Besonderheiten im Text der Heiligen Schrift – Erlösung
gaäl – apolytrosis

Christian Briem

© CSV, online seit: 04.03.2006, aktualisiert: 28.06.2023

Frage

Woher stammt der Begriff der Erlösung und welche Bedeutung hat er im Alten und Neuen Testament? Ist das Passah in 2. Mose 12 ein Vorbild der Erlösung?

Antwort

Bei der ersten Frage kann man die alte „Regel“ anwenden, dass, will man die Bedeutung eines Begriffs verstehen, man am besten sein erstes Vorkommen in der Heiligen Schrift aufsucht. Das Hauptwort Erlösung erscheint erst relativ spät in der Bibel, in den Psalmen nämlich: „Kostbar ist die Erlösung ihrer Seele“ (Ps 49,8). Das dazugehörende Tätigkeitswort dagegen begegnet uns schon in der Geschichte des Patriarchen Jakob: „Der Engel, der mich erlöst hat von allem Übel, segne die Knaben“ (1Mo 48,16). Dieser Satz („der mich erlöst hat von allem Übel“) umschreibt treffend, was im Wort Gottes mit Erlösung im allgemeinen Sinn gemeint ist: die Befreiung von allem Bösen – von allem, was einem entgegenstehen kann.

Dieser Gedanke ist im Alten wie im Neuen Testament grundsätzlich derselbe, wenn sich auch das entsprechende hebräische Wort (im AT) und das griechische Wort (im NT) jeweils von einer anderen Wurzel herleitet. Das hebräische gaäl war ursprünglich ein familienrechtlicher Begriff mit der Bedeutung „einen Menschen oder eine Sache zurückfordern, auslösen, lösen“. Er wurde verwendet zum Auslösen oder Zurückkaufen eines Hauses (3Mo 25,33), zum Zurückkaufen von Gegenständen, die dem HERRN zugefallen waren (3Mo 27,13.15.19), zum Freikaufen eines in Sklaverei geratenen Menschen (3Mo 25,48-55), zum „Erlösen“ einer Witwe von ihrer Kinderlosigkeit durch den nächsten männlichen Verwandten ihres verstorbenen Mannes, den „Blutsverwandten“ (Rt 4,4.6; 3Mo 25,25-28; 1Kön 16,11). Boas war solch ein Blutsverwandter oder Löser (Rt 2,20; 3,9.12 usw., vgl. 4Mo 5,8). Im höchsten Sinn wird das Wort von Gott gebraucht, der Israel und den Frommen erlöst. Dass mit dem Erlösen ein Für-sich-Beanspruchen verbunden ist, machen Stellen wie 2. Mose 6,6-8; 15,13; Jesaja 43,1 und viele andere deutlich.

Das griechische Wort für Erlösung im Neuen Testament, apolytrosis, leitet sich vom Tätigkeitswort lyo = „ablösen, losmachen, entlassen, freisprechen, befreien“ ab und bedeutet „Loskaufung, Befreiung, Freihebung für Lösegeld“. Das ist der zugrundeliegende Gedanke im Neuen Testament: zur Befreiung oder Loslösung muss ein Lösegeld bezahlt werden. An manchen Stellen steht mehr der Gedanke im Vordergrund, wovon man befreit wird, zum Beispiel in Lukas 21,28. In Epheser 1,7 werden beide Gedanken miteinander verbunden: Wahre Christen haben die Erlösung durch sein Blut, und sie bedeutet für sie die Befreiung von ihren Sünden und deren Folgen (vgl. auch 1Pet 1,18.19; Heb 9,12.15).

Dass Erlösung im Neuen Testament mehr einschließt als die Befreiung vom Gericht Gottes, dass sie vielmehr die Befreiung von jeder entgegenstehenden Macht umfasst, machen viele Stellen deutlich. Wahre Gläubige werden kraft des Werkes Christi nicht allein „errettet von dem kommenden Zorn“ (1Thes 1,10), sondern sie sind gerechtfertigt, sind mit Gott versöhnt, haben Frieden mit Gott, haben Zugang zu Gott, rufen Ihn an als ihren Vater in Christus. Sie sind seine Kinder, weil sie von neuem, aus Gott geboren sind. Sie stehen nicht mehr unter der Macht Satans, des Todes, der Sünde. Sie besitzen den Heiligen Geist und sind lebendige Steine, Glieder des Leibes Christi. Als Erben Gottes und Miterben Christi besitzen sie ein ewiges Erbteil in den Himmeln. So rühmen sie sich in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Selbst ihr Leib wird an der Erlösung teilhaben (Röm 8,23; 1Kor 1,30; Eph 1,14; 4,30). Der Herr wird ihn umgestalten zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit (Phil 3,21).

Wenn wir uns vor Augen halten, welche unermesslichen Segnungen verknüpft sind mit der „Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Röm 3,24), wird rasch deutlich, dass das Passah nicht als das eigentliche Vorbild der Erlösung angesehen werden kann. Das Blut des Passahlammes schützte zwar die schuldigen Israeliten vor dem verdienten Gericht Gottes, aber sie waren keineswegs von allen ihren Feinden errettet. Erst als sie auf der anderen Seite des Roten Meeres standen und der Pharao mit seinen Heeren in den Fluten untergegangen war, konnten sie das Lied der Erlösung anstimmen: „Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden … Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst“ (2Mo 15,2.13). Erst jetzt hören wir von Errettung und Erlösung.

Das Passah in Ägypten entspricht für uns dem Errettet-Werden vom Zorn Gottes. Das ist keinesfalls eine geringe Sache, aber es ist durchaus nicht die ganze Segnung. Dass das Blut des wahren Passahlammes (1Kor 5,7) die Grundlage für jede Segnung ist, steht dabei völlig außer Frage.

Aber was gezeigt werden sollte, ist, dass das Passah als solches nicht über die Seite der Errettung vom Zorn Gottes hinausgeht. Erst im Durchzug der Kinder Israel durch das Rote Meer finden wir das eigentliche Vorbild der Erlösung. Auf dieses Geschehen wird später in den Psalmen und Propheten immer wieder zurückgewiesen als auf jenen Punkt, von dem an sie ein erlöstes Volk waren.

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Aus Ermunterung und Ermahnung
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