tun. – Sei nicht vorschnell mit deinem Munde, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: darum seien deiner Worte wenige. Denn Träume kommen durch viel Geschäftigkeit, und der Tor wird laut durch viele Worte. – Wenn du Gott ein Gelübde tust, so säume nicht, es zu bezahlen; denn er hat kein Gefallen an den Toren. Was du gelobst, bezahle. Besser, dass du nicht gelobst, als dass du gelobst und nicht bezahlst. Gestatte deinem Munde nicht, dass er dein Fleisch sündigen mache; und sprich nicht vor dem Boten Gottes, es sei ein Versehen gewesen: warum sollte Gott über deine Stimme zürnen und das Werk deiner Hände verderben? Denn bei vielen Träumen und Worten sind auch viele Eitelkeiten. Vielmehr fürchte Gott.

Diese Verse setzen den Gedankengang der Verse 5 bis 16 des vorigen Kapitels fort, das heißt, sie reden von dem, was unter der Sonne in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes sein kann, und zeigen uns, was inmitten der Eitelkeit der Erde zur Furcht Gottes nötig ist (Pred 5,7). Die Furcht Gottes gehört, wie bereits gesagt, zu den Absichten des Predigers. Sie ist sogar die einzige Grundlage für das Verhalten des Weisen in einer Welt, in der alles Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist. Die Notwendigkeit dieser Furcht wurde bereits früher betont (Pred 3,14), und die letzten Worte des Buches werden uns zeigen, dass sie „der ganze Mensch“ ist. In der Tat sollte dies auch das einzige Kennzeichen des durch den Glauben mit Gott in Verbindung stehenden Menschen sein, der aber ohne eine bestimmte Offenbarung von Ihm ist.

So finden wir in den ersten Versen, welcher Art das Verhältnis des Menschen zu Gott sein sollte, wenn er sich Ihm in Seinem Hause naht. Was er zuallererst zu tun hat, ist zu hören, was Gott ihm zu sagen hat, während die Toren in ihrer Unwissenheit über den Charakter Gottes nahen, um Ihm dort Opfer zu bringen, die in Seinen Augen wertlos sind.

Dann sehen wir (Pred 5,2.3), dass die Furcht Gottes uns nur wenig Worte machen lassen sollte vor dem, der in den Himmeln ist, während der Tor gerade das Gegenteil tut. Endlich (Pred 5,4-7) ist es nötig, ein Gelübde zu erfüllen, das heißt einen freiwillig gefassten Entschluss, sich Gott zu ergeben und Ihm zu dienen, zur Ausführung zu bringen. Man sündigt, wenn man ein Gelübde tut und es vor dem Boten Gottes, der Zeuge davon war, widerruft, indem man vorgibt, es sei ein unbeabsichtigtes Versehen gewesen. Der Tor handelt so, aber der Gottesfürchtige widerruft sein Wort nicht, das er Gott gegeben hat. Alle Beziehungen zu Gott vereinigen sich also in dem einen Wort „Furcht“. Vergessen wir aber auch nicht, dass Eitelkeit selbst in der Behauptung liegen kann, man habe in Träumen direkte Mitteilungen von Gott erhalten. Denn der Traum ist oft, anstatt eine göttliche Offenbarung zu sein, nur eine Folge der Beschäftigungen des Tages (Pred 5,3.7).

Vers 8

Pred 5,8: Wenn du die Bedrückung des Armen und den Raub des Rechts und der Gerechtigkeit in der Landschaft siehst, so verwundere dich nicht über die Sache; denn ein Hoher lauert über dem Hohen, und Hohe über ihnen.

Dieses bezieht sich auf die drei ersten Verse des 4. Kapitels. Der Weise braucht sich nicht zu wundern, wenn er den Armen bedrückt und das Recht mit Füßen getreten sieht, denn Gott achtet auf alle Ungerechtigkeiten, die in der Welt geschehen. Er ist der höchste Richter (Ps 11,5).

Verse 9-17

Pred 5,9-17: Aber ein König, der sich dem Ackerbau widmet, ist durchaus ein Vorteil für ein Land. Wer das Geld liebt, wird des Geldes nicht satt; und wer den Reichtum liebt, nicht des Ertrages. Auch das ist Eitelkeit. – Wenn das Gut sich mehrt, so mehren sich, die davon zehren; und welchen Nutzen hat dessen Besitzer, als das Anschauen seiner Augen? – Der Schlaf des Arbeiters ist süß, mag er wenig oder viel essen; aber der Überfluss des Reichen lässt ihn nicht schlafen. – Es gibt ein schlimmes Übel, das ich unter der Sonne gesehen habe: Reichtum, welcher von dessen Besitzer zu seinem Unglück aufbewahrt wird. Solcher Reichtum geht nämlich durch irgendein Missgeschick verloren; und hat er einen Sohn gezeugt, so ist gar nichts in dessen Hand. Gleichwie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist, wird er nackt wieder hingehen, wie er gekommen ist; und für seine Mühe wird er nicht das Geringste davontragen, das er in seiner Hand mitnehmen könnte. Und auch dies ist ein schlimmes Übel: ganz so wie er gekommen ist, also wird er hingehen; und was für einen Gewinn hat er davon, dass er in den Wind sich müht? Auch isst er alle seine Tage in Finsternis, und hat viel Verdruss und Leid und Zorn.

Diese Verse betonen von neuem die Eitelkeit des Reichtums und der Geldliebe im Gegensatz zum Ackerbau. Die Vermehrung der Güter vergrößert auch die Zahl der sich davon Nährenden, und der Mensch, der sie besitzt, genießt niemals die Ruhe, die dagegen dem süß ist, der in irgendeiner Art körperlich arbeitet.

Dieser ganze Abschnitt, bereits vom vierten Vers des 4. Kapitels ab, zeigt uns also neben dem Bösen und der Bedrückung in dieser Welt gewisse gute Folgen eines Verhaltens nach den Grundsätzen der Regierungswege Gottes.

Vom 13. Vers ab bis zum Ende des 6. Kapitels nimmt der Prediger wieder den Gegenstand der „schlimmen Übel“ auf, die er unter der Sonne gesehen hatte (Pred 4,1-3).

Der Reichtum ist denen zum Schaden, die ihn besitzen – wobei nicht zu vergessen ist, dass für den Juden der Reichtum ein Zeichen der Gunst Gottes war –, oder er geht auch verloren, und der Sohn, der ihn erben sollte, hat „gar nichts in seiner Hand“. Schließlich verlässt der Reiche selbst durch den Tod seine Güter und geht nackt wieder von der Erde, so, wie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist. Er wird geboren, um zu sterben, und zwischen Geburt und Tod liegen nur Finsternis, Kummer, Krankheit und Zernagen des Geistes.

Verse 18-20

Pred 5,18-20: Siehe, was ich als gut, was ich als schön ersehen habe: dass einer esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil. Auch ist für jeden Menschen, welchem Gott Reichtum und Güter gegeben, und den er ermächtigt hat, davon zu genießen und sein Teil zu nehmen und sich bei seiner Mühe zu freuen, ebendies eine Gabe Gottes. Denn er wird nicht viel an die Tage seines Lebens denken, weil Gott ihm die Freude seines Herzens gewährt.

Endlich begegnen wir zum dritten Male (siehe Pred 2,24.25; 3,12.13) dem Ergebnis all dieser bitteren und schmerzlichen Erfahrungen: „Siehe, was ich als gut, was ich als schön ersehen habe: dass einer esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil.“ Für den Menschen gibt es nur diesen kurzen, gegenwärtigen Genuss, denn in seiner Erinnerung bleiben nur Mühe und Arbeit haften, und die Zukunft ist ihm unbekannt. Erst am Ende dieses Buches sehen wir, worauf dieser Genuss hinausläuft.

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Aus einer vergriffenen Betrachtung, die von Richard Mohncke, Hückeswagen, herausgeben wurde


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